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Roman
dtv Deutscher Taschenbuch Verlagerschienen am01.07.2012
Eine Roadnovel der besonderen Art Angenervt von ihrer Mutter, vom Sozialdienst, den sie wegen eines Diebstahls in einem Altenheim ableisten muss, und enttäuscht, dass ihr Freund mit einer anderen nach Südfrankreich in den Urlaub gefahren ist, springt Viebcke in einen Campingbus auf dem Parkplatz des Altenheims - ganz spontan, ohne nachzudenken. Aber das ist sowieso nicht ihre Spezialdisziplin. Vor Erschöpfung und Kummer schläft sie ein. Als sie aufwacht, ist sie bereits auf dem Weg von Karlsruhe nach Toulouse. Die Richtung stimmt, aber der Fahrer nicht: Es ist der unerträgliche Alte aus dem Heim, den Viebcke ums Verrecken nicht ausstehen kann. Ist das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Eher nicht, denken beide.

Karin Bruder, in Kronstadt/Rumänien geboren, lebt seit 1970 in Deutschland. Sie leitet u. a. Schreibwerkstätten an Schulen und beim Bildungszentrum für politische Bildung Baden-Württemberg. Für >Zusammen allein< erhielt sie den Frau Ava Literaturpreis 2007 und wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 nominiert. Karin Bruder lebt in Waldbronn.
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Produkt

KlappentextEine Roadnovel der besonderen Art Angenervt von ihrer Mutter, vom Sozialdienst, den sie wegen eines Diebstahls in einem Altenheim ableisten muss, und enttäuscht, dass ihr Freund mit einer anderen nach Südfrankreich in den Urlaub gefahren ist, springt Viebcke in einen Campingbus auf dem Parkplatz des Altenheims - ganz spontan, ohne nachzudenken. Aber das ist sowieso nicht ihre Spezialdisziplin. Vor Erschöpfung und Kummer schläft sie ein. Als sie aufwacht, ist sie bereits auf dem Weg von Karlsruhe nach Toulouse. Die Richtung stimmt, aber der Fahrer nicht: Es ist der unerträgliche Alte aus dem Heim, den Viebcke ums Verrecken nicht ausstehen kann. Ist das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Eher nicht, denken beide.

Karin Bruder, in Kronstadt/Rumänien geboren, lebt seit 1970 in Deutschland. Sie leitet u. a. Schreibwerkstätten an Schulen und beim Bildungszentrum für politische Bildung Baden-Württemberg. Für >Zusammen allein< erhielt sie den Frau Ava Literaturpreis 2007 und wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 nominiert. Karin Bruder lebt in Waldbronn.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423414500
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum01.07.2012
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse332
Artikel-Nr.1190474
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Erstes Kapitel



1


Langhans starb im Herbst. Mit magerer Stimme setzte mich seine Tochter in Kenntnis.

»Fräulein Sand, ich möchte Sie von der Beerdigung meines Vaters in Kenntnis setzen.« Genau so sprach sie. »Am kommenden Freitag, fünfzehn Uhr, auf dem Hauptfriedhof. Werden Sie kommen? Bitte!«

Fräulein. Ihre altmodische Wortwahl erinnerte an Langhans. Bestimmt war sie im Alter meiner Mutter, doch sie wirkte älter. Ihr Deutsch war fehlerfrei, aber ein leichter Akzent lag wie ein Schatten darauf. Ich war mir nicht sicher, wo sie aufgewachsen war, in Frankreich oder doch Rumänien. Langhans hatte nicht über sie sprechen wollen.

»Wo? Ich meine â¦?«

»Wie ein verletztes Tier. Er muss sich in die Gartenkolonie Rennichwiesen geschleppt haben. Das ist irgendwo im Osten von Durlach. Keine Ahnung, wie er das geschafft hat. Wir haben ihn drei Tage lang gesucht. Über Tote soll man nichts Schlechtes sagen.« Ihre Stimme war jetzt nicht mehr dünn, sondern widerborstig, streng. »Ich habe kein Auge zugemacht während der Zeit. Hat er Sie angerufen, Fräulein Sand?«

»Nein.«

»Neben ihm fanden sie den alten Schlafsack aus dem Wohnmobil.« Sie betonte das Wort Wohnmobil, setzte ein Ausrufezeichen dahinter, »dazu mehrere angebrochene Kekspackungen, Brotreste und ein halb leeres Glas Kren. Tata hat sich in letzter Zeit nur von Weißbrot und Apfelkren ernährt. Und er hatte eine unglaublich große Menge an Bargeld dabei, über vierhunderttausend Mark. Er war verrückt.« Sie erzählte langsam, schien mich als Abflussrohr benutzen zu wollen. »Er konnte ja kaum noch laufen. Und mir hat er immer gesagt, er wäre pleite.«

»Ja«, sagte ich in eine kleine Pause hinein. Sie redete einfach weiter.

