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Auf Wiedersehen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Weissbooks Verlagsgesellschafterschienen am15.07.2024
Ben hat seine Ehe an die Wand gefahren, seitdem sitzt der Geist seiner Mutter auf dem Badewannenrand. Marlene verlässt ihren perfekten Ehemann, versucht sich auf Tinder und begegnet Jupiter. Nikki muss als sexy Geliebte den Serien-Tod sterben und verliert nicht nur ihr sicheres Einkommen, sondern auch ihren Partner Mats - an eine zwanzigjährige Influencerin. Sie alle betreiben die eigene Schadensbegrenzung, bis einer der Freunde spurlos verschwindet ... Jasmin Ramadan, Autorin von Soul Kitchen und der taz-Kolumne »Einfach gesagt«, unterhält im allerbesten Sinn: mit scharfsinnigem Humor, psychologischer Tiefe und lakonischer Eleganz. »Erst mit etwa 45 Jahren werden Menschen wahrhaftig interessant. Nie zuvor habe ich beim Schreiben so aus dem Vollen geschöpft.« Jasmin Ramadan

Jasmin Ramadan, Jahrgang 1974, studierte Germanistik und Philosophie in Hamburg. 2009 gelang ihr mit ihrem Debüt »Soul Kitchen«, der Vorgeschichte zu Fatih Akins gleichnamigem Film, der Durchbruch. Es folgten zahlreiche Kurzgeschichten und drei weitere Romane, zuletzt »Hotel Jasmin«. 2020 eröffnete sie auf Einladung von Philipp Tingler mit einem Auszug aus »Auf Wiedersehen« den Wettbewerb um den Bachmann-Preis. Jasmin Ramadan lebt als freie Schriftstellerin in Hamburg und schreibt die taz-Kolumne »Einfach gesagt«.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextBen hat seine Ehe an die Wand gefahren, seitdem sitzt der Geist seiner Mutter auf dem Badewannenrand. Marlene verlässt ihren perfekten Ehemann, versucht sich auf Tinder und begegnet Jupiter. Nikki muss als sexy Geliebte den Serien-Tod sterben und verliert nicht nur ihr sicheres Einkommen, sondern auch ihren Partner Mats - an eine zwanzigjährige Influencerin. Sie alle betreiben die eigene Schadensbegrenzung, bis einer der Freunde spurlos verschwindet ... Jasmin Ramadan, Autorin von Soul Kitchen und der taz-Kolumne »Einfach gesagt«, unterhält im allerbesten Sinn: mit scharfsinnigem Humor, psychologischer Tiefe und lakonischer Eleganz. »Erst mit etwa 45 Jahren werden Menschen wahrhaftig interessant. Nie zuvor habe ich beim Schreiben so aus dem Vollen geschöpft.« Jasmin Ramadan

Jasmin Ramadan, Jahrgang 1974, studierte Germanistik und Philosophie in Hamburg. 2009 gelang ihr mit ihrem Debüt »Soul Kitchen«, der Vorgeschichte zu Fatih Akins gleichnamigem Film, der Durchbruch. Es folgten zahlreiche Kurzgeschichten und drei weitere Romane, zuletzt »Hotel Jasmin«. 2020 eröffnete sie auf Einladung von Philipp Tingler mit einem Auszug aus »Auf Wiedersehen« den Wettbewerb um den Bachmann-Preis. Jasmin Ramadan lebt als freie Schriftstellerin in Hamburg und schreibt die taz-Kolumne »Einfach gesagt«.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783863372101
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.07.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse945 Kbytes
Artikel-Nr.17317251
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil II - Frühling


I never meant to break your heart
But you broke mine



Marillion

Regine

Marlene warf die Haustür hinter sich mit einem Knall ins Schloss und schleuderte ihre schwere Tasche in die Ecke neben den Garderobenschrank, sodass die Zigaretten und die Tüte mit den Haselnüssen rausrutschten und ein paar Nüsse über den Boden kullerten. Dann streifte sie die weißen Nikes von den Füßen und ließ sie einfach stehen.

»Jemand da?!«, rief sie so laut, dass man es bis ins zweite Stockwerk hören musste. Die Haustür war nicht abgeschlossen gewesen. Paula und Milan vergaßen oft abzuschließen, wenn sie das Haus verließen, obwohl Linus es ihnen immer wieder gesagt hatte. Aber Linus wohnte hier nicht mehr, und Marlene war zu erschöpft, um Regeln durchzusetzen, zudem war es ihr auch vollkommen egal.

Sie zog ihre Arbeitskleidung, einen pinkfarbenen Jogginganzug, noch im Flur aus, ging ins Bad und warf ihn samt des zuckersüßen Geruchs, der in dem Studio verströmt wurde, in die Wäschetonne.

Der erdbeerbubblegumartige Duft drang rund um die Uhr aus unsichtbaren Düsen, damit sich die Kundinnen und die wenigen Kunden bei der intimen Prozedur und trotz der mitunter schmerzhaften Verfahren auf ätherisch bestechende Art wohl fühlten.

