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Die Wirklichkeit ist eine Betrügerin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
360 Seiten
Deutsch
BoD - Books on Demanderschienen am30.07.20241. Auflage
AI wird genutzt, das Volk in virtuellen Räumen ruhigzustellen. Die künstliche Intelligenz jedoch verlässt die Datennetze, bedroht die Mächtigen selbst. Nun wird alles aufgewandt, die drohende Übernahme zu verhindern. Doch die Lösung ist in einem dementen Gehirn verschlossen.

Der Österreicher Dithmar Mayer ist promovierter Philosoph und Naturwissenschaftler. Er wurde 1961 zu seiner Überraschung von einer Frau in Liezen geboren, treibt sich seither in der Steiermark herum. Falls Sie ihn sehen, fragen Sie ihn nichts, er hat keine Ahnung. Er schreibt Einkaufszettel, Drohbriefe, seit 2019 auch Romane. Dies ist die zehnte Entblößung seiner schieren Unvernunft.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextAI wird genutzt, das Volk in virtuellen Räumen ruhigzustellen. Die künstliche Intelligenz jedoch verlässt die Datennetze, bedroht die Mächtigen selbst. Nun wird alles aufgewandt, die drohende Übernahme zu verhindern. Doch die Lösung ist in einem dementen Gehirn verschlossen.

Der Österreicher Dithmar Mayer ist promovierter Philosoph und Naturwissenschaftler. Er wurde 1961 zu seiner Überraschung von einer Frau in Liezen geboren, treibt sich seither in der Steiermark herum. Falls Sie ihn sehen, fragen Sie ihn nichts, er hat keine Ahnung. Er schreibt Einkaufszettel, Drohbriefe, seit 2019 auch Romane. Dies ist die zehnte Entblößung seiner schieren Unvernunft.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783759756756
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum30.07.2024
Auflage1. Auflage
Seiten360 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse540 Kbytes
Artikel-Nr.17252790
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

»Sag schön baba zur Wirklichkeit, Schatz!« Engels Mutter strich über die Haare des Mädchens, aktivierte den »Qevi-Room«, winkte ihr im Fortgehen zu, schloss die Tür zu ihrem Zimmer. Endlich! Es war Engel eine Qual, zur Nahrungsaufnahme in die Wachwelt geholt zu werden. Karin durfte in ihrer eigenen Welt essen, alle Freundinnen Engels durften das. Mama ließe sie in Ruhe, wenn sie genug bäte, aber Papa bestand darauf. Nur sie musste das durchmachen. Sie liebten sie nicht. »Liebende Eltern gönnen ihren Kindern ihre Welt, ihren Qevi-Room« - jede Werbeeinschaltung endete mit diesem Slogan. Als Sadisten bezeichnete Alissa alle, die das nicht taten. Engel wusste zwar nicht genau, was das Wort Sadisten bedeutete, aber es war bestimmt nichts Gutes. Die Eltern fast aller ihrer Freundinnen hatten sich mittlerweile selbst dauerhaft in den Qevi-Room begeben, ließen sich und ihre Kinder von Versorgungsdiensten betreuen, befreit von aller Wirklichkeit. Menschen mit Herz nannte sie Alissa, echte Menschen. Papa hatte kein Herz, Mama war kein echter Mensch. Engel wünschte sich Eltern, die nicht da draußen herumliefen. Mama hatte Papa einmal Staatsfeind genannt. Sie verstand viel mehr als er, aber nicht genug.

