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Der Revolver

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am25.09.20192. Auflage
In einer Regennacht findet ein junger Mann in den Straßen von Tokio eine Leiche - und neben ihr einen Revolver. Nishikawa nimmt die Waffe an sich und entwickelt schon nach kurzer Zeit eine unheimliche Obsession. All seine Gedanken, sein ganzes Leben kreisen um das perfekte kleine Wunderwerk. Und um die vier Kugeln, die sich noch immer in der Trommel befinden. Irgendwann ist es nicht mehr genug, die Waffe zu besitzen. Er muss sie abfeuern.

Fuminori Nakamura, geboren 1977 in Tokai, studierte Öffentliche Verwaltung und Staatsverwaltung an der Universität Fukushima. 2002 erschien sein Debüt ?Ju? (?Der Revolver?). Inzwischen hat er in Japan über ein Dutzend Romane veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Fuminori Nakamura lebt in Tokio.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden (Leinen)
EUR22,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextIn einer Regennacht findet ein junger Mann in den Straßen von Tokio eine Leiche - und neben ihr einen Revolver. Nishikawa nimmt die Waffe an sich und entwickelt schon nach kurzer Zeit eine unheimliche Obsession. All seine Gedanken, sein ganzes Leben kreisen um das perfekte kleine Wunderwerk. Und um die vier Kugeln, die sich noch immer in der Trommel befinden. Irgendwann ist es nicht mehr genug, die Waffe zu besitzen. Er muss sie abfeuern.

Fuminori Nakamura, geboren 1977 in Tokai, studierte Öffentliche Verwaltung und Staatsverwaltung an der Universität Fukushima. 2002 erschien sein Debüt ?Ju? (?Der Revolver?). Inzwischen hat er in Japan über ein Dutzend Romane veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Fuminori Nakamura lebt in Tokio.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257609875
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum25.09.2019
Auflage2. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse728 Kbytes
Artikel-Nr.4488120
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Gestern - es kommt mir vor wie gestern - habe ich einen Revolver gefunden. Vielleicht auch gestohlen, ich weiß es nicht genau. Noch nie habe ich etwas so Schönes gesehen, er liegt in meiner Hand, als wäre er für mich gemacht. Bisher hatte ich überhaupt kein Interesse an Waffen, aber in dem Moment, in dem ich den Revolver sah, musste ich ihn haben.

 

Es regnete in Strömen. Als wolle es nie wieder aufhören. Ein Schirm nützte wenig, schräg kam das Wasser vom Himmel und durchnässte mich bis auf die Knochen. Es war schon spät am Abend, etwa elf Uhr. Der Dauerregen erschien mir wie ein Spiegel meiner Verfassung, und obwohl ich von den Knien abwärts klatschnass war und fror, ging ich aus irgendeinem Grund nicht nach Hause. Vermutlich, weil mir einfach nach Herumlaufen war und ich keine Lust auf meine Wohnung hatte. Mein Verhalten ist mir selber oft ein Rätsel. Ohne bestimmtes Ziel lief ich in die nächste Straße hinein, die Geschäfte waren alle bereits dunkel. Bei einem kleinen Park stand ein weißer Transporter. Ich erinnere mich genau an das Kätzchen, das unter dem Auto hervorlugte, mich mit seinen leuchtenden Augen fixierte. Wenn ich jetzt daran denke, war es nicht das erste Mal, dass mich eine Katze anstarrte, bevor etwas passierte. Im Nachhinein kommt es mir wie ein Zeichen vor, doch als ich die Katzenaugen sah, kümmerte es mich nicht.

Hinter dem Bahnübergang tauchte ich in ein Labyrinth verschlungener Straßen. Vom Dach eines alten, verlotterten Mietshauses pladderte Regenwasser ohrenbetäubend auf den Blechschrott, der überall herumlag. Der Lärm riss mich für einen Moment aus meiner Trance, und ich überlegte, ob es nicht doch besser wäre, schnell nach Hause zu gehen. Eine heiße Dusche, trockene Kleider. Dennoch lief ich weiter, ohne Ende, ohne Ziel. Ich kann es mir selbst nicht erklären. Andererseits war es schon vorgekommen, dass ich mich derart treiben ließ und, warum auch immer, genau das Gegenteil von dem tat, was ich eigentlich wollte. Durchnässt und in trostloser Stimmung setzte ich meinen Weg fort.

