Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Der Hund des Nordens

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am17.06.20241. Auflage
Penny Rush hat diverse Probleme: Ihre Ehe ist gescheitert, sie hat ihren Job gekündigt, ihre Mutter und ihr Stiefvater sind vor fünf Jahren im australischen Outback verschollen und ihre Großmutter verliert langsam, aber sicher den Verstand. Ihr bleibt keine Wahl: Sie macht sich auf den Weg, sich um sämtliche Notfälle in ihrer Familie zu kümmern. Wir begleiten Penny auf einem Roadtrip quer durch Kalifornien in einem alten meeresgrünen Van namens >Hund des NordensIm Kern eine LiebesgeschichteDer Hund des Nordens< 2023 auf der Longlist für den Women's Prize for Fiction.mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextPenny Rush hat diverse Probleme: Ihre Ehe ist gescheitert, sie hat ihren Job gekündigt, ihre Mutter und ihr Stiefvater sind vor fünf Jahren im australischen Outback verschollen und ihre Großmutter verliert langsam, aber sicher den Verstand. Ihr bleibt keine Wahl: Sie macht sich auf den Weg, sich um sämtliche Notfälle in ihrer Familie zu kümmern. Wir begleiten Penny auf einem Roadtrip quer durch Kalifornien in einem alten meeresgrünen Van namens >Hund des NordensIm Kern eine LiebesgeschichteDer Hund des Nordens< 2023 auf der Longlist für den Women's Prize for Fiction.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783755810049
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum17.06.2024
Auflage1. Auflage
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4531 Kbytes
Artikel-Nr.12754448
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Mein Plan sah so aus: Da ich kein Auto mehr und in Santa Barbara ein paar Probleme zu lösen hatte, würde ich mit dem Zehn-Uhr-Zug von Salinas dorthin fahren. Kalifornien ohne Auto ist nie ein Vergnügen, aber bestimmt würde Großvater mir den Honda Kombi leihen, wenn ich erst mal angekommen war. Und Burt Lampey wollte mich vom Bahnhof abholen. So überstürzt ich hatte aufbrechen müssen, konnte das Timing kaum besser sein, nachdem ich die letzten drei Wochen im Motel verbracht und nur nach dem passenden Vorwand gesucht hatte, um meinen Job zu kündigen. Insofern kamen die Santa-Barbara-Krisen wie gerufen. Die Trennung von Santa Cruz, Schauplatz meines letzten Scheiterns, war mehr als willkommen, buchstäblich eine Befreiung. Ich nahm also den Bus nach Watsonville, stieg dort um in den nächsten, der mich über Castroville zum Bahnhof in Salinas bringen würde, und angesichts der chaotischen letzten Wochen erfüllte mich der Gedanke an einen Tag lang nur Rumsitzen und Chauffiertwerden mit Vorfreude.

Trotzdem fand ich keine Ruhe. Immerhin standen mir gleich zwei unschöne Situationen bevor, und in beiden Fällen würde ich eine geballte Ladung Wut abbekommen. Dass das in letzter Zeit öfter passierte, machte es nicht unbedingt leichter. In dieses allgemeine Unbehagen mischten sich Gedanken an die Brücken, die ich hinter mir abgebrochen hatte. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte ich meinen Job gekündigt und meinen Mann Sherman zur Rede gestellt: Ich weiß Bescheid über Bebe Sinatra und das Koks.

Gut, ich war feige und tat beides per E-Mail, dafür waren meine E-Mails Meisterwerke der Verschleierung. An keiner Stelle offenbarten sie das wahre Ausmaß meiner Empörung über das, was den jeweiligen Bruch herbeigeführt hatte. So endete meine Welt mit einem Winseln statt mit einem großen Knall, aber wenn ich wirklich einen Neuanfang wollte, musste ich meine Gefühle in Schach halten.

Kurz vor Salinas wurde mein Atem gleichmäßiger. Ein langes Haar glitzerte auf meinem Ärmel; ich zupfte es ab und ließ es durch den schmalen Fensterspalt fliegen, hinaus auf die Felder voll Rosenkohl und Artischocken, die den Highway säumten. Ein fauliger Geruch wehte hinein, ähnlich dem im verwaisten Gemüsefach in unserem alten Kühlschrank. Obwohl es mit uns aus war, fragte ich mich, wo Sherman gerade war, was er wohl machte und ob ich mich das bis in alle Ewigkeit fragen würde, so demütigend das Ende auch gewesen war. Zum Beispiel letzten Monat, als ich Shermans Schmutzwäsche in die Waschmaschine packte und einen halb ausgeleierten rosa Tanga entdeckte. »Irgs, was ist das denn?«, fragte ich.

