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Brombeersommer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am01.07.20121. Auflage
Jetzt als eBook Die ehemaligen Jugendfreunde Karl und Theo lieben beide Viola - Theos Frau. Zu dritt erleben sie einen unbeschwerten Sommer, an dessen Ende Viola schwanger ist. Sie ahnt, von wem. Doch nach einer Zeit voller Verluste sind Liebe und Freundschaft alles, was zählt.  

Dörthe Binkert, geboren in Hagen/Westfalen, wuchs in Frankfurt am Main auf und studierte dort Germanistik, Kunstgeschichte und Politik. Nach ihrer Promotion hat sie viele Jahre für große deutsche Publikumsverlage gearbeitet. Seit 2007 ist sie freie Autorin und lebt in Zürich.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,95
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextJetzt als eBook Die ehemaligen Jugendfreunde Karl und Theo lieben beide Viola - Theos Frau. Zu dritt erleben sie einen unbeschwerten Sommer, an dessen Ende Viola schwanger ist. Sie ahnt, von wem. Doch nach einer Zeit voller Verluste sind Liebe und Freundschaft alles, was zählt.  

Dörthe Binkert, geboren in Hagen/Westfalen, wuchs in Frankfurt am Main auf und studierte dort Germanistik, Kunstgeschichte und Politik. Nach ihrer Promotion hat sie viele Jahre für große deutsche Publikumsverlage gearbeitet. Seit 2007 ist sie freie Autorin und lebt in Zürich.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423413343
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum01.07.2012
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1175 Kbytes
Artikel-Nr.1188764
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



3


Seit Ende des Krieges wohnte Theo wieder zu Hause. Das Haus seiner Eltern war nur wenig beschädigt, die Eltern hatten beide überlebt. Er war vierundzwanzig Jahre alt, als er in sein ehemaliges Kinderzimmer zurückkehrte.

Die Möbel waren unversehrt, nur stand jetzt ein weiteres Bett darin. Käthe Schulze war doch noch einmal schwanger geworden und hatte im Jahr 1940 einem weiteren Sohn das Leben geschenkt - was sie fast das eigene gekostet hätte. Der kleine Siegfried aber war wohlauf, und sein Kinderbettchen wurde in Theos Zimmer aufgestellt. Theo wusste nicht viel mit dem Nachzügler anzufangen, er hätte fast sein Vater sein können, neunzehn Jahre älter, wie er war.

Sonst hatte sich in seinem alten Kinderzimmer nicht viel verändert. Einige Fotos, die er als Junge an die Wand gehängt hatte, waren verschwunden. Andere, vor allem die Aufnahmen verschiedener Flugzeugtypen, hingen noch an ihrem alten Platz. Theo stand vor den leeren Stellen seiner Bilderwand und konnte die Lücken problemlos mit seinen Erinnerungen füllen.

Da war Goebbels Besuch im Sommer 1932; Goebbels war damals Berliner Gauleiter der NSDAP gewesen. Der alte Schulze hatte seinen Sohn Theo zur Großkundgebung auf die »Kuhweide« mitgenommen. Die Straßen der Stadt waren schwarz von Menschen, zehntausend hatten an der Veranstaltung teilgenommen. Am Rand der Kundgebung gab es Proteste und Gegendemonstrationen, es kam zu Straßenschlachten. In eine wären sie auf dem Nachhauseweg fast hineingeraten. Nichts, was sich in seinem elfjährigen Leben bis dahin ereignet hatte, war so in Theos Kopf haften geblieben. Das Foto, das Goebbels während seiner Rede zeigte, hatte er aus der Zeitung ausgeschnitten und mit einem Ehrenplatz an der Wand bedacht.

Und dann war da das schöne Foto vom Haus Busch gewesen. Ein kleiner Steppke war er noch, als ihn die Eltern mit zum Besuch bei dem Hauptmann Franz Pfeffer von Salomon nahmen, der dort residierte. Er war ein Parteifreund seines Vaters. Theo selbst konnte sich nicht an den Nachmittag erinnern, er war zu der Zeit nicht älter als vier, fünf, aber die Eltern erzählten bei jeder Gelegenheit davon, denn auch der Führer und Rudolf Hess waren dort schon zu Gast gewesen. Aber nun war augenscheinlich selbst der Anblick der harmlosen Fassade des Hauses Busch ein verräterisches Indiz, das seine Eltern lieber aus dem Weg geräumt hatten.

