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Napalm im Herzen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Wallstein Verlagerschienen am24.07.20241. Auflage
Der aufsehenerregende Debütroman von Pol Guasch: »Eine einzigartige Stimme, zugleich sanft und ausdrucksstark, frisch und bereits reif.« (Le Monde) Eines Nachts kommt es in einer Fabrik zu einem ohrenbetäubenden Knall, ein gleißendes Licht macht die Nacht zum Tag, und von diesem Moment an wird die Heimat des Erzählers zu einer militarisierten Zone, in der die Grenze zur Wildnis zu verschwimmen droht und in der es nicht immer einfach ist, Opfer und Henker voneinander zu unterscheiden. Mehr als 900 Tage sind seit diesem Vorfall vergangen, und in der Trostlosigkeit der totalitären, gewalttätigen Welt, in der der Erzähler mit seiner Mutter lebt, gibt es für ihn nur einen Trost: seine Liebe zu Boris. Doch diese ist in ihrem Gebiet eine verbotene, wie auch die Sprache, die die beiden sprechen, nicht mehr erlaubt ist. Durch Briefe und heimliche Treffen in einem »Rattenzimmer« versuchen sie, beides zu erretten, ihre Liebe und ihre Sprache - bis sie erkennen, dass ihnen nur eine Flucht auf die »andere Seite« bleibt. Zusammen machen sie sich auf den Weg, mit ihnen die Last der Vergangenheit in Form eines Briefes - und einer Leiche. In einer präzisen, poetischen, so schönen wie manchmal auch drastischen Sprache schildert Pol Guasch das Leben in einer post-apokalyptischen, totalitären Umgebung und ihre vielfältigen Unterdrückungen - und wie zwei junge Männer versuchen, für sich eine neue Welt zu erschaffen.

Pol Guasch, 1997 in Tarragona geboren, studierte Literatur- und Kulturwissenschaften an den Universitäten in Barcelona und London. Nach zwei Lyrikbänden veröffentlichte er 2021 seinen Debütroman »Napalm al cor«, für den er im gleichen Jahr als bisher jüngster Preisträger den Anagrama Award für den besten Roman des Jahres erhielt. Weitere Auszeichnungen folgten, und der Roman wurde bereits in mehreren Sprachen übersetzt. Im Februar 2024 publizierte er mit »Ofert a les mans, el paradís crema« seinen zweiten Roman.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextDer aufsehenerregende Debütroman von Pol Guasch: »Eine einzigartige Stimme, zugleich sanft und ausdrucksstark, frisch und bereits reif.« (Le Monde) Eines Nachts kommt es in einer Fabrik zu einem ohrenbetäubenden Knall, ein gleißendes Licht macht die Nacht zum Tag, und von diesem Moment an wird die Heimat des Erzählers zu einer militarisierten Zone, in der die Grenze zur Wildnis zu verschwimmen droht und in der es nicht immer einfach ist, Opfer und Henker voneinander zu unterscheiden. Mehr als 900 Tage sind seit diesem Vorfall vergangen, und in der Trostlosigkeit der totalitären, gewalttätigen Welt, in der der Erzähler mit seiner Mutter lebt, gibt es für ihn nur einen Trost: seine Liebe zu Boris. Doch diese ist in ihrem Gebiet eine verbotene, wie auch die Sprache, die die beiden sprechen, nicht mehr erlaubt ist. Durch Briefe und heimliche Treffen in einem »Rattenzimmer« versuchen sie, beides zu erretten, ihre Liebe und ihre Sprache - bis sie erkennen, dass ihnen nur eine Flucht auf die »andere Seite« bleibt. Zusammen machen sie sich auf den Weg, mit ihnen die Last der Vergangenheit in Form eines Briefes - und einer Leiche. In einer präzisen, poetischen, so schönen wie manchmal auch drastischen Sprache schildert Pol Guasch das Leben in einer post-apokalyptischen, totalitären Umgebung und ihre vielfältigen Unterdrückungen - und wie zwei junge Männer versuchen, für sich eine neue Welt zu erschaffen.

