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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
512 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am14.09.2020
Eine Sprachwissenschaftlerin wird mitten in der Nacht angerufen. Die neueste Entwicklung auf dem Spielzeugmarkt, ein Plüsch-Seehund mit KI, hat offenbar eine eigene, für Menschen unverständliche Sprache entwickelt ... Ein König liebt nichts so sehr, wie neuen Geschichten zu lauschen. Doch irgendwann hat er alles gehört, was es zu erzählen gibt - und so lässt er kurzerhand einen Geschichtenroboter bauen ... Das Spektrum an Ideen, die fünfzehn der berühmtesten chinesischen Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren in diesem Sammelband ausbreiten, zeigt auf beeindruckende Weise, wie einfallsreich und innovativ man sich in China mit dem Thema Künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

Qiufan Chen stammt aus Shantou in der chinesischen Provinz Guangdong. Er hat bereits über dreißig Kurzgeschichten auf Chinesisch und auf Englisch veröffentlicht. Sein Debütroman »Die Siliziuminsel« erschien 2013 auf Chinesisch und wurde von Ken Liu, dem Übersetzer Cixin Lius, ins Englische übertragen. Qiufan Chen wurde mit dem Taiwan Dragon Fantasy Award, dem Galaxy Award sowie dem chinesischen Nebula Award ausgezeichnet. Er lebt in Beijing.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextEine Sprachwissenschaftlerin wird mitten in der Nacht angerufen. Die neueste Entwicklung auf dem Spielzeugmarkt, ein Plüsch-Seehund mit KI, hat offenbar eine eigene, für Menschen unverständliche Sprache entwickelt ... Ein König liebt nichts so sehr, wie neuen Geschichten zu lauschen. Doch irgendwann hat er alles gehört, was es zu erzählen gibt - und so lässt er kurzerhand einen Geschichtenroboter bauen ... Das Spektrum an Ideen, die fünfzehn der berühmtesten chinesischen Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren in diesem Sammelband ausbreiten, zeigt auf beeindruckende Weise, wie einfallsreich und innovativ man sich in China mit dem Thema Künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

Qiufan Chen stammt aus Shantou in der chinesischen Provinz Guangdong. Er hat bereits über dreißig Kurzgeschichten auf Chinesisch und auf Englisch veröffentlicht. Sein Debütroman »Die Siliziuminsel« erschien 2013 auf Chinesisch und wurde von Ken Liu, dem Übersetzer Cixin Lius, ins Englische übertragen. Qiufan Chen wurde mit dem Taiwan Dragon Fantasy Award, dem Galaxy Award sowie dem chinesischen Nebula Award ausgezeichnet. Er lebt in Beijing.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641217112
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum14.09.2020
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2049 Kbytes
Artikel-Nr.4940633
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

Ludwig Wittgenstein

Lass uns reden

Nur wenige Umstände erfordern es, eine Linguistin mitten in der Nacht aus dem Bett zu holen.

Als mein Telefon klingelte, war es kurz nach drei Uhr in der Nacht. Ich müsse sofort kommen, verlangte eine trübselige Stimme. Mein erster Gedanke war: Oje, jetzt sind die Aliens wirklich da.

In einem düsteren kleinen Raum traf ich auf einige seltsame Gestalten, mit denen ich mir ein nicht minder seltsames Video ansah: Eine Schar weißer Robbenbabys drängte sich schreiend aneinander. Es wirkte wie eine Mischung aus Zoo, Autowerkstatt und Kindergarten.

»Scheiße, was ... ist das denn?«, kam mir jemand mit seiner Frage zuvor.

Darauf bekamen wir eine absonderliche Erklärung zu hören: Diese Heuler waren von einem Forschungslabor entwickelte KI-Spielzeuge, die ähnlich einem Neugeborenen eine menschliche Sprache von null auf imitieren und erlernen konnten. Dem Produkthandbuch zufolge konnten sie auf diese Weise in etwa das sprachliche Niveau eines Fünfjährigen erreichen.

Die Labormitarbeiter hatten hundert Prototypen in einen Container gepackt, um sie zu Testzwecken ins Ausland zu verschiffen, doch irgendjemand hatte geschlampt und den Container falsch etikettiert. Als man ihn endlich mit viel Mühe wiedergefunden und geöffnet hatte, lagen die Robbenbabys nicht etwa still und friedlich da - ausgeschaltet, wie sie hätten sein sollen -, sondern sie krakeelten fröhlich durcheinander.

