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Ein Spiel der Natur

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
488 Seiten
Deutsch
Berlin Verlagerschienen am09.06.2012Auflage
Hillela ist eine ungewöhnliche Frau. Sie ist völlig un- beeindruckt von dem Rassismus, der sie in dem apart- heidsgeprägten Südafrika umgibt. Schon als Kind muss sie ihr Internat in Rhodesien verlassen, weil sie sich mit einem farbigen Jungen anfreundet. Später heiratet sie einen schwarzen Widerstandskämpfer. Ein Roman über eine Frau, die alle Schranken des kolonialen Af- rika hinter sich lässt, voller Wärme, Sinnlichkeit und Freiheitsdrang.

Nadine Gordimer, geboren 1923 in dem Minenstädtchen Springs, Transvaal, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Jahrzehntelang schrieb sie gegen das Apartheidregime an und setzt sich bis heute mit dessen zerstörerischen Folgen für die schwarze und weiße Bevölkerung auseinander. 1991 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. Sie starb am 13. Juli 2014 in Johannesburg, Südafrika.
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Produkt

KlappentextHillela ist eine ungewöhnliche Frau. Sie ist völlig un- beeindruckt von dem Rassismus, der sie in dem apart- heidsgeprägten Südafrika umgibt. Schon als Kind muss sie ihr Internat in Rhodesien verlassen, weil sie sich mit einem farbigen Jungen anfreundet. Später heiratet sie einen schwarzen Widerstandskämpfer. Ein Roman über eine Frau, die alle Schranken des kolonialen Af- rika hinter sich lässt, voller Wärme, Sinnlichkeit und Freiheitsdrang.

Nadine Gordimer, geboren 1923 in dem Minenstädtchen Springs, Transvaal, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Jahrzehntelang schrieb sie gegen das Apartheidregime an und setzt sich bis heute mit dessen zerstörerischen Folgen für die schwarze und weiße Bevölkerung auseinander. 1991 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. Sie starb am 13. Juli 2014 in Johannesburg, Südafrika.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783827076090
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum09.06.2012
AuflageAuflage
Seiten488 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse508 Kbytes
Artikel-Nr.1183303
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



EINE LIMONADE FÜR MEIN SCHÄTZCHEN

IRGENDWO AUF DER Reise von Salisbury nach Johannesburg schüttelte das Mädchen den einen Namen ab und tauchte unter dem anderen wieder auf. Während sie Gummi kaute und den auf- und abschwebenden Felsgürtel an sich vorbeigleiten ließ, die Zwischenstationen, wo schwarze Kinder winkten, die äsende Springbockherde, die vor dem nahenden Zug in schreckhaft weiten Fluchten dem Horizont zustrebte, warf sie die »Kim« mitsamt ihrem Schulstrohhut ins Gepäcknetz und entschied sich für Hillela. Die braunen Strümpfe rutschten ihr an den Beinen herunter und prickelten angenehm an den feinen Härchen. Sie kramte Sandalen und ein Kleid aus ihrem Koffer und zog sich um, ohne sich um die anderen Frauen im Abteil zu kümmern. Sie fuhr, wie jedesmal, zu einer ihrer Tanten mütterlicherseits, bei der ihr alle denkbaren Vorteile geboten wurden, und kam aus einem rhodesischen Mädcheninternat. Wenn man sie fragte, warum sie nicht in Südafrika zur Schule ginge, antwortete sie stets, ihr Vater sei in Salisbury aufgewachsen, und deshalb schicke man sie dorthin. Sie war ja nicht das einzige Kind, dessen Eltern geschieden oder getrennt oder sonstwas waren. Aber sie war die einzige Hillela unter lauter Susans und Clares und Fionas. Was war das eigentlich für ein Name? Wußte sie selber nicht, konnte sie nicht erklären. Was sie ohne Zögern erklärte, war, daß man sie jedenfalls ewig bei ihrem zweiten Namen, Kim, gerufen habe. Im Lauf der Jahre nannten sogar ihre Lehrer sie niemals anders als Kim. Keiner fand was dabei, wenn sie sonntags mit all den anderen Kims, Susans, Clares und Fionas in die anglikanische Kirche ging, obwohl in ihren Schulpapieren unter »Konfession« das Wort »jüdisch« eingetragen war.

