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Eine eigene Frau

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am20.08.2012
Sie hielt die Familie zusammen - doch ihr dunkelstes Geheimnis nahm sie mit ins Grab
Finnland 2009: Nach einer gescheiterten Ehe lässt Risto alles hinter sich und zieht sich zurück aufs Land, in das kleine Natursteinhäuschen an der zerklüfteten Küste, das er von seiner Großmutter Saida geerbt hat. Um Ordnung in sein eigenes Leben zu bekommen, beginnt er die Geschichte seiner Familie zu ergründen. Fasziniert von seiner Großmutter, die ihm zu Lebzeiten eher fremd war, taucht er immer tiefer ein in ihr schicksalhaftes Leben - ein Leben voller Entbehrungen zur Zeit des finnischen Bürgerkriegs. Nach und nach findet er mehr heraus über Saida, die Anfang des 20. Jahrhunderts als Tochter eines Predigers geboren wurde, über ihre Kindheit im Schatten des herrischen Vaters, über ihre Ehe mit Sakari, in der sie erst etliche Hindernisse überwinden mussten, ehe sie zueinanderfanden, und über das dunkle Geheimnis, das Saida mit ins Grab nahm.

Leena Lander, geboren 1955, ist eine der international bekanntesten und erfolgreichsten Schriftstellerinnen der finnischen Gegenwartsliteratur. Ihre Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Verfilmungen ihrer Romane »Die Insel der schwarzen Schmetterlinge« und »Die Unbeugsame« waren in Finnland große Erfolge. Leena Lander lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Hannu Raittila, im Südwesten von Finnland in der Nähe von Turku.
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Produkt

KlappentextSie hielt die Familie zusammen - doch ihr dunkelstes Geheimnis nahm sie mit ins Grab
Finnland 2009: Nach einer gescheiterten Ehe lässt Risto alles hinter sich und zieht sich zurück aufs Land, in das kleine Natursteinhäuschen an der zerklüfteten Küste, das er von seiner Großmutter Saida geerbt hat. Um Ordnung in sein eigenes Leben zu bekommen, beginnt er die Geschichte seiner Familie zu ergründen. Fasziniert von seiner Großmutter, die ihm zu Lebzeiten eher fremd war, taucht er immer tiefer ein in ihr schicksalhaftes Leben - ein Leben voller Entbehrungen zur Zeit des finnischen Bürgerkriegs. Nach und nach findet er mehr heraus über Saida, die Anfang des 20. Jahrhunderts als Tochter eines Predigers geboren wurde, über ihre Kindheit im Schatten des herrischen Vaters, über ihre Ehe mit Sakari, in der sie erst etliche Hindernisse überwinden mussten, ehe sie zueinanderfanden, und über das dunkle Geheimnis, das Saida mit ins Grab nahm.

Leena Lander, geboren 1955, ist eine der international bekanntesten und erfolgreichsten Schriftstellerinnen der finnischen Gegenwartsliteratur. Ihre Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Verfilmungen ihrer Romane »Die Insel der schwarzen Schmetterlinge« und »Die Unbeugsame« waren in Finnland große Erfolge. Leena Lander lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Hannu Raittila, im Südwesten von Finnland in der Nähe von Turku.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641079765
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum20.08.2012
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2535 Kbytes
Artikel-Nr.1198550
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Saida, 7

Vartsala, Juli 1903

Saida Harjula war ein siebenjähriges Mädchen, als sich im Jahr 1903 bei einer Versammlung in Forssa die Finnische Sozialdemokratische Partei, die bis dahin Arbeiterpartei geheißen hatte, konstituierte. In Saidas Elternhaus wurde zu jener Zeit freilich nicht über Politik geredet, denn als Mann Gottes wusste Saidas Vater Herman Harjula, dass dem Herrn alles Politisieren ein Gräuel war.

Saidas Mutter Emma stammte als geborene Malmberg gewissermaßen aus besseren, finnlandschwedischen Verhältnissen. Ihr Vater arbeitete auf dem Rittergut Joensuu als Gärtner und ihre Mutter im dazugehörigen Herrenhaus als Köchin. Zweifellos waren die Eltern insgeheim enttäuscht darüber, dass die jüngste ihrer fünf am Leben gebliebenen Töchter einen finnischsprachigen Dreher zum Mann genommen hatte. Aber es war nichts zu machen gewesen, als jener Herman Harjula eines Samstagabends im Frühling im gut sitzenden zweireihigen Anzug und mit hellem Hut zum geselligen Beisammensein des Personals im Herrenhaus Joensuu erschien und, begleitet von der Gitarre, mit seinem schönen Tenor von den Salbungen des Geistes sang. Den Frauen in der ersten Reihe wehte Doktor Hornbergs »frisches und feines« Haarwasser in die Nase, denn Herman hatte versucht, sein von Natur aus lockiges, widerspenstiges Haar zu bändigen, ohne dass es ihm freilich voll und ganz gelungen wäre.

