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Der Name meines Bruders

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
176 Seiten
Deutsch
Beck C. H.erschienen am14.07.20151. Auflage
Dies ist die Geschichte einer Familie im Krieg, an einem Ort ohne Namen, die in vielen Gegenden der Welt spielen könnte. Wie in einem Kammerspiel, hochaktuell und zugleich von überzeitlicher Gültigkeit, erzählt der Roman in einer klaren und poetischen Sprache von Manipulation und Moral, von Bruderliebe und von einem Geheimnis. Als ihre Großeltern ums Leben kommen, endet die Kindheit der Zwillinge Amed und Aziz abrupt. Einer der Brüder soll zum Märtyrer werden. Der unheilbar kranke Aziz darf aus religiösen Gründen nicht geopfert werden, sagt der Vater. Aber Amed hat Angst. Und seine Mutter will nicht beide Söhne verlieren. Larry Tremblays Roman 'Der Name meines Bruders' ist ein eindrucksvolles Plädoyer gegen den Krieg, in Kanada ein großer Verkaufserfolg und mittlerweile Schullektüre. Er wurde mit dem Preis der Buchhändler von Québec ausgezeichnet.

Larry Tremblay, 1954 in Chicoutimi/Québec geboren, ist Schriftsteller, Theaterregisseur, Schauspieler und Spezialist für das altindische Tanztheater Kathakali. Seine Stücke wurden vielfach ausgezeichnet, in zwölf Sprachen übersetzt und in vielen Ländern aufgeführt, in Deutschland zuletzt 2014.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR17,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextDies ist die Geschichte einer Familie im Krieg, an einem Ort ohne Namen, die in vielen Gegenden der Welt spielen könnte. Wie in einem Kammerspiel, hochaktuell und zugleich von überzeitlicher Gültigkeit, erzählt der Roman in einer klaren und poetischen Sprache von Manipulation und Moral, von Bruderliebe und von einem Geheimnis. Als ihre Großeltern ums Leben kommen, endet die Kindheit der Zwillinge Amed und Aziz abrupt. Einer der Brüder soll zum Märtyrer werden. Der unheilbar kranke Aziz darf aus religiösen Gründen nicht geopfert werden, sagt der Vater. Aber Amed hat Angst. Und seine Mutter will nicht beide Söhne verlieren. Larry Tremblays Roman 'Der Name meines Bruders' ist ein eindrucksvolles Plädoyer gegen den Krieg, in Kanada ein großer Verkaufserfolg und mittlerweile Schullektüre. Er wurde mit dem Preis der Buchhändler von Québec ausgezeichnet.

Larry Tremblay, 1954 in Chicoutimi/Québec geboren, ist Schriftsteller, Theaterregisseur, Schauspieler und Spezialist für das altindische Tanztheater Kathakali. Seine Stücke wurden vielfach ausgezeichnet, in zwölf Sprachen übersetzt und in vielen Ländern aufgeführt, in Deutschland zuletzt 2014.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406683428
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum14.07.2015
Auflage1. Auflage
Seiten176 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1747200
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
AMED

 

Wenn Amed weinte, dann weinte auch Aziz. Wenn Aziz lachte, dann lachte auch Amed. Die Leute machten sich über sie lustig und sagten: «Später werden sie bestimmt heiraten.»

Ihre Großmutter hieß Shahina. Sie hatte schlechte Augen und verwechselte die beiden ständig. Sie nannte sie ihre zwei Wassertropfen in der Wüste. Sie sagte: «Hört auf, euch an der Hand zu halten, sonst glaube ich, doppelt zu sehen.» Sie sagte auch: «Eines Tages wird es keine Tropfen mehr geben, es wird Wasser geben, das ist alles.» Sie hätte auch sagen können: «Eines Tages wird es Blut geben, das ist alles.»

Amed und Aziz fanden ihre Großeltern in den Trümmern ihres Hauses. Ein Balken hatte der Großmutter den Schädel zerschmettert. Ihr Großvater lag in seinem Bett, in Stücke gerissen von der Bombe, die über die Gebirgshänge gekommen war, hinter denen jeden Abend die Sonne verschwand.

Als die Bombe einschlug, war es noch Nacht. Aber die Großmutter war schon auf den Beinen gewesen. Man fand ihren Körper in der Küche.

«Was hatte sie mitten in der Nacht in der Küche zu tun?», fragte Amed.

«Das werden wir nie herausfinden. Vielleicht hat sie heimlich einen Kuchen gebacken», antwortete seine Mutter.

«Aber warum heimlich»?

«Vielleicht sollte es eine Überraschung werden», legte die Mutter ihren beiden Söhnen nahe und wedelte mit der Hand in der Luft, als ob sie eine Fliege verscheuchen wollte.

