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Münchner Vergangenheit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
282 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am08.02.20232023
München 1954. In der Schleißheimer Straße wird der 59-jährige Albrecht Gruber ermordet aufgefunden. Der junge Polizist Korbinian Hilpert, der in der berühmten Münchner Ettstraße gerade erst seine Ausbildung zum Kriminalbeamten begonnen hat, wird in seinem ersten Mordfall vor eine große Herausforderung gestellt. Da das Opfer eine äußerst schillernde Vergangenheit - sowohl während der Nazizeit als auch später in der Münchner Schwarzmarktszene - hatte, ist die Liste der Verdächtigen lang. Hilpert und sein altgedienter Kollege Siegfried Breitner haben eine harte Nuss zu knacken.

Gretel Mayer, geboren 1949 in München, war als Fremdsprachensekretärin, Übersetzerin und jahrelang als Buchhändlerin tätig, bevor sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte. Obwohl ihr Lebensmittelpunkt schon seit Jahrzehnten in Unterfranken liegt, schlägt ihr Herz noch immer für das Alpenvorland und ihre Geburtsstadt München.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR11,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextMünchen 1954. In der Schleißheimer Straße wird der 59-jährige Albrecht Gruber ermordet aufgefunden. Der junge Polizist Korbinian Hilpert, der in der berühmten Münchner Ettstraße gerade erst seine Ausbildung zum Kriminalbeamten begonnen hat, wird in seinem ersten Mordfall vor eine große Herausforderung gestellt. Da das Opfer eine äußerst schillernde Vergangenheit - sowohl während der Nazizeit als auch später in der Münchner Schwarzmarktszene - hatte, ist die Liste der Verdächtigen lang. Hilpert und sein altgedienter Kollege Siegfried Breitner haben eine harte Nuss zu knacken.

Gretel Mayer, geboren 1949 in München, war als Fremdsprachensekretärin, Übersetzerin und jahrelang als Buchhändlerin tätig, bevor sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte. Obwohl ihr Lebensmittelpunkt schon seit Jahrzehnten in Unterfranken liegt, schlägt ihr Herz noch immer für das Alpenvorland und ihre Geburtsstadt München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839275900
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum08.02.2023
Auflage2023
Seiten282 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.10294223
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


4

Korbinian schreckte hoch. Er hatte von Winnetou geträumt und wusste nicht so recht, wo er sich befand. Ein schweres kariert überzogenes Federbett lastete auf ihm, und von draußen hörte er eigenartiges Rumpeln und Quietschen. Ganz langsam kam er zu sich, und ihm wurde klar, dass er im Bubenbett des jüngsten Pirkners lag, dass er am Abend vor dem Einschlafen noch kurz in Winnetou I aus dessen vollständiger Karl-May-Sammlung gelesen hatte, und dass das Rumpeln und Quietschen von den Straßenbahnen kam, die zahlreich und nahezu ohne Unterbrechung über den nahe gelegenen Stachus fuhren.

Korbinian war, nachdem er aus dem Zug ausgestiegen war, zuerst noch etwas durch den großen Münchner Hauptbahnhof geschlendert, der im Krieg stark zerstört, nun aber fast zur Gänze schon wiederaufgebaut war. Die große Schalterhalle war bereits vollständig fertig, und bei einem kleinen Blumenstand vor dem Ausgang kaufte Korbinian einen Strauß Dahlien für die Großtante Natalie. Beim Weitergehen wäre er fast über einen Mann gestolpert, der direkt neben dem Blumenverkauf auf einer schmutzigen Decke saß. Seine Hosenbeine waren bis zu den Oberschenkeln aufgerollt und dort mit Sicherheitsnadeln befestigt. Vor sich hatte der Mann einen umgedrehten Hut liegen, und auf einem Pappkarton stand mit ungelenker Schrift: »Schwer kriegsversehrt. Bitte um eine milde Gabe.« Korbinian warf ihm das Wechselgeld in den Hut und verspürte, ihm war nicht recht klar warum, so etwas wie ein schlechtes Gewissen.

Vom Bahnhof war es nicht weit zur Sophienstraße. Korbinian ging links am großen Warenhaus Hertie, das im Krieg kaum Schäden erlitten hatte, vorbei und durchquerte bald darauf den Alten Botanischen Garten, in dem ältere Herrschaften und Mütter mit Kinderwägen auf den Bänken saßen und die Sonne genossen. Die Luft war spätsommerlich mild und der Himmel bis auf ein paar kleine fedrige Wolken strahlend blau.

