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Ruths Geheimnis

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am15.05.2024
»Ein wunderschöner Roman über drei Generationen von Frauen. Was für eine großartige Geschichtenerzählerin!« (El País) Aroa Moreno Durán taucht ein in die aufwühlende Geschichte einer Familie aus dem Baskenland.
Sie haben sich viele Jahre nicht gesehen. Kein Wort miteinander gewechselt. Nun treffen sie wieder aufeinander, in dem windschiefen, alten Haus, das ihrer Familie gehört. Drei Frauen, drei Generationen, die bislang nur das Schweigen miteinander verbindet. Adirane hat Mann und Kind in Madrid zurückgelassen, um ihr Leben neu zu ordnen. In dem Fischerdorf an der stürmischen baskischen Küste ist sie aufgewachsen. Allein großgezogen von ihrer Mutter Adriana, einer verschlossenen Frau, die aus gutem Grund nicht über die Vergangenheit sprechen will. Und dann ist da noch Ruth, die Großmutter, die krank und altersschwach das über allem lastende Schweigen schließlich bricht und zu erzählen beginnt. Von ihrer eigenen Kindheit, als sie während des Spanischen Bürgerkriegs nach Belgien fliehen musste. Und von dem Tag ihrer Rückkehr, als ihre Familie nicht mehr dieselbe war.

Aroa Moreno Durán, 1981 in Madrid geboren, gilt als »große literarische Entdeckung« (El Cultural). »Die Tochter des Kommunisten« wurde als bester Debütroman des Jahres mit dem Premio del Ojo Crítico ausgezeichnet und erscheint in mehreren Sprachen. Davor veröffentlichte Aroa Moreno Durán zwei Künstlerbiografien über Frida Kahlo sowie über Federico García Lorca. Ihr zweiter Roman »Ruths Geheimnis«, der von drei Generationen von Frauen im Baskenland erzählt, erscheint im Frühjahr 2024 bei btb. Aroa Moreno Durán lebt in Madrid.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

Klappentext»Ein wunderschöner Roman über drei Generationen von Frauen. Was für eine großartige Geschichtenerzählerin!« (El País) Aroa Moreno Durán taucht ein in die aufwühlende Geschichte einer Familie aus dem Baskenland.
Sie haben sich viele Jahre nicht gesehen. Kein Wort miteinander gewechselt. Nun treffen sie wieder aufeinander, in dem windschiefen, alten Haus, das ihrer Familie gehört. Drei Frauen, drei Generationen, die bislang nur das Schweigen miteinander verbindet. Adirane hat Mann und Kind in Madrid zurückgelassen, um ihr Leben neu zu ordnen. In dem Fischerdorf an der stürmischen baskischen Küste ist sie aufgewachsen. Allein großgezogen von ihrer Mutter Adriana, einer verschlossenen Frau, die aus gutem Grund nicht über die Vergangenheit sprechen will. Und dann ist da noch Ruth, die Großmutter, die krank und altersschwach das über allem lastende Schweigen schließlich bricht und zu erzählen beginnt. Von ihrer eigenen Kindheit, als sie während des Spanischen Bürgerkriegs nach Belgien fliehen musste. Und von dem Tag ihrer Rückkehr, als ihre Familie nicht mehr dieselbe war.

Aroa Moreno Durán, 1981 in Madrid geboren, gilt als »große literarische Entdeckung« (El Cultural). »Die Tochter des Kommunisten« wurde als bester Debütroman des Jahres mit dem Premio del Ojo Crítico ausgezeichnet und erscheint in mehreren Sprachen. Davor veröffentlichte Aroa Moreno Durán zwei Künstlerbiografien über Frida Kahlo sowie über Federico García Lorca. Ihr zweiter Roman »Ruths Geheimnis«, der von drei Generationen von Frauen im Baskenland erzählt, erscheint im Frühjahr 2024 bei btb. Aroa Moreno Durán lebt in Madrid.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641266349
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum15.05.2024
SpracheDeutsch
Dateigrösse3866 Kbytes
Artikel-Nr.12649921
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


- 2 -

Der Zwischenstopp
(Adirane)

Jon kommt den Paseo de Francia herunter, um sie zu treffen. Er trägt einen dunklen Mantel. Ist der nicht zu warm? Sie kann nicht erkennen, ob er Jeans anhat oder ob seine Schuhe abgenutzt sind. Weil sie nicht viel Zeit hat, ihn anzuschauen. Aber sie sieht diese zwei Augen in seinem Gesicht. Ist Kommen nicht genau das, was er gerade tut? Immer weniger fern sein.

