Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Kinder des Don Arrigo

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am28.09.20231. Auflage
Eine wahre Geschichte über große Menschlichkeit in dunklen Zeiten Abgeschottet in einem kleinen italienischen Dorf wartet der 11-jährige Nathan auf eine Gelegenheit, das von den Nationalsozialisten verheerte Europa in Richtung Palästina zu verlassen. In der Villa Emma findet er zwischen den anderen jüdischen Kindern, denen die Flucht in den Süden gelungen ist, nicht nur Schutz, sondern etwas, das verloren schien: ein Stück Kindheit. Auf einem geborgten Klavier wird gemeinsam musiziert, Don Arrigo, der örtliche Pfarrer, hält seine schützende Hand über die kleine Gemeinschaft. Doch die Gefahr rückt näher, und Don Arrigo bekommt den Tipp, dass die Faschisten dem Treiben im Dorf auf die Schliche gekommen sind. Ein tollkühner Plan soll die Kinder retten, deren Überleben in den Händen der Gemeinde liegt. ***  Auf wahren Begebenheiten basierender Roman: Dieser gut recherchierte und berührende Roman ist emotional wie Luca die Fulvio, packend wie Heather Morris. *** »Die Shoah gehört wohl zu den in der Literatur am meisten behandelten Themen, und doch schafft es der Protagonist, Leserinnen und Leser zu überraschen und mitzureißen.« Elle »Der Roman wurde gegen das Vergessen geschrieben und um die Erinnerung an diejenigen zu ehren, die  im Zweiten Weltkrieg Menschen gerettet haben.« Gazzeta di Modena »Mitreißend und bewegend - eine Hommage an die kleinen Protagonisten des Romans, an ihre Begleiter und natürlich an Nonantola, das Dorf, in dem die Kinder versteckt wurden.« Il Piccolo

Ivan Sciapeconi, Jahrgang 1969, ist Grundschullehrer und Autor von Kinder- und Jugendbüchern. Seine Leidenschaft für Geschichte führte ihn zu der Recherche für Die Kinder des Don Arrigo, seinem ersten Roman für ein erwachsenes Publikum. Sciapeconi lebt mit seiner Frau in Modena.
mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextEine wahre Geschichte über große Menschlichkeit in dunklen Zeiten Abgeschottet in einem kleinen italienischen Dorf wartet der 11-jährige Nathan auf eine Gelegenheit, das von den Nationalsozialisten verheerte Europa in Richtung Palästina zu verlassen. In der Villa Emma findet er zwischen den anderen jüdischen Kindern, denen die Flucht in den Süden gelungen ist, nicht nur Schutz, sondern etwas, das verloren schien: ein Stück Kindheit. Auf einem geborgten Klavier wird gemeinsam musiziert, Don Arrigo, der örtliche Pfarrer, hält seine schützende Hand über die kleine Gemeinschaft. Doch die Gefahr rückt näher, und Don Arrigo bekommt den Tipp, dass die Faschisten dem Treiben im Dorf auf die Schliche gekommen sind. Ein tollkühner Plan soll die Kinder retten, deren Überleben in den Händen der Gemeinde liegt. ***  Auf wahren Begebenheiten basierender Roman: Dieser gut recherchierte und berührende Roman ist emotional wie Luca die Fulvio, packend wie Heather Morris. *** »Die Shoah gehört wohl zu den in der Literatur am meisten behandelten Themen, und doch schafft es der Protagonist, Leserinnen und Leser zu überraschen und mitzureißen.« Elle »Der Roman wurde gegen das Vergessen geschrieben und um die Erinnerung an diejenigen zu ehren, die  im Zweiten Weltkrieg Menschen gerettet haben.« Gazzeta di Modena »Mitreißend und bewegend - eine Hommage an die kleinen Protagonisten des Romans, an ihre Begleiter und natürlich an Nonantola, das Dorf, in dem die Kinder versteckt wurden.« Il Piccolo

