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Vergessene Seelen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am22.06.20181. Auflage
Ein toter Junge. Eine Mauer des Schweigens. Ein Albtraum für Max Heller.     Dresden 1948: Ein heißer Sommer, drei Jahre nach Kriegsende. Die große Währungsreform stu?rzt das besetzte und aufgeteilte Nachkriegsdeutschland in eine Krise. Inmitten der mu?hsamen Wiederaufbauarbeiten bekommt es Oberkommissar Max Heller mit dem Fall eines 14-jährigen Jungen zu tun, dessen Todesursache völlig unklar ist. War es ein Unfall, Mord oder sogar Selbstmord? Heller stößt bei seinen Ermittlungen auf eine Wand des Schweigens und wird dabei mit seinem ganz persönlichen Albtraum konfrontiert ? den er längst vergessen geglaubt hatte.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
HörbuchCompact Disc
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin toter Junge. Eine Mauer des Schweigens. Ein Albtraum für Max Heller.     Dresden 1948: Ein heißer Sommer, drei Jahre nach Kriegsende. Die große Währungsreform stu?rzt das besetzte und aufgeteilte Nachkriegsdeutschland in eine Krise. Inmitten der mu?hsamen Wiederaufbauarbeiten bekommt es Oberkommissar Max Heller mit dem Fall eines 14-jährigen Jungen zu tun, dessen Todesursache völlig unklar ist. War es ein Unfall, Mord oder sogar Selbstmord? Heller stößt bei seinen Ermittlungen auf eine Wand des Schweigens und wird dabei mit seinem ganz persönlichen Albtraum konfrontiert ? den er längst vergessen geglaubt hatte.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423433549
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum22.06.2018
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.3
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.2530791
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

17. Juni 1948, Nachmittag

Heller blieb stehen und stellte seine Tasche ab, indem er sie zwischen seine Beine klemmte. Bis auf ein paar spielende Kinder war er zwar allein auf der Plattleite, doch man wusste nie, ob nicht einer der Burschen ihm die Tasche stehlen und damit über den steilen, sandsteingepflasterten Weg abhauen würde. Heller hätte keine Chance, ihn zu schnappen.

Vorsichtig legte Heller den kleinen Blumenstrauß auf die steinerne Mauer, die den Weg begrenzte. Die Blumen, bei einer vormittäglichen Dienstfahrt am Wegesrand gepflückt, ließen bedenklich ihre Köpfe hängen. Selbst in einer schönen Vase würden sie ein trauriges Bild abgeben. Trotzdem warf er sie nicht weg, weil er hoffte, dass allein die Geste seiner Frau Freude bereiten würde.

Er zog ein Taschentuch aus seiner Jackentasche, hob die Schiebermütze an und wischte sich über die Stirn. Missbilligend betrachtete er die dunkelroten Staubränder auf dem karierten Stoff. Es war nicht zu ändern. Der Staub war allgegenwärtig. Er faltete das Tuch zusammen und steckte es wieder ein.

Er hatte sich heute extra Zeit genommen und das Dienstende eine Stunde vorgezogen, um dann einen weiten Umweg zu gehen, am Königsufer entlang. Er wollte Karin überraschen, doch er hatte seine Frau nicht gefunden. Nun war aus der Vorfreude eine leise Qual geworden, ein überlanger Spaziergang durch die beinahe hochsommerliche Hitze.

Unterhalb von ihm, auf der Schillerstraße, klapperten Pferdehufe, ratterten hölzerne Räder auf dem Kopfsteinpflaster und quietschten ungeschmierte Radlager.

Heller öffnete die Tasche, nahm seine blecherne Trinkflasche heraus, schüttelte sie skeptisch, schraubte den Deckel auf und trank den dürftigen Rest in einem Zug. Auch dies nicht mehr als eine Geste an seinen Körper. Aber der Weg nach Hause war nicht mehr weit, wenn auch sehr steil. Er musste trotzdem schmunzeln angesichts der Tatsache, dass er eine Sentimentalität nun mit brennenden Oberschenkelmuskeln und dem vertrauten giftigen Stechen im Fuß bezahlen musste.