Tante Olga holte sie am Bahnhof ab. Später geschah dies am Flughafen; vermutlich hatte Olga ihrem Vater gesagt, es sei lächerlich, dem Kind jedesmal eine zweitägige heiße und ermüdende Eisenbahnfahrt zuzumuten. Vielleicht bezahlte Olga sogar das Flugticket; sie war großzügig. Oft sagte sie, nie zu Hillela direkt, aber in Gesellschaft, indem sie Hillelas Ponyfransen zauste oder den Arm um sie legte: »Oh - das ist das Töchterchen, das ich nicht gekriegt habe.«

Ihr Zimmer stand bereit, mit einer Rose in den Sommerferien und Freesien oder Jonquillen im Winter, die wie Olgas Umarmung dufteten, mit Handtüchern, dick wie Schaffell, und einer Schale, die von ihren Lieblings-Lakritzbonbons überquoll. Einige der Sachen gehörten ihr: Ferienkleider, die sie jedesmal daließ, wenn sie ins Internat zurückmußte, Bücher, Kinkerlitzchen, die sie nicht mehr mochte. Ihre Abwesenheit dauerte länger als ihre Gegenwart; daher fanden sich immer Zeichen, daß der Raum inzwischen anderweitig benutzt worden war. Olga verwahrte Sommer- oder Winterkleider in den Schränken; Logiergäste, die in dem hübschen Bett geschlafen hatten, vergaßen dies und jenes; Bücher, die Olga nicht unten zur Schau stellen, aber auch nicht wegwerfen wollte, bildeten eine Ramsch-Auswahl auf dem Regal. Einmal stand in den Ferien unversehens ein Photo von Hillelas Mutter in einem viktorianischen Plüsch- und Silberrahmen neben der Bonbonschale. Das Gesicht war auf eine Art »gefaßt«, wie das Mädchen noch keines gesehen hatte: das Haar wie eine Pergamentrolle von beiden Schläfen zurückgelegt und über die Stirn gezogen; die anmutig geformten Lippen glänzten schwarz wie flüssiger Teer, ihre reine Form wurde nicht einmal durch ein Lächeln verzerrt. Der einzige Zug, der irgendeine erkennbare Lebensechtheit aufwies, lag um die Augen; es waren die Augen einer Frau, die sich selbst im Spiegel sieht. Das Bild endete kurz unter den Schultern, die in einem Jackett mit breiten Armpolstern und Revers steckten.

»War sie in der Armee?«

Olga hatte das Mädchen beobachtet, wie sie immer Leute beobachtete, die sie, nach sorgfältiger Prüfung auf Harmonie und gemeinsame Interessen, für ihre Dinnerparties zusammenbrachte. Jetzt lachte sie wie in Würdigung einer originellen Bemerkung, die über die üblichen Nettigkeiten hinausging. »Ruthie in der Armee! Nein, so gingen wir alle, damals in den Vierzigern. War der letzte Modeschrei. Man fand sich fabelhaft schick in allem, was irgendwie nach Uniform aussah. Dieses Jackett war dunkelrot - ich erinnere mich, als hätte ich´s heute noch vor mir. Und dann schau dir mal die Ohrringe an. Sie hat sich extra Löcher dazu stechen lassen. Wir anderen fanden es altmodisch oder ordinär; Großmütter hatten solche schlappen Ohrläppchen mit Löchern drin, und die Afrikaans-Mädels vom Plaas trugen diese dünnen Goldreifen. Aber Ruth hat es sich von Martha gegen Bezahlung machen lassen. Martha war unser altes Kindermädchen; sie kam immer noch, auch als wir längst groß waren, und half bei der Wäsche. Eines Tages kam Ruth mittags zu Tisch und hatte Baumwollfäden mit geronnenem Blut aus den Ohren hängen. Puh. Natürlich kreischten wir und machten ein großes Theater ... Sie muß damals vierzehn gewesen sein.«

Sie betrachteten die Photographie zusammen mit höflicher Miene. (Etwa um diese Zeit begann Olga, ihren ältesten Sohn Clive und Hillela in Kunstausstellungen mitzunehmen.) Im übrigen sagte Hillela weiter nichts Unerwartetes.

»Du kannst es dann ins Internat mitnehmen. Hab ich nicht einen bezaubernden Rahmen aufgestöbert?«

Das Photo stand noch an seinem Platz auf dem Nachttisch, als Hillela wieder abgereist war, und da blieb es auch in allen weiteren Ferien. Hillelas Mutter war nicht tot. Sie lebte in Mozambique, kam aber nie zu Besuch. Das Kind hatte ein- oder zweimal nach ihr gefragt, als es noch klein genug war, um zu glauben, daß Erwachsene hörenswerte Antworten gäben, und nur vage Auskunft erhalten. Der Vater sagte, ihre Mutter hätte sich »ein anderes Leben aufgebaut«. Olga sagte, als sie meinte, Hillela sei »groß genug, um die Wahrheit zu erfahren«, ihr Vater hätte ihrer Mutter streng verboten, irgendwelchen Kontakt mit ihr aufzunehmen. Ihre Mutter lebe mit einem »anderen Mann«.