Hat er auf die Nachricht, in der sie ihn nach so langer Zeit bat, sie abzuholen, nicht mit Ja geantwortet? Hat er nicht gefragt, wo kommst du an, im Dorf oder in der Stadt? Ist er nicht nach der Arbeit eine andere Strecke gefahren? Nennt man das nicht Vorsatz?, denkt sie. Hat er nicht das Meer zur Rechten zurückgelassen und zu Hause die Frau, und mit ihr all die Kosenamen, all die Jahre? Gebratenes Gemüse, Kalender, Bergstiefel. Sie ist sich sicher, dass sie oft mit Safran würzen.

Er muss in den letzten Tagen an sie gedacht haben, zumindest kurz, und vielleicht war er ja erregt auf dem Weg vom Büro hierher, auf der Straße, in diesem Mantel, unter dieser Hose.

Als sie noch drei Schritte voneinander entfernt sind, gibt es keine Bäume mehr, hinter denen sie sich verstecken können, und die Stadt im Hintergrund wirkt so vollkommen, dass dies ihr letzter Abend vor dem Weltuntergang sein könnte.

Sie umarmen sich ein erstes Mal, sie stellt sich auf die Zehenspitzen, klammert sich an seine Schultern, kann aber seinen Atem nicht spüren.

Warum bist du gekommen?

Wohin?, fragt sie zurück. Hierher? Und sie schleudert ihm das ganze Gewicht seiner Frage vor die Füße.

Der hohe Dopaminspiegel hat bereits ihre Gelenke lahmgelegt, sie nimmt den Rucksack ab, zieht ungeschickt die schwarze Jacke aus, und in Sekundenschnelle wird ihr kalt.

Die Ebbe hat den Flussgrund freigelegt, eine Möwe pickt am Ufer zwischen den mit Grünspan überzogenen Steinen herum.

Trinken wir was?, fragt sie. Hast du Zeit?

Ja. Ich habe Nora gesagt, dass ich zum Abendessen da bin, antwortet Jon.

Sie laufen ziellos Richtung Meer, überqueren die letzte Brücke über den Fluss, sie will keine Minute vergeuden, will nur, dass alles ein Zusammenprall glücklicher Worte wird. Sie will nirgendwo ankommen.

Sie haben sich Nachrichten geschickt, immer wieder mal, er schreibt Gemeinplätze, schießt einfach drauflos, abgedroschene Poetik auf Distanz, sie erschreckt das nicht, es gibt vielmehr Tage, an denen es ihr gefällt, an denen sie eine Zärtlichkeit verspürt, weil ihr die abartigsten Wahrheiten auf diesem Bildschirm vorkommen wie die allerreinsten. So viele Jahre und so viele Mails, in denen sie stets versuchten, alles ausgewogen zu halten, nicht laut zu werden, haben sie unbeschadet überstanden: Hallo, Jon. Hallo, Adi. Gestern habe ich deine Mutter gesehen. Was macht der Berg. Dicker Kuss.

Gerade interessiert es sie nicht, was er ihr erzählt, dass die Leute im Dorf jetzt jeden Monat den Fluss säubern, dass es seinem Vater nicht mehr gut geht und er nicht mehr mit ihm hoch zum Hof kommen kann oder dass er einen mittelgroßen Hund hat, schwarz-weiß und mit langem Fell, den seine Frau und er irgendwo aufgelesen haben und der nun jede Nacht zwischen ihnen schläft.

