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Wiederholungstäter

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am26.04.20231. Auflage
Petros Markaris über seine Liebe zu Istanbul, seine Hassliebe zu Athen und seine besondere Beziehung zur deutschen Kultur Bekenntnisse eines Kosmopoliten.

Petros Markaris, geboren 1937 in Istanbul, ist Verfasser von Theaterstücken und Schöpfer einer Fernsehserie, er war Co-Autor von Theo Angelopoulos und hat deutsche Dramatiker wie Brecht und Goethe ins Griechische übertragen. Mit dem Schreiben von Kriminalromanen begann er erst Mitte der Neunzigerjahre und wurde damit international erfolgreich. Er hat zahlreiche europäische Preise gewonnen, darunter den Pepe-Carvalho-Preis sowie die Goethe-Medaille. Petros Markaris lebt in Athen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextPetros Markaris über seine Liebe zu Istanbul, seine Hassliebe zu Athen und seine besondere Beziehung zur deutschen Kultur Bekenntnisse eines Kosmopoliten.

Petros Markaris, geboren 1937 in Istanbul, ist Verfasser von Theaterstücken und Schöpfer einer Fernsehserie, er war Co-Autor von Theo Angelopoulos und hat deutsche Dramatiker wie Brecht und Goethe ins Griechische übertragen. Mit dem Schreiben von Kriminalromanen begann er erst Mitte der Neunzigerjahre und wurde damit international erfolgreich. Er hat zahlreiche europäische Preise gewonnen, darunter den Pepe-Carvalho-Preis sowie die Goethe-Medaille. Petros Markaris lebt in Athen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257613704
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum26.04.2023
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse840 Kbytes
Artikel-Nr.11468801
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


In meinem Leben habe ich stets das getan, was ich nicht tun wollte. Doch das ist weder seltsam noch originell. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt landen woanders als dort, wo sie ursprünglich hinwollten. Das Seltsame bei mir ist, dass mir die Dinge besser gelungen sind, die ich nicht tun wollte. Aber ich erkläre es lieber an einigen Beispielen. Ich wollte auf keinen Fall Wirtschaftswissenschaften studieren, aber welcher junge Mann hätte es Ende der fünfziger Jahre in Istanbul gewagt, den Plänen seines Vaters zu widersprechen, dessen Hand er küsste und den er mit Sie anredete? Zumal das Studium der Wirtschaftswissenschaften mit einem Studienaufenthalt in Wien gekoppelt war?

Ich ging also nach Wien, schloss jedoch das Studium der Wirtschaftswissenschaften nie ab. Dies hinderte mich nicht daran, bei einer großen Firma, der Zementfabrik Titan, einzusteigen. Es gelang mir nicht nur, mit einer Arbeit Erfolg zu haben, die mich anfänglich überhaupt nicht interessiert hatte, sondern auch Erkenntnisse für meinen zukünftigen Beruf zu gewinnen, die ich aus einer anderen - sagen wir der Einfachheit halber intellektuellen - Tätigkeit wahrscheinlich nicht gewonnen hätte. Wenn ich heute zurückblicke, genau dreißig Jahre nach Beendigung des Kapitels Titan, komme ich zu dem Schluss, dass ich alles, was ich über Wirtschaft, die Funktionsweise von Unternehmen und die Mechanismen des Marktes weiß, in meinen Jahren bei Titan gelernt habe, was mir bis heute von großem Nutzen ist. Dieser Beruf, den ich nicht ausüben wollte, gab mir die Gelegenheit, Länder kennenzulernen, die ich unter anderen Umständen niemals besucht hätte. Wie sonst - außer als Vertreter einer Zementfirma - hätte es mich nach Libyen, Syrien, Ägypten, Tunesien, Algerien, Saudiarabien und Kuweit verschlagen? Wäre ich jemals als Tourist nach Saudiarabien gereist? Das einzige arabische Land, das ich in der Zeit nach meiner Tätigkeit bei Titan bereist habe, war Marokko.

Als ich nach einem Jahrzehnt vor der Wahl stand, eine Führungsposition zu übernehmen oder freier Schriftsteller zu werden, wählte ich das Schreiben und beschloss, nie wieder einen Fuß in eine Firma zu setzen. Mit dem Ergebnis, dass ich zwei Jahre lang zwischen Griechenland und Libyen hin- und herpendelte, weil ein naher Verwandter in Tripolis einen Großauftrag übernommen hatte und meine Hilfe brauchte.