Ivan Sciapeconi, Jahrgang 1969, ist Grundschullehrer und Autor von Kinder- und Jugendbüchern. Seine Leidenschaft für Geschichte führte ihn zu der Recherche für Die Kinder des Don Arrigo, seinem ersten Roman für ein erwachsenes Publikum. Sciapeconi lebt mit seiner Frau in Modena.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843730334
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum28.09.2023
Auflage1. Auflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3099 Kbytes
Artikel-Nr.11420849
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

»Natan, mein lieber Natan, erinnerst du dich noch an meinen Freund Shlomo?«

»Nein, Papa.«

»Wie, nein? An den zahnlosen Shlomo, den Hypochonder!«

»Nein, ich erinnere mich nicht an ihn.«

»Jedenfalls ist er gestorben.«

»Das tut mir leid.«

»Nicht so schlimm. Eigentlich war er auch gar kein richtiger Freund von mir. Weißt du, welche Inschrift er für sein Grab gewählt hat?«

»Nein, Papa.«

»ICH HAB´S EUCH DOCH GESAGT!«

Mein Vater ahnte nichts von dem, was geschehen würde. Er erzählte Geschichten, weil nicht einmal er sich vorstellen konnte, was geschehen sollte.

Ich hingegen habe es wohl immer irgendwie befürchtet. Deshalb nehme ich schon mein ganzes Leben lang die Beine in die Hand. Von Anfang an. Selbst bei meiner Geburt hatte ich es eilig.

»Da ist er ja«, sagte meine Mutter, und schon lag ich zwischen ihren Beinen. Meine Großmutter hat schon viele Geburten erlebt, aber bei mir schaffte sie es nicht einmal, rechtzeitig Handtücher und warmes Wasser zu holen. So viel Zeit habe ich ihr nicht gelassen.

Ich lernte, flink zu sein, noch ehe ich das Laufen lernte. Ich stützte mich auf den Händen ab und düste los. Den Körper zog ich hinterher. Irgendwann robbte ich dann auf allen vieren. Ich sah aus wie eine Katze, hat man mir erzählt. Als ich stehen konnte, wusste ich bereits, wie das mit dem Rennen funktioniert.

Ich rannte durch die Straßen von Charlottenburg, ging bei der alten Frau Mizrachi vorbei, holte den Korb mit dem Mittagessen und brachte ihn zu Onkel Hermann. Ich rannte auch überglücklich zur Schule, ohne zu ahnen, dass ich dort auf Frau Meyer treffen würde.

Ich rannte zum Fenster und sah die ersten Feuer rings um unser Haus. Es war November, aber nicht kälter als sonst. Es gab gar keinen Grund, ein solch großes Feuer zu entzünden. Das Feuer hatten die Braunhemden gelegt.

»Warum tun sie das?«, fragte ich meine Mutter.

»Weil sie Angst haben.«

Ich verstand nichts. Ich war noch klein. Seitdem sind vier Jahre vergangen. Vier Jahre machen einen großen Unterschied.

»Aber jetzt schnell, ab ins Bett«, sagte meine Mutter damals.

Ich renne stets und ständig, niemand kann mich schnappen. Das ist bislang nicht passiert und es wird auch nie passieren, weil ich nie anhalte. Auch jetzt, da ich im Zug sitze, renne ich eigentlich. Ich atme abgehackt und habe Schweiß auf der Stirn. Meine Muskeln brennen. In der Brust spüre ich mein Herz pochen. Mein Herz kann kaum mit meinem Atem Schritt halten. Es schlägt so heftig, es ist ein Wunder, dass meine Sitznachbarn es nicht hören können.

Ich behalte die Abteiltür im Blick. Jedes Mal, wenn sie sich öffnet, erfüllt Lärm den Waggon. Insgeheim wappne ich mich dafür, jederzeit den Koffer umzustoßen. Die Braunhemden sind nie einzeln unterwegs. Wenn ich es schaffe, einen zu Fall zu bringen, fallen sie alle.

