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Verlorenes Vernègues

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
382 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am19.05.20201. Auflage
Der siebte Fall für Capitaine Roger Blanc Anfang Januar in der Provence. Schnee fällt, und die Tage verlaufen ruhig für die Gendarmen, denn in der Kälte scheint selbst das Verbrechen erstarrt zu sein. Mitten in der Nacht werden Capitaine Blanc und Lieutenant Tonon jedoch zu einem rätselhaften Einsatz in eine Geisterstadt gerufen. Vieux Vernègues ist ein mittelalterlicher Ort, der eine Idylle wie aus dem Bilderbuch sein könnte, hätte nicht ein Erdbeben ihn vor gut hundert Jahren zerstört. Jetzt ist es ein verlassenes Trümmerfeld im Schatten einer düsteren Burgruine. Alarmiert wurde die Gendarmerie von zwei alten Schafhirten. Zwölf Tiere ihrer Herde wurden in weniger als einer Stunde getötet - von Wölfen. Schnell spricht sich herum, dass ein Wolfsrudel die Gegend unsicher macht. Diese Tiere stehen unter Naturschutz, doch die Angst ist stärker: Schäfer, Jäger und sogar der Bürgermeister scheren sich nicht um die Gesetze und greifen zu den Waffen. Blanc und seine Kollegen merken zudem bald, dass noch weitere Gestalten nachts durch die Wälder streifen und seltsame Dinge tun. Jeder misstraut jedem, und alle fürchten den Wolf - eine explosive Lage, die schließlich außer Kontrolle gerät. Denn tatsächlich wird bald ein Toter zwischen den Ruinen gefunden ... Mord in der Provence - Capitaine Roger Blanc ermittelt: Band 1: Mörderischer Mistral Band 2: Tödliche Camargue Band 3: Brennender Midi Band 4: Gefährliche Côte Bleue Band 5: Dunkles Arles Band 6: Verhängnisvolles Calès Band 7: Verlorenes Vernègues Band 8: Schweigendes Les Baux Band 9: Geheimnisvolle Garrigue Band 10: Stille Sainte-Victoire Band 11: Unheilvolles Lançon Alle Bände sind eigenständige Fälle und können unabhängig voneinander gelesen werden.

CAY RADEMACHER, geboren 1965, ist freier Journalist und Autor. Seine Provence-Serie umfasst elf Fälle, zuletzt >Stille Sainte-VictoireDer TrümmermörderDer SchieberDer FälscherEin letzter Sommer in MéjeanStille Nacht in der ProvenceDie Passage nach MaskatDrei Tage im September
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDer siebte Fall für Capitaine Roger Blanc Anfang Januar in der Provence. Schnee fällt, und die Tage verlaufen ruhig für die Gendarmen, denn in der Kälte scheint selbst das Verbrechen erstarrt zu sein. Mitten in der Nacht werden Capitaine Blanc und Lieutenant Tonon jedoch zu einem rätselhaften Einsatz in eine Geisterstadt gerufen. Vieux Vernègues ist ein mittelalterlicher Ort, der eine Idylle wie aus dem Bilderbuch sein könnte, hätte nicht ein Erdbeben ihn vor gut hundert Jahren zerstört. Jetzt ist es ein verlassenes Trümmerfeld im Schatten einer düsteren Burgruine. Alarmiert wurde die Gendarmerie von zwei alten Schafhirten. Zwölf Tiere ihrer Herde wurden in weniger als einer Stunde getötet - von Wölfen. Schnell spricht sich herum, dass ein Wolfsrudel die Gegend unsicher macht. Diese Tiere stehen unter Naturschutz, doch die Angst ist stärker: Schäfer, Jäger und sogar der Bürgermeister scheren sich nicht um die Gesetze und greifen zu den Waffen. Blanc und seine Kollegen merken zudem bald, dass noch weitere Gestalten nachts durch die Wälder streifen und seltsame Dinge tun. Jeder misstraut jedem, und alle fürchten den Wolf - eine explosive Lage, die schließlich außer Kontrolle gerät. Denn tatsächlich wird bald ein Toter zwischen den Ruinen gefunden ... Mord in der Provence - Capitaine Roger Blanc ermittelt: Band 1: Mörderischer Mistral Band 2: Tödliche Camargue Band 3: Brennender Midi Band 4: Gefährliche Côte Bleue Band 5: Dunkles Arles Band 6: Verhängnisvolles Calès Band 7: Verlorenes Vernègues Band 8: Schweigendes Les Baux Band 9: Geheimnisvolle Garrigue Band 10: Stille Sainte-Victoire Band 11: Unheilvolles Lançon Alle Bände sind eigenständige Fälle und können unabhängig voneinander gelesen werden.

