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Das Erbe der Rosenthals

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
432 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am21.12.20171. Aufl. 2017
1939 muss die elfjährige Hannah mit ihrer Familie aus Berlin fliehen, denn sie ist Jüdin. Ein Schiff soll sie nach Kuba bringen, doch nur die Wenigsten dürfen die St. Louis dort verlassen. Auch Hannahs Familie wird auseinandergerissen.

2014 sucht die elfjährige Anna nach den Wurzeln ihres bei 9/11 verstorbenen Vaters. Ein Brief ihrer Großtante enthält Fotos und erste Hinweise. Doch erst als sie zusammen mit ihrer Mutter von New York nach Kuba reist, kommt sie der Geschichte ihrer Familie wirklich nahe ...

Was bedeutet es, auf der Flucht zu sein, seine Heimat zu verlieren, die Liebsten? Einfühlsam und sprachgewaltig erzählt Armando Lucas Correa die Geschichte zweier Mädchen, die zwei Kontinente und mehr als sechs Jahrzehnte trennen, die aber so vieles verbindet: die Liebe zu ihren Vätern, ihr Überlebenswille, die Hoffnung.






Armando Lucas Correa lebt in Manhattan und arbeitet dort als Herausgeber des wichtigsten Magazins der spanischen Gemeinschaft in den USA, People en Español. Zuvor arbeitete er auf Kuba als Herausgeber eines Kulturmagazins. Für seine journalistische Arbeit wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der National Association of Hispanic Publications und der Society of Professional Journalism. Das Erbe der Rosenthals ist sein erster Roman.
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Verfügbare Formate
HörbuchCompact Disc
EUR20,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext1939 muss die elfjährige Hannah mit ihrer Familie aus Berlin fliehen, denn sie ist Jüdin. Ein Schiff soll sie nach Kuba bringen, doch nur die Wenigsten dürfen die St. Louis dort verlassen. Auch Hannahs Familie wird auseinandergerissen.

2014 sucht die elfjährige Anna nach den Wurzeln ihres bei 9/11 verstorbenen Vaters. Ein Brief ihrer Großtante enthält Fotos und erste Hinweise. Doch erst als sie zusammen mit ihrer Mutter von New York nach Kuba reist, kommt sie der Geschichte ihrer Familie wirklich nahe ...

Was bedeutet es, auf der Flucht zu sein, seine Heimat zu verlieren, die Liebsten? Einfühlsam und sprachgewaltig erzählt Armando Lucas Correa die Geschichte zweier Mädchen, die zwei Kontinente und mehr als sechs Jahrzehnte trennen, die aber so vieles verbindet: die Liebe zu ihren Vätern, ihr Überlebenswille, die Hoffnung.






Armando Lucas Correa lebt in Manhattan und arbeitet dort als Herausgeber des wichtigsten Magazins der spanischen Gemeinschaft in den USA, People en Español. Zuvor arbeitete er auf Kuba als Herausgeber eines Kulturmagazins. Für seine journalistische Arbeit wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der National Association of Hispanic Publications und der Society of Professional Journalism. Das Erbe der Rosenthals ist sein erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732547692
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum21.12.2017
Auflage1. Aufl. 2017
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2388055
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Hannah

Berlin, 1939

Ich war knapp zwölf, als ich mir vornahm, meine Eltern umzubringen.

Ich war fest dazu entschlossen. Ich würde mich ins Bett legen und warten, bis sie eingeschlafen wären. Dieser Zeitpunkt war nicht schwer abzuschätzen, denn alles lief inzwischen nach einem immer gleichen Ritual ab: Nach dem Abendessen, das in letzter Zeit nur noch aus einer Schüssel heißer, fad schmeckender Suppe bestanden hatte, würde Papa zunächst die großen Doppelfenster verschließen und dann die schweren bronzegrünen Vorhänge zuziehen. »Wir können nichts daran ändern«, würde er wie schon seit Tagen sagen. »Es ist vorbei. Wir müssen das Land verlassen.«

Darauf würde unweigerlich Mamas Geschrei folgen. Ihre Stimme würde sich überschlagen, während sie Papa mit Vorwürfen überschüttete und hektisch auf und ab lief. Seit vier Monaten hatte sie unsere Wohnung kaum einmal verlassen und sich in ihr wie in einer Trutzburg mitten in einer untergehenden Stadt zurückgezogen. Irgendwann wäre sie erschöpft. Dann würde sie die Arme um Papa schlingen, und ihr leises Gejammer würde verebben.

Von da an müsste ich bloß ein paar Stunden abwarten. Sie würden keinerlei Widerstand leisten. Mir war klar, dass Papa bereits aufgegeben hatte und selbst aus dem Leben scheiden wollte. Bei Mama würde es schwieriger werden, doch sie nahm immer so viele Schlaftabletten, dass sie tief und fest schlafen würde, umhüllt vom Duft von Jasmin und Geranien. Obwohl sie ihre Tablettendosis nach und nach erhöht hatte, wachte sie immer noch mitten in der Nacht schreiend und weinend auf. Ich schoss dann hoch und wollte nachschauen, was los war, aber durch die halb offene Schlafzimmertür konnte ich nur sehen, dass Mama untröstlich in Papas Armen hing wie ein kleines Mädchen, das sich von einem furchtbaren Albtraum erholen muss. Allerdings war Mamas schlimmster Albtraum das Wachsein.

