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Das ferne Feuer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am02.02.20211. Auflage
Die ehrgeizige Berkeley-Studentin Parvin Schams fühlt sich zwischen den liberalen Ideen ihrer charismatischen Professorin und den Erwartungen ihres konservativen afghanisch- amerikanischen Umfelds hin- und hergerissen. Da eröffnet ihr ein Buch eine ungeahnte Möglichkeit, die Theorie in die Praxis umzusetzen und ihre Bestimmung zu finden: Ein Arzt erzählt darin von seinem humanitären Engagement für afghanische Frauen. Parvin ist so begeistert, dass sie für seine Stiftung arbeiten und zugleich ihre Wurzeln erkunden will. Doch vor Ort entdeckt sie, dass die von ihm erbaute Geburtsklinik leer steht und die Bewohner des Dorfes sich seltsam abweisend verhalten. Nach und nach findet Parvin im Gespräch mit ihnen heraus, was es damit auf sich hat. Als Parvins Professorin vertrauliche E-Mails ungefragt veröffentlicht, eskaliert der schwelende Konflikt zwischen Einheimischen und ihren selbsternannten Wohltätern. Erneut muss Parvin entscheiden, wo sie steht. Was bestimmt, wer wir sind und wo wir hingehören? Wie formen die Medien unseren Blick auf die Welt? Und können wir unsere Vorurteile je ablegen? Wie in ihrem gefeierten Roman 'Der amerikanische Architekt' stellt sich Amy Waldman den brennenden Fragen unserer Gegenwart in einer packenden und überraschenden Geschichte.

Amy Waldman, Jahrgang 1969, leitete acht Jahre lang das Südasienbüro der New York Times und war dort Korrespondentin für The Atlantic. Ihr Roman 'Der amerikanische Architekt' wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Brooklyn. Brigitte Walitzek, geboren 1952, lebt in Berlin. Seit 1986 ist sie Übersetzerin, u. a. von Margaret Atwood, Peter Behrens, Jane Bowles, Margaret Forster, Germaine Greer, Carson McCullers, Beverley Nichols, Jeanette Winterson und Virginia Woolf.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextDie ehrgeizige Berkeley-Studentin Parvin Schams fühlt sich zwischen den liberalen Ideen ihrer charismatischen Professorin und den Erwartungen ihres konservativen afghanisch- amerikanischen Umfelds hin- und hergerissen. Da eröffnet ihr ein Buch eine ungeahnte Möglichkeit, die Theorie in die Praxis umzusetzen und ihre Bestimmung zu finden: Ein Arzt erzählt darin von seinem humanitären Engagement für afghanische Frauen. Parvin ist so begeistert, dass sie für seine Stiftung arbeiten und zugleich ihre Wurzeln erkunden will. Doch vor Ort entdeckt sie, dass die von ihm erbaute Geburtsklinik leer steht und die Bewohner des Dorfes sich seltsam abweisend verhalten. Nach und nach findet Parvin im Gespräch mit ihnen heraus, was es damit auf sich hat. Als Parvins Professorin vertrauliche E-Mails ungefragt veröffentlicht, eskaliert der schwelende Konflikt zwischen Einheimischen und ihren selbsternannten Wohltätern. Erneut muss Parvin entscheiden, wo sie steht. Was bestimmt, wer wir sind und wo wir hingehören? Wie formen die Medien unseren Blick auf die Welt? Und können wir unsere Vorurteile je ablegen? Wie in ihrem gefeierten Roman 'Der amerikanische Architekt' stellt sich Amy Waldman den brennenden Fragen unserer Gegenwart in einer packenden und überraschenden Geschichte.

