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Unser Shakespeare

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am01.04.20141. Auflage
Zum 400. Todestag im Taschenbuch Unkonventionell, akribisch und mit großer Leidenschaft folgt Frank Günther den Spuren des berühmtesten Dramatikers der Weltliteratur. Kenntnisreich und wortgewaltig umkreist er das Phänomen >ShakespeareUnser ShakespeareShakespeares Wortschätze<, die zu einem besonders originellen Spaziergang durch Shakespeare Werke einlädt.mehr

Produkt

KlappentextZum 400. Todestag im Taschenbuch Unkonventionell, akribisch und mit großer Leidenschaft folgt Frank Günther den Spuren des berühmtesten Dramatikers der Weltliteratur. Kenntnisreich und wortgewaltig umkreist er das Phänomen >ShakespeareUnser ShakespeareShakespeares Wortschätze<, die zu einem besonders originellen Spaziergang durch Shakespeare Werke einlädt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423420150
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum01.04.2014
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1376502
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

DAS BUCH
ODER
WIE WIR ES LESEN


Shakespeares Werkausgabe, die First Folio, sollte auf der Frankfurter Buchmesse laut Herbstkatalog eigentlich schon 1622 präsentiert werden; die Herstellung erwies sich aber als schwierig, sodass es erst im Folgejahr 1623 erscheinen konnte - sieben Jahre nach Shakespeares Tod. Zwei Schauspieler aus Shakespeares Truppe, seine Kollegen Henry Condell und James Heminges (gelobt seien ihre Namen in alle Ewigkeit!), hatten die 37 Shakespeare-Dramen zusammengestellt und damit achtzehn Texte für die Nachwelt gerettet: Diese wurden nämlich erstmals in dieser Folio-Ausgabe gedruckt und wären ohne Condell und Heminges für immer verloren gewesen. Nicht, dass das die Frankfurter Messebesucher im Jahr 1623 sonderlich gekümmert hätte: Wer war schon dieser Shakespeare aus England? Und wer las schon primitive Theatertexte in einem teuren Buch?

Über dieses alte Buch werden derzeit an jedem Tag, den der Herr Licht werden lässt, weltweit ca. 15 wissenschaftliche Studien veröffentlicht - und 1 Buch. Täglich. Ergibt im Jahr 365 × 15 = 5475 wissenschaftliche Studien und 365 Bücher. Auch das Buch, das Sie, liebe Leserinnen und Leser, hier in Händen halten, ist eines davon. 6000 Publikationen im Jahr über Shakespeare und sein Buch, das ergibt in zehn Jahre 60 000 Publikationen. Das ergibt in zwanzig Jahren 120 000 Publikationen. Das ergibt in dreißig Jahren ... und der Strom der Schriften über Shakespeares Schriften schwillt unermüdlich an, er übersteigt alle Pegelmarken anderer Schriften, die Heilige Schrift wohl ausgenommen, es hört einfach nicht auf, es wird wohl nie aufhören, obwohl es »scheinen möchte, als wäre nichts mehr zu sagen übrig«, wie Goethe seufzend schon 1813 seinen Aufsatz Shakespeare und kein Ende begann - nur um selbst Weiteres über Shakespeare zu sagen, mit der schönen Entschuldigung für dergleichen redundantes Tun, es sei eben »die Eigenschaft des Geistes, dass er den Geist ewig anregt«. Ewig. Man schließt sich Goethe gerne an.

Aber möglicherweise ist dieses Angeregtsein nur eine schöne Illusion - denn wer kann, bei 6000 Publikationen im Jahr, die man alle nicht gelesen hat, denn wissen, ob das, was man da geistig angeregt Originelles denkt, nicht schon längst viel besser, origineller, vollständiger, konsequenter und schöner von anderen gedacht und gesagt wurde? Wer kann schon wissen, ob nach den vielen gelesenen Aufsätzen und Büchern über Shakespeare das angeblich Selbstgedachte nicht nur ein unbewusstes pêle-mêle, ein halbplagiatorisches Recyceln von vage erinnerten Versatzstücken ist, nur ein rag, ein aus den Gedanken anderer Shakespeare-Angeregter zusammengestoppelter Flickenteppich? »Wer heute über Shakespeare spricht, wird wohltun, wenn er auf jeden Anspruch, Neues zu sagen, gründlich verzichtet!«, meinte schon 1887 der Kunsthistoriker Jakob Burckhardt.1