Schließlich befreite ich mich endgültig und unwiderruflich von Firmentätigkeiten jeglicher Art und stürzte mich mit Feuereifer auf mein schriftstellerisches Aufgabenfeld. Doch zu genau diesem Zeitpunkt erkrankte meine Frau schwer. Wiederum ließ ich das Schreiben sein und pendelte zwei Jahre lang zwischen Stanford, Paris und Athen hin und her.

Wie Brechts Gedicht sagt, begann ich immer wieder - zwar nicht in biologischer, jedoch in schriftstellerischer Hinsicht - mit meinem letzten Atemzug von vorne.

Das Einzige, was ich in meinem Leben tat, weil ich es wirklich tun wollte, war das Erlernen von Fremdsprachen. Dies war auch der einzige Punkt, an dem sich der Ehrgeiz meines Vater und mein eigener trafen. Zum Glück lernte ich Sprachen leicht, weil ich sie beim Hören aufschnappte. Das meine ich nicht im übertragenen Sinn, sondern ganz wortwörtlich. So wie es ein musikalisches Gehör gibt, existiert auch ein sprachliches Gehör. Wer über das Erste verfügt, eignet sich Töne, Noten und Melodien en passant an, wer über das Zweite verfügt, Sprachen. Nie zerbrach ich mir besonders den Kopf über Grammatik oder Syntax. Wenn mich jemand fragt, warum wird etwas im Deutschen, das ich in den letzten fünfzig Jahren fast täglich verwende, so und nicht anders geschrieben, dann antworte ich: »Ich weiß nicht, warum, aber so wird es geschrieben.« Darüber wunderten sich alle meine Deutschlehrer: wie ich so gut Deutsch schreiben konnte, während ich von Grammatik und Syntax keine Ahnung hatte.

Da jedoch neu beginnen nicht nur wieder von vorne anfangen , sondern auch etwas anderes beginnen bedeutet - und so hat es Brecht mit Sicherheit gemeint -, passt das Gedicht noch viel besser zu meinem Fall. Denn ich habe mich nicht nur spät dem Roman zugewendet, ursprünglich wollte ich überhaupt nie Romane schreiben.

Das war der Zweck der langen Einleitung, die ich vorausgeschickt habe: zu erklären, dass ich selbst beim Romaneschreiben getan habe, was ich gar nicht tun wollte. Bis zu meinem achtundfünfzigsten Lebensjahr habe ich gewisse Romanciers bewundert, sie jedoch nie um ihr Genre oder ihre Kunst beneidet. Der Grund war einfach: Beschreibungen und lange Erzählungen zu produzieren langweilt mich. Sie zu lesen langweilt mich hingegen gar nicht. Ganz im Gegenteil, schöne Erzählungen oder Beschreibungen bereiten mir ein einzigartiges Lesevergnügen. Wie sollte man nicht innerlich jubilieren, wenn man Stendhals oder Flauberts Romane liest? Oder wenn man bei Philip Roth die Beschreibung jüdischen Lebens oder bei Paul Auster die Passagen über New York liest? Mein Problem war, dass mich das Verfassen solcher Texte anödete. Jedes Mal, wenn ich es versuchte, überkam mich eine unerträgliche Langeweile, und ich begann die Erzählung abzukürzen, bis ich am Schluss statt meiner Langeweile die Erzählung erstickt hatte.

Deshalb betrachtete ich viele Jahre lang das Drehbuch als Surrogat des Romans, in dem die Bild-Erzählung den Ersatz für die Worterzählung bot, die mich so ermüdete. Wie schön ist es doch, sich auf einige wenige neutrale Darstellungen in jeder Szene zu beschränken, die im Grunde die Bewegungen des Hauptdarstellers, der Hauptdarstellerin oder irgendwelcher Nebenfiguren im Bild beschreiben, und dem Regisseur oder dem Kameramann alles Übrige zu überlassen!

