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Oktoberfest

Ein literarisches Wiesn-Schmankerl anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums 2010. Deutsch-Englisch
BuchGebunden
107 Seiten
Deutsch
Manesseerschienen am16.08.2010
Zweisprachige Jubiläumsausgabe

Das größte und schönste Volksfest der Welt - gefeiert vom US-amerikanischen Starautor Thomas Wolfe. Dieses literarische Wiesn-Schmankerl lotet alle Höhen und Tiefen des feuchtfröhlichen Spektakels aus. Es zeigt, wie man sich in München verlieben und unter Bayern sein weiß-blaues Wunder erleben kann.

Festbier, Tracht und Prügel - «München hat mich beinahe umgebracht», stöhnte Thomas Wolfe nach einer Wiesnschlägerei. Doch trotz gebrochener Nase und etlicher Platzwunden hielt er seiner Schicksalsstadt zeitlebens die Treue. Kein Ort auf der Welt bezauberte den großen amerikanischen Schriftsteller mehr, kein Ort bescherte ihm - im Guten wie im Bösen - so überwältigende Gefühle.

Auf höchst amüsante Weise wird in diesem Buch geschildert, wie aus dem Greenhorn aus North Carolina ein München-Liebhaber und Wahlbajuware wurde. Wolfe offenbart sein Schwanken zwischen Befremden und Faszination angesichts endemischer Bierseligkeit, seine aufflammende Begeisterung beim Mitschunkeln, das Glück rauschhafter Hingabe. Und nach jäher Ernüchterung finden sich just in Oberammergau segensreiche Hände, die dafür sorgen, dass die ramponierte Dichterstirn auch wieder verheilt.

Ausstattung: Mit 4 Schwarz-Weiß-Abbildungen
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Produkt

KlappentextZweisprachige Jubiläumsausgabe

Das größte und schönste Volksfest der Welt - gefeiert vom US-amerikanischen Starautor Thomas Wolfe. Dieses literarische Wiesn-Schmankerl lotet alle Höhen und Tiefen des feuchtfröhlichen Spektakels aus. Es zeigt, wie man sich in München verlieben und unter Bayern sein weiß-blaues Wunder erleben kann.

Festbier, Tracht und Prügel - «München hat mich beinahe umgebracht», stöhnte Thomas Wolfe nach einer Wiesnschlägerei. Doch trotz gebrochener Nase und etlicher Platzwunden hielt er seiner Schicksalsstadt zeitlebens die Treue. Kein Ort auf der Welt bezauberte den großen amerikanischen Schriftsteller mehr, kein Ort bescherte ihm - im Guten wie im Bösen - so überwältigende Gefühle.

Auf höchst amüsante Weise wird in diesem Buch geschildert, wie aus dem Greenhorn aus North Carolina ein München-Liebhaber und Wahlbajuware wurde. Wolfe offenbart sein Schwanken zwischen Befremden und Faszination angesichts endemischer Bierseligkeit, seine aufflammende Begeisterung beim Mitschunkeln, das Glück rauschhafter Hingabe. Und nach jäher Ernüchterung finden sich just in Oberammergau segensreiche Hände, die dafür sorgen, dass die ramponierte Dichterstirn auch wieder verheilt.

