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Blumenfresser

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
860 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am19.08.20131. Auflage
Zwei Menschen sind in ihrer zugenagelten Wohnung verhungert: ineinander verschlungen liegen sie in einem mit Blumen vollgestopften Zimmer. Draußen tritt die Theiß über die Ufer, reißt die Behausungen der geflohenen Juden, Armenier und Serben mit sich fort und zerstört in einer Jahrhundertflut Szeged, die Stadt im Südosten des Habsburger Reichs. Bei den Toten handelt es sich um Klara Pels?czy, eine leidenschaftliche, ungefügige Frau, die drei Männer liebt und 'mit dem Fußabdruck eines Engels auf der Hand' zur Welt kam; und um den Naturhistoriker Imre Schön, der nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848 sieben Jahre im Gefängnis saß: ein Vortrag über Blumenfresser wurde ihm zum Verhängnis. In apokalyptischen und phantastischen Szenarien erzählt László Darvasi von Liebe und Gewalt in Mitteleuropa. Sein von surrealen Episoden durchsetzter Roman, im Jahrhundert der Freiheitsbewegungen angesiedelt, kennt neben der menschlichen und kreatürlichen Welt eine zarte und gefahrvolle Sphäre des Traums und des hellsichtigen Irrsinns, die man nach dem Verzehr von Blumen betritt.


László Darvasi, 1962 in Törökszentmiklós geboren, war Lehrer und debütierte mit Gedichten und Kurzprosa. Spätestens seit seinem Roman Die Legende von den Tränengauklern (1999; dt. 2001) gilt der vielfach ausgezeichnete Autor als einer der originellsten Schriftsteller seiner Generation. Er lebt in Budapest.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR28,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR23,99

Produkt

KlappentextZwei Menschen sind in ihrer zugenagelten Wohnung verhungert: ineinander verschlungen liegen sie in einem mit Blumen vollgestopften Zimmer. Draußen tritt die Theiß über die Ufer, reißt die Behausungen der geflohenen Juden, Armenier und Serben mit sich fort und zerstört in einer Jahrhundertflut Szeged, die Stadt im Südosten des Habsburger Reichs. Bei den Toten handelt es sich um Klara Pels?czy, eine leidenschaftliche, ungefügige Frau, die drei Männer liebt und 'mit dem Fußabdruck eines Engels auf der Hand' zur Welt kam; und um den Naturhistoriker Imre Schön, der nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848 sieben Jahre im Gefängnis saß: ein Vortrag über Blumenfresser wurde ihm zum Verhängnis. In apokalyptischen und phantastischen Szenarien erzählt László Darvasi von Liebe und Gewalt in Mitteleuropa. Sein von surrealen Episoden durchsetzter Roman, im Jahrhundert der Freiheitsbewegungen angesiedelt, kennt neben der menschlichen und kreatürlichen Welt eine zarte und gefahrvolle Sphäre des Traums und des hellsichtigen Irrsinns, die man nach dem Verzehr von Blumen betritt.


László Darvasi, 1962 in Törökszentmiklós geboren, war Lehrer und debütierte mit Gedichten und Kurzprosa. Spätestens seit seinem Roman Die Legende von den Tränengauklern (1999; dt. 2001) gilt der vielfach ausgezeichnete Autor als einer der originellsten Schriftsteller seiner Generation. Er lebt in Budapest.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518735596
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum19.08.2013
Auflage1. Auflage
Seiten860 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1295826
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
11. März 1879

Herr Schütz steht im Wasser, graue Wellen lecken an seinen Schuhen. Ein Soldat im Pelz späht von der Eisenbahnbrücke, er betrachtet dasselbe wie alle, den bedrohlichen Fluss. Die Theiß spielt Ozean, die Stadt ist zur Insel geworden, inmitten eines Wasserspiegels, der mit dem Himmel verschmilzt. Der Doktor krächzt in den Wind, lacht heiser, sein Schal flattert und flattert. Den Lodenmantel hat er wie gewöhnlich falsch geknöpft, seine schneefarbenen Haare sind vom Wind verstrubbelt, sie kleben an der rosigen Kopfhaut. In der Nähe packen Soldaten Kisten und Säcke, andere sind auf dem Damm mit den Zelten beschäftigt, starke junge Männer, seit Tagen ohne Schlaf, zermürbt, gereizt, mit geröteten Augen und zentnerschwerer Müdigkeit auf den Schultern.

Was haben Sie gesagt, Herr Schütz?!

Was krakeelen Sie da, sehen Sie wieder nichts?

Blind, blind ist er, aber schon wieder hat er hertorkeln müssen!

Der Alte schnuppert in den Wind. Gleich läuft sie über, gleich sind wir klatschnass!

Die Theiß wird nicht überlaufen, Herr Schütz!

Sie begräbt alles unter sich, auch dich, Dummkopf!, kreischt der alte Mann.

Sie sind eine alte Krähe, Herr Schütz! Ein Unheilsbote! Bringt mich nach Hause!, befiehlt der Alte, als besäße er auch nur ein Fünkchen Autorität.

