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Emoticon

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am24.04.20121. Auflage
Emoticon erzählt die Geschichte von Daniel, einem niederländisch-israelischen Jugendlichen, und von Aischa, einer jungen Palästinenserin, die für die Weltöffentlichkeit ein Zeichen setzen will und Daniel in eine tödliche Falle lockt. Ihr Lockmittel: das Internet und seine Zeichensprache, die Emoticons.

Jessica Durlacher, 1961 in Amsterdam geboren, ist mit ihren preisgekrönten Romanen ?Das Gewissen?, ?Die Tochter? und ?Emoticon? in den Niederlanden eine Bestsellerautorin. Für ?Der Sohn? erhielt sie den Opzij-Literaturpreis 2010 als bestes Buch des Jahres. Der Roman wurde in den Niederlanden 2016 erfolgreich verfilmt. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern und lebt mit ihrem Mann in den Niederlanden.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextEmoticon erzählt die Geschichte von Daniel, einem niederländisch-israelischen Jugendlichen, und von Aischa, einer jungen Palästinenserin, die für die Weltöffentlichkeit ein Zeichen setzen will und Daniel in eine tödliche Falle lockt. Ihr Lockmittel: das Internet und seine Zeichensprache, die Emoticons.

Jessica Durlacher, 1961 in Amsterdam geboren, ist mit ihren preisgekrönten Romanen ?Das Gewissen?, ?Die Tochter? und ?Emoticon? in den Niederlanden eine Bestsellerautorin. Für ?Der Sohn? erhielt sie den Opzij-Literaturpreis 2010 als bestes Buch des Jahres. Der Roman wurde in den Niederlanden 2016 erfolgreich verfilmt. Sie ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern und lebt mit ihrem Mann in den Niederlanden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257601695
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum24.04.2012
Auflage1. Auflage
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2311 Kbytes
Artikel-Nr.1293389
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

[11] 1

Ein guter Tischler war er gewesen, Arik.

Stundenlang hatte Ester vorher zugeschaut, wie er ein Stück Holz so fräste und schliff, daß es sich präzise mit dem Gegenstück verband. Es war herrlich anzusehen, wie er die Teile mit seinen breiten, trockenen Händen zusammensetzte - als würden alle Neurone in ihrem Hirn für einen Augenblick geordnet: Ruhe, Stille!

Das war danach vorbei gewesen. Hatte sie später je noch einmal so in sich geruht?

Zwei Dinge hatte sie daraus gelernt. Es war schwer vorherzusagen, was bleibende Erinnerungen liefern würde, so sehr man sich auch bemühte, sich alles gut einzuprägen. Und völlig unvorhersehbar war, wann Erinnerungen wiederkamen. Von dem einen Mal waren ihr sämtliche physischen Details glasklar vor Augen geblieben; es erstaunte sie immer wieder, wenn die Bilder aufschienen, wenn das Gefühl wieder da war. Wenn sie einen schönen Tisch sah, den Geruch von Holz auffing. Manchmal waren Assoziationen naheliegend. Hinterher. Doch warum, wenn sie im Supermarkt eine Packung Milch aus dem Kühlfach nahm oder die Dekanatssekretärin, mit der sie befreundet war, von weitem »dieser Scheißcomputer!« schreien hörte und danach einen Knall, als werde etwas auf den Boden geworfen?

[12] Jedesmal - heute noch! - spürte sie, wie ihr das Blut in den Kopf stieg und ihr Körper zu glühen begann, wenn sie wieder vor sich sah (oder fühlte: War es nicht nur eine Erinnerung ihres Körpers?), wie sie in der Hitze jenes kleinen Zimmers auf dem niedrigen, harten Bett gefangen war, während er vor ihr kniete und mit der gleichen schweigsamen, überlegenen Geduld agierte, die sie in seiner Werkstatt so fasziniert hatte, vor hundert Jahren oder so. Wie er sein Geschlechtsteil aus der Hose hervorholte, als handle es sich um einen Schatz, und es, als sei er selbst darüber erstaunt, andächtig auf der flachen Hand wog.

Das war geblieben, und nicht das endlose stumme Werben, die Spannung, die unter ihren Rippen gepocht und in ihren Kleidern geklebt hatte. Verweht der Anlauf voller Frust und Qualen. Geblieben war die Katharsis in ihrem wahrsten Sinne - kein Drumherum mehr. Was zählte, war allein dieses Ergebnis. Und natürlich die Wut über das, was dann folgte.