Der Mann, der von einem »anderen« sprach, mußte demnach ihr Vater sein; dennoch nannte sie ihren Vater von jeher »Len«, wie es auch ein Mädchen hätte tun können, für das er der andere war.

Len war ein »Reisender«. Für Hillela eine Berufsbezeichnung wie Doktor oder Professor, obwohl sie den anderen Mädchen erst erklären mußte, daß dies »Reisender Vertreter« hieß und Len Firmen vertrat, die Hotelbedarf verkauften. Und was hieß »Bedarf«? Himmel - was wußten diese dummen Dinger eigentlich? Bedarf. Alles mögliche, was Hotels und Restaurants brauchten. Brotschneider, Warmhalteplatten, Fleischmesser, Tabletts, Fischgrills, sogar Plastikblumen, Spiegel und Bilder für die Wände. Es hatte mal eine Zeit gegeben - da mußte sie noch sehr klein gewesen sein -, als sie neben ihm in dem großen Wagen spielte und schlief und aß, mit all den aufgestapelten Musterkoffern, Katalogen und Bestellbüchern. Er hatte ihr ein Nest aus alten Decken gebaut, die sie mit Limonade und Eiskrem bekleckerte. »Eine Limonade für mein Schätzchen!« Sie thronte auf Barhockern in ländlichen Hotels. Er kaufte ihr süße orangefarbene Getränke. Er wusch ihre Höschen im Hotelwaschbecken, und sie sah ihm dabei zu, bis sie einschlief.

»Ich weiß noch, wie ich mit Len in diesen dorps war.«

»Nein so was! Wirklich, Hilly? Aber du warst doch höchstens drei oder vier.« Olga teilte ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen ein, um während der Ferien Zeit für ihre Söhne und ihre Adoptivtochter zu haben. An Sommervormittagen rieb sie sich mit Sonnenöl ein, wobei sie die Zehen spreizte, um auch die Zwischenräume nicht auszulassen, und verdrehte sich fast den Hals mit der pendelnden Perlenschnur, während die vier jungen Leute im Schwimmbecken Wasserball spielten. Wenn sie dann herauskamen, um sich von der Sonne trocknen zu lassen, und Olgas Aufmerksamkeit von ihrer Vogue oder der hebräischen Grammatik ablenkten, gab es diese Momente gemeinsamen körperlichen Wohlbefindens, das alle Generationsschranken aufhob.

»Er redete mit den Leuten in einer Sprache, die ich nicht verstand«, erzählte Hillela. »Und der Junge, der die Schachteln rein- und raustrug - den verstand ich auch nicht. Natürlich sprach Len Afrikaans, und der eingeborene junge seinen eigenen Dialekt, was immer das sein mochte. Englisch war nur unsere Sprache. Lens und meine. Bestimmt dachte ich damals, außer uns könnte es niemand sprechen. Und einmal schenkte mir die Frau von einem der Hotelbesitzer eine Alice-Haarschleife, da war Minnie Maus draufgedruckt.«

»Wann war das?« Mark sah seine Cousine wie einen Fremdling in ihrer Mitte an, hin und wieder jedenfalls, manchmal mit widerstrebender Neugier, manchmal mit Neid auf Erfahrungen, die sie nicht miteinander teilten.

»Oh, als ich klein war.«

Olga lächelte ihren Zweitältesten leicht verweisend an. »Ich hab´s doch schon gesagt. Drei oder vier, nicht mehr.«

»Und sie ist immer so mit Onkel Len rumgereist?«

»Nur eine Zeitlang. Bevor er nach Rhodesien zurückging.« Brian streckte die Jungenhand aus und umspannte besitzergreifend Hillelas Fußgelenk. Sein Gesicht war ein stummer Appell an seine Mutter. Sie ließ seinen Anspruch mit einer kameradschaftlichen Kopfbewegung gelten.

Später kam der schwarze Diener Jethro mit einem Tablett voll Fruchtsaft und frisch gebackenen Kuchenbrötchen über den Rasen. Seine Kellner-Plattfüße und die Gummisohlen der geweißten Turnschuhe gaben seinem Gang auf dem dichten, kurzgeschorenen Gras etwas...


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Autor

Nadine Gordimer, geboren 1923 in dem Minenstädtchen Springs, Transvaal, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Jahrzehntelang schrieb sie gegen das Apartheidregime an und setzt sich bis heute mit dessen zerstörerischen Folgen für die schwarze und weiße Bevölkerung auseinander. 1991 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. Sie starb am 13. Juli 2014 in Johannesburg, Südafrika.