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Und wo mein Haus? Kde domov muj

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
176 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am16.08.20221. Auflage
Frankfurter Hauptbahnhof, Bahnsteige, Gleise, die Eisenbahn nach Gießen. Wie immer in Peter Kurzecks fließender Erinnerungsprosa lässt der Anblick der Züge innere Bilder aufsteigen. Hier nimmt er uns mit auf Bahnfahrten mit der Mutter in das zerstörte Gießen, noch vor der Währungsreform. Der Fünfjährige kommt vom Dorf und ist dort das Flüchtlingskind. Gießen, das heißt Trümmerlandschaften und Schwarzmarkt, beängstigend und aufregend zugleich. Zu Hause lernt die Schwester schreiben, liest der Vater Faust, näht die Mutter ununterbrochen. Die Familie immer nur geduldet, angewiesen auf das Wohlwollen der Hauswirte, böhmische Lieder im Ohr. Später geht der Erzähler bei der US Army zusammen mit Osteuropäern absurden Tätigkeiten nach, und so beginnt ein ganz anderes Leben. In diesem von Rudi Deuble mit Originalnotizen aus dem Nachlass herausgegebenen, als Band 8 des »Alten Jahrhunderts« vorgesehenen Roman erzählt Peter Kurzeck aufregend und mit Witz aus dem Gießen der Nachkriegszeit und den Displaced Persons bei der US Army.

Peter Kurzeck geboren 1943 in Böhmen, aufgewachsen in Staufenberg bei Gießen, lebte später in Frankfurt am Main und Uzès (Südfrankreich). Ab 1992 schrieb er an der autobiografischen Romanfolge Das alte Jahrhundert. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Alfred-Döblin-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und den Hans-Erich-Nossack-Preis. Peter Kurzeck starb 2013 in Frankfurt am Main. Rudi Deuble, geboren 1952 in Neuenbürg. Studium der Germanistik und Politikwissenschaft, betreute ab 1990 Peter Kurzeck beim Verlag Stroemfeld/Roter Stern. Verlagsvertreter. Lebt in Frankfurt am Main.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextFrankfurter Hauptbahnhof, Bahnsteige, Gleise, die Eisenbahn nach Gießen. Wie immer in Peter Kurzecks fließender Erinnerungsprosa lässt der Anblick der Züge innere Bilder aufsteigen. Hier nimmt er uns mit auf Bahnfahrten mit der Mutter in das zerstörte Gießen, noch vor der Währungsreform. Der Fünfjährige kommt vom Dorf und ist dort das Flüchtlingskind. Gießen, das heißt Trümmerlandschaften und Schwarzmarkt, beängstigend und aufregend zugleich. Zu Hause lernt die Schwester schreiben, liest der Vater Faust, näht die Mutter ununterbrochen. Die Familie immer nur geduldet, angewiesen auf das Wohlwollen der Hauswirte, böhmische Lieder im Ohr. Später geht der Erzähler bei der US Army zusammen mit Osteuropäern absurden Tätigkeiten nach, und so beginnt ein ganz anderes Leben. In diesem von Rudi Deuble mit Originalnotizen aus dem Nachlass herausgegebenen, als Band 8 des »Alten Jahrhunderts« vorgesehenen Roman erzählt Peter Kurzeck aufregend und mit Witz aus dem Gießen der Nachkriegszeit und den Displaced Persons bei der US Army.

Peter Kurzeck geboren 1943 in Böhmen, aufgewachsen in Staufenberg bei Gießen, lebte später in Frankfurt am Main und Uzès (Südfrankreich). Ab 1992 schrieb er an der autobiografischen Romanfolge Das alte Jahrhundert. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Alfred-Döblin-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und den Hans-Erich-Nossack-Preis. Peter Kurzeck starb 2013 in Frankfurt am Main. Rudi Deuble, geboren 1952 in Neuenbürg. Studium der Germanistik und Politikwissenschaft, betreute ab 1990 Peter Kurzeck beim Verlag Stroemfeld/Roter Stern. Verlagsvertreter. Lebt in Frankfurt am Main.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731762195
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum16.08.2022
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.8
Seiten176 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2222 Kbytes
Artikel-Nr.9782152
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



[1]

