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Freiheitsschock

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
C.H. Beckerschienen am21.08.2024
1989/90 erlitt Ostdeutschland einen «Freiheitsschock», das ist die Grundthese dieses Buches. Ilko-Sascha Kowalczuk erzählt die Geschichte Ostdeutschlands seit 1990 als Kampf um die Freiheit - ein Kampf, dessen Ausgang richtungsweisend ist für die Zukunft ganz Deutschlands. Er will aufrütteln: zu mehr aktiver Eigenverantwortung, zu einer Abkehr von der eigenen Opferrolle und zu einem Blick auf die Geschichte, bei dem die DDR nicht immer schöner wird, je länger sie her ist. Die Diktatur bleibt in diesem Buch eine Diktatur und die Einheit eine Freiheitserfolgsgeschichte: eine Intervention gegen die antifreiheitlichen Strömungen von einem der profiliertesten ostdeutschen Intellektuellen. Die AfD ist ein gesamtdeutsches Phänomen, aber in Ostdeutschland ist sie besonders erfolgreich. Wie ist das zu erklären? Wieso wird die liberale Demokratie gerade dort in Frage gestellt, wo die erste erfolgreiche Revolution auf deutschem Boden stattfand? Über Ostdeutschland wird gerade intensiv diskutiert, und Ilko-Sascha Kowalczuk ist eine der markantesten Stimmen dieser Debatte. Der Kampf um die Freiheit ist sein Lebensthema. Selbst in der SED-Diktaturgroß geworden, hat er Standardwerke zur Geschichte der DDR und des Kommunismus vorgelegt, aber auch zur Revolution von 1989 und den Folgen der «Übernahme» der DDR durch die Bundesrepublik. Kowalczuk will die Ostdeutschen aus ihrer Opferrolle herausholen. Der Westen mag sich seinen Osten «erfunden» haben. Doch auch der Osten erfand und erfindet sich seinen Westen. In der DDR war der Westen für viele ein Sehnsuchtsort, doch auch die antiwestliche Propaganda der SED hatte weit zurück reichende Wurzeln. Sie wurden durch die Frustrationen des Vereinigungsprozesses verstärkt. Und sie hindern jetzt viele Ostdeutsche daran, sich die liberale Demokratie der Bundesrepublik zueigen zu machen.

ILKO-SASCHA KOWALCZUK ist Historiker und Publizist sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung der Wissenschaften und Kultur. Er ist einer der renommiertesten deutschen Experten für die Geschichte der DDR und des Kommunismus.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
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Produkt

Klappentext1989/90 erlitt Ostdeutschland einen «Freiheitsschock», das ist die Grundthese dieses Buches. Ilko-Sascha Kowalczuk erzählt die Geschichte Ostdeutschlands seit 1990 als Kampf um die Freiheit - ein Kampf, dessen Ausgang richtungsweisend ist für die Zukunft ganz Deutschlands. Er will aufrütteln: zu mehr aktiver Eigenverantwortung, zu einer Abkehr von der eigenen Opferrolle und zu einem Blick auf die Geschichte, bei dem die DDR nicht immer schöner wird, je länger sie her ist. Die Diktatur bleibt in diesem Buch eine Diktatur und die Einheit eine Freiheitserfolgsgeschichte: eine Intervention gegen die antifreiheitlichen Strömungen von einem der profiliertesten ostdeutschen Intellektuellen. Die AfD ist ein gesamtdeutsches Phänomen, aber in Ostdeutschland ist sie besonders erfolgreich. Wie ist das zu erklären? Wieso wird die liberale Demokratie gerade dort in Frage gestellt, wo die erste erfolgreiche Revolution auf deutschem Boden stattfand? Über Ostdeutschland wird gerade intensiv diskutiert, und Ilko-Sascha Kowalczuk ist eine der markantesten Stimmen dieser Debatte. Der Kampf um die Freiheit ist sein Lebensthema. Selbst in der SED-Diktaturgroß geworden, hat er Standardwerke zur Geschichte der DDR und des Kommunismus vorgelegt, aber auch zur Revolution von 1989 und den Folgen der «Übernahme» der DDR durch die Bundesrepublik. Kowalczuk will die Ostdeutschen aus ihrer Opferrolle herausholen. Der Westen mag sich seinen Osten «erfunden» haben. Doch auch der Osten erfand und erfindet sich seinen Westen. In der DDR war der Westen für viele ein Sehnsuchtsort, doch auch die antiwestliche Propaganda der SED hatte weit zurück reichende Wurzeln. Sie wurden durch die Frustrationen des Vereinigungsprozesses verstärkt. Und sie hindern jetzt viele Ostdeutsche daran, sich die liberale Demokratie der Bundesrepublik zueigen zu machen.

