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Porträt in Sepia

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
582 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am06.07.20151. Auflage
Aurora del Valle, aufgewachsen im pompösen Haus ihrer Großmutter, hat eine bewegte Kindheit und Jugend zwischen dem Europa der Belle Époque, Kalifornien und Chile hinter sich. Je mehr sie aber von der Welt kennenlernt, umso deutlicher wächst in ihr das Bedürfnis, aus eigener Kraft zu leben. Eine Kamera, die sie als Kind geschenkt bekommt, wird ihr zum Mittel der Suche nach ihrer persönlichen Wahrheit. Als sie auf einem Foto, das sie selbst gemacht hat, mit dem Verrat des Mannes konfrontiert wird, den sie liebt, entschließt sie sich, das Geheimnis ihrer Vergangenheit zu erforschen.


Isabel Allende, geboren 1942 in Lima, ist eine der weltweit beliebtesten Autorinnen. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. 2018 wurde sie - und damit erstmals jemand aus der spanischsprachigen Welt - für ihr Lebenswerk mit der National Book Award Medal for Distinguished Contribution to American Letters ausgezeichnet. Isabel Allendes gesamtes Werk ist im Suhrkamp Verlag erschienen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextAurora del Valle, aufgewachsen im pompösen Haus ihrer Großmutter, hat eine bewegte Kindheit und Jugend zwischen dem Europa der Belle Époque, Kalifornien und Chile hinter sich. Je mehr sie aber von der Welt kennenlernt, umso deutlicher wächst in ihr das Bedürfnis, aus eigener Kraft zu leben. Eine Kamera, die sie als Kind geschenkt bekommt, wird ihr zum Mittel der Suche nach ihrer persönlichen Wahrheit. Als sie auf einem Foto, das sie selbst gemacht hat, mit dem Verrat des Mannes konfrontiert wird, den sie liebt, entschließt sie sich, das Geheimnis ihrer Vergangenheit zu erforschen.


Isabel Allende, geboren 1942 in Lima, ist eine der weltweit beliebtesten Autorinnen. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. 2018 wurde sie - und damit erstmals jemand aus der spanischsprachigen Welt - für ihr Lebenswerk mit der National Book Award Medal for Distinguished Contribution to American Letters ausgezeichnet. Isabel Allendes gesamtes Werk ist im Suhrkamp Verlag erschienen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518743591
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum06.07.2015
Auflage1. Auflage
Seiten582 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1729413
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




Zweiter Teil







1880-1896




Es gibt ein Foto von mir, auf dem bin ich drei oder vier Jahre alt, das einzige aus jener Zeit, das die Wechselfälle des Schicksals und den Beschluß Paulinas, meine Herkunft zu verwischen, überlebt hat. Es ist ein abgegriffenes Stück Pappe in einem Reiserahmen, einem dieser alten Etuis aus Samt und Metall, die noch vor wenigen Jahrzehnten so modern waren und die heute niemand mehr benutzt. Auf dem Foto sieht man ein sehr kleines Wesen, zurechtgemacht wie eine chinesische Braut mit einer langen Tunika aus besticktem Satin und darunter einer Hose in einem anderen Ton; an den Füßen trägt es feine, auf weißen Filz gearbeitete Pantöffelchen, geschützt durch dünne Holzsohlen; das dunkle Haar ist zu einem für sein Alter zu großen Knoten aufgebauscht und wird von zwei dicken Nadeln aus Gold oder Silber gehalten, die eine kurze Blumengirlande verbindet. Das kleine Mädchen hat einen geöffneten Fächer in der Hand, und es könnte sein, daß es lacht, aber man kann die Gesichtszüge kaum erkennen, das Gesicht ist nur ein heller Mond und die Augen zwei schwarze Fleckchen. Hinter der Kleinen erkennt man das gewaltige Haupt eines Papierdrachen und die flimmernden Funken eines Feuerwerks. Das Foto wurde während der Feier zum chinesischen Neujahrsfest in San Francisco aufgenommen. Ich erinnere mich nicht daran und erkenne nicht das Kind auf diesem einzigen Bild.