Vor 450 Jahren wurde Shakespeare geboren. Mit jedem Tag, der vergeht, schieben sich mehr Bücher, mehr Geschichte, mehr Neuerung, mehr naturwissenschaftliches Verständnis, mehr Weltwissen, Welterfahrung und Weltbeherrschung zwischen uns und Shakespeare. Mit jeder Sekunde rückt Shakespeares merkwürdig faszinierende Zeit weiter von uns weg. Mit jedem neuen piepsenden Elektronikspielzeug, das uns zappelnde Abbilder der Welt über Elektronenflüsse als Wirklichkeit vermittelt und unseren Umgang miteinander verändert, wird eine neue Barriere zwischen uns und der Shakespeare-Zeit errichtet. Unsere Welt wird vom Bild, vom Blick, vom Auge dominiert - Shakespeares Welt war vom Ohr, vom Hören, von der Wunderwelt der Sprache bestimmt. »Schau´n wir uns das Stück an«, sagen wir heute, wenn wir ins Theater gehen, um dann Video-Projektionen zu bewundern; »Let´s hear a play«, sagte man ganz anders zu Shakespeares Zeiten und ergötzte sich an den uferlosen, bunten Sprachphantasien der Autoren. Für die Ohren war´s mal bestimmt, für die Augen muss es heute aufbereitet werden. Wir rühmen ehrfürchtig Shakespeare für seinen angeblich riesigen aktiven Wortschatz von über 17 000 Wörtern - ohne zu bedenken, dass dieser in Wahrheit eher ärmlich ist, verglichen mit dem durchschnittlichen Wortschatz eines jeden heutigen Jack Smith oder John Miller im United Kingdom: Sie verfügen nämlich über etwa 60 000 Wörter, welche Zeugnis geben von vierhundertjährigem Zuwachs an Technik, Wissenschaft und Geschichte, vom Umfang heutiger Weltbenennung, Welterfassung und Weltneuerfindung.

Shakespeare, auf der Schwelle zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit, wusste vom meisten, was heute jedes Schulkind weiß und zur alltäglichen Lebensbewältigung unabdingbar braucht, nichts. Er war fest eingebunden in die Vorstellungen, Konzepte und Gedankenhorizonte seiner Zeit. Sie ist uns Heutigen so fern wie der Mars - wir wisssen mehr und anderes als der vordemokratische Shakespeare, der für seine Zeit über seine Zeit schrieb. Er schrieb nicht für uns Nachgeborene. Er schrieb in einer gefährlichen, unsicheren Umbruchsepoche für machtgierige Höflinge einer frühabsolutistischen Feudalgesellschaft, für ein sich allmählich entwickelndes, aufstiegsorientiertes Bürgertum, zu dem er selbst gehörte, und für eine breite Volksmasse, die zum größten Teil nicht lesen und schreiben konnte. All dies war überwölbt vom Totalitätsanspruch eines zwar kriselnden, aber den Alltag eisern beherrschenden christlichen Glaubens in militanter katholischer und protestantischer Ausformung. Die Hölle war so real wie der Himmel, der Gottesleugner war ein Schreckbild, wer sich autonom selbstbestimmen wollte, erschien als angsteinflößendes Monster. Davon handelt so manches Shakespeare-Stück. Die Erde wurde als grausames Jammertal voller Krankheiten, Pest und Krieg erlebt, und das Leben war kurz. Vieles in Shakespeares Welt und Werken erscheint uns als Aberglaube und Vorurteil, vieles als nackte Barbarei und Unmenschlichkeit. Seine Sprache ist oft kaum mehr verständlich. Shakespeare und seine untergegangene Welt sind uns fremd.

Trotzdem erscheinen Jahr für Jahr diese genannten 6000 wissenschaftlichen Schriften über Shakespeare. Alle behaupten implizit, dass Shakespeare für uns wichtig sei. Und tatsächlich: Wenn wir uns etwas eingelesen haben, uns an die befremdliche Sprache, an die Verse, an die seltsame Gesellschaft aus Kesselflickern und Königen, an die seltsamen Umgangsformen seiner Figuren gewöhnt haben, erscheint uns dies alles auf seltsame Weise bekannt und verwandt. Wir können uns zumeist mit den Sorgen, Freuden und Nöten der Gestalten identifizieren; wir können zumeist ihre Konflikte und Probleme nachvollziehen; wir staunen über ihre Schicksale, sind erschüttert von ihren oftmals extremen existenziellen Leidenschaften, erschrecken zunehmend über ihre Maßlosigkeit und teilen ihren bitteren Spott über die Weltverhältnisse. Es ist ein Rätsel, wie das möglich ist: Sie kommen uns hinter den historischen Einkleidungen und überholten sozialen Verhältnissen oftmals als sehr heutige, sehr lebendige Wesen immer näher. Und, ja, je länger wir in diesem Buch lesen, um so weitere Assoziationsräume eröffnen sich, um so uferlosere Landschaften der menschlichen Seele scheinen sich neu auszubreiten, bis man sich vielleicht beklommen fragt: Überfordert das Buch mich womöglich?

