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Welche Grenzen brauchen wir?

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am12.10.20201
Kein anderes Thema hat die europäische Politik in den letzten Jahren so beeinflusst wie die Debatte um Geflüchtete, Asyl und Migration. Dabei wird die Diskussion dominiert von Schlagworten, falschen Tatsachenbehauptungen und Scheinlösungen. Gerald Knaus erklärt in seinem Buch, worum es tatsächlich geht, und zeigt, dass humane Grenzen möglich sind. Der Migrationsexperte, dessen Analysen Regierungen in ganz Europa beeinflusst haben, erklärt, welche Grundsatzprobleme wir dafür lösen müssten und warum seine Ideen mehrheitsfähig und umsetzbar sind.

Gerald Knaus ist Gründungsdirektor der Denkfabrik European Stability Initiative (ESI). Er ist ein international bekannter Experte und berät Regierungen und Institutionen in Europa bei den Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. Er studierte Philosophie, Politik und Internationale Beziehungen in Oxford, Brüssel und Bologna, ist Gründungsmitglied des European Council on Foreign Relations und war für fünf Jahre Associate Fellow am Carr Center for Human Rights Policy der Harvard Kennedy School - John F. Kennedy School of Governance in den USA. Gerald Knaus lebt in Berlin.
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Produkt

KlappentextKein anderes Thema hat die europäische Politik in den letzten Jahren so beeinflusst wie die Debatte um Geflüchtete, Asyl und Migration. Dabei wird die Diskussion dominiert von Schlagworten, falschen Tatsachenbehauptungen und Scheinlösungen. Gerald Knaus erklärt in seinem Buch, worum es tatsächlich geht, und zeigt, dass humane Grenzen möglich sind. Der Migrationsexperte, dessen Analysen Regierungen in ganz Europa beeinflusst haben, erklärt, welche Grundsatzprobleme wir dafür lösen müssten und warum seine Ideen mehrheitsfähig und umsetzbar sind.

Gerald Knaus ist Gründungsdirektor der Denkfabrik European Stability Initiative (ESI). Er ist ein international bekannter Experte und berät Regierungen und Institutionen in Europa bei den Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. Er studierte Philosophie, Politik und Internationale Beziehungen in Oxford, Brüssel und Bologna, ist Gründungsmitglied des European Council on Foreign Relations und war für fünf Jahre Associate Fellow am Carr Center for Human Rights Policy der Harvard Kennedy School - John F. Kennedy School of Governance in den USA. Gerald Knaus lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492994002
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum12.10.2020
Auflage1
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse9018 Kbytes
Artikel-Nr.5352522
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Warum dieses Buch?

2019 kamen insgesamt etwa 100 000 Menschen irregulär über das Mittelmeer in die Europäische Union. Das sind im Durchschnitt 280 Menschen am Tag. Sind das zu viele? Werden es bald sehr viel mehr sein? Soll man sie stoppen, und welche Maßnahmen sind dabei erlaubt? Wer hat das Recht oder die Pflicht, dies zu entscheiden? Es sind diese Fragen, die in diesem Buch beantwortet werden sollen.

Die Zeit drängt, denn an den Außengrenzen Europas herrscht heute ein Ausnahmezustand. Es gibt Gesetze, die festlegen, was Grenzbeamte an Grenzen tun müssen und dürfen; es gibt Standards, die bestimmen, wie Asylsuchende untergebracht und behandelt werden müssen. Doch diese Gesetze und Standards werden täglich gebrochen. Selbst der Kern des internationalen Flüchtlingsschutzes wird regelmäßig verletzt: das Verbot, Menschen zurückzustoßen, die an Grenzen aufgegriffen werden. Es droht das Ende einer Ära, die vor 70 Jahren mit der Annahme der Europäischen Menschenrechtskonvention im Jahr 1950 und der Genfer Flüchtlingskonvention 1951 begann.

Die Grundlage der moralischen Neugründung Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg war die Ausrichtung staatlicher Politik an der Menschenwürde jedes Einzelnen. Sie findet sich in Artikel 1 des Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt«, wie auch in Artikel 1 der Charta der Grundrechte der EU: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.« Dazu schrieb der deutsche Rechtsphilosoph Günter Dürig 1956 in einem einflussreichen Aufsatz: »Die Menschenwürde als solche ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.« Der Staat hat die Verpflichtung, die »Degradierung des Menschen zum Ding«, das «abgeschossen«, »ersetzt«, »ausgesetzt« (vertrieben) werden kann, zu verhindern.[1]