Kaum sah sie die funkelnden Augen und das männliche Grübchen im Kinn des jungen Predigers, erfuhr Emma im Nu eine starke Berührung durch den Heiligen Geist. Sie wurde eine jener Seelen, von denen die Kirchlichen Nachrichten freudig vermeldeten: »In mehreren Gemeinden Südwestfinnlands geht derzeit vor allem unter der Jugend die Gnade der Suche nach dem Herrn um, und zwar mit einer Kraft, dass viele von ihnen inzwischen den Weg der Sünde verlassen und zum Herrn zurückgefunden haben, um Barmherzigkeit und Vergebung zu erlangen.«

Herman Harjula war vollkommen davon überzeugt, dass es der Finger Gottes war, der ihm den Weg zum Herrenhaus Joensuu gewiesen hatte. Als Werkzeug hatte sich Gott einer Zeitungsanzeige bedient. In der Zeitung Der Pflug war die Stelle eines Drehers annonciert gewesen, und Herman suchte Arbeit. Bloß vom Predigen ernährte man keine Familie, und eine Familie wollte er. Vor allem eine Frau. Noch mit 26 war er Jüngling, da er seinem Glauben gemäß nicht in Sünde geschwelgt hatte. Allerdings war ihm aufgefallen, dass sich nicht alle Glaubensbrüder so untadelig verhielten, und deren wechselnde Glaubensschwestern legten auch Herman gegenüber mitunter Gewogenheit an den Tag, doch er machte sich nichts aus den Resten, die andere fallen ließen. Eine eigene Frau sollte es sein.

Auch war ihm nicht irgendeine gut genug. Sein Vater Ivar Harjula, den er über die Maßen achtete, trotz dessen Neigung zum Alkohol und sporadischer Gewalttätigkeit, hatte sehr deutlich verlauten lassen, was für eine Schwiegertochter er sich für seinen Erstgeborenen wünschte. Sie sollte in erster Linie hochgewachsen sein, damit die Durchschnittsgröße der Sippe sich nach oben entwickelte.

Die Harjulas waren ein schönes, aber ziemlich kurzgewachsenes Geschlecht. Insbesondere die Ältesten in der Familie wurden ziemlich verwöhnt und gemästet, wenn nicht genau über den Speisezettel Buch geführt wurde. Die Männer achteten besser auf ihre Verfassung und lebten fast immer länger als ihre Frauen, oft beerdigten sie sogar noch eine zweite Gattin. Die Frauen der Familie schienen eine nach der anderen von einer gewissen Nervosität, ja Hysterie, wenn nicht gar Wahnsinn geplagt zu werden. Nach Ivar Harjulas Einschätzung rührte dies vom Jahrhunderte währenden Überkreuzheiraten in den abgelegenen Dörfern, was eigentlich noch eine geschönte Umschreibung für die in der Bibel verbotene Inzucht war. Kinder kamen in der Sippe viele zur Welt, da die robusten Harjula-Männer auf die in der Heiligen Schrift verlangte Weise ihren Samen aussäten. Für die Verbesserung des Stammbaums und im Sinne der Blutauffrischung war es Ivar Harjulas Ansicht nach gut, dass sein ältester Sohn auf Predigtreise ging und seinen Samen in weiterem Umkreis verbreitete als nur in den wenigen Dörfern der Region Ober-Savo. Der Religion an sich maß Ivar Harjula so gut wie keinen Wert bei, auch wenn er gern laut Geschichten aus dem Alten Testament vorlas, von der Hure von Babylon, vom Treiben in Sodom und Gomorra und von den Schwestern, die sich mit den jungen assyrischen Männern der Unzucht hingaben.

Als er im Herrenhaus Joensuu predigte, fiel Herman sofort auf, dass Emma von den unverheirateten Mädchen nicht unbedingt das schönste war, aber das größte allemal, und sie schien eine ausgeglichene Frau mit liebevoller Natur zu sein. Auf dem Hochzeitsfoto steht der frischgebackene Ehemann auf zwei Bibeln, um in überzeugender Weise größer auszusehen als seine Frau. In einem Brief, den Herman nach Hause schickte, verriet er den Schwindel, zur ungeheuren Freude seines Vaters.

Ivar Harjula sah bereits hochgewachsene Enkel vor sich, deren Nachkommen dank klug gewählter Ehefrauen endlich die Kurz- und Stumpfbeinigkeit im Geschlecht der Harjulas ausrotten würden.

Zum Herrenhaus Joensuu gehörte ein Sägewerk, dessen gewerblicher Betrieb sich jedoch verlor. Die Säge diente nur noch eigenen Zwecken. Bei einem Gut von 6500 Hektar bestand freilich genug Eigenbedarf an Bauholz. Es gelang Herman, die Stelle zu bekommen, obwohl er nicht über die volle Qualifikation verfügte. In jungen Jahren hatte er für kurze Zeit als Handlanger des Drehers in seinem Heimatdorf gearbeitet, aber das genügte, denn es meldete sich kein Bewerber mit mehr Fachkompetenz. Außerdem glaubte der Gutsverwalter, dass die Anwesenheit dieses Antialkoholikers, der bei der Arbeit wie in der Freizeit leidenschaftlich das Wort Gottes verkündete, den trinkfreudigen und dem außerehelichen Beischlaf frönenden Arbeitern des Guts zumindest nicht schaden würde.