Wohl oft - aber auch nicht immer. Manchmal meinen wir zu spüren, dass uns etwas Wesentliches entgeht, wenn wir die Texte lesen; dass über Dinge geredet wird, die wir nicht so ganz nachvollziehen können; und wenn von »Ehre«, »Grazie«, »Königstreue« und »Edelmut« gesprochen wird, merken wir, dass Shakespeares Personen ein Wertesystem haben, das uns doch ziemlich fremd ist. Und manchmal stolpern wir geradezu über Dinge, die wir auf gar keinen Fall mehr akzeptieren wollen: Todesstrafe für vorehelichen Geschlechtsverkehr wie in Maß für Maß z. B. erscheint uns geradezu als pervers und inakzeptabel - ein Stück, das in unserer Welt anscheinend nichts mehr zu sagen und zu suchen hat. Und wenn der Macho-Frauendompteur Petruchio in Der Widerspenstigen Zämung über seine rebellische Ehefrau sagt:


Sie ist mein Hab und Gut, mein Land, mein Haus,

Mein Hausgerät, mein Acker, meine Scheune,

Mein Pferd, mein Ochs, mein Esel und mein alles ...

III,2,228


und »seine« Katharina zum Schluss erklärt, die Frau habe pflichtgemäß »die Hand dem Mann unter den Fuß zu legen«, so ist auch dies heute nicht mehr zu rechtfertigen. Dann sagen wir höflich: »Ach, das muss man eben aus seiner Zeit heraus verstehen« - und halten es im Stillen für reichlich verstaubt. Also versuchen wir, Shakespeare historisch einzuordnen.

Dafür gibt es ungeheuer viele Hilfen: Educational-Shakespeare-Kurse und Geschichtslektüre, Shakespeare-in-der-Schule-Handreichungen, ungezählte Monographien und Ausstellungen breiten das Panorama der faszinierenden elisabethanischen Epoche lebensprall und bunt vor uns aus. Wir lernen die Anwohner der Henley Street in Stratford kennen, erfahren viel über Jagdbräuche der Renaissance, machen uns kundig über die außenpolitischen Manöver von Königin Elisabeth, studieren das metaphernreiche elisabethanische Weltbild, erleben die englische Erschütterung über die erste Weltumsegelung von Sir Francis Drake, verspüren fast physisch das Gruseln der Katholikenverfolgung, wenn wir das ausgestochene Auge eines gefolterten und hingerichteten katholischen Priesters unter Glas betrachten, lernen vor allem alles über das elisabethanische Theater - und finden uns, als Krönung des...
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Autor

Frank Günther, Jahrgang 1947, studierte Anglistik, Germanistik und Theatergeschichte und arbeitete selbst als Regisseur am Theater. Seit über vierzig Jahren übersetzt er Shakespeares Werke. Inzwischen liegen 34 der insgesamt 37 dramatischen Stücke vor. Gelingt die Vollendung, dann wird er der Erste sein, der als Einzelner das Gesamtwerk ins Deutsche übersetzt hat. Für seine herausragenden Übertragungen wurde er u.a. mit dem Christoph-Martin-Wieland-Preis, dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis und dem Johann-Heinrich-Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet.Frank Günther genießt darüber hinaus als Herausgeber und kritischer Kommentator seiner zweisprachigen Edition der Werke Shakespeares in Einzelausgaben - im Taschenbuch bei dtv, als Hardcover bei ars vivendi, Cadolzburg - längst auch im Bereich der Wissenschaft hohes Ansehen. Zum 450. Geburtstag »seines Dichters« legte er erstmals als Autor ein umfangreiches Werk unter dem Titel >Unser ShakespeareShakespeares Wortschätze