Wohin, Herr Schütz, wohin?!

Ihr seid Hornochsen, ihr ertrinkt!

Herr Berger, Herr Berger!, rufen die Burschen, der alte Idiot hier schnappt mal wieder über. Ohne eine Antwort abzuwarten, bugsieren sie ihn den Damm hinunter. Doch dann dauert es ihnen zu lange, sie heben ihn wie ein Kissen in die Höhe und tragen ihn.

Wie alt sind Sie, Herr Schütz?

Doppelt so alt wie dein bescheuerter Großvater!

Setz den verrückten Alten in den Schlamm, soll er seine Faxen machen mit wem er will!

Na, Herr Schütz, wie ist es dort unten?

Kalt, stammelt der Alte, mir ist kalt! Er hockt tatsächlich im Schlamm.

Wissen Sie immer noch nicht, wie alt Sie sind?

Woher denn, wenn ich mich nicht erinnere?!

Unsinn! Man weiß immer, wie viele Jahre man sich unter dem Himmel abgestrampelt hat! Schön aufpassen, ich hebe Sie wieder hoch, dass Sie sich nicht einscheißen!

Hört mal her, ihr Taugenichtse, es gibt Geschichten, die in dem Augenblick enden, in dem sie begonnen werden, aber beginnen, sobald sie zu Ende gehen!

Klar, Herr Schütz, für Sie ist es sicher gleich zu Ende!

Aber dann beginnt es unten in der Erde!, lachen die Burschen.

Der alte Mann schreit, dass der Speichel spritzt: Man erschafft keine Legenden, um dann an ihnen zugrunde zu gehen!

Die Legenden leben, sie leben!

Schnauze, Schütz, oder wir werfen Sie weg wie ein Stück Holz!

Der Alte hört nicht auf, wird aber immerhin leiser.

Ach so, ich bitte euch, natürlich plündern und morden die Legenden! Doch wen eine Legende ausplündert, der wird von einer anderen belohnt. Wen eine Legende umbringt, den lässt eine andere wiederauferstehen! Ist es nicht so, ihr mittelprächtigen Hurensöhne, ihr Taugenichtse!?

Die Burschen murren, doch sie tragen den Alten wie ein Neugeborenes. Herr Schütz hat kein Gewicht, der ganze Mann besteht nur noch aus ein paar klappernden Knochen, schlabbernder Haut und gellendem Geschrei.

Nun erreichen sie das Haus im Palánkviertel, wo er wohnt, in der Nachbarschaft von getauften Juden, Armeniern und Serben, doch die Häuser sind jetzt stumm, wer hier gewohnt hat, ist geflohen oder fortgezogen oder hat seine Familie in der Burg in Sicherheit gebracht. Die jungen Männer mühen sich mit dem riesigen Schloss ab, einer sieht sich um, schnüffelt, schüttelt den Kopf, sein Kamerad, der Versuche überdrüssig, tritt das Tor ein. Der Alte brabbelt unablässig.

Ich sage euch doch, wir sind verloren!

Das scheint Sie zu freuen, Herr Schütz!

Flieht, Jungs! Ich zeige euch den Weg!, gestikuliert der Alte.

Halten Sie die Schnauze, sonst lassen wir Sie hier sitzen!

Die Männer drängen sich in den Korridor und trauen ihren Augen nicht.

Was ist das für ein Tohuwabohu?!

Ihr seid doch nicht etwa blind?, kichert der Alte.

Natürlich nicht! Was wir sehen: Kisten, Kartons, seltsame Säcke!

Im Korridor stapeln sich unzählige Holzkisten, kleinere aus Fichtenholz, gewaltige, angestrichene Reisekästen, Säcke, Kisten mit Schlössern, auf allen prangen Aufkleber, sie sind aus den verschiedensten Gegenden Europas eingetroffen, aus Wien, Amsterdam, Paris, London, Berlin, Moskau und Sarajevo. Die Kisten verbreiten einen stickigen Geruch. Die Burschen erinnern sich, den Geruch haben sie schon auf der Straße bemerkt, und als sie den alten Herrn auf die Beine stellen, wird ihnen fast schwindlig!

Was sind das für Machenschaften, Herr Schütz?!

Spielen Sie ein geheimes Spiel?!

Ist das eine Verschwörung?!

Raub, Plünderung vor einer Katastrophe?!

Der Alte lacht nur zufrieden in sich hinein!

Ich, Gustav Schütz, Doktor der Medizin, glaube nicht, dass man vor den Tatsachen kuschen muss!

Schon recht, kuschen Sie nicht! Sehen Sie nun was oder nicht?!

Wer hat gesagt, dass ich blind bin?! Ich sehe immer!

Lieber Himmel, er hat uns zum Narren gehalten!

Er sieht, er sieht nicht, egal! Wir haben ihn nach Hause gebracht, da ist er jetzt!

Schön hierbleiben, Herr Schütz!

Der Alte steht schwankend auf einer Holzkiste und schwingt Reden, die Bretter ächzen unter seinen Füßen.