CAY RADEMACHER, geboren 1965, ist freier Journalist und Autor. Seine Provence-Serie umfasst elf Fälle, zuletzt >Stille Sainte-VictoireDer TrümmermörderDer SchieberDer FälscherEin letzter Sommer in MéjeanStille Nacht in der ProvenceDie Passage nach MaskatDrei Tage im September
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832170127
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum19.05.2020
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.7
Seiten382 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4955731
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Wölfe in der Geisterstadt

Zwischen den Ruinen von Vieux Vernègues war es so still wie in einer Gruft. Capitaine Roger Blanc ging langsam durch das verwüstete Dorf. Er kletterte über den Stumpf einer ginsterüberwucherten Wand und erreichte eine Treppe, die in eine Felsenkammer hinunterführte. Die Stufen waren ausgetreten und manche tückisch glatt, andere waren geborsten, wieder andere hatten Risse. Zu beiden Seiten der Treppe wuchsen junge Eichen. Ihre Stämme waren wie dünne Säulen, ihre Kronen rauschten fünf, sechs Meter über Blanc im eisigen Wind, die winzigen Blätter schimmerten hellgrün. An einigen Ästen hingen noch braunschwarze, eisverkrustete Eicheln. Blanc kamen die beiden Bäume, die sich über die Ruine wölbten, wie das Portal zu einer verbotenen Welt vor.

Vorsichtig stieg er die Treppe hinunter in einen halb eingestürzten Keller. Über ihm spannte sich ein Ziegelgewölbe. Dort klaffte ein Riss, als hätte Gott mit einer Axt hineingeschlagen. Durch die Lücke sickerte die Morgensonne und beleuchtete einen Balken im Mauerwerk, der von Sinterkristallen überzogen war. Die Tür darunter war längst verwittert, auf dem Boden lagen bloß noch Holzreste im grauen Sand. Die Luft schmeckte muffig nach feuchter Erde.

Er wartete, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, und blickte sich um. Niemand zu sehen. Keine Geräusche. Er kletterte wieder hinaus und musterte die Umgebung: Überall ragten Ruinen auf, fahlgrau im Morgendämmer, konturlos. Die massigen Ecksteine eines alten Hauses erhoben sich fünf Meter hoch aus einem Schuttfeld. Eine steinerne Wendeltreppe, die nirgendwo mehr hinführte, wurde von Rosmarin- und Thymiansträuchern überwuchert. Unter dem Raureif leuchteten, nur wenige Meter neben ihm, weiße und schwarzgraue Steinfliesen, sie waren wunderbarerweise so sauber, als wären sie erst gestern verlegt worden.

Blanc legte den Kopf in den Nacken. Die Ruinen von Vieux Vernègues standen an der Flanke eines Bergs, der sich einige Meter über ihm zu einem Plateau abflachte. Dort war einst eine Burg errichtet worden. Er blickte hinauf zu ihren Mauern aus Tausenden sorgfältig gesetzten, kopfgroßen Steinen, die erst in unfassbarer Höhe in einer Zinnenreihe endeten. Doch auch diese solide Mauer war an vielen Stellen geborsten - und dahinter war bloß Luft. Kein Turm ragte mehr dort auf, kein Palast, nichts. Nur ein einziger gotischer Bogen krümmte sich wie ein gichtiger Riesenfinger ins Leere. Sein schwarzer Schatten fiel auf Trümmerhaufen, die längst von struppigen Büschen und Brombeeren überwachsen waren.