Marlene verdiente zwar nicht besonders gut, doch hatte sie sich schon nach wenigen Wochen eine gewisse Stammkundschaft erarbeitet, und, so lautete die vertragliche Regelung, wenn bei der Terminbuchung explizit nach Marlene gefragt wurde, erhielt sie eine Provision von zehn Prozent.

Mittlerweile verlangten sieben Frauen und sogar zwei Männer stets nach Marlene, die dort auch nur Marlene hieß, was die purpurfarbene Glitzerschrift auf ihrem goldenen Namensschild bestätigte. Sie hatte die Kundschaft mit ihrem empathischen Charme um den Finger gewickelt, denn vor allem war sie eine gute Schweigerin. Schnell hatte sie einen Sensor dafür entwickelt, welche Frauen von gar nichts hören und auch über nichts reden wollten. Während Marlene ihnen, vom Kopf einmal abgesehen, alle Haare mit der richtigen Sorte und Menge Wachs und schnellen, gekonnten Bewegungen vom Körper riss, schwiegen sie miteinander auf meditative, den Schmerz ausbalancierende Art.

Jene wiederum, die reden wollten, die mit ihr reden wollten, beschwerten sich hauptsächlich, über den Mann, die Kinder, den Vater und die Mutter, den Typ, den sie Fuckboy nannten, der nur Sex wollte und sich sporadisch meldete, oder den, der ihnen hinterherrannte und dadurch unattraktiv wurde, obwohl er eigentlich Husbandmaterial war, die egozentrische Schwester, die sich zu wenig um die kranke Mutter kümmerte, oder die beste Freundin, die sich von ihrem toxischen Freund schlecht behandeln ließ und sich nicht trennte, weil sie nicht allein sein konnte, oder die beste Freundin, die noch mit Mitte dreißig Single war, weil sie einfach keine tiefen Gefühle aufbauen, Kompromisse machen und Männer auch als Menschen mit Schwächen wahrnehmen konnte. Sie schimpften über Kolleginnen und Chefs, schlechten Sex, Sex, der nicht mehr stattfand, den verspannten Nacken, die hohen Zinsen, den entgleisten Körper des Partners, den Partner, der jeden Abend trank, und den, der schon mittags kiffte, den arbeitslosen Bruder, der von ihren Steuern lebte, die Steuernachzahlung, den ungerechten Kunstmarkt, die Preise, die lauten Nachbarn, die stinkendes Zeug kochten und nie Pakete annahmen, die Nachbarn, die gar nicht genug Kinder bekommen konnten, die kinderlosen Freunde, die kinderfrei genannt werden wollten, die Rückenschmerzen und Baustellen, die Inflation, Schauspielkollegen, die sich nicht outeten, Queerbaiting, Instagram, TikTok, die AFD, die FDP, die Grünen, das Gendern, Kreuzfahrttouristen, Individualtouristen, die chronische Gastritis, Pseudofeminismus, den Narzissmus der anderen, junge Politikerinnen, alte Politiker, die Mitbewohnerin, die immer nur lernte, schlief oder joggte, die Bahn und die Hitze, den Sturm, den Regen und die Trockenheit, über eigentlich alles, außer ihre Haustiere.

Und Marlene war gut darin, ihnen allen das Gefühl zu geben, sie hätten recht. Und sie verstärkte diese wohlig wirkende Zustimmung zu jeglicher Mutation von Missmut durch zustimmende Gesten und Töne. Sie bestärkte die Menschen, die nackt und von allen Seiten vor ihr lagen, darin, sie würden sich zu Recht aufregen, sie könnten selbst nichts für irgendetwas. Sie bejahte stets, dass es an den Umständen und den anderen lag, dass sich all diese Leben nicht so glatt anfühlten, wie ihre Körper nach der perfekten Enthaarung.

Marlene verstand, worum es dabei ging, denn sie hatte selbst noch bis vor ein paar Monaten nichts anderes gemacht, als die Ursachen aller unangenehmen Gefühle so einzuordnen, dass sie selbst in möglichst geringer Weise oder eben gar nichts damit zu tun hatte und somit handlungsunfähig war. Über Jahre hatte sie sich damit beschäftigt, die Verantwortung von sich abzustreifen, mitunter nachts, in stundenlanger grüblerischer Schlaflosigkeit. Und sie wusste, man durfte dabei nicht gestört werden, man brauchte Bestätigung in diesem Verharren in perfektionierter Abwehr von Eigenverantwortung.

Also ließ Marlene sie reden, während sie ihnen den Genitalbereich, die Achseln, die Beine, den Bauch, manchmal die Arme, den Hintern und auch den Anus von Haar befreite.

Nicht die Trennung von Linus, nicht das darauf folgende Rumvögeln mit jungen Männern, nicht das Lesen der Psychologie- und Philosophie-Bücher, nicht die preisgekrönten Romane und Arthouse-Filme, sondern dieser Job befriedete ihren Geist.