Theo holte ein Küchenmesser, lockerte mit der Klinge die Reißzwecken, mit denen die verbliebenen Fotos befestigt waren, und hängte auch den Rest der Bilder ab. Die leere Wand in ihrem schmuddeligen gelbbräunlichen Chamois war ihm lieber als die lückenhafte Bildersammlung, die ihn daran denken ließ, dass es nur noch Flicken und Leerstellen gab, eine in Scherben gefallene, zerfetzte Welt, in der nicht einmal mehr die Bruchstücke der Lebensläufe der einzelnen Menschen zusammenpassten. »Irgendwann, wenn es wieder Farbe gibt, streichen wir die Wand«, sagte er zu Siegfried, der ihn nur staunend ansah.

Theo war kurz nach Kriegsende aus der Gefangenschaft entlassen worden, noch vor seinem Geburtstag im Oktober. Es war ein Weg zurück in eine unkenntlich gewordene Heimat. Natürlich, da war der Fluss, an dem man sich orientieren konnte. In der Volme trieben Gerümpel, Halbverkohltes, Zersplittertes. Der Wasserspiegel war angestiegen davon. Das Erste, was er von seiner Heimatstadt wirklich erkannte, war das Rathaus. Nur Reste standen noch und halbe Kirchtürme, tief gefüllt mit Himmel.

 

Der Frankreichfeldzug war so verlaufen, wie sie sich die Eroberung eines Landes in der Hitlerjugend vorgestellt hatten. Danach kommandierte man ihn ab nach Afrika. Er kam zu Rommels Truppen in Libyen, worum ihn viele Kameraden beneideten. Aber Rommel war weniger beliebt bei seinen Leuten, als es immer hieß. Theo, Funker bei der Flugsicherheit, bekam ihn nie zu Gesicht.

Am 16. Februar 1941 standen die Deutschen in Syrte, am 24. März besetzten sie El Agheila, im April schlossen sie mit Hilfe verbündeter italienischer Divisionen Tobruk ein. Dann begannen die Nachschubschwierigkeiten. Trotzdem hatte Rommel im Juni 1942 Tobruk erobert. Dann wendete sich das Blatt. Die erste Schlacht von El Alamein endete im Juli mit einem Patt, im Oktober 1942 zwangen die Alliierten unter General Montgomery Rommel in der langen, verlustreichen zweiten Schlacht von El Alamein zum Rückzug. Aus Siegen wurden Niederlagen. Theo kam es nun so vor, als seien sie immer nur auf dem Rückzug, obwohl es aus dem Reich ganz anders klang. Die Nachrichten, die von zu Hause kamen, die Reden und Siegesmeldungen erschienen ihm unwirklich. Generalfeldmarschall Rommel weigerte sich, dem Befehl Hitlers zu folgen und bis zum letzten Mann zu kämpfen. Er zog die Truppen ab. Gewissermaßen verdankte Theo ihm sein Leben.

Die nächste Station war Italien gewesen. Die Achsenmacht Italien wankte. Als die Alliierten im Juli 1943 auf Sizilien landeten, Mussolini abgesetzt wurde und Italien nach der Landung alliierter Truppen auf dem Festland einen Waffenstillstand schloss, erklärte Deutschland den ehemaligen Freund und Verbündeten zum Feind. Theo aber, der mit seiner Einheit längere Zeit in Verona und Ravenna stationiert war, hatte sich mit einem Italiener, Massimo, angefreundet.

Italien. Was für ein Land, selbst im Krieg. Und das Italienische! Da war so viel Wohlklang. Theo sprach die Wörter lustvoll aus, ohne sie zu verstehen. Massimo gab ihm Italienischunterricht, Theo hatte ein gutes Ohr und eine schnelle Auffassungsgabe. Rommel, der die deutschen Truppen in Norditalien führte, hielt nichts von solcher Freundschaft. Er ließ über eine Million entwaffnete italienische Soldaten als »Militärinternierte« zur Zwangsarbeit nach Deutschland schaffen. Theo verlor seinen neuen Freund. Der umarmte ihn, gab ihm die Adresse seiner Mutter und versuchte sich zu den Partisanen durchzuschlagen.