Ihre Großmutter Shahina hatte die Angewohnheit, Selbstgespräche zu führen. Oder besser gesagt, sie sprach gern mit allem, was sie umgab. Die Jungen hatten sie dabei beobachtet, wie sie den Blumen im Garten Fragen stellte und wie sie mit dem Bach diskutierte, der zwischen ihren Häusern entlangfloss. Sie konnte Stunden damit zubringen, ihm über das Wasser gebeugt Worte zuzuraunen. Der Vater schämte sich für das Verhalten seiner Mutter. Er warf ihr vor, seinen Söhnen ein schlechtes Vorbild zu sein. «Du führst dich auf wie eine Verrückte!», schrie er sie an. Shahina senkte den Kopf und schloss schweigend die Augen.

Eines Tages sagte Amed zu seiner Großmutter:

«Da ist eine Stimme in meinem Kopf. Sie spricht von ganz allein. Ich kann sie nicht zum Schweigen bringen, sie sagt seltsame Dinge. Als wäre eine andere Person in mir versteckt, jemand, der größer ist als ich.»

«Erzähl mir davon, Amed, erzähl mir von den seltsamen Dingen, die sie dir sagt.»

«Ich kann sie dir nicht erzählen, ich vergesse sie wieder.»

Das war gelogen. Er vergaß sie nicht.

Aziz war ein einziges Mal in der großen Stadt gewesen. Sein Vater hatte sich einen Wagen geliehen und einen Fahrer organisiert. Im Morgengrauen fuhren sie los. Aziz sah die unbekannte Landschaft hinter dem Fenster an ihnen vorbeiziehen. Ihm gefiel die Gegend, die das Auto durchquerte. Ihm gefielen die Bäume, die er wieder aus dem Blick verlor. Ihm gefielen auch die Kühe mit den rot bemalten Hörnern, still wie große Steine auf dem brennend heißen Boden. Die Straße vibrierte vor Freude und Zorn. Aziz krümmte sich vor Schmerzen. Aber er lächelte. Sein Blick überzog die Landschaft mit Tränen. Und die Landschaft war wie das Spiegelbild eines Landes.

Zahed hatte zu seiner Frau gesagt:

«Ich bringe ihn in die große Stadt ins Krankenhaus.»

«Ich werde beten, sein Bruder Amed wird beten», hatte seine Frau nur gesagt.

Als der Fahrer ankündigte, dass sie sich endlich der großen Stadt näherten, wurde Aziz im Wagen ohnmächtig und sah nichts von ihrer Pracht, von der er gehört hatte. Als er wieder zu sich kam, lag er in einem Bett. In dem Zimmer, in dem er lag, standen andere Betten, in denen andere Kinder lagen. Es war ihm, als läge er in allen diesen Betten. Er glaubte, sein übergroßer Schmerz hätte seinen Körper vervielfacht. Es war, als würde er sich in allen diesen Körpern in allen diesen Betten vor Schmerzen krümmen. Ein Arzt beugte sich über ihn, Aziz roch sein herbes Parfüm. Der Arzt sah nett aus. Er lächelte. Trotzdem fürchtete sich Aziz vor ihm.

«Hast du gut geschlafen?»

Aziz sagte nichts. Der Arzt richtete sich auf, sein Lächeln war verblasst. Er sprach Aziz Vater an. Beide verließen das große Zimmer. Zahed knetete die Hände, er atmete laut.

Nach einigen Tagen fühlte Aziz sich besser. Man hatte ihm eine dickflüssige Mixtur zu trinken gegeben. Er nahm sie morgens und abends ein. Sie war rosafarben. Er mochte den Geschmack nicht, aber sie linderte seine Schmerzen. Sein Vater besuchte ihn jeden Tag. Er sagte ihm, er wohne bei seinem Cousin Kacir. Mehr sagte er nicht. Der Vater sah ihn schweigend an, berührte ihn an der Stirn. Seine Hand war hart wie ein Ast. Einmal fuhr Aziz aus dem Schlaf hoch. Sein Vater, der auf einem Stuhl saß, beobachtete ihn. Sein Blick machte ihm Angst.

Ein kleines Mädchen lag in einem Bett neben Aziz. Sie hieß Naliffa. Sie erzählte Aziz, ihr Herz sei in ihrer Brust falsch gewachsen.

«Mein Herz ist falsch herum gewachsen, weißt du, die Spitze sitzt nicht an der richtigen Stelle.»