Meine Mutter Lynn Sommers dagegen erscheint auf verschiedenen Fotos, die ich beharrlich und dank guter Verbindungen vor dem Vergessen gerettet habe. Vor einigen Jahren lernte ich in San Francisco meinen Onkel Lucky kennen und machte mich daran, alte Buchhandlungen und Fotoateliers zu durchforsten und nach Kalendern und Postkarten zu suchen, für die sie Modell gestanden hatte; hin und wieder bekomme ich heute noch welche geschickt, wenn Onkel Lucky sie irgendwo auftreibt. Meine Mutter war sehr hübsch, das ist alles, was ich über sie sagen kann, denn auch sie erkenne ich auf diesen Bildern nicht. Natürlich erinnere ich mich nicht an sie, schließlich starb sie, als ich geboren wurde, aber das Mädchen auf den Kalendern ist eine Fremde, ich habe nichts von ihr, es gelingt mir nicht, sie als meine Mutter zu sehen, nur als ein Spiel von Licht und Schatten auf dem Papier. Sie sieht auch nicht aus, als wäre sie die Schwester von Onkel Lucky, er ist ein kurzbeiniger, großköpfiger Chinese, sieht recht gewöhnlich aus, ist aber ein sehr guter Bursche. Ich ähnele mehr meinem Vater, habe seinen spanischen Typ geerbt; von der Rasse meines ungewöhnlichen Großvaters Tao Chi'en habe ich leider nur sehr wenig mitgekriegt. Wenn die Erinnerung an diesen Großvater nicht die klarste und dauerhafteste meines Lebens wäre, meine älteste Liebe, an der alle Männer scheitern, die ich gekannt habe, weil keiner von ihnen ihm gleichzukommen vermochte - ich würde nicht glauben, daß ich chinesisches Blut in den Adern habe. Tao Chi'en lebt immer in mir. Ich kann ihn vor mir sehen, hochgewachsen, würdevoll, immer untadelig gekleidet, grauhaarig, runde Brille und ein Blick voll grenzenloser Güte in seinen mandelförmigen Augen. Wenn ich sein Bild heraufbeschwöre, lächelt er immer, bisweilen höre ich ihn, wie er mir auf chinesisch etwas vorsingt. Er umgibt mich, begleitet mich, leitet mich, und das sollte, so wünschte er es von ihr, auch meine Großmutter nach seinem Tode tun. Es gibt eine Daguerreotypie von diesen beiden Großeltern aus der Zeit, als sie noch jung und noch nicht miteinander verheiratet waren: Sie sitzt auf einem Stuhl mit hoher Lehne, und er steht hinter ihr, beide nach dem amerikanischen Brauch von damals gekleidet, und sie blicken mit einem Hauch von Furcht frontal in die Kamera. Dieses Bild, das ich endlich aufspüren konnte, steht auf meinem Nachttisch und ist das letzte, was ich jeden Abend sehe, bevor ich das Licht lösche, aber ich hätte es gern in meiner Kindheit bei mir gehabt, als ich die Gegenwart dieser beiden Großeltern so nötig brauchte.

So weit ich zurückdenken kann, hat mich immer derselbe Alptraum gequält. Die Bilder dieses hartnäckigen Traums verfolgen mich dann Stunden hindurch und lasten auf meinem Tag und auf meiner Seele. Es ist immer die gleiche Abfolge: Ich gehe durch die leeren Straßen einer wildfremden Stadt an der Hand von jemandem, dessen Gesicht ich niemals erkennen kann, ich sehe nur die Beine und die Spitzen von glänzenden Schuhen. Plötzlich sind wir von Wesen in schwarzen Pyjamas umringt, die einen wilden Reigen tanzen. Ein dunkler Fleck, Blut vielleicht, breitet sich auf den Pflastersteinen aus, während der Ring der Tanzenden sich immer drohender um die Person schließt, die mich an der Hand führt. Sie kreisen uns ein, stoßen uns, zerren an uns, trennen uns; ich suche die befreundete Hand und finde nur Leere. Ich schreie stimmlos, falle geräuschlos und wache auf mit hämmerndem Herzen. Manchmal bleibe ich tagelang stumm, die Erinnerung an den Traum zehrt an mir, ich versuche, die Hüllen zu durchdringen, die das Geheimnis umgeben, um womöglich eine bislang unbemerkte Einzelheit zu entdecken, die mir den Schlüssel zu seiner Bedeutung liefert. An diesen Tagen schüttelt mich ein kaltes Fieber, mein Körper verschließt sich, mein Geist ist in einem eisigen Raum gefangen.

In diesem Zustand der Lähmung befand ich mich während der ersten Wochen im Hause Paulina del Valles. Ich war fünf Jahre alt, als sie mich zum Palais auf Nob Hill brachten, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, mir zu erklären, weshalb mein Leben plötzlich eine so dramatische Wende nahm, wo meine Großeltern Eliza und Tao waren, wer diese riesige, mit Juwelen behangene Dame war, die mich mit Tränen in den Augen von einem Thron aus beobachtete. Ich kroch so schnell ich konnte unter einen Tisch, und da blieb ich hocken wie ein geprügelter Hund, wie sie mir später erzählten. Zu jener Zeit war Williams der Butler der Rodríguez de Santa Cruz - wirklich schwer vorstellbar -, und ihm fiel am Tag darauf die Lösung ein: Er stellte das Essen für mich auf ein Tablett, an dem eine Schnur befestigt war, daran zogen sie ganz langsam, und ich streckte mich nach dem Tablett aus, als mein Hunger zu mächtig wurde, bis sie mich aus meiner Zuflucht herausholen konnten, aber oft genug, wenn ich mit meinem Alptraum erwachte, versteckte ich mich wieder unter dem Tisch. Das passierte in dem Jahr, bevor wir nach Chile gingen, aber in der Hektik der Reise und dem folgenden Trubel, bis wir uns in Santiago eingerichtet hatten, verlor sich diese Manie.

