Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Mord in der Josefstadt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am16.07.20101. Auflage
Ende des 19. Jahrhunderts: Eine Mordserie erschüttert die Prager Josefstadt. Immer wieder werden Prostituierte tot aufgefunden. Adi, ein Dandy aus gutem Hause mit einer Schwäche für leichte Mädchen, verfolgt das Geschehen nicht ohne Voyeurismus. Beflügelt von einem neuen Wundermittel - dem gerade erfundenen Heroin, das den Lungenkranken von seinem grässlichen Husten befreien soll -, begibt er sich auf die Suche nach dem Mörder. Der versetzt die Josefstadt auch deshalb in Angst und Schrecken, weil man in ihm Kleinfleisch vermutet, eine Spukgestalt aus der jüdischen Sagenwelt. Seine Streifzüge durch die finsteren, verwinkelten Gassen der Josefstadt, in der sich mittelalterliche Häuser mit schiefen Schornsteinen aneinanderducken, lehren Adi das Fürchten. Schon wieder kommt eine junge Frau zu Tode, hinter vorgehaltener Hand wird der Name Kleinfleisch geflüstert - Adi jedoch verfolgt längst eine andere Spur. Und eines Nachts steht er dem gesichtslosen Mörder plötzlich gegenüber ... Ein spannender Kriminalroman und ein stimmungsvolles Porträt des alten Prag.

Milo? Urban wurde 1967 in Sokolov, Westböhmen, geboren. Er studierte in Prag und Oxford Anglistik und Nordistik; danach arbeitete er als Verlagslektor. Sein Debütroman «Die Rache der Baumeister» (2001) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Heute lebt Milo? Urban als Autor und Übersetzer in Prag.
mehr

Produkt

KlappentextEnde des 19. Jahrhunderts: Eine Mordserie erschüttert die Prager Josefstadt. Immer wieder werden Prostituierte tot aufgefunden. Adi, ein Dandy aus gutem Hause mit einer Schwäche für leichte Mädchen, verfolgt das Geschehen nicht ohne Voyeurismus. Beflügelt von einem neuen Wundermittel - dem gerade erfundenen Heroin, das den Lungenkranken von seinem grässlichen Husten befreien soll -, begibt er sich auf die Suche nach dem Mörder. Der versetzt die Josefstadt auch deshalb in Angst und Schrecken, weil man in ihm Kleinfleisch vermutet, eine Spukgestalt aus der jüdischen Sagenwelt. Seine Streifzüge durch die finsteren, verwinkelten Gassen der Josefstadt, in der sich mittelalterliche Häuser mit schiefen Schornsteinen aneinanderducken, lehren Adi das Fürchten. Schon wieder kommt eine junge Frau zu Tode, hinter vorgehaltener Hand wird der Name Kleinfleisch geflüstert - Adi jedoch verfolgt längst eine andere Spur. Und eines Nachts steht er dem gesichtslosen Mörder plötzlich gegenüber ... Ein spannender Kriminalroman und ein stimmungsvolles Porträt des alten Prag.

Milo? Urban wurde 1967 in Sokolov, Westböhmen, geboren. Er studierte in Prag und Oxford Anglistik und Nordistik; danach arbeitete er als Verlagslektor. Sein Debütroman «Die Rache der Baumeister» (2001) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Heute lebt Milo? Urban als Autor und Übersetzer in Prag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644106116
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum16.07.2010
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse2311 Kbytes
Artikel-Nr.1438278
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



I
Bestia Triumphans; zwei Mädchen


Ein Vorabendspaziergang oberhalb von Prag. Ich stand unter den Bäumen des Belvedere, noch war es hell genug, und ich war nicht allein. Ein paar Schritte weiter breitete ein Photograph seine Utensilien aus. Er stellte ein kleines dreibeiniges Stativ auf, befestigte eine Holzkiste, werkelte an ihr herum und schraubte eine Kurbel an, die mich an eine Drehorgel erinnerte. Dann murmelte er etwas, doch es galt nicht mir, sondern war nur für ihn selbst bestimmt. Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr, beugte sich über den Apparat und begann an der Kurbel zu drehen. Ich klemmte mir mein Monokel vors Auge und schaute, genau wie er, über den Rand des Abhangs hinunter ins Tal.

Der Fluss lag friedlich da. Stromabwärts trieben vier Flöße, und von der anderen Seite her, in Richtung Rudolfsteg, zog ein langer, flacher Dampfer vorbei. Er war bunt angestrichen: der Bug in Rot, der Rumpf in Braun und das Heck in Rosa, das mittlerweile verblichen war. Die Fischerkähne teilten sich die Wasseroberfläche mit Enten, Möwen und Schwänen, Netze und Angeln waren in alle Richtungen ausgeworfen, und die Fischer, in sich zusammengesunken, schmauchten ihre Pfeifen. Ein junger Bursche, hoch aufgerichtet, schiffte in die Moldau; er machte sich überhaupt nichts aus den Fähren, die mit Passagieren an Bord und mit Fracht beladen unaufhörlich von Ufer zu Ufer pendelten, weil es bis zu den turmhohen Masten und den Schrägseilen der Kaiser-Franz-Josephs-Brücke viel zu weit war.