Sie erzählte es allen Kindern, die in dem großen Krankenhauszimmer schliefen. Denn Naliffa redete mit allen. Einmal schrie Aziz nachts im Schlaf. Naliffa bekam Angst. Am frühen Morgen erzählte sie ihm, was sie gesehen hatte:

«Deine Augen wurden weiß wie Teigkugeln, du bist im Bett aufgestanden und hast mit den Armen herumgefuchtelt. Ich dachte, du wolltest mir Angst einjagen. Ich habe dich gerufen. Aber dein Geist war nicht mehr in deinem Kopf. Er war verschwunden, wer weiß, wohin. Die Krankenschwestern kamen und haben eine Trennwand vor dein Bett gestellt.»

«Ich hatte einen Albtraum.»

«Warum gibt es Albträume? Weißt du, warum?»

«Ich weiß nicht, Naliffa. Mama sagt oft: Allein Gott weiß es. »

«Mama sagt das Gleiche: Allein Gott weiß es. Sie sagt auch: So ist es seit Anbeginn der Zeiten, seit der Nacht der Zeiten. Die Nacht der Zeiten, hat Mama mir erzählt, das ist die erste Nacht der Welt. Es war so dunkel, dass der erste Sonnenstrahl, der die Nacht durchbrach, vor Schmerzen schrie.»

«Die Nacht hätte schreien müssen, sie ist doch durchstoßen worden.»

«Vielleicht», sagte Naliffa, «vielleicht.»

Ein paar Tage später fragte der Vater Aziz, wo seine kleine Bettnachbarin hingegangen sei. Aziz sagte, ihre Mutter habe sie abgeholt, weil sie geheilt sei. Sein Vater senkte den Kopf, er sagte nichts. Nach einer langen Zeit blickte er auf. Er sagte immer noch nichts. Dann beugte er sich über seinen Sohn und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Das war das erste Mal, dass er das getan hatte. Aziz Augen füllten sich mit Tränen. Dann flüsterte ihm sein Vater zu: «Morgen fahren wir auch nach Hause.»

Aziz fuhr mit seinem Vater und demselben Chauffeur zurück. Er sah, wie die Straße im Rückspiegel verschwand. Sein Vater rauchte im Wagen und ließ eine seltsame Stille entstehen. Er hatte ihm Datteln und einen Kuchen mitgebracht. Bevor sie zu Hause ankamen, fragte Aziz seinen Vater, ob er nun geheilt sei.

«Du gehst nicht wieder zurück ins Krankenhaus. Unsere Gebete sind erhört worden.»

Zahed legte seine große Hand auf den Kopf seines Sohnes. Aziz war glücklich. Drei Tage später flog die Bombe durch die Nacht, von der anderen Seite des Gebirges her, und tötete seine Großeltern.

â

An dem Tag, als der Vater mit Aziz aus der großen Stadt zurückkehrte, erhielt die Mutter einen Brief von ihrer Schwester Dalimah. Sie war einige Jahre zuvor nach Amerika gegangen, um ein IT-Praktikum zu absolvieren. Sie war unter mehreren hundert Kandidaten ausgewählt worden, eine große Leistung. Aber sie war nie zurückgekehrt. Dalimah schrieb ihrer Schwester regelmäßig, auch wenn Tamara selten antwortete. In ihren Briefen beschrieb sie ihr Leben. Dort, wo sie lebte, herrschte kein Krieg, das machte sie glücklich. Oft bot sie ihrer Schwester an, ihr Geld zu schicken, aber Tamara wies ihre Hilfe kühl zurück.

In dem Brief kündigte ihr Dalimah an, dass sie schwanger war. Es war ihr erstes Kind. Sie schrieb, sie solle doch mit den Zwillingen zu ihr kommen. Sie würde Mittel und Wege finden, um sie nach Amerika kommen zu lassen. Sie gab zu verstehen, dass Tamara ihren Mann zurücklassen sollte. Ihn allein lassen sollte mit seinem Krieg und seinen Orangenfeldern.

«Wie sie sich verändert hat, in den paar Jahren», sagte sich Tamara immer wieder.

Es gab Tage, da hasste Tamara ihre Schwester. Sie war ihr böse: Wie könnte sie ihren Mann im Stich lassen? Sie würde Zahed nicht verlassen. Und auch sie würde kämpfen, selbst wenn Dalimah schrieb, dass ihr Krieg sinnlos sei und es nur Verlierer geben würde.

Zahed fragte schon lange nicht mehr nach ihrer Schwester. Für ihn war Dalimah tot. Er wollte nicht einmal ihre Briefe in die Hand nehmen. «Ich will nicht beschmutzt werden», sagte er angewidert. Dalimahs Mann war Ingenieur, sie...
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Autor

Larry Tremblay, 1954 in Chicoutimi/Québec geboren, ist Schriftsteller, Theaterregisseur, Schauspieler und Spezialist für das altindische Tanztheater Kathakali. Seine Stücke wurden vielfach ausgezeichnet, in zwölf Sprachen übersetzt und in vielen Ländern aufgeführt, in Deutschland zuletzt 2014.