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Die dunkle Seite des Sees

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
336 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am18.04.2017
Spaziergänger finden am Konstanzer Rheinufer einen Frauenkopf. Wenig später wird ein weiblicher Torso entdeckt - doch er stammt nicht von derselben Frau. Die Menschen in der Seeregion geraten in Panik: Treibt ein Serientäter sein Unwesen? Als wenig später die Freundin des ermittelnden Kommissars Sito verschwindet, nimmt der Fall eine noch bedrohlichere Dimension an. Ist Sito diesem Täter gewachsen?

Tina Schlegel war Regieassistentin, Drehbuchautorin und Redakteurin, bevor sie als freiberufliche Kulturjournalistin u.a. für die Süddeutsche Zeitung und die Münchner Abendzeitung arbeitete. Seit 2012 schreibt sie für die Augsburger Allgemeine über Kunst, Theater und Musik und lebt mit ihrer Familie am Niederrhein und im Unterallgäu.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextSpaziergänger finden am Konstanzer Rheinufer einen Frauenkopf. Wenig später wird ein weiblicher Torso entdeckt - doch er stammt nicht von derselben Frau. Die Menschen in der Seeregion geraten in Panik: Treibt ein Serientäter sein Unwesen? Als wenig später die Freundin des ermittelnden Kommissars Sito verschwindet, nimmt der Fall eine noch bedrohlichere Dimension an. Ist Sito diesem Täter gewachsen?

Tina Schlegel war Regieassistentin, Drehbuchautorin und Redakteurin, bevor sie als freiberufliche Kulturjournalistin u.a. für die Süddeutsche Zeitung und die Münchner Abendzeitung arbeitete. Seit 2012 schreibt sie für die Augsburger Allgemeine über Kunst, Theater und Musik und lebt mit ihrer Familie am Niederrhein und im Unterallgäu.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960411994
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum18.04.2017
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3815 Kbytes
Artikel-Nr.3009993
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Neuanfang

Ende April, Mitternacht

Ich bin aufgewacht. Mein Hemd ist schweißdurchtränkt. Musste mich übergeben. Und wenn ich die Augen schließe und endlich schlafen kann, fassen fremde Mächte nach mir. Habe gerade mit meinem Kopf Fußball gespielt; ihn einfach weggeschossen mit meinem Fuß. Mir schaudert über mich selbst. Alles dreht sich, mich würgt - Entsetzen, blanke Angst.

Hier bin ich. Hauptkommissar Paul Sito. Nichts weist über mich hinaus. Meine Haut ist wie eine Mauer. Nichts lässt sie nach draußen. Nichts lässt sie nach drinnen.

Hier stehe ich und sehe die Nacht. Die Zigarre in meiner Hand glimmt. Ihr Geräusch. Sonst nichts. Mein Hund Pollux, der Gute, liegt hinter mir. Tief in der Erde. Wir haben geredet, wie immer. Meine Worte in meinem Gefängnis, seine in seinem.

Jetzt gehe ich. Pollux bleibt. Ich werde wiederkommen.

Das Gesicht aber nehme ich wieder mit. Es ist immer da. Immer da. Immer. Sein Gesicht wird immer bei mir bleiben. Sein Gesicht im Augenblick des Sterbens. Seine Augen, als er ging und sie mir noch einmal schenkte. Sein letzter Gruß. Immer da. Immer.

Leben heißt fortan, dieses Gesicht zu sehen. Überall.

Leben heißt, ihn gekannt zu haben.

Es gibt kein Leben mehr ohne ihn. Immer wird er da sein. Immer da. Immer.

Die Zigarre, sie glimmt, macht Licht und schmeckt holzig.

Ich ahne die Asche an ihrem Ende.

Wenn ich jetzt einfach den Weg nach unten renne, immer weiter, durch die Häuserreihen hindurch, den Weg nach unten, immer weiter, bis zum See. Dann die Schuhe aus. Kalt ist das Wasser im letzten Rest vom April. Nichts als Kälte. Immer weiterrennen.

Hier bin ich. Nichts weist über mich hinaus. Meine Haut ist wie eine Mauer. Nichts lässt sie nach draußen, nichts nach drinnen.

Morgen fährt Roman mich ins Krankenhaus. Noch einmal. Ruhe. Weiß. Alles wird ruhig. Ich bleibe, bis das Gesicht genug von mir hat, bis es mich gehen lässt. Bis es bleibt, wo ich nicht mehr sein werde. Ab morgen arbeite ich an diesem Abschied.