In Gießen, sagte ich. Sooft man hinkommt, als ob sie alles erst im letzten Moment schnell wieder aufgestellt hätten. Überstürzt. Hastig. Mit vielen Fehlern. Heimlich. Man soll es nicht merken. Auch wie immer nicht ganz fertiggeworden. Wieder nicht. Löcher, leere Plätze, ein blinder Fleck. Da behelfen sie sich mit Verbots- und mit Baustellenschildern. Plakate. Ein Bretterzaun. Manche Ecken nur vorgetäuscht. Ungeschickt vorgetäuscht. Höfe, ein Durchgang, ein kleiner Platz, Seitenstraßen. Haben sie nicht mehr geschafft. Oder wollten sich diesmal nicht soviel Mühe damit. Lohnt sich nicht. Geht auch so. Schnell eine alte Wand hin. Mit Kreidefenstern. Ein Versatzstück. Und die Ferne nur aufgemalt. Als ob es ein trüber Tag, sagte ich. Feucht die Luft. Wie in einer alten Waschküche vor dreißig Jahren in Oberhessen auf dem Land. Sollte eigentlich Nebel, aber der Nebel gelingt ihnen meistens nicht. Den Himmel auch nur schnell hingepfuscht. Ein Praktikantenhimmel. Vom jüngsten Lehrling, der ebenso eifrig wie ungeschickt. Oder nehmen einen gutwilligen Tölpel von Handlanger. Hier links oben in der Ecke, siehst du ja, sagen sie ihm und er kriegt einen Schreck, so wie hier der Anfang ist. So soll es werden. Und ihm einen großen Farbkübel mit einer schmierigen graubraunen Brühe hin. Zu seinem Schreck dazu. Und drei abgenutzte dreckige Pinsel. Eher Besen als Pinsel. Für den heutigen Himmel. Links oben der Anfang aber, sagte ich, war ein winziger hellblauer Fleck. Kaum mehr als ein Randstreifen, eine Handbreit, ein Punkt. Und jetzt fängt von dem mißglückten Nebel alles zu tropfen an. Alles feucht. Feucht und grau. Wellt sich so. Fängt an abzufärben - wie kann es sein, daß die Wirklichkeit, sagte ich, gleich so aufquillt und abfärbt?