Die Amerikaner und Briten rückten weiter den Stiefel hinauf, seine Einheit wurde verlegt. Rückzug. Weiterer Rückzug. Noch in Italien geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Dort ging es ihm gut, er konnte sich fast frei bewegen. Das Wort Kriegsgefangenschaft passt eigentlich nur zu den letzten wenigen Wochen, wo sie in einem Kriegsgefangenenlager auf die Entlassung vorbereitet wurden. Mit einigen Italienisch- und Englischkenntnissen und ohne jede Verwundung kehrte Theo nach Hause zurück.

 

In den Turnhallen der Stadt waren kurz nach Kriegsende Ausgebombte und Flüchtlinge untergebracht. Theos Mutter konnte nicht mehr turnen, auch die NS-Frauenschaft gab es nicht mehr. Theos Vater, Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes und Parteimitglied der NSDAP seit 1925, wurde nicht wieder als Lehrer angestellt. Er blieb nach Möglichkeit im Haus, und Käthe sah zu, was sie auf dem Schwarzmarkt oder bei den Bauern auf dem Land tauschen konnte. Die Rationen der Lebensmittelmarken waren ein Hohn, wenn man überhaupt bekam, was daraufstand.

Theo fühlte sich, wie früher schon, zu Hause fremd. Er wollte leben, neu anfangen, er war noch jung und wollte etwas lernen. Sein Vater war damit einverstanden, dass er studierte. Die ersten Züge fuhren, überquellend voll, schon bald wieder auf behelfsmäßig instand gesetzten Schienen, hielten an zerbombten Bahnhöfen oder Ersatzbahnhöfen. Und so fuhr Theo morgens in die nahegelegene Universitätsstadt und kam erst abends zurück.

Die alte Wohnung von Karls Familie nahe den Bahngleisen, in der Theo sich als Junge wie daheim gefühlt hatte und in der er im Winter so ungern aufs Klo im Zwischenstock gegangen war, weil einem bei Kälte fast der Hintern auf der Klobrille festfror, gab es nicht mehr. Eine kümmerliche Trümmerbirke hatte schon in einer Mauerritze der Ruine Wurzeln geschlagen. Doch Theo fand einen Zettel, den Heinrich und Selma Osterloh für alle, die nach ihnen suchten, an der Mauer befestigt hatten. Das Papier war schon ziemlich unleserlich, aber er konnte die Adresse entziffern, wo sie untergekommen waren.

Theo besuchte die Osterlohs im Haus der Witwe Strautkamp, wo sie einquartiert worden waren. Aber es war nicht mehr wie früher. Theo war kein Junge mehr. Karls Mutter nähte noch, aber ein Kanarienvogel sang nicht mehr dazu. Ihr aschblondes Haar war weiß geworden. Theo bemerkte es nicht gleich, weil sie ihr Haar nach wie vor in einem Knoten trug.

»Eine Brandbombe«, sagte sie, als er nach Karl und seinen Schwestern fragte. Sie wollte weitersprechen, schüttelte dann aber den Kopf. Tränen stiegen ihr in die Augen.

Er legte die Hand auf ihren Arm.

»Der Großangriff vom 2. Dezember 44«, sagte sie schließlich. »Es waren Hunderte von britischen Maschinen in der Luft. Ich weiß nicht, wieso es keinen Voralarm gab, was mit unserer Luftverteidigung los war. Gleich Vollalarm, ohne Vorwarnung. Abends um halb neun. Wir rannten los, Marie und ich, Richtung Bunker, aber da fielen die Bomben schon. Alle rannten, die einen wollten zum Bunker, andere versuchten, in irgendwelche Hauskeller zu kommen. Aber beim ersten Großangriff waren die Kellerausgänge oft von den Trümmern der Häuser verschüttet worden, und die Menschen kamen dann nicht mehr raus. Marie und ich schrien uns zu, dass wir lieber bis zum Bunker wollten. Dann wurden wir getrennt, ich stolperte, fiel hin, blieb zurück. Die Stadt war feuerrot erleuchtet von den Kaskaden der Zielmarkierungen. Die Brandbomben fielen wie Hagel. Von unserer Flakabwehr keine Spur.« Sie verstummte, aber Theo hatte längst verstanden.

Dann sagte sie, als wolle sie die Geschichte nun doch zu ihrem schrecklichen Ende bringen: »In der Marienkirche haben sie die Toten gesammelt, Menschenreste, Leichenteile lagen da in langen Reihen....

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Kritik
»Man genießt die Lektüre, und trotz eines traurigen Endes bleibt eine Zuversicht, dass das Glück nie verloren ist.«Birgit Kölgen, Schwäbische Zeitung 04.09.2012mehr