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Wildblumen im Winter

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
284 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am15.08.20141. Aufl. 2014
Bridge House, Hesters hübsches Cottage im Exmoor, ist ein Ort voller Geschichte. Nur zu gern denkt die alleinstehende Hester an die kleine Lucy zurück, die bei ihr ein neues Zuhause fand - bis das Mädchen unter mysteriösen Umständen verschwand. Erst als Hester nach vielen Jahren Lucy wiedertrifft, begreift sie: Sie beide sind das Opfer eines Familiendramas und einer verhängnisvollen Lüge geworden. Ein hinreißender Roman über das Gift der Lüge und das befreiende Glück der Wahrheitmehr

Produkt

KlappentextBridge House, Hesters hübsches Cottage im Exmoor, ist ein Ort voller Geschichte. Nur zu gern denkt die alleinstehende Hester an die kleine Lucy zurück, die bei ihr ein neues Zuhause fand - bis das Mädchen unter mysteriösen Umständen verschwand. Erst als Hester nach vielen Jahren Lucy wiedertrifft, begreift sie: Sie beide sind das Opfer eines Familiendramas und einer verhängnisvollen Lüge geworden. Ein hinreißender Roman über das Gift der Lüge und das befreiende Glück der Wahrheit
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732501588
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum15.08.2014
Auflage1. Aufl. 2014
Seiten284 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2189666
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
EINS

Den ganzen Tag lang hatte sie gewartet. Am frühen Morgen war sie aus einem unruhigen Schlaf aufgeschreckt, als ein Windstoß in den Schlafzimmervorhang fuhr, sodass er knatterte wie ein Schiffssegel. Ein Vorhangzipfel wischte das gerahmte Foto von der Rosenholzkommode, und es fiel klirrend zu Boden. Mühsam setzte sie sich auf, immer noch wie benebelt von ihrem wirren Traum. Während sie die Bettdecke zurückschlug, murmelte sie »Oje, oje!«, als sei ein schreckliches Unglück geschehen. Das Glas war zerbrochen, ein Stück herausgefallen, und die im Rahmen verbliebene gezackte Scherbe schien das Foto in zwei Hälften zu teilen und die vier Personen zu trennen. Im Dämmerlicht, das durch das Fenster hereinsickerte, hob sie das Foto auf und betrachtete es. Edward und sie strahlten mit jugendlicher Zuversicht in die Kamera, während die beiden anderen Jungen sehr viel blasser wirkten.

Ein durchaus treffendes Bild, wenn man es genau bedachte. Sie, die Jüngste, und Edward, ihr ältester Bruder, waren einander eng verbunden durch die Liebe zur Poesie und Musik, während sie eine gewisse Distanz zu den übrigen Geschwistern hatten: zu den beiden mittleren Brüdern - sportlich, muskulös und voller Energie -, aber auch zu ihrer sanftmütigen, häuslichen Schwester Patricia, der Ältesten. Wie stolz die Mutter doch auf ihre Söhne gewesen war, und wie wenig sie sich um ihre Töchter gekümmert hatte!

Hester hielt das vergilbte Foto ins Licht. Habe ich tatsächlich so ausgesehen damals, im letzten Sommer vor dem Krieg? Das Kinn gereckt, mit einem Ausdruck furchtloser Erwartung, der ihr fast das Herz zerriss? Edward, einen Kopf größer als sie, fröhlich und unbeschwert in einem Hemd mit offenem Kragen, hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Das Foto hatte wohl ihr Cousin Blaise gemacht, der genauso alt war wie Edward.

Mit einer abrupten Bewegung legte Hester das Foto mit der Vorderseite nach unten auf die Kommode. Das splitternde Glas hatte auch Erinnerungssplitter an ihre Vergangenheit heraufbeschworen. Eine lähmende Panik überwältigte sie: zerbrochenes Glas, ein böses Omen! Aber doch nur, wenn ein Spiegel zerbricht, nicht bei gewöhnlichem Glas!, schalt sie sich energisch. Dennoch, eine ängstliche Vorahnung, die ihren Puls beschleunigte und ihr Gehör schärfte, durchfuhr sie bis in die Fingerspitzen. Ungeschickt klaubte sie die Scherben zusammen.