Nichts an Marlenes Leben war mehr perfekt, doch da war wieder Boden unter ihren Füßen, nicht mal während ihres Jurastudiums hatte sie sich so gefühlt. Der ständige Leistungs- und Konkurrenzdruck höhlte sie trotz ihres Erfolgs aus. Es war, als wäre sie nur für andere am Leben, als würde sie ihren Vater, aber vor allem immer noch ihre tote Mutter, die hochintelligent, aber als Hausfrau frustriert gewesen war, mit ihrem Streben befriedigen. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, was sie möglicherweise für Träume gehabt hatte. Kreativ war sie nicht, aber vielleicht hätte sie gerne in einem künstlerischen Bereich gearbeitet, im Management oder als Assistentin.

In dem Waxing-Studio hatte sie die nackten Unzufriedenen vor sich im Griff und bekam dafür sogar noch Geld. Einen Kunden allerdings mochte sie wirklich, einen, laut eigener, unverlangter Aussage, sexuell fluiden, beeindruckend erfolgreichen Künstler, mit dem sie sich jedes Mal angeregt unterhielt und dem sie alles über sich preisgab, was er mit der Einladung zu einem pompösen Dinner in seinem Haus in Schleswig-Holstein honorierte, und Marlene wünschte sich mehr und mehr, für ihn zu arbeiten.

Marlene mochte es, wenn ihr Körper, so wie jetzt, nach der Arbeit schmerzte. Sie hatte so viele Jahre lang gar nichts mehr gespürt, und nun genoss sie das Gefühl, ihre körperlichen Reserven aufzubrauchen, es nötig zu haben, sich auszuruhen.

Vor allem die Beine, auf denen sie über Stunden stand, mit denen sie nur wenige und winzige Schritte tat, machten ihr zu schaffen.

Natürlich war Marlene vollkommen klar, dass ihr nur die finanzielle Unabhängigkeit und die Tatsache, jederzeit wieder mit der Arbeit aufhören zu können, diese selbstreflexive Befriedigung verschafften, die selbst die körperlichen Beschwerden zu einer Art Erfüllung werden ließen.

Als sogenannte Biodeutsche war sie eine von zweien bei Waxation, und mit einem abgeschlossenen Studium, das sie beschämt verschwieg, die Einzige, vermutlich auch als Abiturientin. Sie hatte lediglich erwähnt, dass sie sich vor Kurzem von ihrem Mann getrennt hatte und nun auf eigenen Beinen stehen wollte. Dass sie selbst, nach der Aufteilung durch vier Geschwister, vor drei Jahren, nach dem Tod ihrer Mutter, gut zwei Millionen Euro geerbt hatte, behielt sie für sich. Ihre Mutter war von Haus aus vermögend, und ihr Vater hatte als Vorstandsvorsitzender eines fragwürdigen Pharmakonzerns beruflich alles erreicht und gut investiert.

Marlene wollte den anderen Frauen all das nicht erzählen, obwohl sie so was wie beliebt war, zum ersten Mal in ihrem Leben. Während der gesamten Schulzeit hatte sie Probleme gehabt, Freundinnen zu finden. Da es bei ihr zu Hause immer eine Truhe voll mit Speiseeis, drei Videorekorder, einen Pool und ein Klettergerüst im großen Garten gab, hatten sich manchmal Mädchen bei ihr eingeschleimt. Zu jener Zeit wurde Verica ihre einzige echte Freundin. Verica wollte gar nicht in Marlenes Haus, sie sagte immer, dort sei es unheimlich, und alle drei Brüder gemein, und das stimmte.

Am meisten mochte Marlene ihre Kolleginnen Ploypailin und Fatumata. Die beiden fragten Marlene jedes Mal, ob sie noch mit ihnen um die Häuser ziehen wolle, und Marlene sagte jedes Mal Nein, weil sie einfach zu kaputt war, schon lange keine Lust mehr hatte auszugehen, und da waren ja auch noch Milan und Paula.

Ploypailin und Fatumata zogen sich immer im Studio um, stiegen mit einer Feierlichkeit in ihre Kleider und Pumps, die Marlene wie aus einem anderen Universum vorkam. Scham überfiel sie, wenn sie sich dabei erwischte, so zu denken wie ihre Mutter, die im Urlaub gern über die Armen gesprochen hatte, die bei aller Härte des Lebens vor guter Laune nur so sprühten, und dass man sich an dieser positiven Lebenseinstellung ein Beispiel nehmen müsste.

Ploypailin und Fatumata waren in ihren Dreißigern und von den Vätern ihrer Kinder getrennt. Marlene war...
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Autor

Jasmin Ramadan, Jahrgang 1974, studierte Germanistik und Philosophie in Hamburg. 2009 gelang ihr mit ihrem Debüt »Soul Kitchen«, der Vorgeschichte zu Fatih Akins gleichnamigem Film, der Durchbruch. Es folgten zahlreiche Kurzgeschichten und drei weitere Romane, zuletzt »Hotel Jasmin«. 2020 eröffnete sie auf Einladung von Philipp Tingler mit einem Auszug aus »Auf Wiedersehen« den Wettbewerb um den Bachmann-Preis. Jasmin Ramadan lebt als freie Schriftstellerin in Hamburg und schreibt die taz-Kolumne »Einfach gesagt«.