Ehe er weiterging, warf er einen Blick auf die Stadt, doch die Blätter der Platanen, Linden und vor allem die Kastanien mit ihren weißen Blütenkerzen versperrten ihm die Sicht. Das Laub raschelte sommerlich leise im Wind, was aber nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass tausendfach das Klingen von Hämmern auf Ziegelstein wie ein hartnäckiger Tinnitus über der Stadt lag. Auf den Elbwiesen türmten sich Berge von Ziegeln, die dort von Putz und Mörtel gesäubert, dann gestapelt und zum Bau wieder abtransportiert wurden. Es waren Gleise verlegt worden, auf denen von Dampfloks gezogene Lorenbahnen täglich Zehntausende Ziegelbrocken aus den Ruinen transportierten. Die mühselige, eintönige Arbeit wurde von Frauen verrichtet, die sich selbst Trümmerfrauen nannten. Obwohl es eine schier endlose Aufgabe war, waren die Frauen meist fröhlich, denn was sie taten, erfüllte einen Zweck. Und das war es doch, worauf es ankam in diesen Zeiten. Sie sangen, erzählten sich derbe Witze und machten sich lustig über die ihnen zugeteilten Männer, meistens Nazimitläufer, die ihre Strafe mit »Schippen« abdienen mussten. Viele der Frauen hatten noch immer kein richtiges Dach über dem Kopf, viele warteten auf ihre Ehemänner und Söhne und viele hatten alles verloren. Doch wenigstens konnten sie etwas tun, sie hatten eine Aufgabe und sahen den Erfolg, auch wenn es nur ein paar Dutzend Ziegel waren, die jede von ihnen am Tag putzte. So wuchsen doch die Stapel zu stattlicher Höhe.

Ein wenig beneidete Heller die Trümmerfrauen. Sie sahen wenigstens den Erfolg ihrer Mühen. Er dagegen musste sich Tag für Tag mit dem trüben Satz der Menschheit herumschlagen, mit Diebstahl, Plünderung, versuchtem Raub, schwerem Raub, Raub mit Totschlag und Mord aus Habgier. Selten genug war seine Arbeit erfolgreich, was vor allem an den wenigen jungen, unerfahrenen, eilig ausgebildeten Kriminalisten lag, die zur Verfügung standen, und an der Vielzahl der Delikte.

Doch heute war der Tag zu schön für solcherart Gedanken. Heller sammelte die Blumen von der Mauer wieder auf und ging weiter. Eigentlich hatte er die Standseilbahn benutzen wollen, doch der Andrang war so groß gewesen, dass er bestimmt eine Stunde oder länger auf eine Fahrt hätte warten müssen.

Wenig später bog er in den Rißweg ein und ging die letzten hundert Meter bis zum Haus von Frau Marquart, in deren Haus sie seit Februar fünfundvierzig untergekommen waren, nachdem sie in der Bombennacht ihre Wohnung mit allem Hab und Gut verloren hatten. Für einige Sekunden hielt er sich am Gartentor fest, um wieder zu Atem zu kommen. Die alte Dame war immer sehr besorgt um ihn und vermutete hinter jeder kleinen Schwäche gleich einen Herzinfarkt.

»Vati!«, rief da eine helle Stimme, und ein kleines blondes Mädchen von ungefähr vier Jahren kam um das Haus gesaust. Heller öffnete das Tor, stellte schnell seine Tasche ab, fand aber keine Gelegenheit, die Blumen in Sicherheit zu bringen. Er fing das Kind auf, hob es hoch und ließ es auf seinem Unterarm sitzen. Das Mädchen schlang ihm die Arme um den Hals.

Im selben Augenblick erschien Frau Marquart und versuchte mit gespieltem Ärger, Heller die vermeintliche Last abzunehmen. Doch diese erwies sich als widerspenstig und umklammerte Heller.

»Lassen Sie nur«, lachte Heller und übergab ihr stattdessen die Blumen, die Frau Marquart mit skeptischem Blick entgegennahm.

»Da hätten Sie aus unserem Garten schönere haben können.«

»Die wären aber eben aus dem Garten gewesen«, erwiderte Heller und stupste dem Mädchen die Nase. »Anni, sag guten Tag.«

»Guten Tag«, sagte das Mädchen ernst.

»Ist Karin zu Hause?«

Anni schüttelte den Kopf.

»Warst du brav heute?«

Sie nickte stumm.

»Warst du Frau Marquarts Heinzelmännchen?«

»Ja, das war sie«, kam Frau Marquart dem Mädchen zuvor. »Schuhe hat sie geputzt.«

Heller warf Frau Marquart einen bittenden Blick zu. Er wollte das Mädchen, das sich viel zu selten äußerte und beängstigend oft in seiner eigenen Welt versunken schien, selbst zum Sprechen bringen.

