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Verachtung nach unten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Lau-Verlagerschienen am14.08.20242. Auflage
Von den USA bis Europa breitet sich eine Bewegung der Erwachten aus, die den Westen anklagt, Menschen nach Hautfarbe und Geschlecht in ­Identitätsgruppen einteilt und Bürgerrechte unter den Vorbehalt einer höheren Gerechtigkeit stellt. Diese neue Macht, die unter Namen wie woke, Identitätspolitik oder »Kritische Rassentheorie« auftritt, behauptet von sich selbst, progressiv zu sein. Sie benutzt Begriffe der alten Linken. Sie versprechen eine friedlichere, gleichere Gesellschaft. Das, was sie tatsächlich anstreben, ähnelt eher einem modernen Feudalismus, geführt von einer unangreifbaren Priesterkaste, die vor allem die sogenannten Normalbürger verachtet. Alexander Wendt seziert dieses Phänomen, legt seine Wurzeln bloß und nimmt sein toxisches Ideengebäude auseinander. Er beantwortet auch die Frage, wie sie in so kurzer Zeit politischen Einfluss gewinnen konnte. Ihr Triumphzug ist keine ausgemachte Sache. Die Bürgergesellschaft besitzt alle Mittel, diese Bedrohung zu stoppen. »Verachtung nach unten« bietet neben der Analyse auch Vorschläge, wie sich der Kulturkrieg beenden lässt. »Alexander Wendt ist die Noblesse des gegenwärtigen ­Journalismus. Gründlich, genau, unbestechlich, immer ­mitschwingend ein menschenfreundlicher Humor - Wendt ist ein Aufklärer auf der Gegenposition zur Ideologie.« Uwe Tellkamp »Alexander Wendt: Verachtung nach unten - ein ­großartiges Buch über die neue moralische Priesterkaste, die in einer ­Pseudomorphose linker Symbolik alles zu zerstören droht, was wir dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und der ­bürgerlichen Emanzipation verdanken.« Norbert Bolz

Alexander Wendt, geboren 1966 in Leipzig, schrieb seit 1989 als Journalist und Autor unter anderem für die Welt, den Stern, den Tages­spiegel, Wirtschaftswoche und Focus. 2005 gründete er die Galerie Quartier in Leipzig, die er bis 2010 leitete. Seit 2017 leitet er das von ihm etablierte Online-­Magazin Publico. 2016 erschien »Du Miststück. Meine ­Depression und ich« (S.?Fischer) und 2019 »Kristall. Eine Reise durch die Drogenwelt des 21. Jahrhunderts« (Klett-Cotta). Alexander Wendt lebt und arbeitet in München.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR21,99

Produkt

KlappentextVon den USA bis Europa breitet sich eine Bewegung der Erwachten aus, die den Westen anklagt, Menschen nach Hautfarbe und Geschlecht in ­Identitätsgruppen einteilt und Bürgerrechte unter den Vorbehalt einer höheren Gerechtigkeit stellt. Diese neue Macht, die unter Namen wie woke, Identitätspolitik oder »Kritische Rassentheorie« auftritt, behauptet von sich selbst, progressiv zu sein. Sie benutzt Begriffe der alten Linken. Sie versprechen eine friedlichere, gleichere Gesellschaft. Das, was sie tatsächlich anstreben, ähnelt eher einem modernen Feudalismus, geführt von einer unangreifbaren Priesterkaste, die vor allem die sogenannten Normalbürger verachtet. Alexander Wendt seziert dieses Phänomen, legt seine Wurzeln bloß und nimmt sein toxisches Ideengebäude auseinander. Er beantwortet auch die Frage, wie sie in so kurzer Zeit politischen Einfluss gewinnen konnte. Ihr Triumphzug ist keine ausgemachte Sache. Die Bürgergesellschaft besitzt alle Mittel, diese Bedrohung zu stoppen. »Verachtung nach unten« bietet neben der Analyse auch Vorschläge, wie sich der Kulturkrieg beenden lässt. »Alexander Wendt ist die Noblesse des gegenwärtigen ­Journalismus. Gründlich, genau, unbestechlich, immer ­mitschwingend ein menschenfreundlicher Humor - Wendt ist ein Aufklärer auf der Gegenposition zur Ideologie.« Uwe Tellkamp »Alexander Wendt: Verachtung nach unten - ein ­großartiges Buch über die neue moralische Priesterkaste, die in einer ­Pseudomorphose linker Symbolik alles zu zerstören droht, was wir dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt und der ­bürgerlichen Emanzipation verdanken.« Norbert Bolz