Alles falsch! Fängt schon am Bahnhof an. Gleich bei der Ankunft. Oder vorher. Im Zug schon. Sogar schon vor der Abfahrt. Auch wenn man es nicht gleich merkt. Man ist noch in Frankfurt. Vielleicht der Vortag und man fühlt sich auf Schritt und Tritt belauert-verfolgt-überwacht. Die Abreise - bleibt es dabei? Morgen? Heute? Hätte doch gestern schon? Oder fährt er nun doch nicht? Also ich, sagte ich. Und wer mag das sein, der da von mir immerfort in der dritten Person spricht? Und räuspert sich dauernd. Wie in meinem Kopf drin. Als ob man vor einem Schatten im Spiegel erschrickt? Der eigene Schatten? Dann in Frankfurt am Hauptbahnhof. Selbst ein Schatten, ein flüchtiger Schatten zwischen anderen flüchtigen Schatten. Vergänglich. Die Fahrkarte hat man schon. Hat den vorigen Zug verpaßt und deshalb noch Zeit. Haufen Volks. Kommt dir hier sonst auch immer alles so seltsam und trügerisch vor? Wie eilig die Leute es haben. Und sind doch nur bezahlte Statisten. Gern würdest du jemand finden, dem du sagen kannst, daß du jetzt nach Gießen fährst. Besonders wenn du länger nicht dort warst. Dann erst recht. Du hättest am Westbahnhof einsteigen sollen! Aber die Züge, die am Westbahnhof halten, brauchen bis Gießen jedesmal eine Ewigkeit. Oder man wartet, will einsteigen und dann halten sie doch nicht. Du stehst auf dem Bahnsteig und der Zug rollt langsam vorbei. Und hier am Hauptbahnhof in der Bahnhofshalle jede Ecke von früher, alles was dir jetzt einfällt, ist nicht mehr da. Die alte Buchhandlung nicht mehr da. Und die, die danach da war, auch längst weg. Das Bahnhofspostamt. Die Telefonzentrale. Tabak- und Zeitungsläden, Café, Restaurant und Cafeteria - alles weg oder zehnmal umgebaut. Nicht wiederzuerkennen. Unauffindbar. Nur höchstens die alte Milchbar. Gegenüber vom Gleis 16. Altmodisch. Und so klein. Hinter einer Scheibe aus Milchglas, damit man sie gut übersehen kann. In alten verblichenen Farben. Haben sie vergessen, sie abzuschaffen? In dieser Milchbar immer eine Frau. Freundlich, hilfsbereit, nicht mehr jung. Schon länger nicht. Macht die ganze Arbeit allein. Bedienung, spülen, putzen, aufräumen. Schlecht bezahlt. Einmal ist sie aus Mannheim, einmal aus Pirna bei Dresden (aber schon zwanzig Jahre im Westen) und einmal aus Rijeka. Aber trotzdem immer die gleiche Frau, sagte ich. Sogar auch immer der gleiche Kittel. Vielleicht gibt es nur diesen einen und deshalb wäscht sie ihn jeden Tag. Und muß ihn über Nacht auf der Heizung trocknen. Und der Spüllappen auch derselbe. Jetzt gehst du und sagst ihr, daß du nach Gießen fährst. Heute! Jetzt gleich! Eigentlich schon mit dem vorigen Zug, aber der hat nicht gewartet. Du kommst hin. Einen Espresso. Mit Carina, sagte ich, immer eine Erdbeermilch. Nach Gießen, sagst du. Auf einem Wandbrett die trüben Gläser und daneben ein ärmliches kleines Küchenradio aus Kunststoff. Zurückhaltend. Leise. Mit einer Hausfrauensendung aus dem Jahr 1957. Nach Gießen, jetzt gleich! Aber die Frau legt den Spüllappen aus der Hand und erzählt dir, daß ihre einzige Tante gestorben ist. Heut Morgen erst. Oder ihr Wohnungsnachbar. Sechzehn Jahre Tür an Tür. Sie kann es noch gar nicht fassen. Oder daß sie gebürgt hat für eine frühere Arbeitskollegin. Für einen Kleinkredit. Und jetzt hält die die Raten nicht ein. Nach Gießen also. Sie hört es, aber in ihrer Erschütterung kann sie dir dazu nix sagen. Sie weiß, wo es liegt, aber ist nie dort gewesen. Kommt auch wahrscheinlich nie hin. In aller Frühe allein auf dem Klo gestorben. Das Herz, sagt sie. Das Alter. Eine Tante, die bei ihr die Mutterstelle vertreten hat. Und wieviel Raten noch offen sind von dem Kredit. Und daß sie sich nichts dabei gedacht hat. Eine Bürgschaft. Hier unterschreiben! Und wischt die Theke, einen Aschenbecher, zwei Gläser und ihre Hände mit dem Spüllappen ab. Von rechts nach links und von oben nach unten den ganzen Tag wischt sie damit ab. Dann mußt du zum Zug. Sowieso schon der übernächste. Die anderen Züge längst abgefahren, längst weg. Und keinen Trost für die Frau? Was sollst du ihr sagen? Das alles schon schlimm genug! Sowieso! Und wird höchstwahrscheinlich nur immer noch schlimmer! Es ist auch gar nicht die Frau, die sonst immer da ist. Nur zur Aushilfe eine Aushilfe. Die Frau, die sonst immer da ist, ist im Krankenhaus. Erst Blinddarm, dann hat sie sich im Krankenhaus im Flur Arm und Bein gebrochen. Und jetzt muß man abwarten, ob sie dort nicht auch noch eine gefährliche Gelbsucht geholt hat. Unheilbar. Hepatitis C. Und dann erst wird sich herausstellen, daß sie in keiner Krankenkasse drin ist.