ILKO-SASCHA KOWALCZUK ist Historiker und Publizist sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung der Wissenschaften und Kultur. Er ist einer der renommiertesten deutschen Experten für die Geschichte der DDR und des Kommunismus.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406822148
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum21.08.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse504 Kbytes
Artikel-Nr.17205252
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



2.
Mein Freiheitsverständnis


Freiheit lässt sich nur in der Freiheit verraten. Davon bin ich fest überzeugt. Ich erlebte den Drang nach Freiheit in der Diktatur und weiß auch, wie fast unumgänglich es ist, immer wieder Kompromisse zu schließen und Wege gegen die eigenen Überzeugungen zu gehen. Dort, wo keine Freiheit herrscht, kann sie auch nicht verraten werden. Aber dennoch kann jeder und jede versuchen, in der Unfreiheit freiheitlich zu leben. Das ist anstrengend, aber auch befreiend. In der Freiheit wiederum gibt es relativ wenige Möglichkeiten, sie zu verraten. Schaut man sich heute auf den Straßen Europas um, staunt man allerdings, wie vielen offenbar ihre Freiheit egal oder nicht bewusst ist. Jede Russlandfahne in Europa stellt heute einen Verrat an der Freiheit dar, bedeutet eine Verherrlichung der Diktatur und ihrer Verbrechen, Massenmorde und Kriege.

Freiheit ist nicht zu verwechseln mit sozialer Gerechtigkeit oder gar Gleichheit. Auch die berühmtesten Deklarationen der Menschenrechte, die französische «Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte» («Déclaration des Droits de l´Homme et du Citoyen», 1789), die «Bill of Rights» (USA, 1789/91) und die «Allgemeine Erklärung der Menschenrechte» («Universal Declaration of Human Rights», Vereinte Nationen, 1948) setzen Freiheit und soziale Gerechtigkeit nicht in eins (mahnen sie aber an) und kennen Gleichheit nicht als einen sozial-materiellen Grundsatz.[17]

Freiheit und Demokratie beschäftigen die Menschheit schon lange. Im Laufe der Jahrhunderte wechselten ihre Begriffsinhalte, je nach theoretischem Standpunkt auch die an sie gestellten Anforderungen und wurden zudem den staatlichen und gesellschaftlichen Bedingungen angepasst.[18] Für mein Büchlein skizziere ich kurz mein Verständnis, ohne großartig zu theoretisieren, ohne die gesamte Literatur wachzurufen, ohne auch nur annähernd meine prägenden Lektüreerfahrungen seit vier Jahrzehnten zu diesem Thema zu umreißen. Hier geht es darum, den Rahmen anzudeuten, in dem sich meine Betrachtungen und Interpretationen vollziehen.