Mein Blick glitt zum Fenster. Noch während der Sommerferien hatten Sabine und ich alle Rahmen gestrichen. Seit Jahren unsere erste gemeinsame Mutter-Tochter-Tätigkeit. Die Fenster waren sehr schön geworden. Draußen präsentierte sich ein hellgrauer Nachmittag, und in meiner Hand zitterte der Telefonhörer. Ein starker Wind ließ vereinzelt Blätter über die Terrasse tanzen. Man kühlt rasch aus, wenn man so daliegt, die Erde unter einem feucht, die Luft bereits schneebereit. Ich war so lange und so intensiv mit Langhans zusammen gewesen, dass ich mich an viele Details seines Körpers erinnerte. Und ich fand, man sollte am Ende des Lebens nicht alleine sein. Ein Hüsteln schreckte mich auf.

»Werden Sie kommen?«

»Nein.«

Sie legte sofort auf. Das tat mir leid. Ich hätte mich gerne mit ihr über Henny unterhalten und auch ein bisschen über ihren Vater.

Am nächsten Tag fand ich im Briefkasten die offizielle Todesanzeige. Sie war an mich und Sabine adressiert. Eine weiße Lilie zierte die Vorderseite der Karte. Sabine stellte sie in der Küche neben dem Brotkorb auf und erklärte, dass sie hingehen würde. Mit einem fragenden Lächeln schaute sie zu mir herüber.

 

Wir trauern um

 

Hans Langhans

geboren am 2. 8. 1922 in Reps, Siebenbürgen

gestorben am 2. 11. 1996 in Karlsruhe

 

Die Beerdigung findet am Freitag, 6. 11. 1996, um

15 Uhr auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe statt.



2


Wie alles anfing? In einem Altersheim, dessen Heimleiter darauf bestand, dass man das Wort Altersheim nicht aussprach. Dabei ist es ein schönes Wort. Heim klingt weicher als Stift und lange nicht so spitz.

Es nannte sich Gruppenspielzeit, und ich war als Zweitbetreuerin eingeteilt. Die meisten Teilnehmer konnten nicht mehr Ball spielen, dabei hatten sie erstaunlich große Hände, auch die Frauen. Arbeiterhände, lange, knorrige Finger, braun gesprenkelt wie Vogeleier, die man im hohen Gras verstecken konnte. Aber dieses feine Zittern machte alles kaputt. Zum Ballspielen erwiesen sich die Hände als ungeeignet. Natürlich behielt ich meine Meinung nicht für mich.

»Hat doch alles verdammt noch mal keinen Sinn.«

Aber Steffen lachte mich aus. Und behielt recht. Fangen und werfen konnte nämlich doch einer, Hans Langhans, der Außenseiter. Was der dort, also in diesem Heim, zu suchen hatte, verstand ich sowieso nicht.

»Ich bin der Langhans Hans, guten Tag, hübsches Fräulein.« So hatte er sich am ersten Tag vorgestellt. Dieser Mensch also schoss mich mit dem Ball ab. Dabei ging es nicht ums Abschießen. Hart traf mich dieser Abschussball, traf meine rechte Brust, als ich nur eine Sekunde abgelenkt war. Aus meinem Mund entwich ein Zischen, meiner Lunge fehlte Luft. Vielleicht hätte ich ruhig bleiben sollen, aber ich sprang auf.

»Scheiße, jetzt reicht s.«

 

Es war mein siebter Ferientag und gleichzeitig mein siebter Tag in Gefangenschaft. Der siebte Tag von angeordneten einundzwanzig Tagen Sozialstrafe. Und am Morgen dieser Brief. Ganz und gar überflüssig. Er hatte wie ein verlorenes Taschentuch auf der Fußmatte gelegen. Ein Brief von Constantin. Geklingelt hatte er nicht.

»Scheiße«, sagte ich, »jetzt reicht s.« Und meinte damit vor allem Constantin und meine dumme Verliebtheit. Aber kein Verständnis, von niemandem, nur große Augen. Deshalb floh ich. Humpelte, so rasch ich konnte, aus dem Gruppenraum, durch diesen ewig langen Flur, der so aussah, als würde er direkt in den Abgrund führen. Gelb bemalte Bambusstangen in schwarzen Vasen sollten das weiße Nichts der Eingangshalle durchbrechen. Genau fünf Schritte trennten mich von der Tür und von der Freiheit. Dann hatte er mich eingeholt. Wie eine Ausreißerin zerrte Steffen mich vom Eingang weg.