Als Korbinian aus dem Park trat und gerade nach dem Haus der Großtante Ausschau halten wollte, bemerkte er eine kleine Person in Kittelschürze, die aufgeregt winkte. Obwohl Natalie Pirkner schon auf die 70 zuging, eilte sie mit großer Geschwindigkeit auf ihn zu.

»Da bist ja, Bua«, rief sie. »Mei, du bist ja a Mannsbild worn, seit i di as letzte Mal gseng hab!«

Etwas grob entriss sie ihm den Blumenstrauß und schwenkte ihn derart hin und her, dass Korbinian um die Dahlienblüten fürchtete.

»Mei, des hätts aber ned braucht. Komm eini«, rief sie und sprang ihm voraus.

In der sauberen, schlichten Wohnküche wurde er mit starkem Kaffee und selbstgebackenem Gugelhupf empfangen.

»Nimm doch no«, drängelte Natalie und hüpfte ständig um ihn herum, um ihm noch zusätzlich Milch und Zucker für den Kaffee und Limonade zu kredenzen. Korbinian wurde fast etwas schwindlig davon. Er musste von daheim erzählen, von der Großmutter, der Mutter und der Schwester und natürlich von seiner Polizeiausbildung.

»Mei, des wenn der Kaidan no erlebt hätt, mit dem hättst nichts zum Lachen ghabt«, rief Natalie amüsiert. »Der war koa Freund von der Polizei, der war Kommunist, manchmal sogar Anarchist.«

Auf der Kommode standen Fotografien des verstorbenen Kajetan Pirkner, eines etwas melancholisch und verbittert aussehenden Mannes, des ebenfalls verstorbenen zweiten Ehemanns Georg Hartl und der zwei im Krieg gebliebenen Söhne Kajetan der Jüngere und Ludwig. Korbinian überlegte gerade, wieso die Großtante denn eigentlich immer noch Pirkner und nicht Hartl hieß, doch er konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, weil Natalie ihm Fotos von ihrer Tochter Thea und deren zwei Töchtern - Mann dazu wurde keiner erwähnt - und vom jüngsten der Pirkners, dem Germanistikstudenten Theo mit fescher schwarzer Haartolle, zeigte.

»Du kriegst sei Zimmer«, erklärte Natalie. »Der wollt weg von der Mama und wohnt jetzt mit seine Studentenfreund in der Hiltenspergerstraß.«

Als Korbinian auf dem Bett des jüngsten Pirkners saß und seinen Koffer auspackte, fielen ihm wieder die Geschichten zur Natalie und ihrer Familie ein, die ihm die Großmutter vor seiner Abreise erzählt hatte.

Natalie Pirkner hatte in den 20er-Jahren nach München geheiratet, doch die Ehe mit dem aus dem Österreichischen stammenden Kajetan Pirkner war nicht sehr glücklich gewesen und hatte vor allem tragisch geendet. Kajetan war von Beruf Schreiner, hatte sich aber immer zu Höherem berufen gefühlt. In seinem winzigen Atelier im Speicher des Hauses in der Sophienstraße in München, wo die sechsköpfige Familie Pirkner wohnte, hatte er große Ölgemälde seiner österreichischen Heimat und der Stadt München gefertigt. Stets war »Kaidan«, wie ihn Natalie nannte, unverbrüchlich überzeugt von seiner Begabung, und zuweilen konnte er auch das eine oder andere Bild an eine Münchner Bürgersfamilie verkaufen, die sich Kärntner Berge oder eine Münchner Straßenszene ins Wohnzimmer hängen wollte.

Doch als 1931 in München die große Kunstausstellung im Glaspalast, in dessen unmittelbarer Nähe die Pirkners wohnten, stattfinden sollte, war Kajetan übers Ziel hinausgeschossen und hatte sich mit zwei Gemälden dort beworben. Sehr rasch jedoch bekam er eine eindeutige schriftliche Ablehnung mit der Bitte, seine Werke doch so rasch wie möglich wieder abzuholen. Dann brannte der Glaspalast einen Tag nach der Eröffnung der großen Ausstellung vollständig ab und zahlreiche wertvolle Kunstwerke gingen unwiederbringlich verloren. Auch Kajetans Bilder wurden, da er sich nicht um deren Abholung gekümmert hatte, ein Raub der Flammen. Einige Tage nach dem Brand nahm Kajetan eine große Menge Schlafpulver zu sich, und Natalie fand ihn am Abend leblos und mit weißem Schaum vor dem Mund in seinem Atelier. Sie war zu spät gekommen, und nie konnte sie ihren Verdacht, dass es Kajetan gewesen war, der den Glaspalast angezündet hatte, ganz überwinden. Wochenlang wurde nämlich in den Münchner Zeitungen unter anderem über mutmaßliche Brandstiftung eines abgewiesenen Künstlers als Brandursache spekuliert.