Ach, Roman Enzig, wärst du nur schon da.

Und ein anderer.

Und hättest du mir bloß nie geraten, Tagebuch zu führen â¦

* * *

Roman Enzig rührte den Zucker in seiner Tasse seit Minuten um. Seit über einem halben Jahr war der Psychologe nun schon als Profiler bei der Polizei Konstanz angestellt, vorübergehend war er sogar stellvertretender Dienststellenleiter. Ausgerechnet er. In Konstanz. Zurück in der Heimat, dachte er und blieb hängen in dem Gedanken und dem stetigen Pling-pling in seiner Tasse. Irgendwann meinte er, das Echo in seinem Kopf sich schon wundern zu hören. An das Rühren des Löffels schmiegte sich das Radio: »Und nun das Wetter. Wir dürfen uns freuen. Es werden Rekordwerte zum Wochenende erwartet. Der Mai ist gekommen und mit ihm dreißig Grad.«

»Dreißig Grad«, murmelte Enzig. Er war kein großer Freund der Sonne. Seine Haut war empfindlich. Als Kind, wenn alle anderen in den Untersee gesprungen waren, hatte er lieber im Schatten der großen Bäume im Reichenauer Strandbad gelegen und gelesen oder einfach auf die Hügellandschaft des Seerückens geblickt. Die Schweiz war für ihn als Kind ein fernes Land und doch an dieser nördlichen Stelle der Insel Reichenau zum Greifen nah. »Da schwimmen wir mal rüber«, hatten die Jungs gesagt, wenn sie die Mädchen beeindrucken wollten. Enzig hatte nur gelächelt. Nein, schwimmen würde er sicher nicht, schon gar nicht bis in die Schweiz.

Er sah zu der Uhr über seiner kleinen Kochnische. Die Zeit stand. Ein Wunder, dass die Uhr einen Platz gefunden hatte in seinem neuen Zuhause, denn noch immer lebte er in der kleinen Pension mit Blick auf den Rhein und die gegenüberliegende Uferseite mit dem Restaurant Stromeyer, diesem schönen alten Fabrikbau aus den Zwanzigern. Überhaupt war es ein Glück, dass er hier gelandet war, so abgeschieden, das gefiel ihm. Nach dem Bau der neuen Rheinbrücke und dem Ausbau der Schnellstraße in Richtung Schweiz war das Viertel damals noch mehr ins Hintertreffen geraten. Ohnehin konnte man in Konstanz aufwachsen, ohne diese Ecke zu kennen. Und seit 2001 hieß die B 33 zu allem Überfluss auch noch Europastraße, passend zur Europabrücke und dem Europahaus für die Studenten der FH. Mehr Europa vertrug Konstanz nun nicht mehr. Vor lauter Europa fand man dieses ehemalige Fischerdörfchen mit den schönen Häusern aus dem 19. Jahrhundert schon gar nicht mehr.

Weil Enzig oft neugierig durch das Viertel spaziert war, kannten ihn die Leute. Einer brachte immer gleich ein Glas mit einem Obstler. Enzig hatte ihn langsam im Verdacht, nur auf ihn zu warten, damit er einen Grund hatte, einen Kurzen zu trinken. In dem großen, lang gezogenen Nachbargarten standen Keramikschwäne auf einer Mauer. Eine unerklärliche Traurigkeit hatte Enzig beim ersten Anblick befallen, beinahe Wehmut. Doch die Wärme des Obstlers hatte ihn gerettet.

Sie waren wie Verbündete gegen die Zeit, manchmal schien es, als sei alles langsamer hier im Grenzgebiet, es war Zeit für einen Plausch und ein stets herzliches »Adele« zum Abschied. Langsamkeit tat Enzig gut. Was er besonders mochte, waren die Wege mit Kopfsteinpflaster, wenn man jeden Schritt spürte. An manchen Stellen kam das Gras durch.

Seine beiden Lieblingshäuser waren bei der Pension ums Eck: zum einen ein wunderschönes Haus in hellem Gelb mit zartblauen Fensterläden, einem schmiedeeisernen Zaun und prahlerischem Efeu an der Mauer; zum anderen ein wenig weiter unten am Rheinufer und mit eigenem Seezugang das komplett eingewachsene Haus mit der schönen roten Eingangstür und dem riesigen Dach, das nicht mehr ganz symmetrisch war - zur einen Seite hing es ein wenig durch.