Pol Guasch, 1997 in Tarragona geboren, studierte Literatur- und Kulturwissenschaften an den Universitäten in Barcelona und London. Nach zwei Lyrikbänden veröffentlichte er 2021 seinen Debütroman »Napalm al cor«, für den er im gleichen Jahr als bisher jüngster Preisträger den Anagrama Award für den besten Roman des Jahres erhielt. Weitere Auszeichnungen folgten, und der Roman wurde bereits in mehreren Sprachen übersetzt. Im Februar 2024 publizierte er mit »Ofert a les mans, el paradís crema« seinen zweiten Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783835387041
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum24.07.2024
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse4350 Kbytes
Artikel-Nr.17204815
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


 

 

 
II

 

 

 

Nobody can replace anybody else.

Fiona Apple
Die Köder

Ich legte die Fotos zurück in den Umschlag, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Hosentasche. Vielleicht, weil sie mir in Augenblicken der Sehnsucht nah und vertraut erscheinen ließen, was mir fremd war (so wie die Reihe friedlich fressender Pferde, die ich noch nie gesehen hatte, oder die ziellos eine Straße entlangrennenden Schafe); vielleicht, weil sie das, was mir vertraut war, in Augenblicken des Zweifels fern und exotisch erscheinen ließen (verwahrloste Gärten; ich, auf einem Stein stehend und in den Himmel blickend; vom Wind umgestürzte Bäume im Wald). Boris hatte diese Fotos gegen den Willen der Leute aufgenommen, und ich trug sie mit mir herum, weil ich so zugleich auch ein Stück einer unvollendeten Biographie bei mir trug. Und weil ein Foto immer darauf verweist, dass ein weiteres folgt und dann noch eines und noch eines, und ich mir genau das immer wieder sagen musste: dass noch nicht alles zu Ende war. Aus Eitelkeit oder Sentimentalität oder um meinen Hass nicht zu vergessen: Ich weiß nicht, ob es die Angst vor dem Verlust der Erinnerung war, die mich dazu trieb, sie aufzuheben, oder ob ich verhindern wollte, dass die Wut verschwamm. Und wenn jedes Foto eine Geschichte war, so war ihre Gesamtheit vielleicht so etwas wie die Erfahrung von Erinnerung, eine Geschichte ohne Ende. Manchmal schob ich die Hand in die Hosentasche und strich mit den Fingern über die Fotos. Hier sind einige von ihnen:
Die Flucht

 

 

 

Ein Stück Decke fällt auf mich herab. Ein feuchter, weicher Placken Verputz, der sich gelöst hat, weil es in dieser alten Wohnung überall hereinregnet, und auf meinem Gesicht zerplatzt. Weißer Staub und Kreide liegen überall im Bett verstreut. Vom Aufprall werde ich wach und bin im ersten Moment verwirrt, orientierungslos, der Schlag fühlt sich an, als wäre ich gegen eine Wand gerannt, ohne mich mit den Händen abzustützen. Mein Schrei weckt Boris, und er sagt, ich solle still sein, warum ich so schreien würde. Während er wieder einschläft, koche ich Kaffee für uns beide. Die Wohnung liegt so hoch, dass man vom Fenster auf die abgeholzte Seite des Hügels blickt; nach und nach verwächst sie mit dem Rest, aber noch sind die Spuren sichtbar, es fehlen die dicken Baumstämme und grünen Laubkronen, die man durch Mutters Fenster sieht. Eine Stadt aus nichts. Um mich herum Hochhäuser mit gläsernen Fassaden, die sich ansehen, anklagend aufeinander deuten, voller Risse, zerbrochene Spiegel, die die anderen Spiegel vervielfachen und das Licht auf unser Fenster werfen. Als wären die Häuser nur dazu da, uns zu beleuchten, unsere animalische Leidenschaft zu nähren, die jetzt in der Stadt verwurzelt ist. Schreiende Luft. Eine Stadt im Nirgendwo.
Das Gemurmel