Ausstattung: Mit 4 Schwarz-Weiß-Abbildungen
Details
ISBN/GTIN978-3-7175-4083-0
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
Verlag
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum16.08.2010
Seiten107 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht149 g
IllustrationenMit 4 Schwarz-Weiß-Abbildungen
Artikel-Nr.11321271
Rubriken

Inhalt/Kritik

Leseprobe
An einem Sonntagnachmittag Ende September machte ich mich in Begleitung von Heinrich Bahr zur Theresienwiese am Ostrand Münchens auf, wo das Oktoberfest stattfand. Als wir am Bahnhof vorbei dem Festgelände zustrebten, begann es auf der Straße, wie auf allen Straßen dorthin, von Menschen zu wimmeln. Die Meisten von ihnen waren waschechte Münchner, aber viele waren auch Bayern vom Land. Diese Bayern waren stämmige Männer und Frauen, die der Menge mit den kräftigen Farben ihrer Tracht einen prächtigen Anstrich gaben ? die Männer in ihren kunstvoll bestickten Festtagslederhosen und Strümpfen, die Frauen in ihren leuchtenden Kleidern und spitzenbesetzten Miedern, marschierten sie im federnden Schritt der Bergbewohner beherzt dahin. Diese Bauern hatten das makellose Fleisch und die gesunden Zähne von Tieren. Ihre glatten rundlichen Gesichter zeigten keine anderen Spuren als die von Sonne und Wind: Sie waren nicht angekränkelt von jenen Gedanken und Kümmernissen, die die Kraft eines Menschen aufzehren. Ich musterte sie mit einer jähen Anwandlung von Bedauern und zugleich Neid - so kraftstrotzend und frohgemut war ihr Dasein, und so viel schienen sie dadurch gewonnen zu haben, dass sie so viel verpasst hatten. Ihr Leben beschränkte sich auf einen Wunsch oder zwei - die Meisten von ihnen hatten noch nie ein Buch gelesen, ein Besuch in dieser magischen Stadt München war für sie ein Besuch im Herzen des Universums, und die Welt, die jenseits ihrer Berge existierte, war für sie in Wirklichkeit nicht existent. Als wir uns der Theresienwiese näherten, wurde das Gedränge so dicht, dass wir in unserem Vorwärtskommen behindert und gebremst wurden. Der mächtige Festlärm drang nun zu uns, und ich konnte die verschiedenen Bauten erkennen. Meine erste Empfindung, als ich die Wiesn betrat, war maßlose Enttäuschung. Was vor mir und um mich herum zu sehen war, schien einem kleinen, mittelprächtigen Coney Island zu gleichen. Da waren Dutzende von Buden und Hütten voll billiger Puppen, Teddybären, Bonbontüten, Schießscheiben, etc., samt dem ganzen Brimborium von doppelköpfigen Ungeheuern, Spukhäusern, fetten Damen, Zwergen, Handlesern, Hypnotiseuren und der ganzen ausgeklügelten Maschinerie zur Erzeugung von Schwindelzuständen: wirbelnde Wagen und Spielzeugautomobile, die über einen elektrifizierten Boden dahinschossen, alle voller Menschen, die freudig aufkreischten, wenn die verrückten Vehikel zusammenstießen und von einem Aufseher wieder voneinander getrennt wurden. Heinrich Bahr begann zu lachen und zu gaffen wie ein Kind. Die kindliche Begeisterungsfähigkeit dieser Leute war erstaunlich. Gleich Kindern schienen sie des ganzen bombastischen Rummels nie müde zu werden. Große fette Kerle mit kahlgeschorenen Köpfen und Nackenwülsten ritten auf umherwirbelnden und dahinflitzenden Gefährten, oder sie ritten, wieder und wieder, auf den auf- und niedersteigenden Holzpferden der Karusselle im Kreis herum. Heinrich war hingerissen: Ich jagte mehrmals mit ihm über die atemberaubenden Aufs und Abs der großen hölzernen viaduktähnlichen Bahn und wurde hinterher noch in etlichen Apparaturen schwindlig geschleudert und geschlagen. Endlich hatte Heinrich genug. Wir zogen langsam die wimmelnde Hauptstraße des Festgeländes hinunter, bis wir zu einem etwas ruhigeren Fleck am Rande der Wiesn kamen. Hier ließ ein Mann von einer kleinen Bühne einen Wortschwall in harschem Marktschreierdeutsch auf die Menge niedergehen. Neben ihm auf der Bühne stand ein junger Mann, dessen Rumpf und Arme in einer