Quadratisch, hatte Ester mit noch erstaunlicher geistiger Präsenz festgestellt: rechte Winkel, gerade Seiten. Das also war ein Mann. Da waren auch noch das Gesicht, die leuchtendblauen Augen, die muskulösen Schultern, aber mehr als alles andere war er vielleicht quadratisch, massig gewesen. Eine erschreckende Feststellung - bedrohlich, aber auch erregend. Zumal für sie, die sich damals sogar noch an die eigene Nacktheit hatte gewöhnen müssen.

Manchmal kam es ihr unerträglich vor, daß sie ihn nie wiedergesehen hatte, daß seine Existenz kaum zu beweisen war.

Wie Arik trotz seiner Masse und seiner Eckigkeit mit [13] der Präzision eines Ingenieurs sicher und ohne Eile in sie eingedrungen war, sich scheinbar festgeschraubt hatte, trotz seiner vermeintlichen Eckigkeit überzeugt von seiner  technischen Erkenntnis: daß er passen würde. So konzentriert, fast ohne eine Bewegung, nur dieses sanfte und doch erbarmungslose Schrauben, das sie beide so fest ineinandersetzte - sie war beinahe ohnmächtig geworden. Ein kurzer, flammender Schmerz hatte sich mit etwas wunderbar Überwältigendem vermischt, wobei sie gleichermaßen von ihm weg wie sich an ihm festklammern wollte, ihm etwas antun wie von ihm beschützt werden wollte.

Sie wußte noch, wie sehr es ihr geschmeichelt hatte. Daß ihr Körper stimmte. Daß sie paßte. Herrliche Herabwürdigung, erfüllende Erniedrigung. Sie war noch so jung gewesen, daß sie an diese Vollkommenheit glaubte. Rechte Winkel waren heilig, die Geometrie auf die Liebe anwendbar. Damals war Ester noch mit tiefem Glauben ausgestattet gewesen.

An jenem Tag war die Ordnung zerstört worden. Ihre Ordnung. Doch das wußte sie damals noch nicht.

Das kam später.

2

Schiphol, 2. April 2001, vormittags

Als sie frühmorgens auf dem Flughafen Schiphol, in der hintersten Halle, endlich für sich war, um sich den Fragen der Sicherheitsleute zu stellen, kam ihr die Erinnerung an [14] den Kibbuz fremd vor, als sei sie zu einem Zitat geworden, zu einer Erinnerung an eine Erinnerung.

Daß sie erneut auf dem Weg nach Israel war, hatte unbestreitbar etwas zu bedeuten, und das mußte auch so sein. Die zurückliegenden achtzehn Jahre konnten nun zusammengerollt und weggelegt werden, die Geschichte konnte von vorne beginnen. Philip hatte sich immer lustig gemacht über ihr Bedürfnis, in Zyklen zu denken. Sie hörte es ihn förmlich sagen: »Ja, ja, und jetzt hat sich der Kreis wohl wieder geschlossen. Wenn du das glaubst, dann ist es auch so. Du machst wahr, was du wahrhaben möchtest. Kunststück!« Aber jetzt war es unleugbar, das würde selbst Philip zugeben müssen.

Das letzte Mal hatte sie in einem anderen Leben hier gestanden, neunzehn Jahre alt, voll jugendlicher Unbändigkeit. Oder waren es die Fotos, die das suggerierten: strahlend junges, verlegen unausgeschlafenes Gesicht, Rucksackgurte über den Schultern, viel zu weit oben abgeschnittene Shorts, Beine - die sie zwar als die ihren erkannte, die aber doch mittlerweile anders geworden waren, dünner, härter, älter. Ihr Tagebuch und ihre Erinnerungen waren viel zurückhaltender, als es das verspielte, leichtsinnige Wesen auf den Fotos hätte erwarten lassen, die Nervosität über diese erste große Reise im Tagebuch aus der Detailliertheit der Beschreibungen spürbar.

Inzwischen wußte Ester: Je mehr sich tatsächlich eine Geschichte entsponnen hatte, desto stummer war das Tagebuch geworden. Von ihren extremsten und somit interessantesten Erinnerungen an jene Zeit fand sich letztlich so gut wie gar nichts auf dem Papier.