Nach den ersten Brandanschlägen hat mein Vater aufgehört zu lachen. Zuvor war er ein Mann voller Humor. Manche haben einen reichen, andere einen abwesenden oder strengen Vater. Mir hatte das Leben einen lustigen Vater gegeben. Etwas Besseres hätte ich mir nicht wünschen können.

Mein Vater saß auf seinem grünen Samtsessel, an dem die Armlehnen und die Kopfstütze vom Zahn der Zeit und vom vielen Nachdenken nach dem Mittagessen verschlissen waren. An diesen Nachmittagen hörte man vom Sessel her ein leises, regelmäßiges Pfeifen. Dann schlich ich mich heran, um das Innere seines Mundes zu inspizieren, um zu sehen, ob sich darin ein geheimer Mechanismus befände, denn von dort kamen seine Geschichten.

Wenn er nicht gerade ein Nickerchen hielt, hörte er die Radiosendungen der Nachbarn.

»Weißt du, es ist ein großes Glück, in einer Bruchbude zu wohnen«, sagte er dann. »Die Reichen wohnen in Häusern mit dicken Wänden, durch die kein Laut dringt. Stell dir nur vor, sie sind gezwungen, ein eigenes Radio nur für ihre Familie anzuschaffen. Die Reichen geben jede Menge Geld dafür aus, reich zu sein. Wir hingegen müssen nur das Ohr an die Wand pressen.«

Ansonsten las er. Stapelweise Bücher, die sich auf dem Hocker und auf dem Boden, rings um den Sessel oder wo er sich sonst aufhielt, türmten. Er las alles, was er in die Finger bekam, aber am liebsten las er Liebesromane, aber nur die, die gut ausgingen. Mit Gedichten hingegen konnte er nichts anfangen. Er hatte es probiert, aber kein einziges lustiges Gedicht gefunden.

Wenn ihm eine Geschichte, ein Wortspiel oder ein Witz einfiel, ließ er alles stehen und liegen, und auch alle anderen mussten alles andere stehen und liegen lassen.

»Witze darf man nicht entwischen lassen, denn sie verraten dir viel über den Charakter eines Menschen. Nehmen wir deinen Großvater beispielsweise. Dein Großvater war Ungar und über einen Witz lachen die Ungarn dreimal: das erste Mal, wenn sie ihn hören, das zweite Mal, wenn sie ihn nacherzählen, und das dritte Mal - dazwischen vergeht allerdings viel Zeit -, wenn sie ihn endlich kapieren. Wenn du denselben Witz aber dem alten Herrn Mann erzählst, der unter uns wohnt, der ein echter Deutscher ist, wie er im Buche steht, wirst du Folgendes erleben: Er lacht nur zweimal. Das erste Mal, wenn er ihn hört, und das zweite Mal, wenn er ihn nacherzählt. Mehr nicht. Denn den Witz hat er nicht kapiert und wird ihn auch nie kapieren.«

Das war typisch für meinen Vater - er erzählte seine Geschichten in Etappen. Und man wusste nie, wie lange sie dauern würden und wann die Vorführung zu Ende wäre.

»Weißt du, wer die Schlimmsten sind? Die Sowjets. Die Sowjets lachen nur einmal, und zwar nur, wenn sie deinen Witz hören. Weil sie ihn unmöglich kapieren können. Deshalb kannst du dir sicher sein, dass sie ihn nie weiterzählen werden. Ein Sowjet weiß, er sollte sich besser um seine eigenen Angelegenheiten kümmern.«

Ende. Zumindest scheinbar.