Auf der hiesigen Seite des Flusses erklomm ein Wagen der wasserbetriebenen Seilbahn den Hang, er fuhr zum Schlösschen hinauf, während der zweite nach unten glitt, und da ich von meinem Platz aus die Straße unter der Anhöhe nicht sehen konnte, meinte ich, die Bahn werde jeden Moment den Fluss erreichen und sich unauffällig unter die Dampfschiffe mischen.

Ich schaute nach rechts. Zum Rudolfsteg war es noch weiter als zur großen Brücke, und eine neue war erst in Planung. Die Visionen der Architekten waren keineswegs zu unterschätzen: Sie wollten die Judenstadt mitten ins Herz treffen - doch Amors Pfeil sollte es, wie wir alle noch erfahren würden, nicht werden. Der Fährbetrieb wurde den Ansprüchen einer Metropole nicht mehr gerecht: Die Kähne wechselten von einem Ufer zum anderen wie das Pendel einer frisch aufgezogenen Uhr, und mit ihren angezündeten Lampen kamen sie nicht eher zur Ruhe, als dass die Prager Turmuhren Mitternacht schlugen.

Dann blickte ich hinab auf die Lagune und die Mühlgebäude. Rechts dahinter lag die Josefstadt, der östliche und ein Stückchen weiter der westliche Teil des jüdischen Viertels, das winzige Rathaustürmchen, das steile Dach der Altneusynagoge und das sanft geschwungene der Hohen Synagoge. Ich konnte noch weiter sehen, bis hinter die Grenzen des Ghettos, wo sich die jüdischen Häuschen um die Heilig-Geist-Kirche scharten wie Hennen um einen Hahn. Mit Wohlgefallen ließ ich meinen Blick über die spitzen Firste der kleinen Häuser und die gewaltigen Dachstühle der Kohlenlager, Kartoffeldepots und anderer Bruchbuden streifen, erfreute mich an den vielen kleinen Dächern der Manufakturen und Remisen genauso wie an den Tausenden Schornsteinen, von denen einige dick waren wie Kanonenrohre, andere «koscher», also mit einem Deckel versehen, dem «Judenhütchen». Wieder andere wurden nach oben hin immer schmaler, windschief saßen sie auf den Dächern oder lehnten sich an die Außenmauern, als lägen sie in den letzten Zügen, bloß das bröckelige Mauerwerk der Ziegeleien, Tischlereien, Gerbereien und Brauereien hielt sie seit vielen Jahren aufrecht. Hinter den Schornsteinen sah man, wie Flecken auf einer Leinwand, die Dächer und Türme der Altstädter Kathedralen, und noch weiter weg ließ sich das Babylon der Neustadt erahnen, mit seinen kantigen Riesen, den Mietshäusern, die einsam auf den steil abfallenden Wiesen, Feldern und Weinbergen standen, bis ein weiterer Wohnpalast der neuen Zeit danebengesetzt würde.

Durch einen Möwenschwarm schaute ich ans andere Ufer hinüber. Die Straße im Vordergrund war klar erkennbar; der Nebel hatte Prag ausnahmsweise verschont. Aus den Schornsteinen der Dampfschiffe stieg in dicken Wolken weißer Rauch, kräuselte sich schräg nach oben und zog in die Ferne, bis über die Wiesen von Karolinenthal und zu den Exerzierplätzen beim Invalidenhaus. Über Porschitz jedoch hing eine orangebraune Wolke, sie hing tief und verhinderte die ungetrübte Sicht auf das Petersviertel. Direkt unter der Wolke standen sich die zwei mechanischen Patentbagger gegenüber, die vor einiger Zeit unter dem Getöse von Blasmusik auf der Jubiläums-Landesausstellung präsentiert worden waren - als ein Segen Gottes für die österreichisch-ungarische Monarchie und ihren von der Industrie geprägten sowie von Verstand und gesunder Skepsis gelenkten Norden. Damals hatte ich mir nicht vorstellen können, wozu diese beiden Monstren in der Lage waren. Sie ähnelten einander, doch nur wie entfernte Verwandte. Eine der Maschinen riss die alten Häuser ein, die andere hob die Fundamente für neue Gebäude aus, beide arbeiteten unglaublich sauber und schnell. Sie waren auf speziellen Eisenbahnwaggons durch die verschlafene böhmische Landschaft gereist und hatten diese binnen kurzer Zeit in einen wimmelnden Ameisenhaufen verwandelt. Dann sind sie nach Prag zurückgekehrt und von einem Konsortium aus Firmen, die bei der Assanierung mit im Geschäft waren, gekauft worden. Und die Stadt ließ sich von diesen eisernen Bestien bereitwillig benagen, ließ sie bis in ihr altes, aber vitales Herz vordringen.

Es waren unser nicht viele, die bedauerten, dass die Judenstadt ihren Untergang mit solcher Ruhe und Demut hingenommen hatte, völlig versöhnt und einer Meinung mit den Ratsherren und Unternehmern, die ihre Vorstellungen in die Zukunft malten.

