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Abgründiges Ahrtal

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
264 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am12.04.2023
Unzählige Flussbiegungen bieten Schutz vor unliebsamen Zeugen und Verfolgern, schroffe Felsen laden dazu ein, lästig Gewordenes unbemerkt loszuwerden - im Ahrtal ist nicht nur die Landschaft abgründig: Ein Mann kehrt Jahre nach einem tödlichen Unglück in seinen Heimatort Blankenheim zurück und erhält abstruse Botschaften, eine von der Brücke in Rech verschwundene Steinfigur gibt einem launigen Polizisten Rätsel auf und ein Skelettfund im Wald bei Lommersdorf entpuppt sich als großer Segen.

Karin Joachim wurde in Bonn-Bad Godesberg geboren und lebt heute im Ahrtal. Sie studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Bonn und leitete ein archäologisches Museum, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. In ihrer Freizeit ist sie mit ihrem Border Terrier unterwegs, mit dem sie die Natur erkundet. Besonders gerne besichtigt Karin Joachim historische Orte sowie Parks und Gärten im In- und Ausland. Mehr Informationen zur Autorin unter: www.karinjoachim.de
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR11,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextUnzählige Flussbiegungen bieten Schutz vor unliebsamen Zeugen und Verfolgern, schroffe Felsen laden dazu ein, lästig Gewordenes unbemerkt loszuwerden - im Ahrtal ist nicht nur die Landschaft abgründig: Ein Mann kehrt Jahre nach einem tödlichen Unglück in seinen Heimatort Blankenheim zurück und erhält abstruse Botschaften, eine von der Brücke in Rech verschwundene Steinfigur gibt einem launigen Polizisten Rätsel auf und ein Skelettfund im Wald bei Lommersdorf entpuppt sich als großer Segen.

Karin Joachim wurde in Bonn-Bad Godesberg geboren und lebt heute im Ahrtal. Sie studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Bonn und leitete ein archäologisches Museum, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. In ihrer Freizeit ist sie mit ihrem Border Terrier unterwegs, mit dem sie die Natur erkundet. Besonders gerne besichtigt Karin Joachim historische Orte sowie Parks und Gärten im In- und Ausland. Mehr Informationen zur Autorin unter: www.karinjoachim.de
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839276266
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum12.04.2023
Seiten264 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1924 Kbytes
Artikel-Nr.10294243
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


»Morgen bist du tot«

Als Harry Kellermann im ersten Licht des Tages in den Gassen unterhalb der Burg unterwegs war, fegte ein böiger Wind durch die Häuserschluchten. Ein feiner feuchter Schleier Tau ließ die Pflastersteine glänzen. Harry setzte behutsam einen Fuß vor den anderen, um nicht auszurutschen. Seit einigen Tagen fühlte er sich ein wenig geschwächt, was er auf die Tatsache zurückführte, dass er sich in seinem alten Heimatort einfach nicht wohlfühlte. Es war ihm so, als starrten ihn nicht nur die Menschen an, sondern auch die Mauern der Gebäude, die er aus seiner Kindheit kannte. Nicht viel hatte sich in Blankenheim verändert, dem Ort, in dem die Ahr entsprang, seit er ihn vor Jahrzehnten verlassen hatte. Er vermied es, tagsüber nach draußen zu gehen, auch wenn er eigentlich kaum noch einem bekannten Gesicht begegnete. Aber er wusste, dass sie alle es wussten.

Wie damals wimmelte es bereits zur späten Morgenstunde in der Stadt mit der weithin sichtbaren Burg, deren Ursprünge bis ins zwölfte Jahrhundert zurückreichten, nur von Touristen. Sie staunten über das Gildehaus mit dem Eifelmuseum, das Hirtentor, die kleinen Häuser am Zuckerberg, die spätgotische Hallenkirche und das Georgstor und hatten stets ihre kleinen Fotokameras oder Handys griffbereit. So mancher Tourist kam ins Schlittern auf den steilen Wegen. Als Kind war Harry unbekümmert und trittsicher durch die Straßen gerannt, hatte nur wenig Rücksicht auf die Fremden genommen, nicht aus bösem Willen, sondern einfach weil es Wichtigeres gab. Gemeinsam mit den anderen Kindern und Jugendlichen war er um Häuserecken gelaufen, hatte mit ihnen gelacht, Schimpfwörter gerufen, sich stark und unantastbar gefühlt. Damals in den Siebzigerjahren. Sehr zum Unmut der Erwachsenen. Noch mehr ärgerten diese sich, wenn sie mit ihren Fahrrädern Wettrennen veranstalteten. Rund um die Kirche, durch die Tore und entlang der alten Fachwerkhäuser - manchmal nur haarscharf um die Kurven. Meist befand sich ihr Ziel direkt vor der Ahrquelle, die im Keller eines alten Fachwerkhauses entsprang. Es kam vor, dass sie erst kurz vor einer der weiß getünchten Häuserwände zum Stehen kamen. Nicht selten trugen sie blaue Flecken davon. Das Geschrei in den Gassen war groß, und meistens ging eines der umliegenden Fenster rund um den kleinen Platz auf, worauf eine verärgerte Frau oder ein wütender Mann zu ihnen herunterrief: »Jetzt ist aber Schluss da unten! Sonst werde ich mich bei euren Eltern beschweren!« Mancher hatte ihnen sogar eine Tracht Prügel angedroht.