Doch welchen Wert hat dieser Grundsatz heute in den Gewässern zwischen Libyen und Italien, auf dem Balkan, in der Ägäis? Noch vor wenigen Jahren retteten Schiffe der Marine und Küstenwache von EU-Staaten Hunderttausende Menschen vor dem Ertrinken im zentralen Mittelmeer. Dann wurde die staatliche Seenotrettung fast gänzlich eingestellt und die private Seenotrettung behindert. Das Ergebnis ist dramatisch. Vor Malta treiben wieder Boote mit Migranten, die Hilferufe wie diesen aussenden: »Wir sind so müde, die Situation ist die Hölle. Das Boot hat viel Luft verloren, Wasser kommt rein. Wir sterben. Bitte rettet uns.«[2] Selbst solche Rufe werden tagelang ignoriert und so unzumutbare Risiken für Menschen in Seenot in Kauf genommen. Seit Jahren arbeitet die Europäische Union mit libyschen Institutionen zusammen, die Menschen in Lager des Bürgerkriegslands bringen, in denen sie misshandelt werden. Anfang März 2020 schossen griechische Beamte an der griechisch-türkischen Landgrenze auf Migranten, die den Grenzfluss zur Türkei Richtung Griechenland überqueren wollten. Heute finden sogenannte Push-Backs an vielen Landgrenzen in Europa regelmäßig statt. In Aufnahmelagern an Europas Grenzen, wie auf den griechischen Inseln in der Ägäis, tolerieren europäische Regierungen Zustände, die wir in den ärmsten Staaten der Welt für inakzeptabel halten würden.

Die Gesellschaft gewöhnt sich an den permanenten Gesetzesbruch, und auch die Nichtregierungsorganisationen wirken ratlos. Ihre Instrumente - die Öffentlichkeit durch das Schaffen von Aufmerksamkeit für menschliches Leid zu beschämen, internationale Gerichte einzuschalten - konnten den Trend in den letzten Jahren nicht stoppen. Politiker in der EU erklären offen, Grenzschutz ohne »hässliche Bilder«, ohne die Bereitschaft zur Abschreckung sei Träumerei.

Dieses Buch richtet sich an Leserinnen und Leser, die davon überzeugt sind, dass es möglich sein muss, an Europas Grenzen Kontrolle mit Respekt für Menschenwürde zu verbinden. Es ist für jene, die der Gedanke an fast 18 000 Männer, Frauen und Kinder, die in nur fünf Jahren im Mittelmeer ertrunken sind, und an Kinder, die im Winter in Zelten auf einer Insel in der Ägäis frieren, nicht loslässt. Es ist für Europäerinnen und Europäer, die sich ein Grenzregime wünschen, das Kontrolle mit Menschlichkeit verbindet und dabei den Kern der Genfer Flüchtlingskonvention verteidigt: das Gebot der Nichtzurückweisung von Schutzsuchenden. Und die gleichzeitig ernst nehmen, dass man in Demokratien Mehrheiten erringen und verteidigen sowie in der EU andere Staaten mit Argumenten überzeugen muss, um Politik gestalten zu können. Es ist für jene, die das Feilschen um die Verteilung kleiner Gruppen, die aus Seenot gerettet wurden, für unwürdig halten. Und die doch verstehen wollen, wie es dazu kam, dass noch nie zuvor so viele Menschen im Mittelmeer ertranken wie in jenem Jahr, in dem es so viele Seenotrettungen durch europäische Schiffe gab wie nie zuvor.

Es ist ein Buch für Leser und Leserinnen, die sich auf der Grundlage solider Fakten und Erfahrungen selbst eine Meinung darüber bilden wollen, welche Möglichkeiten wir haben. Und die sich auf die Suche nach Argumenten machen, um zunächst sich selbst und dann andere zu überzeugen.

Die meisten Menschen sind weder Monster noch Engel, weder empathielose Psychopathen noch Märtyrer. Sie sind empathisch, doch ihre Empathie ist nicht grenzenlos. Sie bevorzugen durchlässige Grenzen, solange sie sich sicher fühlen, und geschlossene Grenzen, sobald sie um sich oder ihre Lieben Angst haben. Sie sind durchaus bereit, Menschen in Not zu helfen, wollen dabei aber nicht die Kontrolle verlieren. Doch sie gewöhnen sich auch an Bilder des Leidens in der Ferne, an den Horror in Syrien, im Jemen, im Südsudan, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass bestimmte Dinge nicht zu ändern sind.