Später, nach dem Frühstück, trat sie durch die Terrassentür ins Freie und blickte hinunter auf den Fluss. Sonnenstrahlen fielen durch die kahlen Kronen der Bäume am Ufer und verliehen dem rauschenden Wasser, das sich zwischen den grasigen Böschungen den Weg bahnte, einen silbrigen Glanz. In den Ästen der schlanken Birken wütete der Südwestwind, er riss die letzten Blätter ab und ließ sie in goldenen Schauern zu Boden regnen. Von der Strömung fortgetragen, trieben sie vorbei an den feuchten Wiesen, auf die das Sonnenlicht glitzernde Muster zeichnete.

Hester legte die Hände auf die Steinmauer. In der Nacht hatte es oben auf den Chains heftig geregnet, und über die großen glatten Felsbrocken unterhalb der Terrasse strömten jetzt die Wassermassen des Barle. Hier, genau an dieser Stelle, war Edward gestürzt. Die Brüstung hatte damals seinen Fall in die Tiefe nicht verhindert. Ihre Schwägerin hatte Hester mit beiden Händen festgehalten und sie davon abgehalten hinterherzuspringen.

Die lebhafte Erinnerung an diese Szene - Edward, der unvermutet von der dunklen, regennassen Terrasse durch die Glastür in das Zimmer gegangen war, wo seine Frau in den Armen seines ältesten und besten Freundes lag - wurde überlagert von dem vertrauten Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Im Wohnzimmer, das Hester nun im Geist vor sich sah, hatte an jenem Abend plötzlich etwas aufgeleuchtet. Etwas, was sie nicht genauer erfassen konnte, von dem sie aber wusste, dass es nicht ins Bild passte: geheimnisvolle düstere Zimmerecken, goldene Lichtkreise der Lampen auf poliertem Holz, die schillernden Reflexe des Spiegels über dem Kamin, dessen blaue und orangerote Flammen gierig an den Holzscheiten leckten. Eine Zeitung war von den Chintzkissen des Sofas unter dem Fenster geglitten, dessen purpurrote Damastvorhänge zugezogen waren, um das Haus vor dem Wüten der Natur zu schützen. Und hier, genau hinter dem Sofa, hatte im Schein des Feuers etwas hell aufgeleuchtet - und war im nächsten Augenblick bereits wieder verschwunden.

Ein Geräusch lenkte Hester von ihren Grübeleien ab. Sie schlug die Augen auf und sah hinunter zum Fluss. Ein paar Stockenten ließen sich von der reißenden Strömung ein Stück mittragen, bevor sie, lustvoll quakend und hektisch paddelnd, auf die ruhigeren Stellen unter den Bäumen zusteuerten, wo sie sich ans Ufer hievten. Hester ging ins Haus zurück und holte einen Kanten Brot. Sie musste laut lachen, als sie beobachtete, wie die Tiere über den Rasen auf sie zuwatschelten. Abgelenkt von diesem Schauspiel, vergaß Hester ihre Ahnungen, doch sobald die tägliche Fütterung vorbei war und die Enten wieder in den Fluss glitten, war sie wieder da, diese unerklärliche Angst.

Es erschien ihr fast wie eine Erlösung, als am frühen Nachmittag das Telefon läutete, während sie bei einer Tasse Kaffee saß. Sie zwang sich zur Ruhe und meldete sich klar und deutlich, war jedoch sehr erstaunt, die Stimme ihrer Patentochter zu hören. Mit Clio hatte sie am allerwenigsten gerechnet.

»Hör zu, Hes, etwas sehr Merkwürdiges ist passiert. Ich habe hier einen gewissen Jonah Faringdon kennengelernt, dessen Mutter im Krieg bei dir in Bridge House gewohnt hat, nachdem ihre Mutter bei einem Luftangriff ums Leben gekommen war. Ihr Name war Lucy Scott. Sagt dir der was?«

Lucy. Die kleine Lucy! Hester holte tief Luft.

»Ja. Ja, natürlich. Sie war damals noch ein Kind.«

»Ich habe überlegt, ob ich Jonah nicht heute Abend mitbringen könnte. Ich mache uns etwas zu essen, und wir könnten ein wenig plaudern. Anschließend fahre ich ihn dann nach Michaelgarth zurück, es sei denn …« Ein kurzes Zögern.