»Oh. Da stand so eine Tasche mit Kleidern an der Bushaltestelle. Ich dachte, der gefällt dir vielleicht.«

Angewidert hielt ich den Fetzen hoch. »Aber der hat schon in einer Gesäßspalte gesteckt.«

»Kannst du nicht Arschritze sagen wie jeder normale Mensch?«, sagte Sherman voll Abscheu, womit er wieder eine Schicht seiner wahren Gefühle für mich freilegte.

»Klar. Und wessen Arschritze war es?« Nur schiere Verzweiflung konnte mich dazu bringen, so etwas zu sagen.

Kurze Zeit später stieg ich in den Zug und machte es mir auf einem freien Platz bequem. Der Zephyr war gerade aus dem Bahnhof gerollt, als die Tür aufging und der Wagen von einer Patschuliwolke und metallischem Klingeling erfüllt wurde. Eine Frau kam durch den Gang und ließ sich entschlossen auf den Platz neben mir fallen. An ihrem wogenden Flickenrock waren Blechglöckchen und Münzen festgenäht. Sie nahm Blickkontakt auf und fragte, ob sie mir für zwanzig Dollar die Hand lesen dürfe.

Es war ein stolzer Preis, aber ich befand mich immerhin auf einer Reise ins Ungewisse. Sobald sich die Dinge in Santa Barbara geklärt hatten, war meine Zukunft ein weißes Blatt. Ich war wie das Haar, das aus dem Fenster entschwebt war, entwurzelt, allein. Wahrscheinlich gab es keinen besseren Zeitpunkt zum Handlesen. Ich stimmte also zu, woraufhin sie meine rechte Hand nahm und als Erstes die fleischige Seite untersuchte. Während sie mit dem Finger die Linien entlangfuhr, sagte sie: »Ich sehe in ihren früheren Leben viel Aggression. Hier ...«, sie zeigte auf eine Stelle, an der sich zwei Linien kreuzten, »zum Beispiel sehe ich, dass Sie mal geköpft wurden und auch einmal erwürgt.« Sie blickte auf, um meine Reaktion zu sehen. Weil ich meine Gefühle immer gut kaschiere, fuhr sie ungerührt fort. »Und Sie lassen sich leicht ausnutzen.«

Den Rest kann ich nicht wiedergeben, da mich diese Erkenntnisse bereits voll in Beschlag nahmen. Vielleicht verspottete sie mich, weil ich ihre Dienste in Anspruch genommen hatte, aber ich wollte auch nicht ausschließen, dass es sich um wertvolle Einsichten handelte. Das Hauptproblem war, dass die Leute vor mir sich so laut unterhielten, dass ich alles mithörte. Auf zwei Gespräche gleichzeitig kann ich mich nicht konzentrieren, und mir war schnell klar, dass ich viel lieber den beiden lauschen würde als dieser düsteren Chronik der Körperqualen. Ich drückte ihr die zwanzig Dollar in die Hand und sagte Danke, das reiche schon.

Das Paar vor mir redete über Alltagsdinge, aber ich hörte ihnen gerne zu. Sie mussten sich einen neuen Abfallzerkleinerer anschaffen, weil ihr Teenie-Sohn den alten mit Avocadokernen gefüttert hatte. Am Abend hatten sie einen Tisch in ihrem Lieblingsrestaurant in L. A. reserviert. Morgen hatten sie einen Termin wegen einer Steuersache, schienen aber nicht weiter besorgt. Zwischendurch Lachen.

Auf einmal fühlte ich mich zurückkatapultiert auf den Rücksitz unserer Familienkutsche, die Eltern vorne ins Gespräch vertieft. Autoreisen brachten die besten Seiten an meiner Mutter zum Vorschein, die Geologin von Beruf war und zu Hause oft rastlos und launisch. Diese Fahrten, die ich neben meiner Schwester auf dem Rücksitz verbrachte, gehören zu den schönsten Erinnerungen an meine Eltern, immer wieder überschattet von der grausamen Ironie, dass die beiden Jahre später auf eben so einer Autofahrt spurlos vom Erdboden verschwanden.