Mein Weinen hörte niemand mehr, keiner beachtete es. Papa sagte immer, ich sei stark. Ich würde schon alles überstehen, egal, was passierte. Mama dagegen nicht. Der Schmerz nagte an ihr, bis nichts mehr von ihr übrig wäre. Sie war das Kind im Haus, in einer Wohnung, in die das Tageslicht kaum mehr eingelassen wurde. Seit vier Monaten hatte Mama jede Nacht geweint - seit die Stadt von Glasscherben bedeckt war und über allem der beißende Geruch von Schießpulver, Metall und Rauch hing. Damals hatten meine Eltern angefangen, unsere Flucht zu planen. Sie beschlossen, das Haus zu verlassen, in dem ich geboren war, und verboten mir, in die Schule zu gehen, wo mich ohnehin niemand mehr mochte. Dann hatte Papa mir meinen zweiten Fotoapparat geschenkt.

»Damit kannst du dir einen Weg aus dem Labyrinth suchen, so wie Ariadne mit ihrem Faden«, hatte er mir zugeflüstert.

Jedenfalls fand ich, dass es wohl das Beste wäre, meine Eltern loszuwerden.

Ich überlegte, ob ich Aspirin unter Papas Essen mischen oder Mamas Schlaftabletten klauen sollte. Ohne ihre Pillen würde sie keine Woche durchhalten. Das Problem war nur, dass ich selbst an meinen Plänen zweifelte. Wie viele Aspirin würde Papa wohl schlucken müssen, bis er ein Magengeschwür und innere Blutungen bekam, die zum Tod führten? Wie lange konnte Mama tatsächlich ohne Schlaf überleben? Alles, was mit Blutvergießen zu tun hatte, kam von vornherein nicht infrage, weil ich kein Blut sehen konnte. Also wäre es vermutlich am besten, sie zu ersticken. Mit einem dicken Daunenkissen vielleicht. Mama hatte schließlich schon mehrfach den Wunsch geäußert, dass der Tod sie im Schlaf überraschen möge. »Lange Abschiede kann ich nicht ertragen«, sagte sie immer und starrte mich eindringlich an. Oder sie packte mich, wenn ich ihr nicht richtig zuhörte, am Arm und drückte ihn mit der wenigen Kraft, die ihr noch geblieben war.

Einmal fuhr ich nachts aus dem Schlaf hoch, und mir war, als hätte ich das Verbrechen bereits begangen. Ich sah die leblosen Körper meiner Eltern vor mir, konnte aber keine einzige Träne vergießen. Ich fühlte mich befreit. Nun konnte mich niemand mehr zwingen, in irgendein heruntergekommenes Viertel zu ziehen und meine Bücher, die Fotografien und Kameras zurückzulassen. Und ich brauchte auch nicht mehr in der furchtbaren Angst zu leben, dass meine eigenen Eltern mich vergiften könnten.

Ich begann zu zittern. »Papa!«, rief ich. Doch niemand erschien zu meiner Rettung. »Mama!«

Es gab kein Zurück. Was war aus mir geworden? Wie hatte ich nur so tief sinken können? Und was sollte ich mit ihren Leichen machen? Wie lange würde es dauern, bis sie verwest wären?

Jeder würde glauben, dass sie sich selbst umgebracht hätten. Niemand hätte auch nur den geringsten Zweifel daran. Schließlich hatten meine Eltern in den letzten Monaten unter ihrer Situation furchtbar gelitten. Die Leute würden in mir eine arme Waise sehen - ich dagegen wüsste, dass ich eine Mörderin war. Mein Verbrechen stand sogar im Lexikon; ich hatte es nachgeschlagen. Ein grässliches Wort! Schon beim bloßen Aussprechen überlief mich ein Schauer. Patrizid - Elternmord. Ich brachte es kaum über die Lippen. Ich war eine Mörderin.

Es war ganz einfach, mein Verbrechen, meine Schuld, meine Qual zu benennen. Aber was war mit meinen Eltern, die vorhatten, mich loszuwerden? Wie bezeichnet man Leute, die ihre Kinder umbringen? Ist das ein so unvorstellbares Verbrechen, dass es dafür nicht einmal einen Begriff im Wörterbuch gibt? Kämen sie nach einem solchen Verbrechen glimpflich davon, während ich nicht nur die Schuld an ihrem Tod, sondern auch noch die Last dieses widerwärtigen Begriffs tragen müsste? Offenbar konnte man seine Eltern und Geschwister töten, nicht aber seine Kinder.