»Schuhe hast du geputzt? Aber meine sind noch ganz staubig.« Heller sah demonstrativ nach unten, und Anni folgte seinem Blick. Sie dachte kurz nach und lächelte dann, weil sie ihn durchschaut hatte. Aber sie sagte kein Wort.

»Es liegt ein Paket auf der Post«, unterbrach Frau Marquart die Stille. »Man wollte es mir aber nicht aushändigen«, fügte sie vorwurfsvoll hinzu.

»Das ist so bei Auslandspaketen«, beschwichtigte Heller die alte Dame, ärgerte sich aber insgeheim auch über sie. So oft hatte er ihr die Zusammenhänge schon erklärt. Bestimmt hatte Erwin wieder ein Paket aus Köln über Schweden geschickt, weil die Sowjets solche Pakete nicht öffneten. Es kam genau zur rechten Zeit. Eine Woche schon war seine Pajok überfällig.

Heller setzte das Kind ab. »Anni, magst du mit mir zur Post gehen, das Paket holen?«, fragte er und Anni nickte.

»Sag doch mal Paket . Tu´s für mich«, bat er das kleine Mädchen.

Anni sah ihn mit großen Augen an und flüsterte etwas. Heller musste sich weit zu ihr hinunterbeugen, um etwas zu verstehen. Dann lächelte er.

»Wenn Sie zurück sind, müssen die Beete noch gegossen werden«, trompetete Frau Marquart. Heller hatte den Eindruck, sie torpedierte unbewusst immer wieder seine Bemühungen, Anni zum Reden zu bringen. Er seufzte. Seine Vermieterin war subtilen Botschaften gegenüber noch nie empfänglich gewesen. Jetzt hielt er Anni die Hand hin. Das Mädchen ergriff seinen Zeigefinger, und einträchtig liefen sie in Richtung der Bautzner Straße, in der sich die Poststelle befand.

 

Es war noch hell, als Karin am Abend nach Hause kam.

»Mutti!«, rief Anni, die schon gewaschen und im Nachthemd war, und rannte die Treppe hinunter. Karin kam gar nicht dazu, ihr Kopftuch abzubinden. Sie nahm die Kleine in die Arme und küsste sie.

Heller war hinter Anni die Treppe hinuntergekommen, hielt eine Hand auf dem Rücken und begrüßte seine Frau mit einem Kuss. »Es ist wieder ein Paket von Erwin gekommen.«

»Dieser gute Junge«, freute sich Karin.

»Ach, übrigens: Alles Gute zum Hochzeitstag«, murmelte Heller. Er zog die Hand hinter dem Rücken hervor und reichte Karin die beinahe schon verwelkten Blumen.

Karin konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, ließ das Mädchen hinunter und nahm den kümmerlichen kleinen Strauß entgegen. »Wie lieb von dir, Max. Ich stell sie aber lieber schnell zurück in die Vase.«

»Ich wollte dich besuchen heute, aber ich habe dich nicht gefunden.«

Karin sah Anni nach, die in die Küche lief, und wandte sich dann an ihren Mann. »Dann hast du mich übersehen. Du hättest einfach rufen sollen.«

Heller schwieg peinlich berührt. Er hatte ja gerufen, aber hatte von den anwesenden Frauen nur Spott geerntet. Kariiinchen, Kariiinchen, hatten sie ihn nachgeäfft.

Karin zog sich das Kopftuch vom Haar und schüttelte es durch die offene Haustür aus. »Sie suchen schon nach Freiwilligen für die Ährenlese. Und Vroni meinte, es würde wieder ein so trockener Sommer werden wie letztes Jahr. Ihr Mann kam gerade von seiner Delegiertenreise zurück. Er sagt, im Westen hätten alle satt zu essen, es gäbe keinen Hunger mehr.«

Heller mochte so etwas nicht hören. Selbst wenn es so war, was nützte das Gerede? »Bestimmt hat man ihnen absichtlich immer nur das Beste vorgesetzt.«

»Da magst du recht haben.« Karin zog sich die schweren Schuhe aus und dehnte ihren Rücken. Heller strich ihr fürsorglich über den Arm, nahm dann ihre Hand...
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