»Abhauen ist nicht.«

»Lass! Ich will doch nur frische Luft schnappen.« In mir eine Wut, von der ich nicht wusste, woher sie genau kam und wohin ich sie packen sollte.

 

Steffen brachte mich zum Heimleiter, einem kleinen schmächtigen Mann, dessen breite Schultern mich sehr beeindruckten.

»War bestimmt keine Absicht«, versuchte der Heimleiter mich zu beruhigen. Er hieß Vogel. Und zart wie ein Vogelflügel blieb seine Hand auf meinem Unterarm liegen.

»Bestimmt«, brummte ich und trat einen Schritt zur Seite.

Seiner Aufforderung, zurück an die Arbeit zu gehen, konnte ich nicht folgen. Es ging nicht. Verdammt, immer wollten alle an mir herumerziehen.

»Muss für kleine Mädchen«, brummte ich, als Steffen und ich das Büro verließen. Ungehalten schüttelte ich ihn ab und rannte in den Keller. Warum behandeln mich alle wie ein kleines Kind, Constantin, Steffen, dieser Vogel? Ich schnappte mir meine Tasche, wollte gehen, da fiel mein Blick auf etwas Gelbes. Ich hatte das Skizzenbuch mitgebracht, aber nie benutzt. Es war unter die Bank gerutscht. Entschlossen, nicht mehr wiederzukommen, packte ich es in die Tasche und verließ das Altersheim durch den Haupteingang.



3


Es regnete. Auch das noch. War nicht alles schlimm genug, ein Sommer ohne Glück, ohne Sonne. Ich blieb stehen. Ein modisch verkrümmtes Glasdach bot mir seinen Schutz an. Und weil ich nicht wusste, wie mein nächster Schritt aussehen würde, schlug ich ein. Da stand ich und starrte auf den gegenüberliegenden Parkplatz. Bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle war es nicht weit. Und dennoch: Ein Auto wäre schön gewesen. Ein Auto und Constantin als Chauffeur.

Stattdessen prasselte dieser Sommerregen nieder. Der dunkle Saum meiner Hose zeigte erste Flecken. Sie war neu, keine zehn Stunden alt. Die ganze Nacht hatte ich daran genäht, deshalb war ich auch so schlecht gelaunt. Während der Arbeit an der Hose ahnte ich noch nicht, dass am Morgen niemand mehr da sein würde, der sie bewundern wollte. Constantin fand vieles an mir nicht gut, meinen Kleiderstil aber mochte er. Oft blätterte er im Skizzenbuch. Suchte nach neuen Porträts, verweilte aber auch bei den Kleiderentwürfen.

»Du hättest das Zeug zur Modedesignerin, weißt du das?«

»Viel zu schlecht. In der Schule, meine ich. Modedesign studiert man.«

»Nicht, wenn man sich selbstständig macht und seine eigene Kollektion herausbringt.«

Meine Güte, eigene Kollektion. Der Mensch träumte. Dafür brauchte man doch Geld und Mut und wirkliches Können.

 

Obwohl die Wand neben mir feucht schimmerte, lehnte ich mich an. Regengeruch überall. Mein Kopf wurde davon nicht klarer. Bestimmt ist Constantin längst unterwegs, grübelte ich, Frankreich ist ja nicht weit. Ein bisschen Richtung Rhein, eine Brücke suchen, drübersetzen, schon ist man im Elsass. Und das Leben ein anderes. Ich stellte mir Frankreich warm und weich vor. Ein flauschiges Geschenk. Ein Geschenk, das für mich bestimmt war. Seit ich Constantin kannte, seit über drei Monaten, schwärmte er von Frankreich.

»Vieb, das Camp in Saint-Lary wird dir gefallen, echt.«

Unser erster gemeinsamer Urlaub, meine erste längere Reise überhaupt, sollte einem Kinofilm gleichen, gedreht in satten Polycolorfarben. Einen Titel gab es schon: »Der Pyrenäensommer«. Sabine, ängstlich, neurotisch und trotzdem wenig mütterlich, hatte zugestimmt und mir so etwas Ähnliches wie Glück gewünscht.

Eine Liste hing über meinem Bett.

Salbe für das Bein


Kondome, falls â¦


Tagebuch


Rucksack, neu


Sonnenbrille


Das alles war nun Schnee von gestern.



4


Ich schaute auf, betrachtete den Himmel. Eisiges Schlechtwettergrau. Eine...


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Kritik
»Der lakonisch-ironische Stil, in dem Bruder ihre Protagonistin die Story erzählen lässt, und die heutige - Viebkes - Perspektive auf die NS-Zeit machen Asphaltsommer besonders lesenswert.«Tomas Unglaube, Eselsohr November 2012mehr