Jeder will glücklich sein. Jeder will glücklich sein. Jeder will glücklich sein. Manche Leute wiederholen diesen Satz unablässig mit entschlossenem Blick vor dem Spiegel; andere kreuzen die Finger, damit ihnen nichts Schlimmes widerfährt, oder beten, dass ihnen Kummer erspart bleibe. Ein belangloses Mantra, das ich unablässig in meinem Kopf wälzte, um zu verhindern, dass ich die Tasche abstellte, auf dem Absatz kehrtmachte und nach Hause zurücklief. In der Tasche befanden sich zwei Paar Strümpfe, meine wenigen T-Shirts, Vaters Fahrtenmesser und ein Ring, den Mutter mir geschenkt hatte, als ich klein war. Das Grün lag schon weit zurück, das dunkle Grün, das schwarze Grün, das weiße Grün des Nebels, das graue Grün der Nacht kurz vor der Morgendämmerung und das gelbe Grün des ersten Tageslichts. Immer wieder murmelte ich den Satz vor mich hin. Manchmal brauchte ich ihn nicht, weil ich mir meiner Sache sicher war wie ein furchtloser Zugvogel, der weder Heimweh noch Kummer kennt, weil er das, was er tut, aus einem Instinkt heraus macht. In anderen Augenblicken hingegen musste ich ihn mir immer wieder vorsagen, ich sagte »Glück ist ...« und verstummte dann, weil mich eine primitive, animalische Überzeugung ohne einen Blick zurück an einen anderen Ort trieb, wo alles in ein anderes Grün getaucht sein würde.

 

 

 

Boris trinkt seinen Kaffee zerstreut, als beschäftigte ihn ein größerer Gedanke, und ich betrachte ihn. Er ist gerade erst aufgestanden, und sein Haar schimmert wie vom Licht beschienener Draht. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, ihn so verschlafen zu sehen, nachts neben ihm zu liegen, nicht allein zu schlafen; aber ich liebe es, jemanden an meiner Seite zu haben, wenn ich zu Bett gehe, ihn anzufassen und anschließend wieder loszulassen, im Dunkeln die Entfernung abzuschätzen, die uns trennt, zu wissen, dass außer mir noch jemand im Zimmer ist. Ich würde ihm gerne laut sagen, was leise in meinem Inneren vor sich geht, aber es genügt mir, ihn anzusehen und ihm zuzuhören, wenn er mir unsere nächsten Schritte erklärt. Er stellt die Tasse ab und lehnt sich aus dem Fenster, und ich tue es ihm nach. Vor uns liegt das Loch, in dem wir uns befinden, eine unausgehobene Grube, die wir einmal Zivilisation nannten: Jetzt ist sie menschenleer. Im Grunde unterscheidet sich die Erinnerung nicht von einer Stadt. Und manchmal weiß ich nicht, ob ich den Garten vermisse, den Fluss, die Tiere, die Holzlatten, die Kuh und Vitas Schwester, die sie betatscht, das Grün und Schwarz hinter den Fenstern, die alten, langsam zerfallenden Häuser ... nein, nein, das sind Lügen. Nichts als Lügen.
Die Invasion

Ich achtete darauf, welche Strecke ich schon zurückgelegt hatte, und schwor mir, wenn der vor mir liegende Weg kürzer wäre als der Rückweg nach Hause, keine Zweifel, kein Zögern und kein Heimweh mehr zuzulassen. Die Fahrbahn wurde schmaler und dann wieder breiter, ich sah nur die zwei Meter direkt vor mir - enger, weiter, enger, weiter - und lenkte mich ab, indem ich ihre wechselnde Breite mit dem Blick verfolgte. Dabei überlegte ich, was ich wohl vor ein paar Jahren gedacht hätte, wenn man mir gesagt hätte, dass ich eines Tages mitten in der Nacht hier umherirren würde. Damals, als Vater noch lebte und die Häuser frisch gestrichen waren, als die Stadt voller Menschen und Vitas Schwester zu Hause eingesperrt war, hätte ich vermutlich gedacht, dass ein Heer winziger Aliens in irgendeinem Winkel meines Gehirns säße, dieser verdammten Welt, und hervorkäme, um mir das Leben schwer zu machen. Und dass diese mikroskopisch kleinen Außerirdischen mit kaum sichtbaren Nadeln wie eine Spinne die Nervenzentren in meinem Schädel zersetzen und mein Gehirn zerstören würden, sodass ich traurige, einsame Wahnvorstellungen bekäme wie zum Beispiel diese: Viele Jahre später finde ich mich eines Nachts in einer verlassenen Stadt wieder, auf dem Weg zu einer Wohnung, von der ich vergessen habe, wo sie liegt. Die Stadt ist nackt und tot. Als ich den Kopf hob, sah ich Hunderte Wolkenkratzer vor mir und wusste nicht, wo ich war und wo ich mit der Suche beginnen sollte.