Amy Waldman, Jahrgang 1969, leitete acht Jahre lang das Südasienbüro der New York Times und war dort Korrespondentin für The Atlantic. Ihr Roman 'Der amerikanische Architekt' wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Brooklyn. Brigitte Walitzek, geboren 1952, lebt in Berlin. Seit 1986 ist sie Übersetzerin, u. a. von Margaret Atwood, Peter Behrens, Jane Bowles, Margaret Forster, Germaine Greer, Carson McCullers, Beverley Nichols, Jeanette Winterson und Virginia Woolf.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731761921
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum02.02.2021
Auflage1. Auflage
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1937 Kbytes
Artikel-Nr.5623383
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe


1. Kapitel

Ankunft

Sobald sie die Straße sah, wusste sie, was ihn daran gereizt hatte. Unausgeschildert und unbefestigt stieg sie zwischen malvenfarbenen Gebirgsausläufern an und glitt dann zwischen ihnen hindurch. Wenn man sich langweilte - so wie Gideon Crane -, mit seinem Begleiter, mit der ganzen (wohin eigentlich führenden?) Reise, die man so unbedingt hatte unternehmen wollen -, hätte die Abzweigung einen geradezu angesprungen. Wie Crane hätte man den Fahrer gebeten, die Hauptstraße zu verlassen, und als der sich weigerte, seinen Laster mit der Fuhre Melonen aufs Spiel zu setzen, nur um die Neugier eines Ausländers auf eine dämliche Nebenstraße ins Nirgendwo zu befriedigen, wäre man ebenfalls ausgestiegen und hätte versucht, mit Eseln weiterzukommen.

Parvin Schams wurde in einem weißen Land Cruiser auf eben diese Nebenstraße kutschiert, was sie mit noch größerer Bewunderung für Cranes Risikobereitschaft erfüllte. Ihr war fast schwindlig vor Aufregung, weil sie sechs Jahre nach Cranes ursprünglicher Reise seinen Spuren folgen konnte. In seinen Erinnerungen - dem Buch, das sie hierher geführt hatte - hatte er von seiner »Sehnsucht nach Abenteuern« gesprochen, die ihn auf diese Straße gelockt hatte, und von seiner Überzeugung, tiefer ins Innere Afghanistans vorzudringen, würde ihn tiefer in sein eigenes Inneres führen: Was wir als Annehmlichkeiten betrachten, sind nur Puffer, die uns daran hindern, uns selbst kennenzulernen, zu uns selbst zu werden. Ich wollte mich von innen nach außen kehren, meine Taschen ausleeren und herausfinden, was in mir steckte. Mit ihren einundzwanzig Jahren - etwa halb so alt wie Crane zur Zeit seiner Reise - glaubte Parvin, ähnlich gestrickt zu sein, war sie doch unterwegs in ein abgelegenes Dorf, wo sie sich Cranes Kreuzzug, afghanische Frauen davor zu bewahren, im Kindbett zu sterben, anschließen wollte. Sie würde bei einer Familie leben und ihre ärmlichen Lebensumstände mit ihnen teilen. Ganz unverkennbar teilte sie Cranes Sehnsucht.

Diese Selbsteinschätzung wurde jedoch schon bald von den Steinen durcheinandergerüttelt, mit denen die Straße übersät war. Crane hatte sie als »grauenhafte, kaum passierbare Zumutung« beschrieben, was sich in der Realität weit weniger romantisch anfühlte als bei der Lektüre. Die Straße war ein Hindernisparcours aus Geröll, über das man rumpeln, Felsbrocken, die man umfahren und tiefen Schlaglöchern, durch die man sich vorsichtig hindurchmanövrieren musste. Schlammpfützen saugten an den Reifen, als wollten sie Mark aus Knochen schlürfen. All das verlangsamte den Wagen auf holperige Schrittgeschwindigkeit. Auch die Zeit schien sich zu verlangsamen, und während die Minuten dahinkrochen und Parvins Unruhe wuchs, fing sie an, ihren eigenen Mut zu hinterfragen. Sie war zwar in Afghanistan geboren, doch ihre Eltern hatten das Land mit ihr und ihrer älteren Schwester verlassen, als sie ein Jahr alt war. Seitdem war sie nie wieder dort gewesen, sondern hatte ein behütetes amerikanisches Leben geführt - wie behütet, erkannte sie erst jetzt, als seine Annehmlichkeiten in weite Ferne rückten. In weiser Voraussicht hatte sie kaum etwas getrunken, ehe sie vor vier Stunden losgefahren waren, aber das Geholpere des Land Cruisers schickte unangenehme Erschütterungen durch ihre Blase.