ärmellosen Segeltuchjacke gefangen und mit einer Kette gefesselt waren. Dann hörte der Marktschreier auf zu reden, der junge Mann steckte seine Füße durch Tuchschlingen und wurde an den Füßen in die Höhe gehievt, bis er verkehrt herum über der gaffenden Meute hing. Ich sah zu, wie er mit verzweifelten Bemühungen begann, sich aus Kette und Zwangsjacke zu befreien, bis ich merkte, wie sein Gesicht sich lila verfärbte und wie die großen Adern auf seiner Stirn in Strängen hervortraten. In der Zwischenzeit ging eine Frau durch die Menge, um einen Obolus zu erbeten, und als sie alles Geld eingesammelt hatte, das die Menge bereit war zu geben, da befreite sich der junge Mann, dessen geschwollenes Gesicht unterdessen fast schwarz war vom Blut, im Nu und wurde auf den Boden heruntergelassen. Die Menge verlief sich, beinahe mit Verdruss, wie mir schien, so als wäre das erwartete Schauspiel zwar nun eingetreten, hätte sie jedoch irgendwie enttäuscht, und während der Marktschreier wieder mit seinem Wortschwall begann, saß der junge Mann auf einem Stuhl und erholte sich, die Hand vor den Augen. Inzwischen stand die Frau, die das Geld eingesammelt hatte, ängstlich neben ihm, musterte ihn und sagte dann etwas zu ihm. Und irgendwie, durch ihre bloße Nähe zueinander und sonst kein anderes äußeres Anzeichen, erahnte ich etwas von Zärtlichkeit und Liebe. In meinem Kopf drehte sich alles vom lärmenden Durcheinander des Fests, und diese letzte Darbietung, mit der ein endloser Reigen von Monstern und animalischen Sinneseindrücken ihren Höhepunkt erreichte, rief in mir ein Grauen wach. Für einen Moment wollte es mir scheinen, als sei da etwas Böses und Tiefverwurzeltes in den Menschen, das selbst ihre einfachsten Vergnügungen besudelte und verdarb. Es war später Nachmittag geworden; die Tage gingen nun rasch zur Neige, und die Luft war schon herbstlich - sie war frisch und kühl, dürftig erwärmt von dünnem rotem Sonnenschein. Über dem ganzen Festgelände stiegen hunderttausend Stimmen zu einem kompakten und festen Tongebilde empor. Heinrich, dessen Lust auf Jahrmarktsattraktionen fürs Erste gestillt war, begann nun ans Bier zu denken. Er nahm mich am Arm und tauchte in das gewaltige Gewoge der Menge ein, das als beinahe undurchdringlicher Keil die Hauptpromenade des Festgeländes verstopfte. Die Deutschen bewegten sich langsam und geduldig vorwärts, mit der ungeheuren Massivität, die ein Wesenszug ihres Daseins zu sein scheint, und nahmen die Bewegung der Menge mit tiefer Genugtuung hin, während sie selbst darin aufgingen und ein Teil des großen Tiers um sie herum wurden. Ihre schweren Leiber rammten und rempelten einander plump und unsanft an, aber es gab keinerlei Groll zwischen ihnen. Sie brüllten einander und aller Welt einen Gruß oder ein neckisches Wort zu; sie zogen in Gruppen zu sechst oder acht einher, Männer und Frauen bunt gemischt, mit untergehakten Armen. Heinrich Bahr war quicklebendig und vergnügt geworden; ständig lachte und kicherte er vor sich hin; dann schob er seine Hand mit einer freundlichen und auffordernden Geste unter meinen Arm und sagte: «Komm, sehen wir uns mal den Ochsen am Spieß an!» Und prompt erwachte bei diesen Worten ein gewaltiger Hunger in mir, ein Hunger nach Fleisch, wie ich ihn noch nie gekannt hatte: Ich wollte den Ochsen am Spieß nicht bloß sehen, ich wollte große Stücke davon verschlingen. Mir war nun eine Besonderheit dieses Jahrmarkts aufgegangen, eine, die ihn von allen anderen, die ich je erlebt hatte, unterschied. Dies waren die vielen Buden, ob groß oder klein, die für den Verkauf von heißen und kalten Fleischwaren bestimmt waren. Mächtige Würste hingen gleich Ketten und Girlanden von den Wänden einiger dieser Stände, während anderen ein unablässiger Dunst nach gedünsteten und gebratenen Speisen jeglicher Beschaffenheit und Größe entströmte. Das Aroma und der Duft waren zum Verrücktwerden. Mir