Letzteres kannte Enzig dann doch aus seiner Jugend, denn am Rheinufer, am Schänzle, hatte natürlich auch er gesessen, hatte die Beine von der Mauer baumeln lassen, ein paar Semmeln und Bier oder Wein dabei. Das gehörte einfach dazu: ein Picknick am Schänzle, ein Nachtplausch. Wenn gegenüber dann die Lichter angingen und gedämpfte Geräusche von der Bleiche zu hören waren, dann konnte man Paare enger aneinanderrücken sehen. Schön war das. Heimelig. Ja, Enzig wurde sich in diesem Augenblick bewusst, dass dies tatsächlich Heimat für ihn war.

Seine Wirtin glaubte sicher auch nicht mehr daran, dass er bald eine richtige Wohnung in Konstanz finden würde. Anfangs hatte sie ihm noch die Samstagszeitungen vor die Tür gelegt, aber inzwischen legte sie ihm einfach die Brötchen auf den Fußabstreifer. Sie radelte immer morgens rüber ins »richtige« Paradies, nahm die kleine Brücke über die Schnellstraße und ging dort zu ihrem Lieblingsbäcker. Enzig hatte sie einmal zufällig gesehen. Sie aß dort ein Milchbrötle mit Rosinen und trank einen Milchkaffee mit extra viel Milch. Saß dort auf einem wackligen Stuhl auf dem Gehsteig und lächelte dem Ladenbesitzer zu, dem anschließend die Ehefrau schnell die Hand auf die Schultern legte. Gewiss ein Ritual. Für alle. Enzig war geflüchtet, ungern war er Zeuge von Hoffnungslosigkeit.

Eine Uhr, sie tickte und ging doch viel zu langsam voran. Dazwischen das Pling-pling des Löffels in der Tasse.

Auf dem Rhein zogen Ruderer ihre Bahnen. Wie jeden Morgen. Immer trainierten sie für irgendeinen Wettkampf oder einfach nur für ihre Gesundheit. Rudern werd ich wohl nie verstehen, dachte Enzig und legte endlich den Löffel beiseite. Der Kaffee war nur noch lauwarm.

Ruderer, so ein gewohntes Bild, doch der Tag war alles andere als gewöhnlich. Sein Partner im Kommissariat, Paul Sito, verließ heute das Krankenhaus, und er, Roman Enzig, hatte versprochen, ihn abzuholen. Er würde ihn nach Hause bringen und morgen dann dort seine Begrüßung feiern, obwohl er wusste, dass Sito nicht begrüßt werden wollte. Enzig trank schnell die Tasse leer, schielte zur Kaffeemaschine, die brummte, und holte sich eine neue Tasse. Dieses Mal verzichtete er auf den Zucker und das Rühren.

Bald war wieder alles beim Alten. Dann würde er wieder der Partner von Hauptkommissar Paul Sito sein, als Profiler Dr. Roman Enzig. War er stolz? Irgendwie schon. Er war gut darin, Tatorte und Fälle zu analysieren, gut darin, Menschen zuzuhören, nur reden, also über sich, das lag ihm weniger.

Der heiße Kaffee schmeckte gut. Wenn er Glück hatte, dann würde seine Vermieterin ihm schon bald frische Brötchen vor die Tür legen. Irgendwie hatte Enzig auch das Gefühl, dass sie nicht ganz unglücklich war mit ihm als Dauergast. Manchmal lächelte sie ihn an wie eine Mutter ihren Sohn. Aber das Gefühl konnte täuschen; womöglich war sie einfach froh, nicht jede Woche neue Menschen in ihrem Haus zu haben, sondern einen, bei dem die Schuhe immer sauber vor der Tür auf dem Fußabstreifer standen, stets akkurat nebeneinander, nie schräg oder gar übereinander. Und er zahlte ja auch immer im Voraus für den ganzen Monat. Ein guter Gast, ein bescheidener Mensch. Ja, sagte sich Enzig, so wird die Frau mit den Lockenwicklern immer mittwochs und freitags im Haar sicher denken. Es störte ihn nicht.

Aber etwas anderes störte ihn. Sito ging es nicht besser. Seit Ende Oktober besuchte er ihn, abwechselnd im Krankenhaus oder in dessen Haus in Egg. Er sprach mit ihm und hatte ihm geraten, Tagebuch zu führen. Jetzt war er wieder im Krankenhaus gewesen. Zum letzten Mal. Er galt als gesund, der Magenkrebs überwunden, aber Enzig...
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