Sie ließen das Vorgebirge hinter sich. Über Haarnadelkurven hangelten sie sich an einer Schlucht mit hoch aufragenden Schieferwänden entlang. Überwältigt von einem Gefühl des Eingeschlossenseins vergaß Parvin für kurze Zeit ihr körperliches Unbehagen. Dann jedoch fiel ihr auf, dass die sogenannte Straße zu einem höchstens für ein einziges Fahrzeug geeigneten, aus den Felsen herausgehauenen Pfad geworden war. Als sie einen Blick aus dem linken Fenster wagte, sah sie - nichts. Es war, als hingen sie in der Luft. Tatsächlich krochen sie hoch oben an der Felswand entlang, die steil zu einem Fluss abfiel. An die Armlehne geklammert, sah sie das Auto jeden Augenblick über den Rand kippen und in das dumpfgrüne Wasser tief unten stürzen, wo Dunkel herrschte, obwohl der Tag sonnig war. Nur über der gegenüberliegenden Wand war ein Streifen erstaunlich blauen Himmels zu sehen. Ihr war kalt, sie hatte Hunger, ihre Muskeln waren völlig verkrampft, alles tat ihr weh. An jeder Biegung hielt sie Ausschau nach dem Dorf, aber das einzige erkennbare Anzeichen von Behausung, hoch oben auf einer Felsspitze, war ein Nest.

»Wie lange noch?«, schrie sie dem Fahrer, Issa, zu.

Er antwortete nicht, was sie inzwischen auch gar nicht mehr von ihm erwartete. Seit er sie in Kabul abgeholt hatte, hatte er auf voller Lautstärke Musik laufen lassen - größtenteils Bollywood-Soundtracks, die er mit überraschend angenehmer Kopfstimme mitsang. Für Parvins Fragen war er taub. Wenn überhaupt, redete er mit ihrem Cousin Fawad, der noch studierte und als ihre Begleitperson fungierte. Ihm hatte Issa den Beifahrersitz angeboten, während er Parvin behandelte wie ein Paket, das er ausliefern musste.

Issa, Cranes rechte Hand in Afghanistan, war anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Das Buch beschrieb ihn als findigen, mit allen Wassern gewaschenen Helfer, der eine Karriere als Antiquitätenschmuggler aufgegeben hatte, um sich für afghanische Mütter einzusetzen. Als Crane in dem Dorf, das Parvins Ziel war, eine Klinik errichten wollte, hatte Issa ihm unermüdlich beigestanden, verbissen mit Bürokraten, Banditen und Taliban verhandelt, gesagt und getan, was immer erforderlich war, um mehr Frauenleben zu retten, wohl auch, weil seine eigene Mutter bei seiner Geburt gestorben war. Als Junge, hatte Crane geschrieben, habe Issa nur einschlafen können, wenn er ihr Kopftuch umklammerte; als Mann träumte er immer noch von ihrer Berührung. Lange bevor Parvin ihn kennenlernte, hatte sie den mutterlosen Jungen in ihm bemitleidet, allerdings war dieses Thema zu persönlich, um es anzusprechen. Es war eigenartig, aus einem Buch mehr über einen Menschen zu wissen als das, was er selbst von sich preisgab - praktisch nichts.

Für Parvin hatte Issa mit seinen gleichgültigen Augen und dem mürrischen Mund überhaupt nichts Findiges. Sein buschiger schwarzer Schnurrbart war bei Weitem das Lebhafteste in seinem Gesicht. Bei ihrer Begegnung an diesem Morgen hatte er eine Begrüßung gegrummelt und ihre Kleidung gemustert - lange, rote, weit geschnittene Tunika, Jeans, marineblaues Kopftuch -, als seien diese Sachen ein für ihn unlösbares Rätsel. Mit Blick auf ihre drei Koffer hatte er gesagt: »Die Frauen in den Dörfern kleiden sich sehr schlicht.« Normalerweise reagierten Männer auf Parvins Schönheit - lange, dunkle Haare, lebhafte, ebenfalls dunkle Augen, volle Lippen -, oder zumindest auf eine Sinnlichkeit, die sie anscheinend besaß. Issa zeigte nicht einmal einen Hauch von Interesse.