Das war gut so. Über mein Tun und Lassen habe ich mir kaum je Gedanken gemacht. Auch nicht über die Konsequenzen. Doch diesmal ist es anders. Wenn ich an mein nächtliches Abenteuer denke, empfinde ich fast so etwas wie Dankbarkeit. Denn wäre ich einfach nach Hause gegangen, läge dieser Revolver jetzt nicht in meiner Hand. Allein schon die Vorstellung, ihn nicht zu besitzen, lässt mich erschauern, was unsinnig sein mag, weil mir der Revolver von Anfang an nie gehört hat.

Irgendwo zog ich am Automaten einen Dosenkaffee. Ich hatte keinen Durst, aber es war mir fast zur Gewohnheit geworden, im Gehen Kaffee zu trinken. Ich riss die Lasche hoch und nahm einen Schluck. Am Himmel hingen schwere graue Wolken, so dass man weder Mond noch Sterne sah. Die letzten Spuren von Wärme, die der Tag hinterlassen hatte, waren durch den Regen wie weggewaschen. Mich fröstelte.

Doch ich lief und lief, lief und lief, ohne jeden Plan. Lauschte dem Rauschen des Regens, nippte an meinem Kaffee. Als die Dose leer war, zündete ich mir eine Zigarette an. Links und rechts drängten sich Wohnhäuser dicht aneinander. Nach einer Weile lichtete sich das Häusergewirr, und ich kam zu einer breiten Straße. Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, stoben die Autos an mir vorbei, besprühten mich mit Wasserfontänen, und weit und breit gab es keine Seitenstraße, in die ich mich hätte flüchten können. Die Regentropfen schienen im Scheinwerferlicht der entgegenkommenden Autos wie Myriaden Goldkörnchen zu funkeln. Und auch wenn das wirklich schön aussah, fror ich in meinen nassen Kleidern nun so sehr, dass es kaum mehr zu ertragen war.

Die Straße wurde zu einer Brücke. Statt den Fluss zu überqueren, stieg ich die grasbewachsene Böschung zum Ufer hinunter. Für einen Moment wollte ich einfach nur dem Regen entkommen, wollte unter dem Brückenbogen eine Zigarette rauchen und mir überlegen, was ich als Nächstes tun könnte. Der Fluss war durch den Regen angeschwollen, die Wassermassen schmatzten und glucksten im betonierten Uferdamm. Unter dem Brückengewölbe nahm das Rauschen des Wassers noch zu. Ich fühlte mich unwohl, doch daran war ich ganz allein schuld. Ich zündete mir eine Zigarette an und suchte nach einer Stelle, wo ich mich hinsetzen konnte.

Da sah ich etwas - einen schwarzen Schatten, dort, wo das Gras auf den Beton stieß. Er schien die Umrisse eines Menschen zu haben. Oder war es nur irgendwelcher Müll? Dafür erinnerte der Schatten zu sehr an einen menschlichen Körper. Jäh überkam mich das Bedürfnis zu fliehen. Mein flaues Gefühl verwandelte sich binnen Sekunden in panische Angst, aber meine Neugier war stärker. Ich riss mich zusammen und ging vorsichtig näher. Nach zwei, drei Schritten gab es keinen Zweifel mehr: Es war ein Mann. Mir stockte der Atem. Er trug einen schwarzen Anzug und lag, den Kopf zur Seite gedreht, auf dem Bauch. Sein linker Arm ragte schlaff ausgestreckt über den Kopf. Ich merkte, wie mein Herz immer schneller, immer lauter zu pochen begann. Wieder und wieder schluckte ich, um die trockene Kehle zu befeuchten.

Nun stand ich direkt neben ihm. Aus seinem kurzen angegrauten Haar schloss ich, dass der Mann in den Fünfzigern sein musste. Ich schaute ihm ins Gesicht. Ich hatte einen furchtbaren Anblick erwartet, aber es lag etwas Ruhiges, ja Friedliches in seinen Zügen. Nur die zugekniffenen Augen schienen missmutig irgendwohin zu starren. Der Mund war fast geschlossen. Ich sah überhaupt nichts Ekelerregendes, nur da, wo sein Kopf auf dem Betonboden lag, hatte sich eine große schwarze Lache gebildet. Zwischen den Fingern seiner linken Hand stachen Grasspitzen hervor. Ich weiß nicht, warum ich die ewig lange anstarrte. Der Saum des Jacketts war umgeschlagen, so dass das weiße Hemd zum Vorschein kam. Ich weiß nicht, warum ich auch ewig lange auf dieses Weiß starrte. Der Körper des Mannes strahlte eine ungeheure Präsenz aus, als gehörten das Gras und der Beton nur ihm allein. Wie angewurzelt stand ich da, aber nach einer Weile wurde mein Herzschlag ruhiger, und ich fand meine Fassung wieder. Es überraschte mich ein wenig, wie gut ich mit der Situation klarkam.

