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Dich tanzen zu sehen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
416 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am20.11.20151. Auflage
Ein fesselnder Tanz um Liebe, Leidenschaft und Lebenslügen Joan steht der Abschied vom Ballett bevor: Sie ist schwanger und ihre Karriere als Tänzerin wahrscheinlich beendet. Sie heiratet Jacob, und das Paar zieht aus New York an die Westküste, wo sich beide stumm nach der Welt des Balletts verzehren: Joan nach dem Tanz, Jacob nach der Tänzerin, die Joan gewesen ist. Doch ein Leben für den Tanz bedeutet nicht nur Drama, sondern auch hochfliegende Hoffnungen, erhabene Momente.

Maggie Shipstead wurde 1983 in Kalifornien geboren und studierte Amerikanische Literatur in Harvard. Anschließend besuchte sie den berühmten Iowa Writers' Workshop, wo Zadie Smith sie unterrichtete. Für ihr Debüt >Leichte Turbulenzen bei erhöhter StrömungsgeschwindigkeitKreiseziehen< ist ihr dritter Roman, stand auf der Shortlist für den Booker Prize 2021 und für den Women's Prize for Fiction 2022.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin fesselnder Tanz um Liebe, Leidenschaft und Lebenslügen Joan steht der Abschied vom Ballett bevor: Sie ist schwanger und ihre Karriere als Tänzerin wahrscheinlich beendet. Sie heiratet Jacob, und das Paar zieht aus New York an die Westküste, wo sich beide stumm nach der Welt des Balletts verzehren: Joan nach dem Tanz, Jacob nach der Tänzerin, die Joan gewesen ist. Doch ein Leben für den Tanz bedeutet nicht nur Drama, sondern auch hochfliegende Hoffnungen, erhabene Momente.

Maggie Shipstead wurde 1983 in Kalifornien geboren und studierte Amerikanische Literatur in Harvard. Anschließend besuchte sie den berühmten Iowa Writers' Workshop, wo Zadie Smith sie unterrichtete. Für ihr Debüt >Leichte Turbulenzen bei erhöhter StrömungsgeschwindigkeitKreiseziehen< ist ihr dritter Roman, stand auf der Shortlist für den Booker Prize 2021 und für den Women's Prize for Fiction 2022.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423428637
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum20.11.2015
Auflage1. Auflage
Seiten416 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse813 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.1814528
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I




September 1977
New York


Neben der Bühne, hinter einem Metallgestell mit aufgerollten Kabeln und Seidenblumengirlanden und den saitenlosen Lauten aus dem ersten Akt, liegen zwei schwarze Dackel in einem Korb. Sie sind wach, aber still; ihre kleinen flinken Augen folgen den Tänzerinnen, die lächelnd von der Bühne gehüpft kommen und sich dann jäh ihrer Erschöpfung hingeben, die Hände auf die Hüften stützen und mit gesenkten Köpfen schwer atmen, wie Rennpferde. Sie ziehen Taschentücher aus Schachteln, die an den Lichtgerüsten befestigt sind, und trocknen sich Gesicht und Hals. Schweiß tropft auf den Boden. Ein Gehilfe schiebt einen nach Ammoniak stinkenden Mopp herum. Der Pas de deux beginnt. Draußen im Licht zwei russische Stars, beide Überläufer. Der Bühnenboden schimmert wie schwarzes Eis; er ist mit Kolophonium bestäubt wie mit Schnee.

Normalerweise beachten die Mitglieder der Compagnie die Hunde nicht, doch Joan Joyce hockt sich zu ihnen und streichelt ihre langen Rücken. Sie krault ihre samtigen Ohren und glatten kleinen Schädel. Die Hunde weichen vor ihr zurück, aber sie lässt sich nicht beirren. Hinten im Schatten stehen andere Tänzerinnen dicht gedrängt und warten, die Tutus wie ein großer Teppich aus steifen Lavendelblüten.

»Was machst du da?«, flüstert eine. »Du darfst sie nicht anfassen.«

In der Nähe sitzt Joans Mitbewohnerin, die Solotänzerin Elaine Costas, an der Wand und dehnt sich. Sie hat die Sohlen ihrer Spitzenschuhe aneinandergelegt wie Hände zum Gebet und beugt das Gesicht zu ihnen hinunter. Ihr Kostüm ist gelb, das Mieder goldbestickt. »Wenn Ludmilla vorhätte, Joan zu ermorden«, sagt sie und blickt auf, »hätte sie es längst getan.«

Einer der Hunde stellt eine Pfote auf Joans Handgelenk und stemmt sich dagegen, die harten schwarzen Krallen graben sich tief in ihre Haut. Sie küsst die Luft über seinem Köpfchen. Er hebt die Ohren, besinnt sich und legt sie wieder an, verliert das Interesse. Joan hat noch nie so gut getanzt wie heute Abend. Sie ist mit der Compagnie verschmolzen und war dabei vollkommen sie selbst, zugleich ein Teil und in sich ganz. Der winzige Zellhaufen an ihrer Gebärmutterwand ist ein Geheimnis, aber sie fühlt sich so durchscheinend und licht wie eine Libelle.