war, als ob in der dünnen, kalten Luft über dieser dicht gedrängten Menschenmenge, die so langsam vorwärts wogte, beständig ein Geruch nach frisch Geschlachtetem hing. Erst jetzt befanden wir uns vor einer riesigen, langgestreckten Halle, an der Frontseite farbenfroh bemalt, über deren Türen das mächtige Konterfei eines Ochsen prangte. Das war die Ochsenbraterei, aber so dicht war das Gedränge drin, dass ein Mann mit ausgebreiteten Armen vor den Türen stand, die Leute aufhielt, die hineingehen wollten, und ihnen sagte, sie müssten noch einmal fünfzehn Minuten warten. Heinrich und ich schlossen uns der Menge an und warteten ergeben mit allen anderen: Etwas vom ungeheuren Gleichmut dieser Menge, die da ausharrte und gar nicht erst versuchte, sich an den Barrieren vorbeizuzwängen, ging auf mich über. Dann wurden die Türen geöffnet, und wir strömten allesamt hinein. Ich fand mich in einer riesigen, langgestreckten Halle wieder, an deren Ende ich durch das dichte Tabakrauchgewölk, das die Atmosphäre fast bis zur Konsistenz des Londoner Nebels eindickte, die Leiber zweier mächtiger Tiere erkennen konnte, die sich langsam an Eisenspießen über Becken voll rotglühender Kohle drehten. Nach der schneidenden Kälte der Oktoberluft war die Halle warm - warm von einer einzigen unverkennbaren Wärme: der Wärme von Tausenden in einem geschlossenen Raum zusammengepferchter Leiber. Und in diese Wärme mischte sich ein durchdringender Essensgeruch. An Hunderten von Tischen saßen Leute zusammen und verschlangen Tonnen von Fleisch ? Ochsenfleisch, große Teller voll aufgeschnittener kalter Würste, dicke Scheiben von Kalb und Schwein, nebst großen Steinkrügen, in denen jeweils ein guter Liter des kalten und starken Oktoberfestbiers schäumte. Das schwere und unaufhörliche Gedröhn essenssatter Stimmen schwoll in harschen Wellen an und ab. Durch die Mittelgänge und an den Seiten schob und drängelte sich eine nachrückende Menge, die rastlose Blicke durch das Gewühl warf und nach freien Plätzen Ausschau hielt. Und die stämmigen Landfrauen, die als Kellnerinnen tätig waren, bahnten sich resolut ihren Weg, trugen Teller randvoll mit Gerichten oder ein halbes Dutzend Maßkrüge in der einen Hand und stießen mit der anderen menschliche Hindernisse brüsk beiseite. Heinrich und ich bewegten uns mit der Menge langsam den Mittelgang hinab. Die Esser, schien es mir, waren zum größten Teil massige, schwere Leute, in deren Gesichtern schon etwas von der aufgedunsenen Saturiertheit von Schweinen lag. Ihre Augen waren stumpf und benebelt vom Essen und vom Bier, und viele von ihnen starrten die Leute um sie herum in einer Art Betäubung an, als hätte man sie unter Drogen gesetzt. Und in der Tat genügte schon die Luft, die so dick und schwer war, dass man sie mit einem Messer hätte schneiden können, um einem die Sinne zu benebeln, und als wir das Ende des Gangs erreicht und eine Weile den mächtigen Leib des Ochsen angestaunt hatten, der sich vor uns langsam drehte und dabei braun wurde, war ich ganz froh, dass Heinrich vorschlug, anderswohin zu gehen. Die scharfe Luft riss mich sogleich aus meiner Lethargie, und ich begann mich wieder lebhaft und eifrig umzublicken. Die Menge wurde gegen Abend hin immer dichter, und ich wusste jetzt, dass der Abend dem Essen und dem Bier gewidmet sein sollte. Zwischen den unzähligen kleineren Gebäuden des Jahrmarkts verstreut, erhoben sich um uns gleich Löwen, die inmitten einer Meute kleinerer Tiere ruhen, die von den berühmten Brauereien errichteten imposanten Bierhallen. Und so dicht die Menge vor den Buden und Attraktionen auch gewesen war, schien sie doch unbedeutend verglichen mit der Menge, die diese riesengroßen Gebäude füllte - gewaltige Hallen, von denen jede mehrere Tausend Menschen fasste. Unmittelbar vor mir konnte ich von Weitem jetzt die große rote Fassade der Brauerei Löwenbräu sehen, mit den zwei aufgerichteten königlichen