Als Harry älter war, hatte er das Mofa gegen sein Fahrrad eingetauscht. Besonders nachts ließ er den frisierten Motor aufheulen. Aus Trotz, um gegen die Enge der Kleinstadt aufzubegehren, aber auch um die Mädchen des Ortes zu beeindrucken. Der Hall in den Gassen war ohrenbetäubend. Er liebte den Geruch des Zweitakters, für ihn war er der Inbegriff von Freiheit. Harry hatte Sehnsucht nach einer Welt, die ihm so weit weg erschien. Die wenigen Häuser unterhalb des Burgberges wirkten auf ihn oft wie eine unüberwindbare Mauer, eine Grenze, die er nicht überschreiten durfte. Wenn er doch nur endlich erwachsen wäre, hatte er damals gedacht. Er wollte fort. Jeder kannte jeden, nichts blieb geheim. Das Staunen der Touristen, die vom Sommer bis in den frühen Herbst hier einfielen, konnte er nicht nachvollziehen. Was fanden sie an diesem Örtchen nur so spannend? »Wie idyllisch!«, riefen sie, wenn sie aus ihren Bussen stiegen und im Pulk zur Ahrquelle zogen. Gut, sie brachten dem Ort Geld. Für manchen Einwohner bedeutete dies ein Zubrot, für manche sogar die Grundlage ihrer Existenz. Aber was war im Winter? Nicht immer erreichte dann die Sonne jeden Winkel, manche Häuser standen im Winterhalbjahr sogar ganztägig im Schatten. Und nur der eisige Wind zog durch die Gassen.

Harry hätte damals alles darum gegeben, den Ort zu verlassen, aber nicht unter den Umständen, die ihn letztendlich dazu brachten. Er war viel herumgekommen, hatte viele Länder bereist. Dennoch war die Einsamkeit in seinem Innern sein Leben lang sein Begleiter. Und die Schuldgefühle, die ihn nicht ständig, aber doch wie ein dunkles Geheimnis belasteten. Erst vor ein paar Tagen war er zurückgekehrt. Aber nicht, um zu bleiben.

Der Wind wehte immer noch, aber hatte merklich nachgelassen. Harry atmete die kühle Luft ein und seufzte. Er blieb stehen, schirmte seine Hände mit dem Rücken ab und zündete sich eine Zigarette an. Er rauchte zu viel. Sein Arzt hatte ihm attestiert, dass Lunge und Gefäße sich nicht im besten Zustand befanden. Harry sog den Rauch ein, musste husten und beschloss, mit dem Rauchen aufzuhören, wenn er alles hinter sich gelassen hatte. Es war nicht mehr viel zu erledigen seit dem Tod seiner Mutter. Der Himmel hellte sich auf, die Sonne zeigte sich zaghaft. Einzelne Fensterscheiben reflektierten das Licht. Plötzlich, wie von Geisterhand, erhob sich eine kleine Windhose, die das Laub aufwirbelte, das in der Gasse lag. Die Windhose veränderte ihre Richtung. Er folgte ihr mit seinen Augen, als er etwas Weißes bemerkte, das von ganz oben den Burgberg herunter durch die Luft nach unten trudelte. Es kam auf ihn zu und landete schließlich vor seinen Füßen. Es war ein weißes Blatt Papier, nicht größer als eine Postkarte. Er hob es auf, um es zu entsorgen. Instinktiv drehte er das Blatt um und blickte wie versteinert auf die Worte, die darauf mit Schreibschrift geschrieben waren. Seine Hand begann zu zittern. Der Wind nahm Fahrt auf und pfiff um ihn herum. Ihm wurde fast schwindelig.

»Morgen bist du tot«, stand da geschrieben. Sein Atem ging schneller, sein Herz raste, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Wer machte nur solch makabre Scherze, dachte er. Fast schon wütend knüllte er das Papier zusammen und warf es in den nächsten Papierkorb. Dann ging er weiter. Er sah nicht, wie eine Windböe in den Papierkorb fuhr und den zerknüllten Zettel wieder heraushob. Dieser kullerte noch einige Meter hinter ihm her, blieb mehrere Male für eine kleine Weile an der Pflastersteinkante liegen, bevor er sich in einer Regenrinne vor einem Haus verfing.