[15] Daß sie ihren Koffer öffnen mußte, machte nichts. Auch ihre Schuhe zog sie ohne innere Gegenwehr oder Verärgerung aus. Die Detektoren schnupperten still an ihren Besitztümern, ohne Ansehen der Person. Es war nicht viel los, die Zahl der Sicherheitsleute überstieg mit Leichtigkeit die der Passagiere, aber dennoch ging es nur langsam voran, an den vielen Röntgenapparaten und den kräftigen jungen Frauen und Männern entlang, denen jeder Reisende erklären mußte, was er oder sie in Israel suchte.

So eindringlich und drohend die Fragen auch gestellt wurden, sie klangen müde und bedrückt. Ein Land am Ende seines Lateins, dachte Ester, die aufgekrempelten Hemdsärmel zerfranst, die strahlendweißen Zähne matt, ein solches Maß an Bedrohung und Sicherung erschöpfen ein Land. Tag für Tag passierte dort gerade etwas zuviel, und das schon so lange.

Die Spannung bewirkte, daß ihr Körper wie gefühllos war. Und bei dem Gedanken, daß Philip nicht da stehen würde, wenn sie in einer Woche wiederkam, ergriff sie ein Schwindel - der wieder abebbte, wie sie es in einem ganzen Jahr vorweggenommenen Heimwehs geübt hatte.

Ob sie Angehörige in Israel habe, wollte der junge Sicherheitsbeamte wissen, und sie konnte nicht umhin zu registrieren, wie umwerfend gut seine schmucke Uniform zu seiner Haut und seinem kurzen schwarzen Haar aussah, das glänzte, als wäre es naß. Der Anblick der zarten Haut seines Halses und seines kräftigen, wehrlosen Nackens schmerzte, weil sie dabei erneut an Philip denken mußte - an das, was blieb, wenn man alle Streitereien und chaotischen Entscheidungen vergaß. Sie könnte ihm jetzt [16] beruhigend und mütterlich über den Hals streichen. Wenn sie nicht hier wäre. Wenn sie ihn nicht verlassen hätte.

Angehörige in Israel? Wenn es doch so wäre. Sie hatte schon hier in den Niederlanden niemanden mehr. Ihre Mutter war gestorben, als sie vier war, ihr Vater vor sechs Jahren, und sie hatte keine Geschwister. Es gab nur noch einen Onkel in der Schweiz.

Sie dachte kurz an Daniel, ihren Leihsohn, wie sie ihn nannte, ihren Schatz, der wuchs und wuchs und wuchs, mit seinen großen Händen, die sie so rührten, weil sie nach wie vor die Babyhändchen darin sah, mit den kleinen Polstern und den kurzen, ungeschickten Fingerchen, die vor langer Zeit ihre Nase und ihre Wangen betastet hatten. Daniel, der Junge, den sie schon sein Leben lang kennenzulernen versuchte.

Sie antwortete mit niedergeschlagenen Augen, als führte sie etwas im Schilde. Daß sie eine Spionin sei, konnte sie abstreiten, aber letztlich reiste sie nicht nur zum Vergnügen. Dennoch sagte sie, sie wolle Urlaub machen.

Wer machte noch Urlaub in Israel, außer vielleicht in Eilat?

Doch die jungen Beamten nahmen es hin, als wäre es völlig selbstverständlich, daß immer noch Menschen zum Vergnügen in ihr lebensgefährliches Land reisten. Sie selbst wohnten ja auch dort - sei es vielleicht auch mit Tunnelblick, dachte Ester, während sie die resoluten jungen Frauen musterte, die nach routinierter Entschuldigung geduldig mit ihren Apparaten ihre noch saubere Kleidung und ihre Bücher und Papiere durchpflügten.

Selbst die schlimmste Angst wird offenbar normal, wenn sie Tag für Tag da ist, dachte sie. Am Ende ist dir gar nicht [17] mehr bewußt, daß diese innere Ungeduld, diese Effizienz, mit der du dich außerhalb deiner vier Wände bewegst, diese Hast und Gleichgültigkeit in deinem Herzen und dein zerstreutes, unwirsches Gehabe gegenüber Freunden und Fremden Angst heißt. Angst wie eine problematische Liebe: Du weißt, daß du bei ihm bleiben willst, nein, bleiben mußt, aber jede Minute mit ihm bist du im Widerstreit und unsicher. Nein, nicht so...
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