Adirane fragt nicht nach, denn sie könnte gerade nichts Neues in ihrem Gedächtnis speichern. Und es interessiert sie auch nicht. Doch sie versucht, das Schweigen zwischen ihnen zu überbrücken, indem sie etwas Geistreiches über die Stadt sagt, durch die sie nun gemeinsam wieder schreiten. Obwohl sie sich anstrengt, findet sie keinen Zugang zu dem Winkel ihres Gedächtnisses, in dem das genaue Datum abgespeichert ist, an dem Fremde einst das Stadtzentrum überfielen und die Häuser plünderten, die ganze Altstadt niederbrannten und die Frauen vergewaltigten. Und sie schweigt eine ganze Weile und sucht in ihrem Kopf. Sie denkt, dass das Erinnerungsvermögen begrenzt ist und das neu Erlebte das Alte nach und nach durch die Hintertür hinauswirft. Da holt er sie zurück, indem er seine Hand vor ihrem Gesicht hin und her bewegt. Adi?, fragt er. Sie murmelt etwas und zeigt auf eine Straße, und er versteht nicht, was sie meint, als sie genau an der Kreuzung stehen bleiben, wo eine Bresche in die Stadtmauer geschlagen wurde.

Wie lange haben wir uns nicht gesehen, und da, während sie an einer Ampel am Boulevard auf Grün warten, sieht sie ihn das erste Mal an.

Du warst schwanger, weißt du noch?

Natürlich weiß ich das noch.

Sie erinnert sich mühelos an alles, was mit ihm zu tun hat, muss es aber jedes Mal aus einem Ort hervorholen, der immer unzugänglicher wird. Ihr jetziges Zusammensein und das in Madrid Zurückgelassene haben nicht denselben Schweregrad. Sie lässt sich jedoch mitreißen von Jons Art, die alles so leicht, so einfach erscheinen lässt. Und sie erinnert sich an eine frühere Begegnung, als sie das letzte Mal beide solo waren und er für ein paar Nächte einen Zwischenstopp in ihrer Madrider Wohnung einlegte, bevor er nach Wien ging, weil er immer einen Vorwand brauchte. Das war kurz bevor sie Iván kennenlernte, noch gar nicht so lange her, bedenkt man die Länge ihrer Geschichte.

Sie erinnert sich, dass die Sonne durchs Fenster schien und ihre nackten Füße auf einem Stuhl lagen. Obwohl sie gerade frühstückten, sagt er in ihrer Erinnerung, dass sie das Rauchen aufgeben soll, und sie trinkt Weißwein. Alles ist ein wenig absurd. Das Foto ist rissig wie ein Traum, wie die ferne Vergangenheit.

Real ist aber, dass sie ihn danach in einem marineblauen Regenmantel begleitet hat, den sie nicht mehr besitzt, und dass sie nie eine Antwort auf die Frage fand, wie lange dieser Abschied gedauert hat. Ihre Hand bereits ohne die Hand, die sie im Bett am ganzen Körper berührt hatte. Der Blick der blauen Augen fest auf die braunen gerichtet. Die Frau außerhalb der Umarmung des Mannes. Der Mann bereits für immer außerhalb der Frau. Sie hätte damals nicht sagen können, wie viele Züge den Boden unter ihren Füßen erzittern ließen, während sich der Widerstand des einen mit dem der anderen maß. Als niemand sagte, bleib, oder, komm mit. Und der Geruch der Nacht noch an ihnen haftete. Wie viele Leute aus dieser U-Bahn-Station herauskamen, wie viele hineingingen, als sie zum Standfoto wurden. Beide hatten sie damals keine Kinder. Niemand hatte wegen niemandem auf etwas verzichtet. Hätten sie einen Schritt nach vorn getan, hätte die Druckwelle messbare Schäden verursacht. Doch sie taten ihn nicht.

Sie wussten beide, wie lange zwei Menschen, die nicht Mutter und Sohn sind, einander ansehen können, ohne ein Wort zu sagen.