»Wir sollten hier nicht allzu lange stehenbleiben«, sagte Blancs Kollege Lieutenant Marius Tonon halblaut. Er rieb sich die Hände warm und deutete dann unbehaglich auf den Riss im Gewölbe. »Ein Souvenir vom Erdbeben. Dieser Keller kann jeden Moment einstürzen.«

Blanc nickte und ging weiter bergan. Vieux Vernègues. Eine Stadt wie Dutzende in der Provence: ein Hügel, darauf eine Burg, eine Kirche, ein Rathaus, eine Handvoll ehrwürdiger Häuser. Nur dass Vieux Vernègues eine Stadt der toten Seelen war, eine Geisterstadt, in der Eichen und Feigenbäume Mauerstümpfe aufsprengten, Efeu die Ruinen erstickte und in der bloß noch Füchse und Ratten lebten. Ein Erdbeben hatte sich den Ort geholt. Blanc fühlte sich, als würde er durch die Relikte eines mykenischen Palastes stapfen. Doch diese archaisch anmutenden Bauten waren zu Trümmern zerfallen, als schon Autos durch die Provence fuhren und sogar die ersten Flugzeuge brummten, als es schon Telefone gab und Strom und Zeitungen und Fotoapparate.

Erdbeben. Als Capitaine Roger Blanc, der damals den Süden weder gekannt noch gemocht hatte, vor sieben Monaten in den Midi versetzt worden war, da hatte er an Hitze und Rosé gedacht, an Lavendel und Oliven, an die Marseiller Mafia. Aber an Erdbeben? Das waren Katastrophen aus dem Fernsehen.

Und nun schritt er an aufgerissenen Bauten und geborstenen Türmen vorbei und musste aufpassen, dass er nicht irgendwo in ein Loch trat und womöglich mehrere Meter tief in einen halb verschütteten Keller stürzte.

Er hielt inne, damit Marius, der kein großer Freund körperlicher Aktivitäten war, Luft schnappen konnte. Der Schutt deprimierte Blanc, daher wandte er den Blick ab und ließ ihn über ein weites Tal wandern. Der Berg von Vieux Vernègues war fast vierhundert Meter hoch. Auf einem nahen Hügel badete ein anderes Dorf in der Morgensonne: Lambesc. Ein mittelalterliches Dorf wie Vieux Vernègues, in der mistralklaren Luft hatte es den Anschein, als könnte er es mit der ausgestreckten Hand beinahe berühren. Dieses Dorf war ebenfalls alt - jedoch makellos. Warum bloß? Waren Erdbeben nicht gigantische Katastrophen? Warum war dann Vieux Vernègues eine Wüstenei, während ein paar Tausend Meter weiter östlich in Lambesc nicht ein einziger Stein aus einer Fassade gestürzt zu sein schien? Hatten die Menschen in Lambesc vor Jahrhunderten ihre Häuser erdbebensicher gebaut und die von Vieux Vernègues nicht und waren dafür bestraft worden? Oder waren Beben wie Tornados, die willkürlich eine Fläche verwüsteten und die daneben unbeschadet ließen? Er atmete tief durch. Es duftete nach nassem, satten Boden, zwischen Vieux Vernègues und Lambesc lagen dunkle Eichenwälder, fette Weiden und winterkahle Rebstöcke in einem weiten Tal. Dunst stand über den nächsten Hügeln. In bläulicher Ferne schimmerte der gekrümmte Riesenrücken der Montagne Sainte-Victoire bei Aix-en-Provence, auf der anderen Seite leuchtete der Étang de Berre und dahinter glänzte vielleicht das Mittelmeer, oder vielleicht war das auch nur seine Einbildung, weil sich so früh am Morgen der Horizont in eine silberne Linie verwandelt hatte.

»Ich komme mir vor wie im Mittelalter«, murmelte Blanc.

