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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Westend Verlagerschienen am23.05.20221. Auflage
Der Mount Everest ist zu einem Ort für einen pervertierten Massentourismus der Luxusklasse geworden. Mit fatalen Folgen für die dort lebenden Tibeter, die Bergsteiger und die Natur. Kenntnisreich und spannend beschreibt Oliver Schulz in seinem Buch, welche Kräfte und Interessen diese Entwicklung vorangetrieben haben. Was macht das mit der Kultur der Menschen, die dort leben, und mit denen, die den heiligen Berg besteigen bzw. aus falschverstandenem Ehrgeiz auf 8848 Meter Höhe geschleppt werden? Schulz erzählt vom Traum und Albtraum am höchsten Berg der Erde, vom Geschäft mit dem Höhenwahn, der beispielhaft für den Irrsinn des gesamten internationalen Alpinismus steht. Und er sucht Antworten auf die Frage, wie man Massentourismus, Tod und Ausbeutung am Berg in Zukunft besser in den Griff bekommen kann.

Oliver Schulz, geboren 1968, ist studierter Indologe, Tibetologe und Soziologe und arbeitet als Redakteur bei den "Lübecker Nachrichten" sowie als freier Journalist. Er ist Autor der Sachbücher "Indien zu Fuß" (DVA) und "Die Tibetlüge" (vitolibro) und hat zahlreiche Artikel zur politischen Lage auf dem Subkontinent u. a. in Die Zeit, Zeit online, Spiegel, Welt und Media verfasst. Er lebt in Lübeck.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextDer Mount Everest ist zu einem Ort für einen pervertierten Massentourismus der Luxusklasse geworden. Mit fatalen Folgen für die dort lebenden Tibeter, die Bergsteiger und die Natur. Kenntnisreich und spannend beschreibt Oliver Schulz in seinem Buch, welche Kräfte und Interessen diese Entwicklung vorangetrieben haben. Was macht das mit der Kultur der Menschen, die dort leben, und mit denen, die den heiligen Berg besteigen bzw. aus falschverstandenem Ehrgeiz auf 8848 Meter Höhe geschleppt werden? Schulz erzählt vom Traum und Albtraum am höchsten Berg der Erde, vom Geschäft mit dem Höhenwahn, der beispielhaft für den Irrsinn des gesamten internationalen Alpinismus steht. Und er sucht Antworten auf die Frage, wie man Massentourismus, Tod und Ausbeutung am Berg in Zukunft besser in den Griff bekommen kann.

Oliver Schulz, geboren 1968, ist studierter Indologe, Tibetologe und Soziologe und arbeitet als Redakteur bei den "Lübecker Nachrichten" sowie als freier Journalist. Er ist Autor der Sachbücher "Indien zu Fuß" (DVA) und "Die Tibetlüge" (vitolibro) und hat zahlreiche Artikel zur politischen Lage auf dem Subkontinent u. a. in Die Zeit, Zeit online, Spiegel, Welt und Media verfasst. Er lebt in Lübeck.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783864898617
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum23.05.2022
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.8882215
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

5 Die Einheimischen

Eins, zwei, drei. Noch ein Schritt. Ich sehe die Zedern über mir, den blauen Himmel. Ich höre das Lachen der Sherpa-Jungs mit den kurzen Hosen und den 45-Kilo-Lasten, die sie nur mit einem Seil an der Stirn auf dem Rücken schleppen. Dann breche ich zusammen. Noch einmal blicke ich hinauf zu den schneebedeckten Bergen im Norden, dann sinke ich rücklings auf die braune Erde.

Wie sieht es zu Füßen des Everest aus, wer sind die Menschen, die am höchsten Berg der Welt leben und arbeiten? Um das herauszufinden, habe ich mich nach Khumbu aufgemacht, in die Region, in der dieses Volk - denn dafür steht der Name Sherpa eigentlich, der meist einfach als »Träger« missverstanden wird - siedelt.

An einem taufeuchten, leuchtenden Maimorgen bin ich in dem Ort Lukla gelandet, in einer kleinen Propellermaschine voller Reissäcke, Plastikbeuteln und auch Eierkartons, auf jenem Flughafen, der als einer gefährlichsten der Welt gilt, weil die Flieger steil zum Hang landen, gebremst durch die Steigung. Ich bin ein enges Tal hinauf durch nasses Gras marschiert, auf breiten Sandwegen und mit Steinplatten befestigten Passagen, durch kleine, mediterran wirkende Dörfer. Die Fenster der ein- und zweistöckigen Häuser waren mit Geranien in ausgedienten Konservendosen geschmückt, die rund geschnittenen, kleinen Terrassenfelder von hüfthohen Steinmauern begrenzt. Ein junger Maisbauer grüßte mich auf Deutsch und erzählte mir, dass er eine Zeit in Heidelberg gelebt habe. Auf halbem Weg machte ich eine Pause, um in einem kleinen Café Zweiminutennudeln zu futtern, und beobachtete, wie die Träger aus der Region an einer alten Raststation auf Bänken aus gewaltigen Granitklötzen ihre Lasten ablegten und Bidis rauchten: Säcke voller Getreide und Zucker, gebündeltes Baumaterial wie Rohre und Holzlatten. Maultierkarawanen zogen vorbei, Yak-Karawanen, die ganze Expeditionen zum Everest-Base-Camp oder zurück brachten. Ein einzelner Reiter stürmte auf einem Pferd ohne Sattel vorbei.

