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Der Wind trägt die Worte - Geschichte und Geschichten der Juden von der Neuzeit bis in die Gegenwart

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
720 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am23.01.2014
Waldtraut Lewins mitreißendes Lebenswerk über die Geschichte der Juden
Das zweite Buch von Waldtraut Lewins beeindruckendem Lebenswerk erzählt die Geschichte des jüdischen Volkes vom Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart. Wieder begleiten drei Erzählebenen den Leser auf seiner Reise durch die Zeit, und zeigen dabei, was in den gängigen Geschichtsbüchern nur angedeutet oder ganz ausgelassen wird. Und genau das macht den Reiz dieses außergewöhnlichen Buches aus.
Eindringlich erzählt Waldtraut Lewin von bekannten und weniger bekannten, von fiktiven und realen Personen. Von schicksalhaften Begegnungen, der Sehnsucht nach Erlösung, Toleranz und Aufklärung. Von unfassbarem Grauen, aber auch von Widerstand und Hoffnung. Ein wichtiges Buch, das den Leser aufwühlt und nachdenklich zurücklässt.

Waldtraut Lewin, 1937-2017, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Berlin und arbeitete als Opernübersetzerin, Dramaturgin und Regisseurin zunächst am Landestheater Halle und dann am Volkstheater Rostock. Seit 1978 arbeitete sie als freischaffende Autorin von Romanen, Hörspielen und Drehbüchern, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt.
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Produkt

KlappentextWaldtraut Lewins mitreißendes Lebenswerk über die Geschichte der Juden
Das zweite Buch von Waldtraut Lewins beeindruckendem Lebenswerk erzählt die Geschichte des jüdischen Volkes vom Beginn der Neuzeit bis in die Gegenwart. Wieder begleiten drei Erzählebenen den Leser auf seiner Reise durch die Zeit, und zeigen dabei, was in den gängigen Geschichtsbüchern nur angedeutet oder ganz ausgelassen wird. Und genau das macht den Reiz dieses außergewöhnlichen Buches aus.
Eindringlich erzählt Waldtraut Lewin von bekannten und weniger bekannten, von fiktiven und realen Personen. Von schicksalhaften Begegnungen, der Sehnsucht nach Erlösung, Toleranz und Aufklärung. Von unfassbarem Grauen, aber auch von Widerstand und Hoffnung. Ein wichtiges Buch, das den Leser aufwühlt und nachdenklich zurücklässt.

Waldtraut Lewin, 1937-2017, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Berlin und arbeitete als Opernübersetzerin, Dramaturgin und Regisseurin zunächst am Landestheater Halle und dann am Volkstheater Rostock. Seit 1978 arbeitete sie als freischaffende Autorin von Romanen, Hörspielen und Drehbüchern, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641135102
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum23.01.2014
Reihen-Nr.2
Seiten720 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2238 Kbytes
Artikel-Nr.1372151
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Sehnsucht nach Erlösung

 


Selbst wenn die Juden in der Mitte des 17. Jahrhunderts, zwar weiterhin unterdrückt und an den Rand gedrängt, nicht ständigen Verfolgungen und Massakern ausgesetzt sind: Verstreut rund um die Windrose von Amsterdam bis Venedig, von Marokko bis Krakau, wohnt im jüdischen Volk weiterhin die glühende Sehnsucht, die Diaspora, die Zerstreuung überall in derWelt, zu beenden, heimzukehren nach Erez Israel, in das Land, aus dem es vor fast zweitausend Jahren vertrieben wurde - und geführt von seinem Erlöser, dem Messias. Im Jahr 1665 nun erreicht eine Flut von Sendschreiben aus Gaza in Palästina, einem Ort, an dem noch immer viele Israeliten leben, die jüdischen Gemeinden in aller Welt.

Der Inhalt: Der Tag der Erlösung aus der Diaspora steht unmittelbar bevor, denn der Messias ist erschienen! Am 18. Juni des kommenden Jahres wird er sein Volk ins Gelobte Land führen!

Der Messias - jene mystische Gestalt, in der sich die Sehnsucht nach Erlösung der Juden in aller Welt verkörpert, aus allen ihren Nöten ... Zu der Zeit, als Israel noch ein Volk unter den Völkern der Antike war, erhoffte man von ihm die Befreiung von jeglicher Fremdherrschaft, den Syrern, den Römern ... Nach dem Verlust des Landes dann war es die Heimkehr nach Jerusalem, das Ende von Verfolgung und Diskriminierung, was man von ihm erwartete - und den ewigen Weltfrieden.

Und nun soll dieser Ersehnte gekommen sein!

Eine unglaubliche Massenhysterie bricht aus. Die jüdischen Gemeinden, ob sie nun Aschkenasen sind oder Sepharden (siehe Glossar), ob sie Jiddisch sprechen oder das dem Spanischen verwandte Ladino, geraten in einen Freudentaumel.