Harrys Weg führte ihn zu einer kleinen Bäckerei, in der er jeden Morgen einen Kaffee mit Zucker zu sich nahm. Jeden Morgen seitdem er zurückgekehrt war. Den Namen des Inhabers hatte er noch nie zuvor gehört und hoffte, dass jener nichts von den Ereignissen mitbekommen hatte, dass ihm niemand etwas erzählt hatte, was vor fünfunddreißig Jahren geschehen war. Heute tat der heiße Kaffee besonders gut, weil ihm fröstelte. Außer dem Bäcker selbst war nur noch ein Handwerker in Arbeitskleidung im Laden. Er hatte bereits sein Brötchen verspeist, nickte dem Bäcker zu und ging zur Tür hinaus. Nun war er mit dem Inhaber, einem Mann seines Alters, allein. Harry bestellte, der Mann reichte ihm lächelnd den Kaffee, Harry stellte sich an einen der Tische, trank hastig aus und verließ den Laden mit einem leisen Gruß auf den Lippen. Als er die Glastür gegen den Druck des Windes öffnete, ertönte ein unangenehmes Pfeifen, und die Seiten der auf einem der Tische liegenden Zeitung bewegten sich durch den Luftzug. Er war irritiert durch die Geräusche, die der Wind erzeugte und in denen die Worte des Bäckers untergingen.

Auf dem Nachhauseweg, schon außerhalb des historischen Ortskerns, kam er an der Stelle vorbei, an dem einst das Fachwerkhaus gestanden hatte, dessen Anblick sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. Nun befand sich dort ein Neubau. Aus den 1980er-Jahren vermutlich. Er zwang sich dazu, weiterzugehen und nicht wieder an jene Nacht zu denken. An jene Nacht, die sein Leben und das seiner Eltern für immer verändert hatte. Gravierend verändert hatte. Seit den verhängnisvollen Tagen war er nie wieder zurück an diesen Ort an der Ahr gekehrt. Bis vor ein paar Tagen. Es war keine gute Idee gewesen, und doch konnte er nicht anders, denn er hatte seiner Mutter die letzte Ehre erweisen müssen. Ein Anwalt hatte ihn informiert. Er habe seine Telefonnummer von der Auskunft erhalten, hatte er Harry mitgeteilt. Zum ersten Mal war er froh darüber gewesen, dass er sich keine Geheimnummer zugelegt hatte, obwohl er mit dem Gedanken gespielt hatte, um für niemanden aus seinem früheren Leben erreichbar zu sein. Der Anwalt kannte sicher auch Methoden, die ihn ebenfalls auf Harrys Spur gebracht hätten, aber so war es einfacher gewesen. Seit dem Ableben seiner Mutter war erst wenige Zeit verstrichen, sodass Harry an ihrer Beisetzung hatte teilnehmen können.

Er hätte danach gleich wieder in sein richtiges Leben zurückkehren können, vielleicht auch sollen. Doch er brachte es nicht übers Herz, es dem Anwalt zu überlassen, den Nachlass seiner Mutter zu regeln. Es ging um keinen umfangreichen Besitz, einzig ein paar Formalitäten erforderten etwas Aufwand. Er war das seiner Mutter schuldig. Ja, die Schuld ließ ihn nicht los. Am Nachmittag kümmerte er sich weiter um ihre Habseligkeiten, die sich über die Jahrzehnte angesammelt hatten. Erstaunlich ordentlich war es in dem kleinen Häuschen, das sich seit Jahrhunderten im Familienbesitz befand. Hatte sie jemanden gehabt, der sich um sie kümmerte? Er musste sich eingestehen, dass er es nicht wusste. Er hatte sich gewundert, dass sie ihn nicht schon längst enterbt hatte. Die Todesnachricht hatte Harry zunächst bestürzt, dann hatte er sich traurig gefühlt, weil er annehmen musste, dass seine Mutter vereinsamt gestorben war und vielleicht eine Aussprache mit ihrem Sohn ersehnt hatte. Dann fühlte er sich plötzlich erleichtert. Sie war die einzige lebende Verbindung hierher gewesen. Mit ihrem Tod war diese Verbindung gekappt. Für einige Tage hatte er sich so leicht und unbeschwert gefühlt. Endlich konnte er leben, ohne Schuldgefühle zu haben. Doch...

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Autor

Karin Joachim wurde in Bonn-Bad Godesberg geboren und lebt heute im Ahrtal. Sie studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Bonn und leitete ein archäologisches Museum, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. In ihrer Freizeit ist sie mit ihrem Border Terrier unterwegs, mit dem sie die Natur erkundet. Besonders gerne besichtigt Karin Joachim historische Orte sowie Parks und Gärten im In- und Ausland.
Mehr Informationen zur Autorin unter: www.karinjoachim.de