An den Stahlseilen der Hängebrücken, in der tiefen Schlucht über dem Dudh Kosi, flatterten Gebetsfahnen. Auf den Terrassen der Restaurants, die den Weg säumten, hockten Westler mit nacktem Oberkörper und Bier in der Hand. Mit einem jungen peruanischen Bergenthusiasten namens Ezechiel passierte ich den Checkpost zum Sagarmatha National Park, ließ meinen Pass stempeln und entrichtete das Entgelt, von dem bekannt ist, dass es nicht die Taschen der Einheimischen füllt, sondern die von irgendwelchen Beamten in Kathmandu. Ich erklärte dem staunenden Ezechiel, dass man linksherum um die Stupas und die Manimauern geht, um mit der rechten Körperseite der Religion Respekt zu erweisen. Und ich fühlte mich mit jedem Schritt hinauf in das tibetische Hochland glücklicher, vertrauter mit dem eigentlich ja Unvertrauten. Obwohl schnell klar war: authentische, vom Westen unberührte Kultur war hier sicher nicht zu finden.

Himalaja-typische Höhe dagegen auf jeden Fall. Jetzt hocke ich kurz vor dem Tagesziel auf dem Boden, den Rücken gegen den Rucksack gelehnt. Der Atem beruhigt sich zwar, das Herz pocht wieder etwas langsamer, aber ich habe hämmernde Kopfschmerzen. Etwas peinlich ist mir meine Lage, hier am Wegrand, wo quasi alles vorbeiströmt, was nach Khumbu hinein- oder hinauswill. Ich greife nach meiner Trinkflasche und der Schokolade.

»Brauchst du Hilfe?« Lachend klettern die Sherpa-Träger den steilen Hang hinauf, der einige Hundert Höhenmeter über dem Fluss durch dichten Wald führt. Sie tragen kurze Hosen und haben Waden wie Baumstämme. »Ist schon gut«, sage ich. »Alles bestens.« Langsam raffe ich mich wieder auf und folge dem Weg hinauf nach Namche Basar, dem Hauptort von Khumbu. Der Wald öffnet sich. Als ich den Ort erreiche, wird es dunkel, erste Wolken ziehen auf.

Namche liegt in einem kahlen, felsigen Talkessel, einzelne Wacholderbüsche ducken sich an Steinmauern, die schmucklosen Flachbauten haben Wellblechdächer. Ich spaziere zwischen Pizzerien und Kneipen, kleinen Läden mit Kleidung und Lebensmitteln, in denen Frauen in Trachtenimitaten mich anlächeln. Hinter beleuchteten Glasfassaden sitzen Westler aller Altersgruppen in Trekkingoutfit. In den verwinkelten Straßen spielen Kinder zwischen Yaks, die ihren Atem in die kalte, feuchte Luft blasen. Es ist eine seltsame ostwestliche Mischung. Ein brummender Kiez auf 3 500 Metern Höhe mit einem Hauch von Outdoor- und Öko-Szene.

Das Hotel hat keine Heizung, aber eine chinesische Wärmedecke für die Steckdose. Ich wähle das lokale Dosenbier zum Abendessen. Es gibt tibetische Momos mit Gemüsefüllung.

Durch die Dunkelheit höre ich Gesang und Trommeln und klettere hinauf ins Kloster, auf der anderen Seite des Talkessels. Ein Fest steht an. Bevor es beginnt, wandle ich durch eine kleine Ausstellung in einem angegliederten »Museum« im oberen Stockwerk des Klosters, das die Geschichte der Sherpas erzählt. Sherpa - das heißt Mensch aus dem Osten, hier wird es noch einmal erklärt. Aus der Region Kham in Osttibet sind diese Menschen gekommen, geflüchtet vor etwa sechshundert Jahren. Vielleicht aus religiösen, vielleicht aus wirtschaftlichen Gründen, wer kann das heute noch sagen? Der Legende nach suchten sie ein Be-yül, eines jener dem tibetischen Glauben nach versteckten Täler, von denen es einige im gesamten Himalaja gibt. Womöglich haben sie zunächst Zwischenstation in Zentraltibet gemacht und stiegen erst über den 5 700 Meter hohen Nangpa La-Pass, der Khumbu von Tibet trennt, hinunter in ihr neues Siedlungsgebiet, als muslimische Invasoren nach Tibet vordrangen, um das Land zu islamisieren. Jedenfalls ließen sich vier Clans von ehemals nomadischen lebenden Menschen hier nieder, in einem Land, das damals noch weitgehend unbewohnt gewesen war. Über die Jahrhunderte splitteten sie sich auf in die etwa zwanzig Sippen, die heute nicht nur in Khumbu, sondern auch in anderen Regionen des südlichen Himalaja siedeln, vor allem in Nepal, aber auch zum Beispiel im indischen Darjeeling.