So mussten Natalie und ihre vier Kinder, der Jüngste war Theo mit gerade mal vier Jahren, ohne Vater auskommen. Natalie hatte nicht viel Zeit, um ihren Kaidan zu trauern, denn sie musste nun die fünfköpfige Familie irgendwie über Wasser halten.

Was in erster Linie nach Kajetans Tod fehlte, war natürlich das Geld. Natalie, die schon Jahre vor seinem Tod für einige Familien der Nachbarschaft Flick- und Bügelarbeiten erledigt hatte, war nun gezwungen, etliche Putzstellen anzunehmen und daher oft außer Haus. Die älteste Pirkner, die damals 14-jährige Thea, wurde nun angehalten, sich während der Abwesenheit der Mutter um ihre Geschwister zu kümmern. Das war nicht einfach, denn Thea hatte schon eine Lehrstelle in einer Schneiderwerkstatt am Sendlinger Tor und außerdem in ihrer freien Zeit ganz anderes im Sinn, als Mutterersatz zu spielen.

Meist saß sie, wenn Natalie erschöpft und gebeugt von der Putzerei heimkam, mit irgendeinem Galan auf einer Bank im Alten Botanischen Garten. Die beiden mittleren Buben, Kajetan »der kloa Kaidan« und Ludwig verwahrlosten zusehends, schwänzten kräftig die Schule und klauten in den Geschäften der Umgebung wie die Raben. Nur der kleine Theo ging schon im zarten Alter von fünf Jahren gern zur Schule, einfach weil er es da so schön fand, und schon mit sieben Jahren las er sich durch den Bestand der Leihbücherei der Maxvorstadt. Ohne sich anzustrengen, wurde er der Beste in seiner Klasse und durfte anlässlich des 50. Geburtstags des Schulleiters ein langes Gedicht aufsagen. Natalie war unbändig stolz auf ihren Jüngsten.

Nach einem Jahr Trauerzeit heiratete Natalie ganz pragmatisch, wie es schon immer ihre Art war, ihren Nachbarn, den Witwer Hartl, der ihr schon früher den Hof gemacht hatte. Zweimal die Woche schloss sie die Augen, wenn sich der Hartl ächzend und seufzend über ihr abmühte, und dachte an die zwar nicht sehr hohe, doch sichere Beamtenbesoldung des Hartl, der beim Finanzamt auf mittlerer Ebene tätig war. Die Ehe mit Hartl sollte jedoch auch nicht von langer Dauer sein. Im Vorweihnachtstrubel geriet der Hartl, der gedanklich wohl noch bei seinen amtlichen Zahlenkolonnen war, am Marienplatz unter eine Trambahn und verstarb noch an der Unfallstelle. Natalie hatte nun zwei Gräber auf dem Nordfriedhof zu pflegen, erhielt aber als Beamtenwitwe eine kleine Pension, die es ihr erlaubte, einige ihrer Putzstellen zu kündigen.

Korbinian hatte sich nach seiner Ankunft gerade ein wenig auf dem Bett ausgestreckt, als Natalie, ohne zu klopfen, hereinplatzte.

»D Thea kommt no schnell vorbei, die will di doch auch kennenlernen«, rief sie.

Zehn Minuten später erfüllten helle Kinderstimmen die Wohnung, und als Korbinian in die Küche trat, saßen zwei kleine Mädchen am Küchentisch und machten sich über die Reste des Gugelhupfs her. Die beiden hätten vom Aussehen her nicht unterschiedlicher sein können. Die kleinere der beiden war schwarzlockig, hatte dunkle Augen und ein äußerst apartes Gesicht, die ältere war pausbäckig und semmelblond. Thea stand mit ihrer Mutter an der Spüle und wusch Geschirr ab.

Korbinians Herz begann zu klopfen, denn Thea glich der Frau, von der er zuweilen träumte, fast aufs Haar. Träume, die er niemandem, nicht einmal seinem besten Freund Sepp, erzählen konnte, denn sie waren äußerst wild und ausgesprochen schamlos. Träume, in denen sich das abspielte, was er mit der Evi gerne getan hätte, es aber nie gewagt hatte.

Thea ging auf ihn zu, lachte und umarmte ihn spontan. »Der Cousin vom Chiemsee«, sagte sie, und in ihrer dunklen...

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