John Locke wies im ausgehenden 17. Jahrhundert auf den grundlegenden Zusammenhang und Unterschied von Exekutive und Legislative hin und warnte vor despotischer Gewalt. Die Essenz bei ihm hieß: «Wo immer das Gesetz endet, beginnt Tyrannei, wenn das Gesetz zum Schaden eines anderen überschritten wird.»[19] Locke war davon überzeugt, eine Regierung sei nur legitim, wenn die Regierten sie ermächtigt hätten. Montesquieu meinte Mitte des 18. Jahrhunderts, wenn Exekutive, Legislative und Judikative in eine Hand fielen, gebe es keine Freiheit mehr, ein Despot werde zum Tyrannen. Eine Regierung müsse so beschaffen sein, «daß kein Bürger einen andern zu fürchten braucht». Alle müssten vor dem Gesetz gleich sein, sei dies nicht gegeben, herrsche keine «gute Ordnung».[20] Rousseau wies etwa zur gleichen Zeit darauf hin, dass die Übereinkunft, Stimmenmehrheit sei entscheidend, «zumindest einmal Einstimmigkeit» voraussetze.[21] Dies entsprach seinem Gesellschaftsideal, eine Gemeinschaft freier Bürger, die diesem Vertrag ideell alle zugestimmt hätten. Im Prinzip entwarf er eine Utopie, die ihre eigene Voraussetzung - Freiheit - gar nicht erfüllen konnte.[22] Rousseau setzte auf die Erziehung hin zu dieser Passgenauigkeit,[23] dabei temporäre, genau fixierte Diktaturen als Mittel zur Erreichung des Ziels als angemessen propagierend.[24] Jahrzehnte später analysierte Alexis de Tocqueville die neue Demokratie in den USA, die Rousseaus Idee einer temporären Diktatur sowie der Erziehung eines neuen Menschen schon von der Verfassung her diametral entgegenstand. Er erkannte nun aber eine andere Gefahr, die die Demokratie in sich barg: die Tyrannei der Mehrheit. Daher sei es unverzichtbar, auch jede demokratische Herrschaft auf Zeit anzulegen, sonst drohe ein «legaler Despotismus». Der neige auch dazu, die Menschen zu isolieren, sie ihrer Individualität zu berauben. Egoismus komme ihm entgegen, denn die Despotie sehe jene «als gute Staatsbürger, die sich kleinlich auf sich selbst beschränken».[25] John Stuart Mill ergänzte, die «soziale Tyrannei» sei womöglich schlimmer als die politische. Es brauche «auch Schutz gegen die Tyrannei des vorherrschenden Meinens und Empfindens, gegen die Tendenz der Gesellschaft, durch andere Mittel als zivile Strafen ihre eigenen Ideen und Praktiken als Lebensregeln denen aufzuerlegen, die eine abweichende Meinung haben, die Entwicklung in Fesseln zu schlagen, wenn möglich die Bildung jeder Individualität, die nicht mit ihrem eigenen Kurs harmoniert, zu verhindern und alle Charaktere zu zwingen, sich nach ihrem eigenen Modell zu formen. Es gibt eine Grenze für die rechtmäßige Einmischung öffentlicher Meinung in die persönliche Unabhängigkeit, und diese Grenze zu finden und gegen Übergriffe zu schützen, ist für eine gute Verfassung der menschlichen Angelegenheiten ebenso unerläßlich wie Schutz gegen politische Willkür.»[26] Mills berühmte Freiheitsdefinition lautete, «daß der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumengen befugt ist, der ist: sich selbst zu schützen.»[27] Das ist die vielleicht wirkmächtigste Freiheitsdefinition, jedenfalls eine, die liberalen Staaten konstitutionell zugrunde liegt. Intellektuelle wie zum Beispiel Karl Raimund Popper, Raymond Aron, Albert Camus, Isaiah Berlin, Hannah Arendt, Vaclav Havel, BronisÅaw Geremek, Jerzy Holzer, Adam Michnik, Andrej Sacharow, Manés Sperber, Heinz Brandt, Andrej Amalrik, György Dalos, CzesÅaw MiÅosz, Jürgen Fuchs, Leszek KoÅakowski, Ralf Dahrendorf, Wolf Biermann, Robert Havemann, Karl Wilhelm Fricke, Timothy Garton Ash, Marianne Birthler, Christoph Hein, Joachim Gauck, Thomas Ammer, Freya Klier, Bärbel Bohley, Thomas Auerbach, Jens «Charlie» Blanck, Heiko Lietz, Christian Dietrich, Uwe Schwabe, Siegbert Schefke, Stephan Bickhardt, Ludwig Mehlhorn, Lutz Rathenow, Reinhard Weißhuhn, Bernd Eisenfeld, Reinhard Schult, Jens Reich, Ulrike Poppe, Martin Böttger, Wolfgang Templin, Ralf Hirsch, Martin Gutzeit, Carlo Jordan, Markus Meckel, Rainer Eppelmann oder Gerd Poppe haben dieses Freiheitsverständnis verbreitet und gelebt, allesamt Persönlichkeiten, die mich mit ihren Schriften oder ihrer Biographie nachhaltig beeindruckt und mein Denken entscheidend beeinflusst haben. Sie zeigten, dass es möglich ist!

In seinem großen Werk «Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde» warnte Karl Raimund Popper aber auch, die Offenheit von Freiheit dürfe nicht dazu führen, dass sie ihren Feinden gegenüber tatenlos bleibt, weil sie ihnen begegnet wie den Anhängern der Offenen Gesellschaft. «Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden von Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranten zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.» Popper schloss 1945 im neuseeländischen Exil ausdrücklich ein, militante Intolerante notfalls mit Gewalt zu unterdrücken. Dem «Paradox der Demokratie» hingegen, dass sich eine Mehrheit zur Herrschaft eines Tyrannen entschließt, wusste Popper nichts als den Rationalismus der Aufklärung entgegenzusetzen.[28]

Einige Jahre später formulierte der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde ein anderes Paradoxon: «Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und - auf säkularisierter Ebene - in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.»[29] Böckenförde meinte daran anschließend, womöglich benötige der säkularisierte Freiheitsstaat ...
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