Mein Alptraum ist schwarz und weiß, still und hartnäckig, und er ist dauerhaft. Ich nehme an, ich habe inzwischen genug erfahren, um die Schlüssel zu seiner Bedeutung zu kennen, aber nichtsdestoweniger quält er mich immer noch. Meiner Träume wegen bin ich anders, so wie die Menschen, die wegen eines Geburtsfehlers oder einer körperlichen Mißbildung ständig Kraft und Mühe aufwenden müssen, um ein normales Leben führen zu können. Sie tragen deutlich sichtbare Zeichen, das meine sieht man nicht, aber es existiert, ich kann es mit epileptischen Anfällen vergleichen, die einen plötzlich überkommen und lauter Wirrnis hinterlassen. Wenn ich abends zu Bett gehe, bin ich immer in Angst, ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn ich schlafe, oder wie ich aufwachen werde. Ich habe verschiedene Möglichkeiten gegen meine nächtlichen Dämonen ausprobiert, von Orangenlikör mit ein paar Tropfen Opium bis zu hypnotischer Trance und anderen Formen der Nekromantie, aber nichts garantiert mir einen friedlichen Schlaf außer guter Gesellschaft. In eines andern Arm zu schlafen ist bis heute das einzige verläßliche Mittel. Ich sollte heiraten, wie mir alle Welt rät, aber das habe ich schon getan, und es war ein schlimmer Reinfall, noch einmal kann ich das Schicksal nicht herausfordern. Mit dreißig Jahren und ohne Ehemann bin ich nicht viel mehr als eine komische Figur, meine Freundinnen betrachten mich mitleidig, wenn auch einige mich vielleicht wegen meiner Unabhängigkeit beneiden. Ich bin nicht allein, ich habe einen heimlichen Geliebten, eine Liebe ohne Bindung und ohne Bedingung, was überall Grund genug für einen Skandal wäre, vor allem aber hier, wo wir nun einmal leben. Ich bin weder ledig noch Witwe, noch geschieden, ich lebe im Niemandsland der »Getrenntlebenden«, wo die unglücklichen Frauen landen, die den öffentlichen Hohn dem Leben mit einem Mann vorziehen, den sie nicht lieben. Wie könnte es auch anders sein in Chile, wo die Ehe ewig und unerbittlich unauflöslich ist? Manchmal frühmorgens, wenn mein Geliebter und ich, die Körper feucht von Schweiß und ermattet von gemeinsamen Träumen, noch in diesem halb unbewußten Zustand der unumschränkten Zärtlichkeit nebeneinander ruhen, glücklich und vertrauensvoll wie schlaftrunkene Kinder, erliegen wir der Versuchung, von Heiraten zu reden, von Fortgehen, in die Vereinigten Staaten zum Beispiel, wo es soviel Raum gibt und niemand uns kennt, um zusammenzuleben wie ein normales Paar, aber wenn dann die Sonne ins Fenster scheint, erwachen wir und reden nicht mehr davon, denn wir wissen beide, daß wir nirgendwo anders leben könnten als in diesem Chile mit seinen geologischen Katastrophen und der menschlichen Engstirnigkeit, aber auch dem Chile mit rauhen Vulkanen und schneebedeckten Gipfeln, mit uralten, wie von Smaragden übersäten Seen, mit schäumenden Flüssen und duftenden Wäldern, einem Land so schmal wie ein Band, der Heimat armer und noch immer unschuldiger Menschen trotz so vielen und vielfältigen Machtmißbrauchs. Weder würde er gehen können, noch werde ich müde werden, es zu fotografieren. Ich hätte gerne Kinder, das ja, aber ich habe endgültig akzeptiert, daß ich niemals...


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Isabel Allende, geboren 1942 in Lima, ist eine der weltweit beliebtesten Autorinnen. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. 2018 wurde sie - und damit erstmals jemand aus der spanischsprachigen Welt - für ihr Lebenswerk mit der National Book Award Medal for Distinguished Contribution to American Letters ausgezeichnet. Isabel Allendes gesamtes Werk ist im Suhrkamp Verlag erschienen.
Porträt in Sepia