»Anscheinend benutzen sie irgendeine fremde Sprache, die wir nicht verstehen, um sich miteinander zu unterhalten«, drang eine ungläubige Stimme durch die Dunkelheit.

»Genau diese Frage müssen wir klären«, bestätigte der Mann in schwarzem Anzug, der die nächtliche Besprechung leitete, und nickte uns mit gewichtiger Miene zu. »Kann das wirklich sein? Und wer hat ihnen diese Sprache beigebracht? Sie dürfen nicht vergessen, dass der Container die ganze Zeit verschlossen war.«

»Sealed seals«, murmelte ich verstohlen. Zum Glück hörte niemand meinen Kalauer.

»Da fällt mir ein ähnlicher Fall ein«, sagte die Stimme aus dem Dunkeln. »Idioma de Señas de Nicaragua, kurz: ISN, die Nicaraguanische Gebärdensprache. Das ist eine Sprache, die eine Gruppe von gehörlosen Kindern in den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts im Westen Nicaraguas entwickelt hat.«

»Erzählen Sie mehr darüber.« Der Mann in Schwarz war daran augenscheinlich sehr interessiert.

»Nun ja, ursprünglich gab es in Nicaragua keine Gehörlosengemeinschaft und entsprechend auch keine Sprache, die unter ihnen verbreitet gewesen wäre. Erst in den Siebzigerjahren wurden dort im Westen spezielle Berufsschulen für gehörlose Kinder eingerichtet. Mit der Zeit gingen einige Hundert Schüler auf diese Schulen. Weil Spanisch die Amtssprache in Nicaragua ist, versuchten die Lehrer anfangs, den Kindern beizubringen, wie man Spanisch von den Lippen abliest. Doch die Kinder wurden aus den Wörtern nicht schlau und machten kaum Fortschritte. Aber dann geschah etwas, das niemand vorhergesehen hatte: Auf dem Schulweg, beim täglichen Unterricht und in den Pausen beim Spielen lernten sie allmählich, sich mit ihrer eigenen Gebärdensprache zu verständigen. Sie kombinierten Gesten und individuelle Gebärden, die sie zu Hause benutzten, miteinander und schufen so schließlich ein neues Sprachsystem. Das war wahrscheinlich das erste Mal in der menschlichen Geschichte, dass wir mit eigenen Augen erleben konnten, wie eine Sprache wie in einem Schöpfungsmythos aus dem Nichts erschaffen wurde.«

»Vielleicht war es das erste Mal, aber sicher nicht das einzige Mal«, warf eine andere Stimme ein. »Vor gut zehn Jahren hat ein Forscherteam an der University of Queensland sogenannte Lingodroiden entwickelt, das heißt Roboter, die in der Lage waren, ihre eigene Sprache zu erfinden. Diese Roboter konnten Labyrinthe erkunden und die Stellen, an denen sie gewesen waren, mithilfe von Silben benennen, die sie aus einer Datenbank entnahmen. Wenn sie sich begegneten, kommunizierten sie diese Namen über Mikrofone und Lautsprecher miteinander. Danach entwickelten sie allmählich ein gemeinsames Vokabular, um Richtungen und Entfernungen anzugeben.«

»Und woher sollen wir wissen, was diese Roboter miteinander reden?«, fragte eine dritte Stimme.

»Hat sonst noch jemand irgendeine Idee?«, ergriff der Mann in Schwarz wieder das Wort und blickte sich im Raum um.

»Warum Robbenbabys?«, fragte ich laut.

»Wie bitte?«

»Ist das nicht komisch? Warum hat man ausgerechnet Robbenbabys genommen? Warum nicht Kätzchen oder Welpen?«

»Ist das wichtig?« Der Mann in Schwarz zuckte die Schultern.

»Vielleicht wollte der Designer sein Produkt so unschuldig und harmlos wie möglich erscheinen lassen«, sinnierte ich. »Und vielleicht zeigt das, wie sehr wir uns tief in unserem Innern vor einer fremden Spezies ängstigen, die sprechen kann.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Ich meine: Warum schalten wir dieses Überwachungsvideo nicht einfach aus, verlassen dieses kleine dunkle Zimmer und reden von Angesicht zu Angesicht mit diesen ... Wesen, wenn wir wirklich daran glauben, dass sie eine neue Sprache entwickelt haben? Alle Linguisten wissen: Es gibt nur einen Weg, um eine fremde Sprache zu erlernen, nämlich mit ihren Sprechern zu kommunizieren, also ein Gespräch mit ihnen zu führen, ihnen Fragen zu stellen und ihre Fragen zu beantworten. Solange wir nicht einen von uns zu ihnen schicken, damit er an ihre Containertür klopft und Hallo sagt, werden wir nie verstehen, was sie da eigentlich reden.«