Alexander Wendt, geboren 1966 in Leipzig, schrieb seit 1989 als Journalist und Autor unter anderem für die Welt, den Stern, den Tages­spiegel, Wirtschaftswoche und Focus. 2005 gründete er die Galerie Quartier in Leipzig, die er bis 2010 leitete. Seit 2017 leitet er das von ihm etablierte Online-­Magazin Publico. 2016 erschien »Du Miststück. Meine ­Depression und ich« (S.?Fischer) und 2019 »Kristall. Eine Reise durch die Drogenwelt des 21. Jahrhunderts« (Klett-Cotta). Alexander Wendt lebt und arbeitet in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783957682642
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum14.08.2024
Auflage2. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse948 Kbytes
Artikel-Nr.17301286
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Der große Fortschritt zurück
EINS Friede dem Zentrum, Krieg der Peripherie
ZWEI Das neue Kapital
DREI Techniken der Verachtung
VIER Ankläger
FÜNF Neue Stämme
SECHS Plattformen
SIEBEN Bürger
ACHT Provosorischer Frieden - ein Entwurf
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Leseprobe

EINS
Friede dem Zentrum, Krieg der Peripherie

»Die Vorstellung des permanenten Wandels macht das Leben unmöglich.« Michel Houellebecq

Dieses Buch soll unter anderem davon handeln, wie Abstraktion das Konkrete verdrängt. Die Debatte über den Zustand der Gesellschaft lässt sich nur durch Anschauung beginnen. Eine Gesellschaft besteht nicht aus Begriffen, sondern aus Personen, Orten, Landschaften. Wer Territorien durchstreift und mit ihren Bewohnern spricht, dem bleiben Konflikte nicht lange verborgen. Es gibt dabei nur eine wesentliche Bedingung: Es sollte sich um möglichst unterschiedliche Gebiete und Menschen handeln. Klassen und Schichten existieren auch in der Gegenwart, also der Epoche nach dem klassischen Industriezeitalter. Auch in Westeuropa, der Weltgegend, die mehr Aufwand betreibt als alle anderen, um Ungleichheit zu mildern, manchmal auch nur, um sie zu verdecken. Das soziale Oben und Unten stellt sich heute etwas anders dar als im neunzehnten Jahrhundert oder in der Mitte des zwanzigsten. Geld oder vielmehr Geld allein bestimmt heute weniger über den Platz des Einzelnen als noch vor zwei oder drei Generationen. Trotzdem herrscht nicht mehr Gleichheit als damals. Beginnen wir deshalb mit einer Wanderung durch eine imaginäre westeuropäische Stadt, zusammengesetzt aus mehreren real existierenden Gegenden. Fangen wir ganz außen an, räumlich und was den Status der Bewohner betrifft, nämlich in einer Hüttensiedlung vor Lissabon, in der Einwanderer aus Afrika ankommen, um von dort so schnell wie möglich in die Metropolen weiterzuwandern, wo fast alle auf das Gleiche hoffen: eine berechenbare Umgebung für sich und ihre Familien, kurzum: Stabilität.

Von dort durchqueren wir in Berlin eine Übergangszone zwischen unsicheren und schon halbwegs stabilen Verhältnissen, bevor wir ins Zentrum des progressiven Denkens vordringen, genauer: in eins von vielen Zentren, in die Berliner Eigentumswohnung eines mittelalten Aktivisten, der verspricht, die industrielle Zivilisation des Westens niederzureißen, und für dieses Vorhaben eine symbolische Anleihe bei der Roten Armee Fraktion aufnimmt. Von dort aus geht es ins deutsche Hillbillygebiet am Rand von Leipzig zu einem Facharbeiter, dessen Leben sich aus Sicht des progressiven Zentrums am besten in einer Anklageschrift zusammenfassen lässt: Erwerbsarbeit in der fossilen Industrie, Eigenheim, Familie, zwei Autos, reaktionäre Ansichten. Ein Grill im Garten kommt verschärfend dazu.