Ich bemerkte, dass der Mann neben mir zwar fortwährend an der Kurbel drehte, seine Kiste war jedoch nicht mehr auf die Stadt gerichtet, sondern auf mich. Also zog ich meinen Hut, verneigte mich und bekam prompt einen Hustenanfall. Es ließ sich nie vorhersagen, wann so ein Anfall kam. Dieser war nicht nur unangenehm, sondern auch heimtückisch. Ich war dem Ersticken nahe, hustete Schleim, zwischendurch versuchte ich immer wieder zu schlucken und mich nicht zu erbrechen. Der Prager Staub war in der Lage, einem den Verdauungstrakt und die Atemwege auf schmerzhafte Weise abzuschmirgeln. Das Taschentuch war wie immer sogleich zur Hand und vor dem Mund. Ängstlich musterte ich es, ganz wie mir der Doktor geraten hatte. Auf dem weißen Satin war nur ein feuchtes Grau, Spuren von Sputum, die nicht zum Vorzeigen bestimmt waren; und trotzdem musste man sie sich ansehen, unter dem zerrenden Husten, der einen plagte. Etwas Rotes fand sich zum Glück nicht. Ich knüllte das Taschentuch zusammen, klemmte mir das Monokel wieder vors rechte Auge, wandte mich zum Gehen und lüpfte vor einer Dame in einem gelb-blauen Kleid mit Wespentaille und spanisch aussehendem Glockenrock den Hut. Aber nein, es war gar keine Dame, denn alles an ihr war künstlich: das sinnliche Doppelkinn und der Blick durch die dichten Wimpern, die schweren Beine mit Füßen, die in lächerlich kleinen Schühchen steckten, die Tournüre unter dem Rock, die ihren Hintern um ein Vielfaches aufwarf. Sie hielt inne, vielleicht kannte sie mich flüchtig, und erwähnte den Namen ihrer Begleiterin, bei der sie untergehakt war. Diese hatte dunklere Haut, war um einiges jünger und sehr schlank, fast knochig, wie ein Knabe hätte sie ausgesehen, wären nicht diese Röcke gewesen. Sie trug ein lächerliches Hütchen in Form einer indischen Pagode auf dem stolz erhobenen Kopf. Doch ich hatte keine Zeit, mit ihnen zu plaudern, geschweige denn, mich mit ihnen einzulassen. Die Höhe nahm mir den Atem, in meinen Bronchien rasselte es wie in einem alten Kessel, und die talgige Luft erschwerte das Denken. Ich nickte ein zweites Mal und eilte durch den Park zur Landstraße, um eine Droschke anzuhalten, sah zu, dass mir der Pferdegestank nicht in die Nase fuhr, und machte mich eilig in den Teil der Stadt auf, in dem ich mich wohl fühlte - nur wenige Schritte entfernt von dem Ort, an dem sich, von Verne´schem Eifer gepackt, riesige Abbruchgeräte tummelten, die Dampf ausstießen und nach Maschinenöl rochen sowie von winzig kleinen Männlein gesteuert wurden.

Ich flüchtete vom Belvedere wie ein von der Großstadt verschreckter Provinzler, dabei war ich doch in Prag geboren und konnte mir ein Leben woanders längst nicht mehr vorstellen. Ich hatte nie besonders viel mit dem Landleben anfangen können und meine Eltern schon eine Weile nicht mehr besucht. Zweifellos war es hübsch, bei schönem Wetter zu ihnen zu fahren, doch kaum war auch nur der Samstag vorbei, zog es mich wieder in die Stadt. Maman sah das nicht gern, ihrer Meinung nach gehörte ein Adliger auf den Grund und Boden, der seinen Vorfahren vom König verliehen worden ist. Auch meinem Vater war die Stadt immer ein wenig fremd geblieben, wenngleich ihm sein blaues Blut eher lästig war, er es sogar als unzeitgemäß empfand. Mich ließ er aber selbst entscheiden, wo ich wohnen wollte.

Der Kutscher fragte, wo er mich aussteigen lassen soll, worauf ich «Friedmann!» rief. Ich bedeckte Mund und Nase mit dem Taschentuch und lauschte dem Rattern der Räder auf dem alten Pflaster. Die Straßenkandelaber gingen nach und nach an. Sie strahlten in einem helleren Licht als die Gaslaternen, die von den Ratsherren gerade in den Vierteln am Stadtrand eingeführt wurden, um die vorsintflutlichen Öllampen zu ersetzen. Wohingegen dieses moderne, elektrisch scharfe weiße Licht den Schmutz der alten Straßen und neuen Bürgersteige um ein Vielfaches besser beleuchtete. All der...

mehr

Autor

MiloS Urban wurde 1967 in Sokolov, Westböhmen, geboren. Er studierte in Prag und Oxford Anglistik und Nordistik; danach arbeitete er als Verlagslektor. Sein Debütroman «Die Rache der Baumeister» (2001) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Heute lebt MiloS Urban als Autor und Übersetzer in Prag.