Nicht weit vom rechten Arm des Mannes entfernt lag etwas Schwarzes, dessen Umrisse sich deutlich abhoben. Jetzt, da mich die Leiche nicht mehr erschreckte, hatte ich es bemerkt. Wieder fing mein Herz zu rasen an, noch heftiger als zuvor. Ich kniete nieder, um mir den Gegenstand genauer anzusehen, hob ihn mit einem kraftlosen Arm auf, bis dicht vor meine Augen. Auf einmal spürte ich, wie mich ein überwältigendes Glücksgefühl durchflutete. Zugleich fand ich es unheimlich, dass nur schon der Anblick mich in solche Hochstimmung versetzte. Es war, als würde ich zerrissen. Gegen meinen Willen steigerte sich meine Aufregung immer weiter. Ich konnte sie nicht bändigen, konnte mich nicht beruhigen. Dass ich derart die Kontrolle verlor, machte mir Angst, doch dann gab ich auf und überließ mich ganz meinen Gefühlen. Mein Herz schlug wie wild, es schmerzte, und mein Blick verengte sich. In einem Winkel meines Bewusstseins nahm ich gerade noch wahr, wie alles um mich herum verschwamm und von weit her eine Stimme sagte: Dieser Revolver gehört von jetzt an dir. Die Worte mussten wohl aus mir selbst kommen; unzählige Male hallten sie in meinem Kopf wider. Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dann begann ich, sie zu wiederholen. Meine Augen wurden feucht. Es fühlte sich an, wie soll ich sagen, als würde ich mir selbst vergeben für das, was ich empfand. Wer weiß, vielleicht hatte ich in dem Moment auch einfach den Verstand verloren. Aber da ich jetzt wieder klar zu denken vermag, bin ich mir ziemlich sicher, dass es nur vorübergehend war.

Irgendwann erinnerte ich mich wieder an den Toten neben mir. Doch der kümmerte mich nicht mehr. Ein wildfremder Typ, mit dem ich nichts zu tun hatte. Ich zwängte den Revolver in die hintere Gesäßtasche meiner Jeans und zog das Hemd darüber. Mag sein, dass mir in dem Moment ein Lächeln übers Gesicht huschte. Übermütig geworden, kam mir der Gedanke, der Polizei meinen Leichenfund zu melden. Das schien mir dann aber doch zu riskant. Besser, mich mit dieser Angelegenheit nicht unnötig in Schwierigkeiten zu bringen. Schließlich könnte man mich als Mörder dieses Mannes verdächtigen; dabei verstieß ich bereits gegen das Gesetz, weil ich entschlossen war, den Revolver mitzunehmen. Auf einmal wurde mir mulmig und ich blickte mich verstohlen um, vergewisserte mich, dass ich von niemandem beobachtet wurde. Ich suchte den Boden ab, prüfte akribisch, ob ich nichts fallen gelassen oder sonst welche Spuren hinterlassen hatte, und entfernte mich langsam. Bei der Grasböschung, über die ich zurück zur Straße kraxeln musste, war besondere Vorsicht geboten. Ich verharrte im Schatten der Brücke und wartete, bis der Strom vorbeifahrender Autos abreißen würde, versuchte dabei, auf jedes noch so kleine Geräusch zu hören, doch das Rauschen des Verkehrs und das Rauschen des Flusses übertönten alles. Endlich ein günstiger Moment: Unauffällig trat ich auf die Straße und ging langsam weiter. Im Bewusstsein argwöhnischer Blicke, die mich verfolgen könnten, machte ich ein Gesicht, als wäre ich in Gedanken vertieft. Auf einmal merkte ich, dass mein Schirm geschlossen war. Hastig spannte ich ihn auf. Noch immer konnte ich mein Glück nicht fassen. Die mich von oben bis unten vollspritzenden Autos waren mir jetzt egal. Ich konzentrierte mich ganz auf den Revolver, den ich am Gesäß spürte - bis ich es nicht mehr aushielt, mich hinter ein Gebäude verdrückte und den Revolver aus der...
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