Löwen in ihrem stolzen Wappen. Doch als wir uns dem mächtigen Gebrüll näherten, das von der Halle gebändigt wurde, erkannten wir die Aussichtslosigkeit, dort einen Platz zu finden. Tausende von Menschen brüllten an den Tischen über ihrem Bier, und viele Hunderte wälzten sich unentwegt auf und ab und hielten Ausschau nach einer Lücke. Wir versuchten es mit nicht mehr Erfolg noch bei einer Reihe anderer imposanter Bierhallen der großen Brauereien, aber schließlich fanden wir eine, bei der ein paar Tische auf einem schmalen Kiesstreifen vor der Halle standen, durch eine Hecke vor der wimmelnden Menge draußen abgeschirmt. Da und dort saßen vereinzelt Leute, doch die meisten Tische waren leer: Es wurde allmählich dunkel, die Luft war scharf und frostig, und der Drang war übermächtig, sich der übelriechenden Menschenwärme zuzugesellen, mitten in den heulenden Orkan aus Lärm und Trunkenheit, den die große Halle umschloss, hineinzustreben. Aber beide waren wir jetzt müde, erschöpft von der Aufregung, von der Menge, von dem riesigen Kaleidoskop aus Lärm, Farbenspiel und Sinnesreizen, das wir miterlebt hatten. «Setzen wir uns hierher», sagte ich und wies auf einen der freien Tische vor der Halle. Und Heinrich, nachdem er rastlos durch eins der Fenster in das rauchige Chaos drinnen gespäht hatte, in dem sich dunkle Gestalten tummelten und drängten wie in Walhallas Nebelschwaden herumirrende Geister, willigte ein und nahm Platz, wenn auch mit unverhohlener Enttäuschung. «Es ist wunderbar da drin», sagte er. «Das darf man einfach nicht verpassen.» Da steuerte eine Landfrau auf uns zu und schwang sechs schäumende Maß des starken Oktoberfestbiers in jeder ihrer kräftigen Hände. Sie lächelte uns mit gewandter Freundlichkeit zu und fragte: «Hell oder dunkel?» «Dunkel», antworteten wir. Kaum hatten wir es gesagt, hatte sie schon zwei schäumende Krüge vor uns auf den Tisch gestellt, und weg war sie. «Bier?», sagte ich. «Warum Bier? Warum kommt man hierher, um Bier zu trinken? Warum sind all diese großen Hallen hier von den bekannten Brauereien errichtet worden, wenn doch ganz München berühmt ist für sein Bier und es in der Stadt Hunderte von Bierwirtschaften gibt? «Schon», antwortete Heinrich. «Aber?», er lächelte und betonte das Wort mit Nachdruck, «das ist Oktoberfestbier. Es ist fast doppelt so stark wie gewöhnliches Bier.» Darauf packten wir unsere großen Steinkrüge, stießen mit einem lächelnden «Prosit» an und nahmen in der frostig scharfen Heiterkeit jener Luft ein paar lange und tiefe Züge von dem starken, kalten Gebräu, das seine machtvolle Energie prickelnd durch unsere Adern strömen ließ. Überall um uns herum aßen und tranken die Leute - nebenan hatten Leute in bunter Tracht an einem Tisch Bier bestellt, schlugen nun mehrere mitgebrachte Papierbündel auseinander, breiteten unglaubliche Mengen Proviant auf dem Tisch aus und begannen gleichmütig zu essen und zu trinken. Der Mann, ein stämmiger Kerl mit üppigem Schnurrbart und weißen Wollstrümpfen, die seine kräftigen Waden bedeckten, Fußknöchel und Knie jedoch bloß ließen, zog ein großes Messer aus der Tasche und schnitt mehreren Salzfischen, die im Abendlicht wunderbar golden schimmerten, den Kopf ab. Einem weiteren Paket entnahm die Frau Semmeln, ein Bündel Radi und ein großes Stück Leberkäse und steuerte all dies zur Familientafel bei. Zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, das Mädchen mit langen blonden Zöpfen, die ihr über die Schultern fielen, beide aufmerksam und blauäugig, mit dem gespannten und konzentrierten Hunger von Tieren, starrten wortlos auf das Essen, während ihre Eltern es aufschnitten und portionierten. Augenblicke später, mit dieser selben wortlosen und gierigen Aufmerksamkeit, aßen und tranken sie alle. Jedermann aß; jedermann trank. Ein mörderischer Hunger, ein Hunger, der keine Besänftigung kannte, der sich alles gebratene Ochsenfleisch, alle