Die Migranten im Hüttendorf am Atlantik und der traditionelle ostdeutsche Facharbeiter ähneln einander in einem Punkt. Sie wünschen für sich eine Umgebung, in der sie halbwegs würdig leben können, und die sich bestenfalls langsam ändert. Hier verläuft die wichtigste Trennlinie innerhalb der modernen westlichen Gesellschaften: Sucht jemand vor allem Stabilität? Oder verlangt er den großen Auf- und Umbruch, die schnelle Transformation in eine Zukunft, die sich so radikal wie möglich von der Gegenwart unterscheiden soll?

Der zweite tiefe Unterschied liegt in dem, wofür es in der identitätspolitischen Debatte das Wort Sichtbarkeit gibt. Die Neuankömmlinge in ihrer Behelfssiedlung, der Facharbeiter mit Auto und Haus, der als Typus verschwinden soll - keiner von ihnen spielt in der gesellschaftlichen Debatte eine große Rolle. Keiner besitzt die Macht, bestimmte Begriffe zu prägen und andere aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Auch das trennt die Diskursmeister im Zentrum von den Gestalten am Rand.

Sichtbar werden sie, wenn beispielsweise der Autor dieses Buchs sich auf den Weg macht, um ihnen Fragen zu stellen. Willkommen zur Grand Tour von der Peripherie ins Zentrum.

Von der Station Belem in Lissabon dauert die Überfahrt nach Trafaria eine Viertelstunde. Ein Trampelpfad führt vom Landungssteg auf der anderen Seite des Tejo an dem Silokomplex des Hafens vorbei. Wer sich an diesen erdigen Weg hält, der über eine Grasfläche mit kleinen Haufen von Schutt und Müll führt, verlässt Europa nach ungefähr zehn Minuten. Jedenfalls das Europa der befestigen Straßen, der von Bauarbeitern errichteten Häuser und unterirdisch verlegten Stromkabel. Die Siedlung in der Cova de Vapor, der Dampfbucht, beginnt unmittelbar hinter der wilden Grasfläche und den Einfamilienhäusern von Trafaria. Die Dampfbucht bildet ein kleines Sondergebiet, das niemand zu sehen bekommt, der von der Fähre aus die Hauptstraße nimmt, um zur Costa da Caparica zu fahren, dem langen Strand der Stadtbewohner und Touristen.

Das Baujahr der Häuser in der Dampfbuchtzone lässt sich schwer schätzen. Sie können vor zehn Jahren entstanden sein oder vor einer Woche. Meist bestehen sie aus roten Hohlziegeln, ungleichmäßig verputzt oder gar nicht, manche sind mit Blechplatten gedeckt. Es gibt bessere, die wie stark vereinfachte Versionen der normalen Häuser in Trafaria wirken, und sehr schmale Schuppen mit winzigen unverglasten Öffnungen in der Mauer, die vielleicht nur als Lager für irgendetwas dienen, vielleicht aber auch als Behausung oder beides.

Zwischen Stangen an den Wegen hängen Elektroleitungen, ganze Bündel, die an irgendeiner Stelle von der regulären Stromversorgung abzweigen.

Etwa sechshundert dieser Hütten stehen auf der kleinen Fläche, manche mit Meerblick. Die etwa dreitausend Bewohner stammen fast alle aus Afrika. Cova de Vapor ist eine Ankunftsstadt, eine von weltweit vielen Arrival Cities, um den Begriff zu benutzen, den der kanadische Autor Doug Saunders mit seinem Buch über die weltweiten Wanderungsströme prägte. Eigentlich handelt es sich um ein Ankunftsdorf. Es gibt fast nur Provisorien. Diejenigen, die vorübergehend hier einziehen, möchten schnellstmöglich auf die andere Seite des Tejo, in die Stadt oder in andere Städte anderer europäischer Länder. Wer in der Siedlung lebt, befindet sich, was die Schwierigkeiten der Route angeht, ungefähr auf halbem Weg zwischen seinem Herkunftsland und einem Apartment in Lissabon.

Die meisten Bewohner der Dampfbucht stammen aus Kap Verde und anderen ehemaligen Kolonien Portugals. Der Inselstaat gehört zu den stabilsten afrikanischen Staaten; Einkommen und Lebenserwartung liegen an der Spitze unter den Ländern des Kontinents. Allerdings bietet das Land Stabilität unter bescheidenen Verhältnissen. Wer in die Wohlstandszone nach westlichen Maßstäben ausbrechen will, findet dort nur sehr wenige Möglichkeiten. Nach Europa kommen gerade nicht die Ärmsten der Armen, wie es immer wieder heißt, sondern eher Menschen aus der Mittelschicht, die das nötige Geld für den Weg überhaupt aufbringen können. Für diejenigen, die weggehen, kommen wiederum Migranten aus dem ärmeren Nigeria auf die Kapverdischen Inseln. Die meisten Bewohner der Dampfbucht arbeiten entweder drüben in der Stadt oder in der kleinen dörflichen Wirtschaft der Siedlung.