Ich betrachte eine Schautafel: »From Trade to Tourism« steht darauf, sie beginnt mit den Bergsteigern in den Fünfzigern. Viel Platz ist Everest-Erstbesteiger Edmund Hillary gewidmet. Einem tibetischen Mandala nachempfunden ist eine - ganz moderne - Darstellung der Aktivitäten der Sherpas im Jahresverlauf. Neben Heuernte und Heufüttern sind auch die Touristensaison und die Schulferien verzeichnet.

Die Sherpas gehören zur Nyingmapa-Schule, die auch als »alte« Schule des tibetischen Buddhismus bekannt ist. Im achten Jahrhundert von dem indischen Missionar Padmasambhava gegründet, der im tibetischen Kulturkreis bekannter ist als Guru Rinpoche, betont sie die Mystik und bezieht die lokalen Gottheiten besonders ein, die sie mit der vorbuddhistischen, vom Schamanismus geprägten Bön-Religion teilt.

Ich steige die Holztreppe hinab, das Fest beginnt. Der Hof ist neonstrahlerbeleuchtet von allen Seiten. Vor der Bühne stehen kräftige Kerle mit Fleecejacken im Publikum, viele haben die Haare zum Zopf gebunden. Frauen tragen Kopftücher. Ein paar Westler sind dazwischen, die mehr wie Hipster aussehen als Alpinisten. Die Kinder sind aus den umliegenden Schulen zurück, sie führen Theaterstücke auf. Jatakas, Geschichten aus den früheren Leben des Buddhas. Gekleidet sind sie in eine Mischung aus tibetischen und indischen Kostümen. Nach jeder Szene gibt es frenetischen Applaus. Höhepunkt ist die Erzählung von Prinz Sattva, der seinen Körper einer hungernden Tigerin hingibt, die kurz davor ist, ihren eigenen Nachwuchs zu verspeisen. Danach singen alle die nepalesische Nationalhymne.

Zum Abschluss wird für die Sherpas am Berg gebetet. Ein kleiner, alter Mönch mit kurzen Haaren rezitiert aus den Seiten auf dem Blockdruck, die er behutsam umschlägt. Danach frage ich ihn vorsichtig, was für ein Text das gewesen sei. »Keine Ahnung«, sagt er. Er könne die Zeichen lesen, aber er wisse nicht so genau, was darin stehe.

Am übernächsten Tag bin ich ausgeruht und halbwegs akklimatisiert, ich steige hinauf in Richtung Gokyo-Tal, das westlich des Everest liegt, nicht so überlaufen ist wie die Route zum Basislager des welthöchsten Berges und deshalb typischer für die Sherpa-Kultur.

Doch nun setzt Regen ein. Zwischen nassen Wacholdersträuchern und auf rutschigem Geröll wandere ich in den Ort Khumjung und bewundere die Statue für Edmund Hillary. Sie steht in einer großen Pfütze vor zwei Stupas und einem nicht mehr ganz intakten Volleyballnetz im Zentrum des Ortes. Ein kleines Grünquadrat umgibt den Gedenkort. »Gründer der Khumjung Schule 1961« lese ich unter dem Monument. Hillary ist mit schräg sitzendem Hut, Wollweste und wohlwollendem Blick in Stein gehauen. Jemand hat ihm einen frischen Khatak umgelegt, einen tibetischen Glücksschal. Kinder rennen über den Platz. Eine nepalesische Fahne weht im Regen, der immer dichter wird. Der Himmel zieht sich zu. Ein Hubschrauber donnert vor schwarzen Wolken in Richtung Mount Everest.

Es dämmert, als ich im Nachbarort an die Tür des Krankenhauses klopfe. Dort habe ich einen Termin mit dem Arzt Kami Temba Sherpa. Er hockt an seinem iPad, ein Ofen mit Yak-Dung brennt und zischt. Sein Gesicht sieht irgendwie traurig aus, aber als er anfängt zu sprechen, zieht sich ein Lächeln darüber. Der Doktor ist voller Lob für Hillary. »Das Gebäude hier ist 1966 unter seiner Anleitung gebaut worden«, sagt er. »In traditioneller Steinbauweise. Dann ist er um die ganze Welt gereist, um Spenden zu sammeln, um eine Stiftung zu gründen, um den Bau von Straßen und Brücken zu fördern. Und um die Schule im Nachbarort Khumjung zu errichten.« Der Mediziner kann auch nichts...
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