Im ersten Schritt hatten meine Eltern die Nordhalbkugel geräumt und sich in Australien ein neues Leben aufgebaut, angeblich weil ihnen dort Klima und Geomorphologie mehr zusagten, weil sie Lust auf ein Abenteuer hatten und der Wechselkurs günstig stand. Genau so wahr ist aber wohl, dass sie den amerikanischen Traum aufkündigten und bestimmten Menschen aus dem Weg gehen wollten, die ihnen das Leben ruiniert hatten. Wir - meine Schwester und ich - hatten die Auswanderung gut weggesteckt. Meine Schwester war sogar mitgegangen. Doch dann mussten sie noch einen draufsetzen und vollends verschollen gehen. Mein Vater, auch bekannt als mein Stiefvater, auch bekannt als Hugh, war ein überaus fürsorglicher und sorgfältiger Mann. Meine Eltern überließen nichts dem Zufall, hatten jeden Tag ihrer Reise minutiös geplant und uns vorher sogar die genaue Route durchgegeben, samt Telefonnummern und Adressen aller Zwischenstationen. Zuletzt lebend gesehen wurden sie an einer Tankstelle in Mount Isa, wobei den Zeugen nichts Ungewöhnliches aufgefallen war. Bloß ein Pärchen mittleren Alters, das tankte und den Luftdruck in den Reifen überprüfte. Meine Schwester und ich erfuhren erst ein paar Tage später, dass sie an ihrem nächsten Zielort nie angekommen waren. Auch das Auto wurde nie gefunden. Suchteams durchkämmten wochenlang die Gegend, ohne Erfolg.

Das Ganze war jetzt fast fünf Jahre her, aber ich konnte mich immer noch nicht damit abfinden, und schon der Gedanke daran war schwer erträglich.

Am späten Nachmittag stand ich mit meinem Koffer vor dem Bahnhof Santa Barbara und wartete auf Burt Lampey. Er wollte mich nicht nur abholen, sondern hatte mir auch einen Schlafplatz angeboten, außerdem wollten wir beim gemeinsamen Abendessen unseren Plan für den kommenden Tag bezüglich meiner Großmutter Dr. Pincer durchsprechen. Burt und ich kannten uns nicht persönlich, hatten aber schon öfter telefoniert. Als Pincers Steuerberater war er einer der wenigen Menschen, denen sie über den Weg traute. Was sie nicht ahnte: Nach jedem Besuch bei ihr rief Burt mich heimlich an, um mich über ihre Verfassung auf dem Laufenden zu halten.

Die Sonne schien immer noch hell und warm. Als Kind hatte ich hier Wochen am Stück mit meinen Großeltern verbracht und verband trotz allem schöne Erinnerungen mit diesem Ort. Ich hatte ihn unzählige Male besucht, aber nie zuvor mit dem Zug. Jetzt lief ich vor dem Bahnhof auf und ab, hielt Ausschau nach Burt und hoffte, er hatte mich nicht vergessen. Schließlich rollte ein alter meeresgrüner Kleintransporter auf den Parkplatz und kam vor mir zum Stehen. Er war voller Kratzer und Beulen und hatte etwas leicht Finsteres an sich. Der Fahrer lehnte sich über den Beifahrersitz und kurbelte das Fenster runter. »Penny?«

Das war Burt. Am Telefon hatte seine Stimme mir Zuversicht gegeben.

Er schaltete in Parkstellung, sprang raus und umrundete die verbeulte Schnauze des Vans, um mich zu begrüßen. Ein heißer Schreck durchfuhr mich. Das passierte manchmal, wenn mir klar wurde, dass ich mich mit jemandem unterhalten musste, dem etwas Unangenehmes an mir auffallen könnte.

Burt nahm meine Hand. Er war ein großer, schwerer Mann mit einer beachtlichen braunen Mähne und einem lieben Gesicht, in weiten grünen Shorts, einem weißen T-Shirt mit einem Brauerei-Logo und hohen weißen Nikes mit schwarzen Socken.

»Wie war die Fahrt?«, fragte er.

Ich beschloss, das mit der Handleserin unter den Tisch fallen zu lassen. Burt sollte nicht den Eindruck bekommen, ich würde Geld zum Fenster rauswerfen. In Wahrheit war ich mit Geld sehr umsichtig, wo ich schon so wenig davon hatte. Das Handlesen war eine kleine...
mehr

Autor

ELIZABETH MCKENZIE ist Redakteurin bei der Chicago Quarterly Review. Ihre Texte erschienen im New Yorker und in The Atlantic Monthly. Mit ihrem dritten Roman >Im Kern eine LiebesgeschichteDer Hund des Nordens