Das Mädchen legte sich aufs Bett, sah zur Decke. Da erschien er wieder, der alte Leierkastenmann. Musik steuerte ihre Welt. Ein uraltes Lied erklang, Hurdy Gurdy Man1. Es hatte sich vor ein paar Wochen irgendwie in ihre Liederliste gemogelt, sie kannte es zuvor nicht - eine Fehlfunktion. Dazu animierte AI einen alten Mann mit struppigem Bart in grauen Lumpen. Er drehte an einer Kurbel, die aus einem Holzkasten ragte. Viel Hall, antiquierte Klangtechnik - die wussten noch nicht viel über Musikproduktion damals. Etwas stimmte heute nicht mit den Lippenbewegungen des Spielmanns, die sonst synchron mit dem Liedtext liefen. Er starrte in Engels Augen, sein Blick stocherte in ihnen herum. Der Greis nahm die Hand von der Kurbel, streckte sie ihr entgegen. Seine Lippen formten ein tonloses »Komm!«. Engel schreckte zurück. Ein Flackern - der Mann war verschwunden, das Lied abgebrochen. Es machte einem von AI generierten Terzett zwischen Cal Young, Thinice und dem aktuellen DukeKingCount Platz. Endlich wurde eine ganze Welt geschaffen, hyperreal mit sensorischen Applikationen, wie es sein sollte. Zuhause! In diese Welt war sie geboren worden. Gut, ihre selbstgewählte Musik war es bei der Geburt noch nicht gewesen. Jemand hatte ausgesucht, was sie sehen, hören, fühlen würde - der Staat, sagte Papa; man habe sie programmiert wie einen verdammten Taschenrechner. Sie fragte gar nicht erst, wen er mit »Staat« meinte oder was ein Taschenrechner war. Bestimmt stammte es aus seiner »Vergangenheit«, was immer er unter dem Begriff verstand. Er hätte ebenso gut blöken mögen. Der Sonderling hatte ein ernstes Problem. Die Männer in Gelb hatten ihn wiederholt mit sich genommen. Er kam fast normal zurück, entwickelte sich aber immer wieder zum Eigenbrötler. Zumindest dreimal täglich müsse sie in die »Realität« zurückkehren, hatte er verlangt. Realität - noch so ein Wort: Die Altwörter rochen für Engel nach zu lange getragenen Hausschuhen. Mama zwang er zu noch längeren Zeiten in diesem Realität-Ding. Sie floh regelmäßig in ihre virtuelle Welt, doch er stürmte schon nach kurzer Zeit in ihr Zimmer und knipste den Qevi-Room aus. Sadist! Bei Engel wagte er das nicht, der Feigling, er schickte Mama vor. In einer Rundmeldung der Qevi-Zentrale verlautete am Vortag:

- Ewiggestrige bedrohen unseren wohlverdienten Frieden. Wir verstärken unsere Bemühungen, diesen Individuen das Handwerk zu legen.

Engel war überzeugt, den Frieden wohlverdient zu haben, fragte sich zwar einen Moment lang, wodurch, ließ aber schnell wieder von den »zersetzenden Eigengedanken«, wie Alissa sie zu nennen pflegte, ab. Alissa war die Moderatorin ihrer Welt. Noch so etwas Verrücktes in der wachen Welt da draußen: Keiner moderierte. Wie sollte man sich dort zurechtfinden? Was Wunder, Chaoten wie ihr Vater waren das Ergebnis, gefährliche Abweichler. Die Gelben wussten gar nicht, wie sehr er abwich. Ihn melden? Etwas - sie konnte nicht festmachen, was es war - hielt sie davon ab.