In dem hellen Streifen zwischen den schwarzen Vorhängen erscheinen Arslan Rusakov und Ludmilla Yedemskaya und bleiben stehen, im Glanz von Schweiß und weißem Licht. Er dreht ihre Taille zwischen seinen Händen, das Gesicht zu einer Maske der Hingabe erstarrt. Liebe im Ballett ist etwas, das erst nicht da ist und dann plötzlich erblüht, mitten in einem Tanz, pantomimisch markiert durch Glückseligkeit in den Mienen. Danach, wenn sie hinter den Kulissen oder dem Vorhang verborgen sind, ziehen die Tänzer groteske Grimassen und zeigen ihre Schmerzen.

Zu Hause in ihrer Wohnung gibt Elaine manchmal eine wenig schmeichelhafte Imitation von Arslans Liebesmiene zum Besten; sie tanzt stolzgeschwellt, um sich dann um hundertachtzig Grad zu drehen und Ludmillas Lächeln zu parodieren: entblößte Zähne unter kalten, harten Augen. Joan lacht und verlangt nach mehr, aber der Spott tut weh. Arslan war mal ihr Liebhaber. Sie ist diejenige, die ihm zur Flucht verholfen hat.

Mit Ludmilla war er zusammen gewesen, als sie beide noch beim Kirow waren, und jetzt wollen sie heiraten. Sie haben ihre Verlobung nach einer Aufführung von Schwanensee bekannt gegeben, mit Champagner für die ganze Compagnie. Auf Ludmillas Haupt schwebte eine Krone aus weißen Federn. Zwischen Joan und Arslan war es schon vor Ludmillas Ankunft aus gewesen, aber dennoch weckt die zierliche Russin mit dem hellen Haar bei Joan noch immer das Gefühl, verhöhnt und bestohlen worden zu sein, beraubt.

Applaus. Ludmilla fegt hinter die Bühne. Die Musik zu Arslans Variation beginnt. Joan streichelt weiter die Dackel, aber die Hunde recken die langen Hälse nach ihrem Frauchen. »Sie sind nicht nett«, sagt Ludmilla nach einem Augenblick, ihr Akzent tonlos und hart, als hätte sie einen Stein im Hals. »Du solltest nicht anfassen.«

Als sich Ludmilla vor der Aufführung warm machte, waren die Dackel traurig um sie herumgestrichen, immer in der Gefahr, getreten zu werden. Sie scheint ihnen niemals Aufmerksamkeit zu schenken, bringt sie aber zu jedem Training, jeder Probe, jeder Anprobe, jeder Aufführung, jeder Gala mit. Arslan hat sie ihr zur Ankunft in New York geschenkt, als Ersatz für die Dackel, die in Leningrad geblieben waren. Sie sind ihr zugewandt wie so viele, mit ihren knochigen, bußfertigen Gesichtern. Sie würden niemals darauf kommen zu bellen, nicht einmal, wenn Zimbeln krachen oder Bühnenarbeiter die Nebelmaschine anwerfen, um Zauberschwaden zu erzeugen oder die Wasseroberfläche eines Sees anzudeuten.

»Sie wirken lieb«, sagt Joan.

Ludmilla, die sich die Wangen mit einem Taschentuch abtupft, schaut sie belustigt und boshaft an. »Sie beißen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Es sind meine Hunde, nicht deine Hunde, aber wenn du willst gebissen werden, mach, wie du denkst.«

»Mach, wie du denkst« hat sie von Arslan; es ist eine Wendung, die Joan benutzt. Sie hat sie Arslan beigebracht, und nun hat er sie an Ludmilla weitergegeben. Joan streicht den Dackeln ein letztes Mal übers Fell - einer entblößt die winzigen scharfen Elfenbeinzähne genauso anmutig und drohend wie sein Frauchen -, dann steht sie auf. Ludmilla wendet sich ab, um Arslan zuzusehen, der in der Mitte der Bühne Pirouetten dreht (Er ist ein Prinz! Heute wird er Hochzeit feiern!), während die Musik schneller wird und Schweiß aus seinen Haaren spritzt. Arslan tanzt mit dem Dirigenten um die Wette, er will möglichst viele Drehungen unterbringen. Wenn er fertig ist, wird das Publikum wie immer rasen und ihm lautstark huldigen. Die Ovation ist selbstverständlich, aber er wird sie sich trotzdem verdient haben. Er ist herausragend. Die Zuschauer lieben ihn, weil er herausragend ist und weil er im Feindesland geboren, aber hierhergekommen ist, um für sie zu tanzen.