Sie versuchte zu erkennen, ob auch Fawad so nervös war wie sie, aber sie saß genau hinter ihm. Für ihn war diese Fahrt die erste, die ihn mehr als nur ein kurzes Stück aus Kabul herausführte, und er war nur höchst widerstrebend auf Beharren seines Vaters, Parvins Onkel, mitgekommen. Und nur unter der Bedingung, dass er, sobald er Parvin bei ihren Gastgebern abgeliefert hatte, sofort zurückkommen könne. Parvin fand seine Lederjacke, die gefälschte Designerjeans und die Edelsneaker für eine Fahrt ins ländliche Afghanistan ein bisschen lächerlich. Als sie Kabul hinter sich gelassen hatten, hatte er eine Weile wie besessen gesimst, es inzwischen aber aufgegeben. Die Berge hatten jedes Signal verschluckt.

Als hätte die Sonne einen Damm durchbrochen, flutete in genau diesem Augenblick Licht in die Schlucht, färbte den Fluss smaragdgrün und verwandelte den schmalen Streifen Himmel in feuriges Orange und grelles Pink. Zwei Vögel kreuzten ihren Weg und flogen die Schlucht entlang; ihre Schatten schwebten über die in warmes gelbes Licht getauchte gegenüberliegende Felswand. Parvin war hingerissen, gleichzeitig aber auch beunruhigt, da die untergehende Sonne bedeutete, dass sie das Dorf vielleicht nicht vor Einbruch der Dunkelheit erreichen würden.

So plötzlich, wie die Farben gekommen waren, verschwanden sie wieder. Violett-blaues Zwielicht, ätherisch, flüchtig, breitete sich aus und wurde kurz darauf von der Nacht verschluckt. Parvin hatte noch nie einen so angespannten Fahrer oder eine so absolute Dunkelheit erlebt. Die Scheinwerfer des Land Cruisers kamen kaum dagegen an. Issa machte die Musik aus, die noch eine Weile in Parvins Ohren nachhallte, und umklammerte das Steuer so fest, dass seine Knöchel im schwachen Schein der Armaturenbeleuchtung totenbleich aussahen. Dazu waren er und Fawad verstummt, und die plötzliche Stille ängstigte sie.

Der Fluss und überhaupt die ganze Welt außerhalb des Autos waren verschwunden. Die Straße oder das, was Parvin im Licht der Scheinwerfer davon erahnen konnte, wurde noch schmaler, ihr Tempo noch langsamer. Parvin hatte Angst und kam sich gleichzeitig dumm vor, weil sie sich in diese lebensbedrohliche Situation gebracht hatte, andererseits fühlte sie sich beim Gedanken an ihren möglichen Tod erregend lebendig. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr mit dem im Dunkel leuchtenden Zifferblatt. Von der Hauptstraße zum Dorf waren es laut Issa fünfundzwanzig Kilometer, aber sie waren jetzt schon über zwei Stunden unterwegs, ohne dass ein Hinweisschild oder überhaupt eine Wegmarkierung zu sehen gewesen wäre. Gerade fing sie an zu zweifeln, ob das Dorf überhaupt existierte, da leuchtete ein weißes Gebäude im Scheinwerferlicht auf.

»Dr. Gideons Klinik«, rief Issa.

»Fereschtas Klinik«, verbesserte sie...

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Autor

Amy Waldman, Jahrgang 1969, leitete acht Jahre lang das Südasienbüro der New York Times und war dort Korrespondentin für The Atlantic. Ihr Roman "Der amerikanische Architekt" wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Brooklyn.

Brigitte Walitzek, geboren 1952, lebt in Berlin. Seit 1986 ist sie Übersetzerin, u. a. von Margaret Atwood, Peter Behrens, Jane Bowles, Margaret Forster, Germaine Greer, Carson McCullers, Beverley Nichols, Jeanette Winterson und Virginia Woolf.

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