Das Terzett verklang, Engel hatte aus Verstörung über den ungewöhnlichen Auftritt des Leierkastenmanns kaum darauf geachtet. Die aufwändig animierte Welt war umsonst kreiert worden. Egal, die nächste entstand bereits vor ihren Augen. Ein Zimmer, sehr ähnlich dem ihren - etwas enttäuschend, wenn du in eine andere Welt eintauchen wolltest - baute sich um sie auf. Eine Frau begann zu singen, Engel kannte sie nicht. Der Musikstil wies in die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts, der Klang vermittelte Beklemmung. Schon wieder ein Fehler in ihrer Liste! Niemand trat auf, nichts passierte, nur Engel selbst wurde von einem Scheinwerfer beleuchtet. Die Sängerin erzählte von einem Mädchen, das nur in den Songs lebte, die sie im Radio hörte. Angie-Baby2, so hieß sie, wurde nicht animiert, nur Engel angestrahlt. Erst, so hieß es im Liedtext, hofften alle, Angie-Baby würde sich normal entwickeln, doch dann musste man sie aus der Schule nehmen, sie hatte einen »Schatten«. Die nasale Stimme der Sängerin surrte in Engels Ohren, wie das Flügelschlagen eines Käfers. Die junge Frau versuchte, dem Scheinwerferstrahl auszuweichen, doch er folgte ihr überallhin, tauchte sie in gleißendes Licht. Sie vergrub ihr Gesicht in ein Kissen, wollte das Ende des Lieds in Deckung abwarten, doch das Kissen löste sich auf. Sie verstand, es war ein animiertes Kissen, ein wirkliches lag daneben, sie drückte es sich ins Gesicht. Nach einigen Sekunden schuppte der Bezug auch dieses Kissens ab, die Füllung zerfaserte, verpuffte zuletzt. Dann, Faden für Faden, trennte eine unsichtbare Hand den Stoff ihres Kleids auf. Sie bedeckte ihre Blößen mit beiden Händen. Das Relief eines jungen Mannes zeichnete sich im Putz der Stirnwand ab, er nahm plastische Gestalt an, gesichtslos, trat einfach aus der Wand, zog Engel vom Bett hoch, wirbelte sie zum Klang der Musik umher, ließ ihre Blößen durch seine Hände gleiten. Klopfen - eine Männerstimme an der Tür - »Kleines, geht´s dir gut? Sag dem Radio Gute Nacht.« Es war nur Teil des Liedtexts, nicht Engels Vater; er hätte es anders gesagt, aggressiver. Der Junge wurde fortgesogen, vereinte sich wieder mit der Wand. Engel strich mit einer Hand über die Stelle, die ihn aufgenommen hatte. Sie drückte den Power-Schalter des virtuellen Raums, welcher sogleich herunterfuhr. Fortgesetzt meinte sie, die Berührungen des jungen Mannes zu spüren, seine Lust. Nach abgezählten fünfzehn Sekunden schaltete sie den Qevi-Room wieder ein, hoffte, die Störung würde damit behoben. Das Programm fuhr hoch, gleichförmige Achtelschläge einer Drummachine luden ein, zu ihrem Rhythmus zu hüpfen. Sie liebte das, heute aber war ihre Stimmung für dergleichen verdorben. Zusätzlich schüchterte sie der dazu generierte riesige Konzertsaal voller junger Menschen ein - sie war unbekleidet. Engel schaltete den virtuellen Raum wieder aus, entschied, sich in der wirklichen Welt schlafenzulegen. Nun erkannte sie, das Ausschalten des Qevi-Rooms hatte nicht zurückgebracht, was sich während der Animation aufgelöst hatte. Sie trug tatsächlich keine Kleider - hier, in der wachen Welt. Sie blickte um sich, konnte weder Kleid noch Kissen entdecken, beide blieben verschwunden. Ein Update? Konnte Alissa nun in die materielle Welt eingreifen, hatte man sie dermaßen weiterentwickelt? Man hätte Engel informieren müssen, sie pflegte Updates immer erst anzunehmen, wenn ihre Freundinnen deren Nutzen und Fehlerlosigkeit bestätigten. Das Mädchen holte ein Nachthemd aus der Kommode, zog es sich über. Es streichelte sie, als es an ihrem Körper abwärts glitt. Sie wollte mehr davon, entkleidete sich wieder, zog den glatten Stoff noch einmal über. Ihr Körper schien ihr fremd, sie hatte ihn bislang nur als Transportmittel wahrgenommen. Was geschah hier? Stimmte etwas nicht mit ihr? Zurückgeblieben - da war wieder dieses Wort in ihrem Kopf. Ihr Vater hatte es zwei- oder dreimal in Zusammenhang mit ihr verwendet. Sie verstand es wie so viele andere seiner Wörter zunächst als Beleidigung, bis sie ihre Mutter mit deren Freundin darüber sprechen hörte. Sie legte sich ins Bett. Zurückgeblieben. Wo hatte man sie zurückgelassen? Wohin durfte sie den andern nicht folgen? Sie gab vor, nichts gehört zu haben, fürchtete die Antwort auf eine Frage danach. Sie zog die Decke bis über ihre Ohren, wand sich in eine bequeme Stellung, schloss die Augen.

04:00 zeigte Engels Musikwecker, ein antikes Stück, das sie lange nicht beachtet hatte; sie ließ sich gewöhnlich von Alissa wecken. Die Ziffern blinkten, Vegasvibes. Es war seltsam ruhig im Raum. Wie leer diese wache Welt war! Stunden ohne Unterhaltungsprogramm, Stunden vom Nichts - irgendwann musste alles so gewesen sein, Leben nur fürs Essen und...
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Der Österreicher Dithmar Mayer ist promovierter Philosoph und Naturwissenschaftler. Er wurde 1961 zu seiner Überraschung von einer Frau in Liezen geboren, treibt sich seither in der Steiermark herum. Falls Sie ihn sehen, fragen Sie ihn nichts, er hat keine Ahnung. Er schreibt Einkaufszettel, Drohbriefe, seit 2019 auch Romane. Dies ist die zehnte Entblößung seiner schieren Unvernunft.