Sie betreten eine Bar, und als sie zu reden anfängt, ist es sehr laut, und sie will nicht auf das antworten, was er so schnell aufs Tapet gebracht hat: warum sie wieder im Norden ist und warum sie ihn angerufen hat, damit er sie abholt. Sie wird nicht über das reden, was sie zurückgelassen hat, und mit dem, was sie vor sich hat, will sie sich auch noch nicht auseinandersetzen. An diesem Nachmittag will sie einfach nur für einen kurzen Augenblick in die jugendliche Sorglosigkeit zurückfinden.

Bist du etwa nicht bereit, mir einen Nachmittag zu schenken? Und sie bittet ihn wortlos: Lass mich glauben, dass es zehn Jahre früher ist, Jon. Schenk mir ein wenig von unserer Leichtigkeit. Lass mich glauben, dass es noch nicht zu spät ist.

Aber er scheint nicht bereit, sich auf ein unbequemes Schweigen einzulassen und auch nicht auf ein wenig Sarkasmus. Er will keine Leerstellen. Dafür hat er keine Geduld mehr und nicht den Kopf oder die Zeit. Jon stellt Fragen, auf die es eigentlich auch eine Antwort gibt. Lass es uns machen wie immer, sagt sie. Und insgeheim denkt sie: Lass uns an den Rand eines harmlosen Abgrunds treten. Sie antwortet ausweichend: Ich wollte nach all den Jahren nicht allein ins Dorf kommen und dachte, dass dein Betrieb ja auf halbem Weg zwischen hier und dort liegt.

Dort, wiederholt er und lacht über den verächtlichen Ton, in dem sie das alles gesagt hat. Dann trinkt er einen großen Schluck Bier. Und wie geht es deiner Großmutter?

Ich bin gekommen, damit sie mir ihr Leben erzählt. Du weißt, was ich meine. Ich habe Angst, dass mir ein Teil von ihr verloren geht, ohne dass ich sie ernsthaft dazu befragt habe. Dass sie ihn mitnimmt und ich keine Gelegenheit hatte, mit ihr darüber zu reden - als wäre es für mich ein Fakt, dass sie immer hier war, als hätte sie keine andere Geschichte und kein anderes Leben gehabt als dieses gemeinsame in der Familie. Sie kann jederzeit sterben.

Das weiß man nicht. Oder ist sie krank?

Manchmal weiß man das. Was für Krankheiten hat man in diesem Alter? Blutgerinnsel, Tausende von Löchern im Gedächtnis, Organschwäche. Ihr sind schon alle weggestorben. Sie hat niemanden mehr, den sie begraben kann. An manchen Tagen kommt sie mir vor wie die Frau, die mich aufgezogen hat, du kennst sie ja, so klug und mit diesem trockenen Humor, dieser klaren Art zu reden. Und an anderen erzählt sie mir unmögliche Dinge, verwechselt uns alle, bringt Orte und Namen und ihr Leben mit dem von anderen durcheinander. Oder sie ist auf einmal ganz geistesabwesend und legt einfach auf, und ich höre am anderen Ende nur noch Stille. Oder sie erzählt mir tausendmal dasselbe. Als hätten wir am Vortag nicht genau darüber gesprochen. Es ist, als würde sie sich zwischendurch immer mal verabschieden. Einen Tag ist sie hier, am nächsten nicht. Einen Tag ist sie in der Lage, Auto zu fahren, am nächsten zittert sie so, dass sie nicht mal den Löffel zum Mund führen kann. Nachts schreit sie nach ihrer Mutter, nach ihren Geschwistern. Nach der Belgierin.

Und deine Mutter?

Nein,...

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Autor

Aroa Moreno Durán, 1981 in Madrid geboren, gilt als »große literarische Entdeckung« (El Cultural). »Die Tochter des Kommunisten« wurde als bester Debütroman des Jahres mit dem Premio del Ojo Crítico ausgezeichnet und erscheint in mehreren Sprachen. Davor veröffentlichte Aroa Moreno Durán zwei Künstlerbiografien über Frida Kahlo sowie über Federico García Lorca. Ihr zweiter Roman »Ruths Geheimnis«, der von drei Generationen von Frauen im Baskenland erzählt, erscheint im Frühjahr 2024 bei btb. Aroa Moreno Durán lebt in Madrid.