Die meisten Menschen wollen Politiker, die versuchen, ihre Werte und Interessen zusammenzubringen, und eine Politik, die Empathie und Kontrolle verspricht. Und wenden sich von jenen ab, die ihnen schwach oder heuchlerisch vorkommen. Erscheinen Regierende rat- und planlos, schlägt die Stunde entschlossener Demagogen. Wer ihnen entgegentreten will, braucht mehr als gute Absichten und moralische Entrüstung. Die erfolgreichsten unter den Demagogen sind wie Judokas, die die ungestüme Energie ihrer Gegner von vornherein für ihren Gegenangriff einplanen. Sie beherrschen das Spiel mit Emotionen und entwickeln packende Geschichten, in denen es um Heerscharen von Einwanderern geht, um Eroberer und Invasionen, um Kontrollverlust und das Verschwinden unserer Welt. Und sie werden nicht müde, diese Geschichten immer wieder aufs Neue zu erzählen.

Beim Suchen nach Lösungen sind aber weder Angst noch Empathie gute Ratgeber. Für erfolgreiche Politik braucht es kritisches Denken, Fakten, Zahlen. Und eine klare Sprache, Konzepte und Begriffe, die uns helfen, Handlungsoptionen zu verstehen. Doch an diesen fehlt es heute. Immer wieder hören wir Behauptungen, die der Suche nach umsetzbaren Vorschlägen im Weg stehen, auch wenn sie zunächst plausibel klingen. Es sind unzutreffende Aussagen wie diese:
Migration ist wie Wasser in kommunizierenden Röhren: Irreguläre Migration lässt sich nicht stoppen, nur umleiten.
Die demografische Entwicklung Afrikas und die Effekte des Klimawandels erhöhen den Migrationsdruck: Dies führt zwangsläufig zu mehr irregulärer Migration aus Afrika nach Europa.
Wirtschaftliche Entwicklung führt zu mehr irregulärer Migration: Wenn Länder wohlhabender werden, können sich mehr Menschen Migration leisten.
Seenotretter verursachen einen Pull-Effekt: Um das Sterben im Mittelmeer zu beenden, muss man die Seenotretter abziehen.
Mehr Seenotretter bedeuten weniger Tote im Mittelmeer: Um zu verhindern, dass Tausende sterben, brauchen wir vor allem mehr Seenotretter vor Ort.
Um Migration zu bewältigen, muss Europa gemeinsam vorgehen: Nationale Alleingänge und kleine Koalitionen williger Mitgliedsstaaten schwächen die Europäische Union.
Das Dublin-System der Europäischen Union ist ungerecht: Es geht zulasten der Mittelmeerländer. Fair wäre es, eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen auf die gesamte EU vorzunehmen.
Mehr Grenzschützer können Migration reduzieren: Um irreguläre Migration an den EU-Außengrenzen zurückzufahren, brauchen wir dringend einen Ausbau von Frontex (Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache).
Die deutsche Grenzöffnung war vermeidbar: Angela Merkel hätte die deutsche Grenze im September 2015 auch wieder schließen können, denn dafür gab es einsatzbereite Pläne.
Den Europäern fehlt es an Empathie: Europa schottet sich ab, und als Folge daraus werden die meisten Flüchtlinge von armen Ländern aufgenommen.

 

Ich möchte in diesem Buch jede dieser zehn Behauptungen infrage stellen und auch die Konzepte und Begriffe dahinter - Migrationsdruck, legale Wege, Externalisierung, Grenzöffnung, Pull-Effekt - prüfen. Je schneller wir in unserem Denken über Grenzen und Migration Metaphern aus der Hydraulik hinter uns lassen, desto rascher finden wir zu einer lösungsorientierten Debatte. Wir brauchen eine Migrationsdebatte, die genau hinsieht, was Menschen auf beiden Seiten von Grenzen wirklich bewegt. Wer macht sich wann und wo auf den Weg? Welche Gruppe wird in welcher Gesellschaft wie wahrgenommen? Welche Instrumente und Ressourcen gibt es, welche Institutionen und wie viele Beamte sind notwendig, um unsere gesetzlichen Selbstverpflichtungen, etwa das Versprechen auf faire Asylverfahren, auch zu erfüllen? Je eher wir genau hinsehen, desto schneller finden...
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Autor

Gerald Knaus ist Gründungsdirektor der Denkfabrik European Stability Initiative (ESI). Er ist ein international bekannter Experte und berät Regierungen und Institutionen in Europa bei den Themen Flucht, Migration und Menschenrechte. Er studierte Philosophie, Politik und Internationale Beziehungen in Oxford, Brüssel und Bologna, ist Gründungsmitglied des European Council on Foreign Relations und war für fünf Jahre Associate Fellow am Carr Center for Human Rights Policy der Harvard Kennedy School - John F. Kennedy School of Governance in den USA. Gerald Knaus lebt in Berlin.