Als ich das düstere Innere des Containers betrat, verstummten die Robbenbabys und fixierten mich mit ihren großen glänzenden Augen. Zum Glück sahen sie viel süßer aus als irgendwelche Tiere mit Klauen und Zähnen. Genau wie damals bei meiner ersten Feldforschung hielt ich ihnen die Hände hin, mit den Handflächen nach oben, um ihnen zu zeigen, dass ich keine versteckten Waffen bei mir trug - auch wenn mir bewusst war, dass diese Geste in ihrem Sprachsystem wahrscheinlich keine Bedeutung besaß.

Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen.

Ein Roboter muss seine Existenz beschützen.

So high, so low, so many things to know.

»Ni hao«, begrüßte ich sie in meiner Muttersprache und wartete geduldig auf Antwort.

Das Robbenbaby, das mir am nächsten war, legte mir seine flauschige Vorderflosse in die Hand und stieß ein Geräusch aus, das wie ein herzhaftes Gähnen klang.

Ich versuchte mein Bestes, um es zu imitieren. War das ihre Weise, Hallo zu sagen? Oder doch nur ein Gähnen? Jedenfalls schien es mir kein schlechter Anfang.

»Lass uns reden«, sagte ich leise. »Okay?«

Babylonische Sprachverwirrung

Tocktock. Tock.

Tocktock. Tock.

Das helle Klopfen reißt mich aus meiner Lektüre. Ich werfe einen Blick auf die iWatch an meinem Handgelenk, und beide Zeitanzeigen springen auf. In China ist es jetzt Nachmittag, drüben in London erst kurz vor sieben Uhr morgens.

Als ich mit der Fingerspitze über das Display scrolle, taucht Xiaomans Gesicht darauf auf. Ihr kurzes Haar ist verwuschelt.

Ich öffne die Emoji-Auswahl und gebe eine Uhr und ein Fragezeichen in das Dialogfenster ein.

(Bist du schon aufgestanden?)

Sie schickt mir eine animierte Grafik: ein Männchen, das aus dem Bett auf den Boden kullert und wieder zurück.

(Ich kann nicht schlafen.)

Ich antworte gleichfalls mit einer animierten Grafik: ein heulendes kleines Mädchen, dem ein kleines Monster zum Trost den Kopf streichelt.

Daraufhin schickt sie mir einen kleinen Roboter, auf dessen Gesicht ein »3, 2, 1«- Countdown abläuft, ehe er gezündet wird und in die Luft schießt. Dazu schreibt sie ein Fragezeichen.

(Kannst du ein bisschen früher kommen?)

Ich antworte mit einer »Okay«-Geste, einem spritzenden Duschkopf, einem Föhn, einem Lippenstift und einer Uhr.

(Ist gut, ich mache mich nur kurz fertig. Warte mal einen Moment.)

Nachdem ich mich gewaschen und zurechtgemacht habe, gehe ich in den Kuppelleinwandraum und ziehe mir meinen grauen Ganzkörper-Sensoranzug an, dessen weiches, elastisches Material sich eng an meinen Oberkörper anschmiegt. Als ich alle Vorbereitungen getroffen habe, hebe ich einen Fuß und klopfe mit dem Schuhabsatz dreimal auf den Sensorboden:

Tocktock. Tock.

Diesen Befehl habe ich selbst festgelegt. Ich habe ihn aus dem Zauberer von Oz übernommen, wo er mit den magischen silbernen Schuhen geklopft wird.

Die iWall ringsum leuchtet auf. Die Szenerie wirkt so echt, dass ich mich tatsächlich mitten in dem von sanftem Licht erhellten Zimmer zu befinden glaube. An den Wänden hängen alle möglichen Film- und Plattenposter, auf dem Boden herrscht ein heilloses Durcheinander: Überall häufen sich Kleidungsstücke und Plüschtiere. Xiaoman liegt im Pyjama auf dem Bett zusammengerollt und kaut gelangweilt an ihren Nägeln. Ihr Haar ist nass, auf ihrem Gesicht klebt eine Maske, und unter ihrem Po liegt ein platt gepresstes Kissen in Form eines Pandas.

Ich ahme ihr...

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