 

 

 

Nachdem wir den Kaffee ausgetrunken und alles eingesammelt haben, behängen wir Rücken und Arme mit Taschen. Ich folge ihm, und wir lassen die Wohnung, den Häuserblock und die Stadt hinter uns. Wir erklimmen den Hügel, wo sich uns der gleiche Ausblick bietet wie Mutter und mir vor Jahren, als wir heimlich zusahen, wie sie Erde in der Erde vergruben, und der gleiche Ausblick wie mir vor wenigen Wochen, als ich von der Spitze des Hügels aus auf die Stadt und die Häuser auf der anderen Seite herabblickte. Im Norden liegen die Berge mit den Minen, die ihre Eingeweide durchbohren, als hätten sie den hohen, spitzen Bergen das Leben geraubt. Von hier oben aus, mit Boris neben mir, erstreckt sich auf der einen Seite eine leuchtende, bläuliche, heideartige Steppe bis an den Horizont, auf der anderen Seite eine ungehinderte grüne Wildnis. Wo fangen wir anâ? Wenn wir leise sind und die Augen weit öffnen, können wir den unter der Stille der schlafenden Stadt verborgenen Lärm ebenso wahrnehmen wie den Herzschlag der kleinen Tiere, die im Wald durchs Unterholz huschen. Zum Glück wird das meiste, was wir von hier oben sehen, uns überleben. Wir machen uns an den Abstieg, vorbei an der Lichtung, auf der der Wolf den Kahlköpfigen gefressen hat. Es ist nichts mehr übrig. Ich sage Boris nichts davon, und wir gehen weiter bergab bis zu unserem Gartenzaun.
Die Stimme

Ich klopfte an eine Tür. Keine Antwort. Ich klopfte an eine andere Tür. Keine Antwort. Ich klopfte an eine andere Tür. Keine Antwort. Ich klopfte an eine andere Tür. Keine Antwort. Als ich erkannte, dass ich mich geirrt hatte, verließ ich den Wohnblock und betrat den nächsten. Die Eingänge sämtlicher Wolkenkratzer standen offen, entweder weil die Flügeltüren aufgebrochen waren oder weil sie ganz fehlten. Ich stieg in den dritten Stock und probierte es wieder bei allen Wohnungen. Keine Antwort. Keine Antwort. Keine Antwort auch an der dritten Tür, aber auf mein Klopfen hin ein leises Knarzen. Jemand stand von einem Stuhl auf. Schleppende Schritte. Dann das wispernde Geräusch zweier Arme in Bewegung und das metallische Klirren von...
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Autor

Pol Guasch, 1997 in Tarragona geboren, studierte Literatur- und Kulturwissenschaften an den Universitäten in Barcelona und London. Nach zwei Lyrikbänden veröffentlichte er 2021 seinen Debütroman »Napalm al cor«, für den er im gleichen Jahr als bisher jüngster Preisträger den Anagrama Award für den besten Roman des Jahres erhielt. Weitere Auszeichnungen folgten, und der Roman wurde bereits in mehreren Sprachen übersetzt. Im Februar 2024 publizierte er mit »Ofert a les mans, el paradís crema« seinen zweiten Roman.

Kirsten Brandt (geboren 1963 in Friedberg, Hessen) studierte nach einer Buchhändlerlehre Portugiesisch, Englisch und Deutsch in Frankfurt, Hamburg, Lissabon und Braga. 1996 Umzug nach Barcelona. Literaturagentin bei Ute Körner Literary Agent, Leitung der Abteilung Rechte und Lizenzen bei Quaderns Crema/Acantilado, danach freie Übersetzerin. Seit 2002 lebt sie wieder in Deutschland und übersetzt aus dem Katalanischen, Spanischen und Portugiesischen.