Würste, allen Salzfisch der Welt einverleiben wollte, packte mich und hielt mich in seinen Klauen. Auf der ganzen Welt gab es nichts als Essen - herrliches Essen. Und Bier - Oktoberfestbier. Die Welt war ein einziger gewaltiger Schlund - es gab keinen erhabeneren Himmel als eben dieses Paradies von Stopf und Pfropf. Alle Seelenqual war hier vergessen. Was wussten diese Leute von Büchern? Was wussten sie von Bildern? Was wussten sie vom millionenfachen Aufruhr des Herzens, von den Kämpfen und Quälereien des Geistes, den Hoffnungen, Ängsten, Gehässigkeiten, Fehlschlägen und Ambitionen, der ganzen fieberhaften Sphäre des modernen Lebens? Diese Leute lebten für nichts anderes als für Essen und Trinken ? und recht hatten sie. Die Türen der großen Halle gingen ständig auf und zu, während der unaufhörliche Strom der Biertrinker geduldig Einlass begehrte. Und von drinnen hörte ich das durchdringende Schmettern einer mächtigen Blaskapelle und das Röhren aus fünftausend bierseligen Kehlen im Takt von «Trink, trink, Brüderlein, trink!». Unser Heißhunger verzehrte uns: Wir riefen lautstark die geschäftige Kellnerin herbei, als sie an uns vorüberkam, und bekamen Bescheid, wir müssten hineingehen, wenn wir warmes Essen wollten. Aber sogleich schickte sie eine andere Frau an unseren Tisch, die einen riesigen Korb voll verschiedenster kalter Speisen trug. Ich nahm zwei Brote, die überaus köstlich eins mit Zwiebel und Salzfischchen und eins mit einer mächtigen Scheibe Leberkäse mit Randkruste belegt waren. Heinrich suchte sich auch zwei oder drei Brote aus, und nachdem wir jeder noch einen Liter Dunkles bestellt hatten, begannen wir unser Essen zu verzehren. Die Dunkelheit war hereingebrochen: Alle Gebäude und Vergnügungseinrichtungen des Volksfests funkelten jetzt von einer Million Lichtern; aus dem großen strahlenden Dämmer der Nacht erhob sich und fiel wellengleich schwingend das mächtige eins gewordene Gegröle und Gemurmel der Menge. Als wir unsere Brote verzehrt und unser Bier ausgetrunken hatten, schlug Heinrich vor, dass wir nun ernsthaft versuchen sollten, in der Halle drin Platz zu finden, und ich, der ich eben noch eine heftige Abneigung gegen die dicke Luft und das grölende Durcheinander der Halle verspürt hatte, stellte nun zu meiner Überraschung fest, dass ich gewillt und sogar begierig darauf war, mich dem Heer der bierbenebelten Esser anzuschließen. Gehorsam stellte ich mich nun in die Reihe der gleichmütigen Deutschen, die langsam durch die Türen schlurften, und fand mich sogleich von einem Zyklon trunkenen Tosens umbraust, während ich geduldig mit einer Menge vorwärts trampelte, die sich langsam durch den großen Saal schob und nach Sitzgelegenheiten Ausschau hielt. Es dauerte nicht lange, und Heinrich erspähte durch die Schleier und Schwaden wabernden Rauchs, der sich in der großen Halle wand und aufstieg wie Pulverdampf über einem Schlachtfeld, zwei freie Plätze an einem Tisch nahe der Saalmitte, wo auf der viereckigen Holztribüne vierzig Männer in Bauerntracht einen ohrenbetäubenden Krach auf Blechinstrumenten machten. Wir stürzten uns auf die freien Plätze, rempelten dabei gleichmütige Leiber an und stürzten geradewegs über sie, die betäubt waren vom Bier. Und schließlich, im Auge dieses tosenden Orkans, nahmen wir triumphierend Platz, keuchten siegesstolz und bestellten sofort zwei Liter Dunkles und zwei Portionen Schweinswürstel mit Sauerkraut. Die Kapelle schmetterte die Melodie von «Ein Prosit! Ein Prosit!», und überall im Saal hatten sich die Leute von den Tischen erhoben und standen mit untergehakten Armen und erhobenen Krügen da, während sie das großartige Trinklied brüllten und im Takt hin und her schunkelten. Die Wirkung dieser Menschenhorden überall in der riesigen und vernebelten Halle hatte etwas beinahe Übernatürliches und Rituelles: Etwas, das zum Wesen eines Volks gehörte, war in diesen Horden