Meistens auf Gleis dreizehn die Züge nach Gießen. Dreizehn oder vierzehn, sagte ich. Alte Eisenbahnwagen. Die Züge nach Gießen immer ein bißchen dreckiger als die anderen Züge. Außen und innen. Und die Fenster seit Jahren nicht mehr geputzt worden. Gerade auf diesem Bahnsteig hört man die Lautsprecher nicht so gut. Man versteht sie nicht. Wie aus dem Jenseits die Ansagen. Wie für Gespenster. Die große Bahnsteiguhr steht. Und das hohe Hallendach gerade hier mit einer Plane. Daneben Sperrholz und Dachpappe. Ein Gerüst. Unwillkürlich zieht man den Kopf ein. Wo bleibt denn der Zug? Je länger du stehst, umso unwirklicher Bahnsteig und Gleise. Geradezu unwahrscheinlich. Nicht nur das Dach hinter Plane und Abdeckung verborgen, auch die Eisenträger sehen unecht aus. Die Ferne der Bahnhofsausfahrt ein Spiegeleffekt. Entweder kommt der Zug ewig nicht, also steht man und wartet. Oder man sitzt drin und er fährt nicht ab. Sitzen noch andere Leute drin? Manchmal am späten Vormittag ist der ganze Wagen leer. Auch die nächsten zwei leer. Trotzdem soll man glauben, daß es ein richtiger Zug ist? Aus der Provinz kommen schäbige Pendlerzüge. Morgens. Vollbesetzt. Überfüllt. Aus Gießen, aus Kassel. In aller Frühe. Bringen die Leute zur Arbeit. Aus dem Vogelsberg, aus Oberhessen, aus ganz Nordhessen. Und genauso aus Darmstadt und Mannheim. Aus Hanau, Offenbach, Mainz, Aschaffenburg, Gelnhausen, Fulda. Jeden Tag. Kommen aus allen Richtungen. Bringen die Leute zur Arbeit nach Frankfurt. Und fahren dann leer oder fast leer zurück. Noch früh, noch nichtmal halb sieben. Zurück und gleich den nächsten Schwung holen. Steigt man in Frankfurt in so einen Morgenzug, der leer zurückfährt: Die Luft schwer vom Rauch. Volle Aschenbecher. Butterbrotpapier, leere Plastiktüten und gelesene Zeitungen. Überall Zeitungen. Früher, sagte ich, haben die Leute vom Land die Zeitungen mit Achtung gelesen. Sich Mühe gegeben dabei. Nach jedem Umblättern glatt gestrichen und am Ende sie sorgsam wieder zusammengefaltet. Wie es sich gehört. Auch das benutzte Butterbrotpapier. Die Zeitungen und das Butterbrotpapier abends mit heimgenommen. Müd heim am Abend. Auch wenn nach und nach die ganze Familie die Zeitung gelesen hat, sah sie danach immer noch aus wie neu. Wurde sorgsam aufbewahrt. Beinah wie die Zeit selbst. Erst in der Küche. Ein sauberer kleiner Stapel. Und dann auf einem großen Stapel noch lang im Keller. Als Wertgegenstand. Gutes trockenes Altpapier. Ein Wert an sich. Und kann man für alles mögliche noch. Oft mehrere Familien. Nachbarn, Verwandtschaft. Und teilen sich eine Zeitung. Haben gemeinsam sie abonniert. Niemand hätte eine gelesene, oft ja nur oberflächlich und halb gelesene Zeitung im Zug liegengelassen. Erstens aus Anstand nicht. Und zweitens weil die Zeitung ja Geld kostet. Und auch nach einem Jahr hat sie noch einen gewissen Wert. Wenn man so ein Butterbrotpapier mit Achtung behandelt, leistet es einem jahrelang gute Dienste. Und die Tütchen auch. Kann man immer wieder verwenden. Jetzt morgens die Züge voll mit Abfall, Resten und Zeitungen. Fing mit der Bildzeitung an. Inzwischen alle möglichen Gratisblättchen und Beilagen. Aber auch der Gießener Anzeiger und die Gießener Allgemeine. Zeitungen aus Marburg, aus Wetzlar, aus Biedenkopf. Die HNA, die Alsfelder Zeitung, die Frankfurter Neue Presse und sogar die Rundschau. Liegen auf allen Sitzplätzen. Daneben und auf dem Fußboden leere...

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Autor

Peter Kurzeck geboren 1943 in Böhmen, aufgewachsen in Staufenberg bei Gießen, lebte später in Frankfurt am Main und Uzès (Südfrankreich). Ab 1992 schrieb er an der autobiografischen Romanfolge Das alte Jahrhundert. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u. a. den Alfred-Döblin-Preis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und den Hans-Erich-Nossack-Preis. Peter Kurzeck starb 2013 in Frankfurt am Main.

Rudi Deuble, geboren 1952 in Neuenbürg. Studium der Germanistik und Politikwissenschaft, betreute ab 1990 Peter Kurzeck beim Verlag Stroemfeld/Roter Stern. Verlagsvertreter. Lebt in Frankfurt am Main.

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