Ich sah mich durch unsere Wohnung schleichen, die mir immer enger und dunkler vorkam, in einem Haus, das bald nicht mehr uns gehören würde. Ich sah hinauf zu der unerreichbar hohen Zimmerdecke und ging durch die Flure, vorbei an Bildern einer Familie, die bald verschwinden würde. Aus Papas Arbeitszimmer fiel ein Lichtstreifen in den Korridor. Ich stand da, starr und hilflos, unfähig, einen Schritt zu tun, und sah, wie sich meine bleichen Hände im Licht golden verfärbten.

Ich schlug die Augen auf und war in meinem Schlafzimmer, umgeben von zerlesenen Büchern und Puppen, mit denen ich nie gespielt hatte und nun auch nicht mehr spielen würde. Ich schloss die Augen wieder und spürte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis wir auf einem Ozeandampfer fliehen würden, ohne festes Ziel, fort aus diesem Land, das nie unsere Heimat gewesen war.

Letzten Endes habe ich meine Eltern nicht umgebracht. Das war gar nicht nötig. Die eigentlichen Schuldigen waren sie selbst. Sie zwangen mich, mich mit ihnen gemeinsam in den Abgrund zu stürzen.

Der Geruch in unserer Wohnung war unerträglich geworden. Ich konnte nicht verstehen, wie Mama es hier aushielt, zwischen den Wänden mit der moosgrünen Seidentapete, die auch noch das letzte bisschen Tageslicht schluckte. Es roch nach Eingesperrtsein.

Ich ahnte, dass uns nicht mehr viel Zeit blieb. Den Sommer würden wir nicht mehr hier in Berlin verbringen. Mama hatte Mottenkugeln in die Wandschränke gehängt, als wolle sie sich ihre Welt möglichst lange bewahren. Der durchdringende Geruch hing in der ganzen Wohnung. Ich hatte keine Ahnung, was sie mit den Mottenkugeln noch schützen wollte, denn wir würden ohnehin alles verlieren.

»Du riechst wie die alten Tanten auf der Großen Hamburger Straße!«, neckte Leo mich. Leo war mein einziger Freund, der einzige Mensch außerhalb meiner Familie, der mir ins Gesicht schaute, ohne mich anspucken zu wollen.

Der Frühling in Berlin war kalt und regnerisch, trotzdem ging Papa oft ohne Mantel aus dem Haus. In letzter Zeit nahm er nicht mehr den Fahrstuhl, wenn er die Wohnung verließ, sondern ging die Treppenstufen hinunter, die unter seinen Schritten knarrten. Ich dagegen sollte die Treppe nicht benutzen. Papa nahm die Treppe nicht etwa, weil er es eilig hatte, sondern weil er den anderen Hausbewohnern nicht im Fahrstuhl begegnen wollte. Die fünf Familien, die in den Stockwerken unter uns wohnten, warteten alle darauf, dass wir endlich auszogen. Menschen, die einmal unsere Freunde gewesen waren, behandelten uns nicht länger freundlich. Die gleichen Nachbarn, die sich früher bei Papa bedankt hatten oder sich bei Mama und ihren Freundinnen hatten beliebt machen wollen, die Mamas guten Geschmack gelobt hatten und sich bei ihr Rat holten, welche Handtasche wohl am besten zu welchem Paar Schuhe passte, blickten nun auf uns herab und konnten uns jederzeit denunzieren.

Mama verbrachte ihre Tage, ohne die Wohnung zu verlassen. Jeden Morgen nach dem Aufstehen steckte sie sich ihre Rubinohrringe an und strich ihr glänzendes, dichtes Haar nach hinten, um das sie ihre Freundinnen immer beneidet hatten, wenn sie den Wintergarten des Hotels Adlon betrat, in dem der Nachmittagstee serviert wurde. Papa nannte Mama immer »die Göttliche«, denn sie war eine begeisterte Kinogängerin und ließ sich keine Premiere im Filmpalast entgehen, bei der die echte Göttin der Leinwand mitspielte - die göttliche Greta Garbo.

»Sie ist deutscher als die meisten Deutschen!«, betonte Mama immer, wenn sie über »die Göttliche« sprach, die in Wahrheit Schwedin war. Doch in Zeiten des Stummfilms kümmerte es sowieso niemanden, aus welchem Land ein Filmstar kam.

Wir hatten die Garbo entdeckt. Wir hatten immer schon geahnt, dass man sie eines Tages anbeten würde. Wir schätzten sie schon lange - deshalb nahm Hollywood überhaupt Notiz von ihr. Und in ihrem ersten Tonfilm sagte sie dann in akzentfreiem Deutsch: »Whisky -...

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Armando Lucas Correa lebt in Manhattan und arbeitet dort als Herausgeber des wichtigsten Magazins der spanischen Gemeinschaft in den USA, People en Español. Zuvor arbeitete er auf Kuba als Herausgeber eines Kulturmagazins. Für seine journalistische Arbeit wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem von der National Association of Hispanic Publications und der Society of Professional Journalism. Das Erbe der Rosenthals ist sein erster Roman.
Das Erbe der Rosenthals

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