beschlossen, etwas, so dunkel und seltsam wie Asien, etwas, das älter war als die alten barbarischen Wälder, etwas, das um einen Altar geschwankt war und ein Menschenopfer dargebracht und verbranntes Fleisch verzehrt hatte. Die Halle erdröhnte von ihrer Stimmgewalt, sie erzitterte von ihren mächtigen Leibern, und als sie sich so hin und her wiegten, schien es mir, dass nichts auf Erden ihnen widerstehen konnte - dass sie zerschmettern mussten, worauf immer sie trafen. Ich begriff jetzt, weshalb andere Völker sie so sehr fürchteten; unversehens wurde ich selbst von einer tödlichen Furcht vor ihnen gepackt, die mir das Herz gefror. Mir war, als hätte ich geträumt und wäre in einem fremden barbarischen Wald erwacht, eingekreist von wilden, barbarischen Gesichtern, die sich über mich beugten ? blondbezopft, blondbärtig lehnten sie an ihre mächtigen Speerschäfte, stützten sich auf ihre Schilde aus zäh gewordenem Leder und blickten herab. Und ich war von ihnen umzingelt; es gab kein Entkommen. Ich dachte an alles, was mir vertraut war, und es schien weit weg, nicht nur in einer anderen Welt, sondern auch in einer anderen Zeit, versunken im Meer einer Ewigkeit äonenfern von dem alten dunklen Wald aus barbarischer Zeit. Und da dachte ich mit beinahe zärtlichem Wohlwollen an die fremden, rätselhaften Gesichter der Franzosen, ihren Zynismus und ihre Unredlichkeit, ihre schnelle und aufgeregte Art zu reden, ihre Kleinheit, ihre belanglosen Gebräuche; selbst all ihre leichtsinnigen und banalen Seitensprünge schienen nun sympathisch und vertraut, spielerisch, bezaubernd, voll Anmut. Oder an die verbissenen Engländer, mit ihren Pfeifen, ihren Pubs, ihrem bitteren Bier, ihrem Nebel, ihrem Nieseln, ihren Frauen mit den wiehernden Stimmen und den langen Zähnen ? all diese Dinge schienen mir nun über die Maßen herzerwärmend, sympathisch und vertraut, und ich wünschte, ich wäre bei ihnen. Doch plötzlich schlüpfte eine Hand um meinen Arm, und durch das Getöse und die Benebelung des Trubels hindurch merkte ich, dass jemand mit mir sprach. Ich blickte hinab und sah dort neben mir das fröhliche, gerötete und lächelnde Gesicht eines hübschen Mädchens. Sie zupfte mich gutmütig und neckisch am Arm, sprach mich an, bedeutete mir etwas mit einem Kopfnicken. Ich drehte mich zur anderen Seite. Neben mir saß ein junger Mann, ihr Begleiter; auch er hielt mir lächelnd und glücklich seinen Arm hin. Ich warf einen Blick hinüber und sah Heinrich, sein fahles, einsames, narbiges Gesicht lächelnd und glückselig, wie ich es noch nie gesehen hatte. Er nickte mir zu. Im Nu waren auch wir alle eingehakt, im Takt schunkelnd, schwankend, singend im Gleichklang mit dem Geschmetter dieser gewaltigen Stimmen, schunkelnd, schwankend und singend alle zusammen, indes die Kapelle «Ein Prosit» spielte. Schließlich verklang die Musik, doch nun waren alle Dämme gebrochen, hochrot und glücklich, einander zulächelnd, fielen wir, als das Stück zu Ende war, mit unseren eigenen Jubelrufen in das laute zustimmende Gegröle der Menge ein. Dann setzten wir uns lachend, strahlend und schwatzend wieder. Und nun gab es keine Fremdheit mehr. Es gab keine Barrieren mehr. Wir tranken und schwatzten und aßen zusammen. Ich leerte Liter um Liter des kalten und berauschenden Biers. Seine Nebel stiegen mir zu Kopf. Ich war euphorisch und glücklich. Ich radebrechte furchtlos in meinem bisschen Deutsch. Heinrich half mir von Zeit zu Zeit aus, aber das spielte auch keine Rolle. Mir war, als hätte ich diese Leute mein ganzes Leben lang gekannt, seit ewigen Zeiten. Das junge Mädchen mit dem fröhlichen, hübschen Gesicht versuchte eifrig herauszufinden, wer ich war und was ich tat. Ich zog sie auf. Ich wollte es ihr nicht sagen. Ich machte ihr vieles weis - dass ich Norweger sei, Australier, Zimmermann, Matrose, was mir gerade einfiel, und Heinrich leistete mir Beistand und ermutigte mich feixend in meiner