»Und die Juden?«, meldete ich mich zu Wort. »Wie oft lachen wir Juden, Papa?«

»Tja, wir Juden, fragst du. Wir Juden lachen nicht. Nie, vergiss das nicht. Nicht ein einziges Mal. Weil wir die Witze alle schon kennen!«

Und an diesem Punkt, wenn er zu Ende erzählt hatte, lachte er schallend. Dann legte er beide Hände auf seinen runden, weichen Bauch und lachte. Die Hände rutschten rauf und runter und schafften es kaum, all die Freude im Zaum zu halten, die sich in seinem Bauch ballte.

Mein Vater kaufte und verkaufte Stoffe, aber es lag nicht an seiner Arbeit, dass wir arm waren. Es gab auch reiche Händler und Tuchhändler, die es zu Wohlstand gebracht hatten. Wir nicht. Wir waren arm, sind es immer gewesen. Mein Vater lehnte es ab, andere über den Tisch zu ziehen, weigerte sich, den einzigen Weg einzuschlagen, mit dem man ordentlich verdienen konnte. Mit ehrlicher Arbeit ist noch niemand reich geworden. Mit Betrügereien, das ja, oder durch einen wundersamen Geldsegen, aber nicht mit ehrlicher Arbeit.

Als Kind hatte er seine Mutter zu einem Rabbiner begleitet. Damals, im Angesicht dieses Mannes mit langem Bart und hellen Augen, hatte er verstanden, dass es immer so weitergehen, dass er immer arm bleiben würde. Der Rabbiner wirkte weise, selbst wenn er nichts sagte. Da hatte mein Vater seinen Mut zusammengenommen und ihm eine Frage gestellt. Kurz zuvor hatte er sich mit einem Freund gestritten, ein blödsinniger Streit unter Kindern, aber er lag ihm noch immer wie ein Stein im Magen.

»Was soll ich jetzt tun, Rabbi«, hatte er gefragt, »wie soll ich mich verhalten ...?«

Der Rabbiner hatte geantwortet: »Was du nicht willst, das man dir tuʼ, das füg auch keinem andern zu.«

Es war eine kurze, schlichte und logische Regel. Eine, die selbst für jemanden wie meinen Vater funktionierte, der sonst nichts mit der Religion am Hut hatte.

So kam es, dass sich ab diesem Moment alle Leute, die er traf, seine witzigen Geschichten anhören mussten. Wer andere zum Lachen bringt, gewinnt ihr Vertrauen, deshalb hatte er jede Menge Freunde im gesamten Kiez, aber auch über Charlottenburg hinaus. Seine Freunde verteilten sich über ganz Berlin. Männliche Freunde, wie er immer betonte, denn eine Frau zum Lachen zu bringen, barg Gefahren. »Denk daran, Natan: Alle wollen ein Kind mit einem lustigen Mann. Deshalb, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden, erzähl Frauen immer nur tragische Geschichten. Versprich mir das.«

»Versprochen.«

»Gut.«

Mein Vater brachte seine Zeit draußen auf der Straße zu, wo er, den Handwagen beiseitegestellt, mit Freunden plauderte, die zufällig vorbeikamen. Wenn der Tag so verlief, kehrte er zufrieden zurück.

Weit weniger zufrieden war meine Mutter, die beim Einkaufen anschreiben lassen musste und die Kleider auf links wendete, um ihnen neues Leben einzuhauchen.

»Sie sind völlig hinüber, so sieht´s aus«, sagte sie oft, vor allem beim Abendessen. »Tja, wer weiß, was das für ein Gefühl sein muss, wenn man beim Einkaufen nicht jeden Pfennig dreimal umdrehen muss.«

Worauf mein Vater entgegnete: »Kein besonderes. Außerdem würdest du selbst dann...
mehr

Autor

Ivan Sciapeconi, Jahrgang 1969, ist Grundschullehrer und Autor von Kinder- und Jugendbüchern. Seine Leidenschaft für Geschichte führte ihn zu der Recherche für Die Kinder des Don Arrigo, seinem ersten Roman für ein erwachsenes Publikum. Sciapeconi lebt mit seiner Frau in Modena.