Hester reagierte fast automatisch auf die unausgesprochene Bitte. »Er kann gern hier übernachten. So spät willst du doch sicher nicht noch mal raus, oder? Natürlich nur, wenn er damit einverstanden ist und nicht zurückerwartet wird.«

»Das wäre wunderbar. Wir müssen morgen früh ohnehin beide wieder hier sein. Übrigens ist er Bühnenautor. Alles lässt sich gut an, und es herrscht schon große Aufregung. Ich bin wirklich froh, dass ich Lizzie meine Hilfe angeboten habe. Wir werden dir später alles ausführlich erzählen. Ich weiß nicht genau, wann wir kommen, irgendwann am frühen Abend. Ich kümmere mich um das Dinner und richte sein Bett, in Ordnung?«

»Natürlich.«

»Wirklich, Hes? Du klingst ein bisschen reserviert. Ist doch ein irrer Zufall, findest du nicht?«

»Ja. O ja. Unvorstellbar. Ich kann es kaum glauben.«

»Es ist wirklich merkwürdig. Er brennt darauf, das Haus zu sehen, in dem seine Mutter gewohnt hat. Und dich natürlich auch.«

»Natürlich. Ich freue mich auch, Jonahs Bekanntschaft zu machen.«

Der Kaffee war kalt geworden und schmeckte so bitter, dass sie die Tasse wieder auf die Untertasse zurückstellte. Ihre Hände zitterten leicht, und sie bedeckte sie mit dem Schal. Die kleine Lucy! Erinnerungen wurden wach, glückliche und quälende Erinnerungen, aber es regte sich auch ihr schlechtes Gewissen. Sie hatte es stets bereut, dass sie sich nicht von Lucy verabschiedet hatte. Als das Mädchen damals so überstürzt aufgebrochen war, hatte Hester dringendere Angelegenheiten zu erledigen gehabt; und als ihr klar wurde, dass sie dem Kind nicht einmal Lebwohl gesagt hatte, war es zu spät. Zu spät, als sie zu überlegen begann, ob sie sich nicht hätte vergewissern sollen, dass es Lucy auch tatsächlich gut ging.

Ganz bewusst beschwor Hester erfreulichere Bilder der Vergangenheit herauf. Gut ein Jahr lang hatte Lucy mit ihnen in Bridge House gelebt. Die ganze Familie hatte das Mädchen damals gleich ins Herz geschlossen. Eine Erinnerung trat ihr jetzt besonders klar vor Augen, und Hester lächelte wehmütig.

Jeden Morgen vor dem Frühstück gingen Hester und Lucy die Hühner füttern. Beide trugen einen Eimer mit Mischfutter, Lucy einen kleinen roten aus Plastik. Ihr Weg führte quer über den Rasen und durch das Tor zu einer Wiese. Bei Kriegsausbruch hatte man den größten Teil davon umgegraben, um dort Gemüse anzubauen, aber ein Stück hatte man für die dicken roten Hennen eingezäunt; ihr Stall war ein ziemlich baufälliger Holzschuppen mit einer stabilen Tür zum Schutz vor den Füchsen. Hester wusste, wie gern Lucy in diesem Hühnerhaus mit dem niedrigen Dach in den mit stacheligem Stroh ausgelegten Legekästen nach warmen Eiern tastete. Während die Hennen laut gackernd um Hester und das Futter herumtrippelten, füllte Lucy ihren leeren, mit Futterresten verkrusteten Eimer mit den wertvollen Eiern. Und sie versäumte es nie, auch die grünen Ränder von Hesters Gemüsebeeten abzusuchen. Die Hennen hatten freien Auslauf, und in einem Grasbüschel oder zwischen den Brennnesseln war manch verborgener Schatz zu finden.

Hester beobachtete die Kleine voller Belustigung. Die langen braunen Haare fielen ihr über die geröteten Wangen, die kleinen Hände teilten behutsam die langen Halme, und wenn sie ein Ei entdeckte, geriet sie jedes Mal außer sich vor Freude. Sie bückte sich und schaute in den Eimer, den sie triumphierend hochhielt. »Gut gemacht, Lucy! Da wird Nanny aber Augen machen!« Sie strich ihr das Haar zurück und band es ihr im Nacken...
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