Wenn man das Drehbuch als Romanersatz betrachtet, vergisst man leicht, dass der Romancier im Film nicht dem Drehbuchautor, sondern dem Regisseur entspricht. Der einfachste Weg, diesen Unterschied aufzuzeigen, sind die Beschreibungen im Drehbuch, von denen ich gerade sprach. Im Gegensatz zum Roman sind sie emotionslos, neutral, ohne stilistische Feinheiten. Das geschieht mit Absicht und nicht, weil der Drehbuchautor grundsätzlich kein schriftstellerisches Talent hätte. Denn Stil und Ästhetik der Filmerzählung wird durch das Bild und den Regisseur geprägt, der durch literarisierende Drehbuchpassagen nicht abgelenkt und beeinflusst werden darf.

Wenn ich manchmal Drehbuchseminare halte, vergleiche ich das Drehbuch gerne mit einem Tortenboden, wie man ihn im Supermarkt kaufen kann. Der Tortenboden bildet noch nicht den Film. Der Boden muss erst zur Torte werden, das heißt, alle Zutaten - Schokolade, Buttercreme, Sahne, Früchte - müssen auf ihm Platz finden. Wenn die Zutaten nicht stimmen, dann ist die Torte ungenießbar, auch wenn der Boden noch so gut gelungen ist. Dasselbe gilt, wenn der Tortenboden misslungen ist, dann schmeckt die Torte auch mit den feinsten Zutaten nicht. Kurz gesagt, der Tortenboden allein genügt noch nicht, aber die Torte besteht nicht nur aus den Zutaten. Das ist auch das Problem vieler griechischer Filme, nämlich dass sie sehr oft wie eine Torte ohne Boden sind.

Das Verhältnis zwischen Drehbuch und Film ähnelt ein wenig der Beziehung mancher Pärchen, in welcher der junge Mann dem Drehbuch und die junge Frau dem Film entspricht. Die Beziehung geht in den seltensten Fällen gut, denn in der Regel heimst die junge Frau alle Bewunderung und Anerkennung ein, während sich der junge Mann mit der Rolle des unscheinbaren Begleiters begnügen muss. Er zieht sich diskret in das Dunkel des Kinosaals oder hinter die Kulissen zurück, bis irgendwann die Wut in ihm hochkocht, weil er im Grunde doch derjenige ist, welcher der jungen Frau die Möglichkeit verschafft, am Schönheitswettbewerb teilzunehmen und die Misswahl zu gewinnen. Das Verhältnis der beiden lässt sich mit dem Refrain eines populären griechischen Liedes treffend zusammenfassen: »Zusammen halten wir´s nicht aus, aber getrennt läuft gar nichts.«

Die Identifikation des Drehbuchautors mit dem Drehbuch gehört dem ersten Stadium der Herstellung eines Films an. Dort identifiziert sich der Drehbuchschreiber mit einem Text, der in der Regel in dieser Form nicht auf die Leinwand kommen wird. Wenn der Film fertiggestellt ist, ist vermutlich so viel Zeit seit dem Verfassen des Drehbuchs verstrichen und der Film hat sich so sehr vom ursprünglichen Buch, mit dem sich der Autor seinerzeit identifiziert hat, entfernt, dass er sich notgedrungen davon distanziert hat und aller Wahrscheinlichkeit nach schon an etwas Neuem arbeitet. Wenn er dann bei der Filmpremiere dabei ist, überkommt ihn daher des Öfteren das befremdliche Gefühl, einem Werk zu applaudieren, an dem er so gut wie gar nicht mitgewirkt hat.

Ich will ein Beispiel bringen: In Theo Angelopoulos´ Film Die Ewigkeit und ein Tag gibt es eine Szene, in der die Kinder, die an den Ampeln betteln, die Kleider ihres getöteten Freundes Selim verbrennen. Als wir am Drehbuch arbeiteten, wollte Theo Angelopoulos die Szene an einem Ort mit vielen Eisenbahnwaggons, hinter dem Bahnhof von Thessaloniki, drehen. Doch als er den Ort sah, konnte er sich nicht damit anfreunden. Da kam ihm die Idee, die Szene auf dem Modiano-Markt zu drehen. Der alte, fast orientalisch anmutende Markt von Thessaloniki - und als dessen Herzstück der großartig überdachte riesige Raum mit den alten Speiselokalen, in denen Getränke und Häppchen serviert wurden - begeisterte ihn. So setzten wir uns hin und schrieben die Szene um. Doch als er zum Ortstermin auf dem Markt war, stellte er fest, dass...
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