Ende der Musik. Seine letzte Drehung wird einen Schlag zu spät vollendet. Das Gebrüll bricht aus dem Bauch des Theaters hervor und schallt bis in den letzten Winkel des Hauses. Arslan verbeugt sich, verbeugt sich ein zweites Mal, macht eine kleine Kopfbewegung. Ludmilla steht auf, hebt die Arme über den Kopf und schreitet geschwind auf die Bühne hinaus. Ihre Variation beginnt, aber Joan sieht nicht zu.

Joan kennt viele Tänzerinnen, die schwanger waren, aber nur wenige, die es geblieben sind, und nur eine, die hinterher wieder in die Compagnie zurückgekehrt ist - eine Primaballerina, die so berühmt war, dass man ihr die Monate der Abwesenheit und ihren langen Kampf um die alte Form verzieh. Für die meisten Frauen, die Joan kennt, ist ein Kind undenkbar. Der Körper ist bereits versprochen; der Körper ist vergeben. Sie selbst ist erst ungefähr in der achten Woche, und es ist noch nichts zu sehen, aber sie findet es überraschend, dass bisher niemand etwas gemerkt hat. Die Tänzerinnen beobachten einander genau und melden jeden Verdacht von Schwäche. Joan meint, dass Elaine etwas vermuten könnte, aber es liegt nicht in ihrer Natur, zu fragen oder Dinge auszuplaudern. Normalerweise teilen sie sich morgens vor dem Training eine Banane, aber weil ihr übel ist und sie Hunger hat, toastet Joan sich neuerdings mit Vorliebe Waffeln und isst sie mit Erdnussbutter. Elaine vertilgt ihre halbe Banane, sieht zu, wie das klebrige Messer die Masse verstreicht, und sagt nichts. Zum Glück vergeht Joans Übelkeit fast immer während des Morgentrainings. Sie hat sich noch nicht durch Erbrechen verraten.

Im Juli, nach dem Stromausfall, hatte sie eine leichte Verstauchung vorgetäuscht und war nach Chicago geflogen, um Jacob zu besuchen. Sie ist nicht mit ihm zusammen. Auf der Highschool hatten sie sich als beste Freunde präsentiert, voll Stolz auf ihren Status als treues, aber platonisches Paar, eine Beziehung, die ihnen modern und abgeklärt erschien, Welten entfernt von den kurzlebigen, schweißfeuchten, hormongesteuerten Paarungen, die um sie herum stattfanden. Doch Joan hatte gewusst, dass Jacob mehr wollte. Er war sehr lange zu schüchtern gewesen - und zu stolz -, um sich zu erkennen zu geben.

Einmal, kurz bevor er zum Studium fortging, hatte er sie geküsst. Es war ein Kuss gewesen, der nach etwas Ungeheurem verlangte. Als sie ihn wegstieß, war er wütend geworden, und sie hatte diese Wut gegen ihn verwendet, ihn damit bestraft und sich dahinter versteckt. Dann war er aufs College gegangen, und sie hatten sich Briefe geschrieben, das schien sicherer.

Sie vermutet, dass Jacob noch immer ihr bester Freund ist, obwohl sie in der Zeit mit Arslan und danach, als sie sich von der Beziehung mit Arslan erholte, zugelassen hat, dass ihre Freundschaft brachlag und von Unkraut überwuchert wurde. So legt sie sich das gern zurecht - ihre Verbindung mit Jacob hat geruht und sich nun erneuert; das ist besser, als sich einzugestehen, dass sie ihn vernachlässigt hat. Aber Jacob ist ein Mensch, der vergibt, der tröstet, der geduldig ist.

In Chicago hatte er zunächst so getan, als wollte er ihre Highschool-Freundschaft fortsetzen. Er hatte sie in eine laute Bar geschleppt, in der es abgestanden roch, Anspielungen auf die neueste Frau in seinem Leben gemacht, sich von Joan die Getränke bezahlen lassen und im Tonfall eines Bruders gefragt: »Was gibt´s Neues von Arslan dem Schrecklichen?« Doch es war nicht schwer gewesen, die Sache umzupolen. Sie hatte in der Bar seinen Arm berührt, sich an ihn gelehnt, ihn auf dem Heimweg zu seiner Wohnung sanft angerempelt und ihm beim Absacker gestanden, ihn vermisst...

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Autor

Maggie Shipstead wurde 1983 in Kalifornien geboren und studierte Amerikanische Literatur in Harvard. Anschließend besuchte sie den berühmten Iowa Writers' Workshop, wo Zadie Smith sie unterrichtete. Für ihr Debüt >Leichte Turbulenzen bei erhöhter StrömungsgeschwindigkeitKreiseziehen