Jorge Esteves stammt aus Luanda, der angolanischen Hauptstadt. Wie fast alle Dampfbuchtbewohner will er schleunigst weiterkommen. In seinem Fall heißt die nächste Station, die er sich vornimmt, Frankreich. Nach seiner Ankunft vor Lissabon bewarb er sich als Koch. Als das nicht klappte, arbeitete er als Küchenhelfer und später auf dem Bau. Mit dem Einkommen schaffte er es vorübergehend aus der Dampfbuchthütte. Er mietete ein kleines Apartment, zwar nicht drüben in Lissabon, aber in der regulären Siedlung an der Costa da Caparica. Das veränderte allerdings seine Rechnung. Die Miete, 580 Euro im Monat, fraß einen großen Teil seines Bauhelfergehalts wieder auf.

Als er seine Anstellung verlor, ging er zurück in die Siedlung. »Die Nachbarn«, sagt er, »haben mich wieder aufgenommen.« Streitereien und Abneigung zwischen Festlandafrikanern wie ihm und Kreolen aus Kap Verde, erzählt Jorge, gebe es nicht. »Seit ich hier hingekommen bin, habe ich nie ein Problem wahrgenommen.« Auch die Beziehung zu den Weißen in der Nachbarschaft von Trafaria sei friedlich. Um die Regulierung von Streitigkeiten kümmert sich der Präsident der Siedlung, Paulo Silva, genannt faisca, ein Weißer. Faisca kann im Portugiesischen Blitz bedeuten, Aufblitzen, Funkeln, auch Goldkörnchen, die im ausgewaschenen Flusssand übrig bleiben.

Jorge geht zwei Beschäftigungen nach, einer, die ihn weiter seinem faisca näherbringen soll, und eine, mit der er seinen Lebensunterhalt verdient. Mit vier Freunden gründete er die Musikgruppe »2825-Segundo Gueto«, also »zweites Ghetto«, kombiniert mit der Postleitzahl des Ortes. Am liebsten würde er eine Tanz- und Theaterschule gründen. Um Geld zu verdienen, geht er jeden Tag zum Muschelfischen an den Tejo. »Du kannst davon leben«, sagt er. »Es gibt Tage, an denen du nichts im Netz hast. Aber das ist nun mal beim Fischen so.«

Im Schnitt verdient er damit die Hälfte des portugiesischen Mindestlohns, der bei 650 Euro liegt. Sein Motto für die Lebensplanung ähnelt dem Plan der anderen Dampfbuchtbewohner. »Ich nehme, was ich kriegen kann.« Er weiß, dass die Siedler dort zwar im Außenbereich der Gesellschaft leben, aber noch nicht ganz unten. Es gibt auch Goldkörnchensucher, die sich aus verschiedensten Gründen noch nicht einmal in einer Hütte der Cova do Vapor halten können.

Drüben am Stadtufer vor einem gelben zweistöckigen Haus in der Nähe des Bahnhofs Cais do Sodre stehen jeden Tag Obdachlose, die versuchen, hier in der Sozialstation einen Schlafplatz und eine Gelegenheit zum Duschen zu bekommen. Fast alle sind dunkelhäutig. Die Hoffnung, in eine bessere Zone springen zu können, die Angst, noch tiefer zu fallen - das eine wie das andere liefert die Lebensenergie...
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Autor

Alexander Wendt, geboren 1966 in Leipzig, schrieb seit 1989 als Journalist und Autor unter anderem für die Welt, den Stern, den Tages­spiegel, Wirtschaftswoche und Focus.
2005 gründete er die Galerie Quartier in Leipzig, die er bis 2010 leitete. Seit 2017 leitet er das von ihm etablierte Online-­Magazin Publico.
2016 erschien »Du Miststück. Meine ­Depression und ich« (S.¿Fischer) und 2019 »Kristall. Eine Reise durch die Drogenwelt des 21. Jahrhunderts« (Klett-Cotta).
Alexander Wendt lebt und arbeitet in München.