Die älteste Tochter Saida wurde exakt neun Monate nach der Hochzeit geboren. Herman war enttäuscht, weil es ein Mädchen war, Emma freute sich, weil das Neugeborene immerhin als Sonntagskind zur Welt kam. Sonntagskinder waren nämlich von Gott in besonderem Maß gesegnet. Die Bestätigung, dass es sich um ein besonderes Mädchen handelte, fand Emma, als die Kleine im Alter von einem Jahr vor ein Pferd trat, das eine Fuhre Heu zog. Da es leicht bergab ging, hatte der Knecht das Pferd traben lassen und das kleine Mädchen nicht bemerkt. Als das Pferd nun abrupt anhielt und sich auf die Hinterläufe stellte, fiel der Knecht von der hohen Fuhre. Das Tier blieb so lange auf den Hinterbeinen stehen, bis Emma die Kleine unter den strampelnden Vorderhufen weggeholt hatte.

Sie begriff, dass Gott das Pferd auf die Hinterläufe gestellt und ihm befohlen hatte: Bleib so! Und das Tier hatte gehorcht, auch wenn die Kandare geklirrt und die Zugriemen geknarrt hatten. Das Kind hatte keinerlei Anzeichen von Schrecken gezeigt, es hatte nur gelächelt und mit seinem kleinen Zeigefinger staunend auf das Pferd gedeutet.

Mit vier Jahren war das Mädchen mit seiner Mutter bei großer Hitze auf der Heuwiese, als ein heftiger Wirbelsturm plötzlich einen Heureuter aus der Erde riss und mitsamt fünf Gabeln Heu über der vor Erstaunen aufjuchzenden Saida durch die Luft wirbelte. Und auch diesmal hielt der Herr den angespitzten Heureuter so lange in der Luft, bis die Mutter zu ihrem Kind gerannt war und es in Sicherheit gebracht hatte. Nach diesen Zeichen war Emma mit unerschütterlicher Sicherheit davon überzeugt gewesen, dass Gott mit diesem Kind etwas Besonderes vorhatte.

Anderthalb Jahre nach Saida kam die zweite Tochter Siiri zur Welt. Die Geburt dauerte zwei Tage, und keiner davon war ein Sonntag. Das Kind befand sich in Steißlage, Emma wäre fast gestorben. Der Kummer hatte Herman fast zermürbt, weil auch das zweite Kind ein Mädchen war, und sein Unglück setzte sich fort: Drei Jahre später, im Jahr 1900, brannte das Sägewerk des Herrenguts. Graf Armfelt teilte mit, er werde kein neues bauen lassen. Herman musste mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Töchtern in das gut zehn Kilometer entfernt liegende Uferdorf Vartsala umziehen, wo ein kaufmännisch erfolgreiches Sägewerk lief. Dort gab es für einen Dreher Arbeit, nicht nur bei der Säge, sondern auch auf der Werft.

Die Predigtreisen hatte Herman als Mann mit Familie beinahe ganz eingestellt. Schon nach der Anschaffung der Ehefrau war seine Begeisterung für die Verkündung des Wortes Gottes ziemlich abgekühlt. Der Umzug von dem wohlhabenden Rittergut in die trostlose Arbeiterkaserne des kleinen Dorfes weckte vor allem bei Emma viel heimlichen Verdruss, der im Zusammenspiel mit anderen Problemen am Verhältnis der Eheleute zehrte. Aber waren denn nicht die meisten Ehen mehr oder weniger unglücklich? Zum Menschenleben gehörte es auch, sich still und leise mit einem unharmonischen Bund fürs Leben abzufinden.

Für Kinder sind Uneinigkeit und bedrückende Atmosphäre dennoch nicht sonderlich angenehm. Nicht einmal für solche Kinder, die an einem Sonntag geboren wurden und für die Gott die Heureuter besonders lange in der Luft rotieren lässt und den Pferden befiehlt, auf den Hinterbeinen zu bleiben, auch wenn die Deichsel noch so scheppert und die Zügel versagen.

An diesem sommerlichen Julitag ist Saida jedoch glückselig, da sie eine Überraschung zum Namenstag ihres Vaters Herman hat. Ganz alleine trägt sie mit zwei Händen die große Kaffeekanne, schwer und heiß. Ein Nesselfalter fliegt dem Kind voran und lässt sich auf einer Löwenzahnblüte nieder. Der Wind weht ein sandiges Löwenzahnblatt auf, es fliegt dem Mädchen an den Hals und kann jetzt nicht weggewischt werden.

Saida hat lernen dürfen, wie man dem...


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Autor

Leena Lander, geboren 1955, ist eine der international bekanntesten und erfolgreichsten Schriftstellerinnen der finnischen Gegenwartsliteratur. Ihre Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und vielfach mit Preisen ausgezeichnet. Die Verfilmungen ihrer Romane »Die Insel der schwarzen Schmetterlinge« und »Die Unbeugsame« waren in Finnland große Erfolge. Leena Lander lebt mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Hannu Raittila, im Südwesten von Finnland in der Nähe von Turku.