Albernheit.Aber das Mädchen klatschte in die Hände und rief ausgelassen «Nein», sie wisse, was ich sei ? ich sei ein Künstler, ein Maler, ein schöpferischer Mensch. Sie, mitsamt allen andern, wandte sich an Heinrich und fragte ihn, ob das nicht stimme. Und lächelnd neigte er ein wenig den Kopf und sagte, ich sei nicht Maler, sondern Schriftsteller - einen Dichter nannte er mich. Und daraufhin nickten sie alle in zustimmender Genugtuung; das Mädchen klatschte wieder ausgelassen in die Hände und rief, sie habe es doch gewusst. Und wieder tranken wir, hakten einander unter und wiegten uns zusammen im Rund. Und dann, als es spät wurde und die Leute begonnen hatten, die Halle zu verlassen, standen auch wir auf, wir sechs, das Mädchen, noch ein weiteres Mädchen, ihre beiden jungen Männer und Heinrich und ich, zogen mit den singenden, glücklichen Menschenmengen wieder hinaus und gingen Arm in Arm, alle untergehakt, singend durch die Menge. Und dann trennten wir uns schließlich von ihnen, vier jungen Leuten aus der Fülle des Lebens und aus dem Herzen Deutschlands, die ich nie wiedersehen würde - von vier Leuten und vom glücklichen, geröteten und lächelnden Gesicht eines jungen Mädchens. Wir trennten uns, ohne je nach ihren Namen gefragt zu haben, noch sie nach den unseren; wir trennten uns und verloren sie, mit Wärme, mit Freundschaft, mit Zuneigung in unser aller Herzen. Wir gingen unserer Wege, und sie gingen die ihren. Das Gegröle und Getöse des Fests versickerte und verebbte hinter uns, bis es zu einem unermesslichen und schläfrigen fernen Gemurmel geworden war. Und schon erreichten wir, Arm in Arm ausschreitend, wieder den Bahnhof und das alte Herz Münchens. Wir überquerten den Karlsplatz und erreichten schließlich unsere Unterkunft in der Theresien- und Luisenstraße. Nun merkten wir jedoch, dass wir nicht müde waren, nicht zu Bett gehen wollten. Die Nebel des starken und berauschenden Biers, und noch mehr die Nebel der Geselligkeit und Zuneigung, der Freundschaft und menschlichen Wärme, waren uns zu Kopf und Herz gestiegen. Wir wussten, dass es etwas Rares und Kostbares war, der Zauber eines Augenblicks voll des Staunens und der Freude, der enden musste, und es widerstrebte uns, ihn entschwinden zu sehen. Es war eine glorreiche Nacht, die Luft scharf, frostig und die Straße menschenleer, und in weiter Ferne, wie die Zeit, das unaufhörliche und wesenhafte Murmeln der Ewigkeit, das ferne, schläfrige, wellengleiche Summen des großen Fests. Der Himmel war wolkenlos, strahlend, und am Himmel gleißte als strahlend blanker Silberling der Mond. Wir hielten vor unserer Unterkunft einen Augenblick inne und gingen dann, als folgten wir derselben Eingebung, daran vorüber. Wir gingen durch die Straßen, und schon standen wir vor der gewaltigen, stillen und mondgetüncht blanken Alten Pinakothek. Wir gingen an ihr vorbei, wir betraten das Gelände, wir schritten auf und ab, und unsere Füße knirschten ordentlich auf dem ordentlichen Kies. Arm in Arm schwatzten wir, sangen wir, lachten wir miteinander.mehr
Kritik
»Ein tolles Buch, das auch zur Einstimmung auf den Bremer Freimarkt taugt.« Kurier am Sonntag, 19.09.2010mehr

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Autor

Thomas Wolfe (1900-1938) wurde als letztes von acht Kindern in Asheville, North Carolina, geboren. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend, schaffte es der hochbegabte Junge bis nach Harvard und wurde Dozent für amerikanische Literatur an der New York University. Kaum hatte sein Schaffen weltweit Anerkennung gefunden, als er im Alter von nur siebenunddreißig Jahren starb.Irma Wehrli, geboren 1954, ist seit 1984 freie Übersetzerin und widmet sich mit Vorliebe den Klassikern der englischen und US-amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. 2011 erhielt sie das Zuger Übersetzerstipendium für ihre Arbeit an Thomas Wolfes "Of Time and the River".