»Du bist im 21. Jahrhundert«, brummte Marius, wischte sich den Schweiß von der Stirn und deutete auf das Tal. »Ich kann mich noch daran erinnern, wie die Leute hier vor fünfundzwanzig Jahren auf Demonstrationen Non au TGV! skandiert haben. Ich musste als Flic damals für Ordnung sorgen. Aber eigentlich sieht das gar nicht so schlecht aus, oder?« Er deutete auf eine mehr als einen Kilometer lange Brücke aus hellem Beton, die sich wie ein Aquädukt quer durch das Tal unterhalb von Vieux Vernègues spannte. Ihre siebenundzwanzig Stelzen wirkten wie ein gigantischer Zaun, der die weite Senke in zwei Hälften teilte. Ein Schnellzug rauschte in diesem Augenblick über die Brücke, danach ein Grollen und Rumpeln, es donnerte wie bei einem Jet, war aber nach kaum zwanzig Sekunden verweht. Tiefe Stille flutete zurück ins Tal.

Und dann durchzog ein Heulen diese Stille.

Das Heulen eines Wolfes.

Es war Sonntag, der 5. Januar. Der letzte Tag der Weihnachtsferien, des Innehaltens zwischen den Jahren. Zeit der Besinnung. Zeit für die Tochter. Astrid hatte Blanc über die Feiertage besucht, eine junge Frau von zwanzig Jahren, eine Pariserin, die Snapchat und Instagram brauchte wie Blanc Sonne und frische Luft. Zwischen dem schlafenden Baby mit dem noch von der Geburt zerknautschten Gesicht, das er stolz in seinen Armen gewiegt hatte, und dieser weltgewandten jungen Dame lagen zwei neblige Jahrzehnte, in denen er irgendwie kaum mitbekommen hatte, wie Astrid erwachsen geworden war. Doch dann war sie zu ihm gereist, um die kurzen Tage des Jahreswechsels mit ihm zu verbringen. Sie hatten mit Jacques, dem Hund, der Blanc zugelaufen war, lange Spaziergänge unternommen, auf dem Markt von Aix-en-Provence eingekauft und waren über die legendäre halb zerstörte Brücke von Avignon flaniert. Und sie hatten geredet und geredet, die Tage hindurch und auch noch die halben Nächte. Es war, als wollten sie beide aufholen, was sie in den letzten zwanzig Jahren versäumt hatten. Was ich versäumt habe, korrigierte sich Blanc in Gedanken, denn er hatte es vermasselt.

An diesem Sonntagabend musste Astrid nach Paris zurückfliegen. Blanc hatte Bereitschaftsdienst gehabt und gehofft, dass er mit Marius einige ereignislose Stunden auf der Gendarmerie-Station von Gadet sitzen und schon nachmittags zurückkehren könnte, um noch ein paar letzte Momente mit seiner Tochter zu verbringen.

Doch dann war noch vor dem Morgengrauen ein Notruf eingegangen: Ein Schäfer war nachts in Vieux Vernègues überfallen worden. Von einem Wolf.

»Das ist ein mieser Scherz«, schimpfte Blanc, als er seinen fast zwei Meter langen Leib im eiskalten Mégane der Gendarmerie zusammenfaltete.

»Um fünf Uhr morgens macht niemand einen Scherz«, erwiderte Marius, der sich auf den Beifahrersitz wuchtete und die Rückenlehne so weit zurückdrehte, dass er beinahe lag. »Putain, es war bloß eine Frage der Zeit, bis uns die Wölfe auch hier erwischen.«

»Auch hier? Wo denn sonst noch?«

»In den Alpen, in der Haute-Provence, sogar im Umland von Aix und Salon - die Biester sind wieder überall.« Sein Kollege schloss schläfrig die Augen und sagte gelangweilt: »Letztens sind zwei Wölfe um Viertel nach neun Uhr morgens einige Hundert Meter neben dem Krankenhaus von Manosque zum Frühstück auf eine Schafweide spaziert. Wölfe haben Schafe und Ziegen mitten in der Camargue getötet, und nahe am Weingut Calissanne ist beinahe eine ganze Herde massakriert worden. Neulich gab es sogar einen Angriff in Berre, direkt neben den Raffinerien.«

Calissanne, Berre, das war so nah bei seiner alten Ölmühle in Sainte-Françoise-la-Vallée, dass er beim Joggen schon gelegentlich bis dorthin gelaufen war, dachte Blanc beunruhigt. Doch dann fand er seine Sorgen lächerlich. »Was haben wir damit zu schaffen? Jeden Morgen höre ich das Geballere der Jäger aus den Wäldern. Sollen die sich doch um die Wölfe...
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