Schnauze, Herr Schütz, es ist besser für alle, wenn Sie nichts mehr sagen! Kommen Sie da runter! Holt ihn doch runter!

Versteht irgendwer, was er da quatscht?!

Sie können ihn nicht allein lassen, nicht einfach die Tür hinter sich zuschlagen, sie holen ihn von der Kiste, stoßen ihn auf einen Stuhl, dass es kracht, und zischen sich über seinem Kopf etwas zu, die starken Fäuste geballt, am liebsten würden sie losschlagen, denn ihnen ist das Ungeheuerliche wieder eingefallen.

Was für eine haarsträubende Geschichte!

Viele Leute glauben, der Doktor habe zwei Menschen auf dem Gewissen, der wunderliche Pflanzenforscher und seine Frau seien vor ein paar Tagen seinetwegen zugrunde gegangen, seinetwegen seien Imre und Klara Schön in ihrer verschlossenen Wohnung buchstäblich verhungert. In dem verfluchten Zimmer, Tür und Fenster waren von innen vernagelt, hatten sie einander umarmt, einander verschlungen. Kein Wunder, dass die Leute reden. Das Sterbezimmer war ein Blumenzimmer gewesen, vollgestopft mit allen möglichen Pflanzen, sich rankenden Gewächsen und Trieben! Ein mörderisches Gewächshaus! Klara Pels?czy und Imre Schön hatten bunte Nägel verwendet! Bemalte kleine Haken, gebogene Nägel, Bauklammern und gestrichene Leisten verhinderten das Eindringen des Lichts, verdeckten Spalten und Ritzen, damit nichts und niemand sie stören konnte, weder menschliche Hilfe noch ein neugieriger Lichtstrahl.

Und der Doktor hat beim Tod des Ehepaars mitgeholfen!

Er hat über die Anschuldigungen nur gelacht!

Stimmt es, dass Sie sich mit Leichen unterhalten, Herr Schütz?!

Stimmt es, dass Sie verrückte Tote zum Leben erwecken wollen?!

Der alte Idiot, der senile Verrückte hat zugelassen, dass ihre Zeit ablief! Statt Hilfe zu holen, einen Schlosser, eine Amtsperson, statt einen richtigen Arzt aufzutreiben, hat er nur an der vernagelten Zimmertür gehorcht, um dann tagelang in der Stille des Leichengeruchs zu hocken.

Geben Sie zu, dass es so war, alter Kurpfuscher!

Totenvogel, Totenvogel!

Ach, Kinder, ach, Kinder, ich höre sie, ich höre sie immer noch! Der alte Mann schneuzt sich.

Was hören Sie, alter Affe?!

Sie waren Spitzel, nicht wahr?!

Und weil er aufzustehen versucht, wird er in den Lehnstuhl gestoßen, dass er aufstöhnt.

Er schüttelt den Kopf, der Rotz tropft ihm auf die Jacke.

Genau, ein Schnüffler, das hat auch mein Vater gesagt!

Müssen Sie ein widerliches Leben gehabt haben, Herr Schütz!

Schlagen wir den alten Gauner tot!

Hängen wir ihn auf, damit er niemandem mehr schaden kann!

Es sind viele, und es scheinen immer mehr zu werden, Füße trappeln, die Burschen überschreien einander, als wollten sie die Angst übertönen, sie sind betrunken, sie haben den restlichen Wein gefunden, den Palinka geleert und die Gläser weggeworfen. Schließlich schlagen sie den Alten. Von wegen blind! Sie packen ihn beim Kragen, schlagen seinen Kopf gegen die Tischplatte.

Da hast du deine Legende, Schütz!

Sie stoßen ihn zu Boden, treten ihn, spucken ihn an. Die Männer reißen die Kisten auf, und weil sie nichts Wertvolles finden, schleudern sie die Deckel gegen die Wand, dass sie zerbersten. Sie fordern Schmuck und Geld; erst langsam dämmert ihnen, dass Herr Schütz absolut nichts besitzt.

Der alte Mann kriecht auf allen vieren, er winselt und bellt sie an. Schon wollen sie ihn aufhängen, da stocken ihre Bewegungen. Das Entsetzen hat sie gepackt, es fährt ihnen ins Mark. Sie weichen zurück bis zur Schwelle und klammern sich an Klinke und Türstock. Der alte Mann hat sich aufgerichtet und ist, gleich einer fürchterlichen Weltmühle, in ein homerisches, knirschendes Gelächter ausgebrochen, der kümmerliche Leib gibt Laute von sich wie das Himmelsgewölbe selbst, wenn es einstürzt, wie das Gesicht der Erde, wenn ein Riss aufklafft.

Ich höre sie, auch...
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Autor

László Darvasi, 1962 in Törökszentmiklós geboren, war Lehrer und debütierte mit Gedichten und Kurzprosa. Spätestens seit seinem Roman Die Legende von den Tränengauklern (1999; dt. 2001) gilt der vielfach ausgezeichnete Autor als einer der originellsten Schriftsteller seiner Generation. Er lebt in Budapest.