In den Lebenserinnerungen einer jüdischen Händlerin aus Hamburg, einer Frau, die uns gleich noch näher beschäftigen wird - Glückel von Hameln -, steht über das Jahr 1666:

»Einige haben nebbich all das Ihrige verkauft, Haus und Hof, und haben gehofft, dass sie jeden Tag sollen erlöst werden. Mein Schwiegervater hat zu Hameln gewohnt und also dort seine Wohnung aufgegeben und seinen Hof und seine Möbel. Und hat hierher nach Hamburg zwei große Fässer mit allerhand Leinenzeug geschickt. Und darin ist gewesen allerhand Essensspeis, wie Erbsen, Bohnen, Dörrfleisch und sonst anderes, alles, was sich so aufbewahren lässt. Denn der gute Mann hat gedacht, man wird einfach von Hamburg nach dem heiligen Land fahren.«

Und an anderer Stelle:

»Die meisten Briefe (Sendschreiben) haben die Sephardim bekommen. Dann sind sie allezeit mit ihnen ins Bethaus gegangen und haben sie dort gelesen und Deutsche (aschkenasische Juden) jung und alt sind auch in ihre Synagoge gegangen mit Pauken und Tanz und haben mit Freude die Briefe gelesen. «

 


Den nüchternen Verstand dieser Schreiberin haben sich die meisten Menschen nicht bewahrt. Es trennen sich Hoch und Niedrig, Töricht und Gescheit von ihrem Hab und Gut, verschenken es zumeist. Einige, so heißt es, laufen sogar nackt durch die Straßen, denn es steht geschrieben, dass aller Besitz eitel ist und man alles ablegen muss, um dem Gesalbten des Herrn gegenüberzutreten ...

Wie ist ein derartiger kollektiver Wahnsinn zu erklären - und wer hat ihn ausgelöst?

Jene Männer, die verantwortlich sind für diese absurden Geschehnisse, haben gleichsam nur den Deckel abgehoben von einem Topf, in dem es brodelte.

Die jahrhundertealte Not der traumatisierten »jüdischen Seele« ist verantwortlich für diesen Ausbruch verzweifelter und grotesker Hoffnung auf Veränderung. All die Leiden und Demütigungen vieler Jahre müssen doch irgendeinen Sinn haben! Im Heilsplan des Weltenschöpfers kann doch unmöglich verzeichnet sein, dass sein erwähltes Volk durch die Tiefe des Leids geht, ohne irgendwann erlöst zu werden!

Die Pogrome in Osteuropa vor nicht einmal zwanzig Jahren sind nicht vergessen und sie sind für viele ein Fanal. Schlimmer kann es nicht kommen! Bis hierher und nicht weiter!

Und so saugt man die Nachricht der kommenden Rettung aus dem Elend so gierig auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. Die Erfüllung des Wunsches, der zu Pessach am Ende des Sederabends ausgesprochen wird: Nächstes Jahr in Jerusalem! - sie scheint nun in greifbare Nähe gerückt.

 


 


Verwirrter Geist oder Visionär

 


Wie ist es zu diesem Wahnwitz gekommen?

Zwei Männer von sehr unterschiedlichem Charakter sind die Auslöser der Euphorie. Sie heißen Sabbatai Zwi, der sich als der »erschienene Messias« versteht, und Nathan Aschkenasi, sein Prophet.

Sabbatai Zwi wird 1626 in Smyrna, dem heutigen Izmir in der Türkei, als zweiter von drei Söhnen geboren. Sein Vater ist ein sephardischer Händler.

Die Juden in der Türkei, dem Osmanischen Reich, haben im Vergleich zu ihren Brüdern in Europa und im Osten ein annehmbares Leben. Sie gelten als »dhimmis«, als Schutzbefohlene, müssen zwar saftige Steuern zahlen, aber dürfen sich ansonst vieler Freiheiten erfreuen.

Über Sabbatais Kindheit und Jugend ist kaum etwas bekannt, aber sicher wird er, wie aus seinem weiteren Leben hervorgeht,Tora,Talmud und vor allem auch die Kabbala, die jüdische Mystik, studiert haben.

Als die Kunde von den grässlichen Ausschreitungen in der Ukraine, in Polen und Litauen zu den Juden des Vorderen Orients gelangt, ist Sabbatai zutiefst erschüttert. Zu diesem Zeitpunkt, so erklären Freunde, hat er eine Vision: Er behauptet von sich, ein Prophet zu sein. Genaueres gibt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht preis. Aber aufgrund seines charismatischen Wesens gelingt es ihm, hier bereits Anhänger um sich zu scharen. Er ist ein feuriger Redner und verblüfft durch seine ekstatisch vorgetragenen Ideen, die er so leidenschaftlich und zwingend darstellt, dass die Zuhörer gleichsam in einen Sog geraten. Seine Stimme kann flammend sein, aber auch raunend und beschwörend ...

Die jüdische Gemeinde von Smyrna betrachtet das Treiben des jungen Mannes mit Besorgnis. Der erkühnt sich nämlich, kraft seiner »Berufung«, die religiösen Traditionen zu verletzen, die Gebote zu übertreten. Er isst nicht mehr koscher, er achtet die Sabbatruhe nicht. Ja, er wird sogar beschuldigt, den Namen Des Herrn, »so wie er geschrieben steht« (JHWH) und der von keinem Juden gebraucht wird, auszusprechen (man sagt Haschem, der Name, oder eben Der Herr), ein Frevel sondergleichen, denn all das, so heißt es, sei allein dem Messias vorbehalten.

Und dann erkühnt er sich einer Sache, die von den Männern der jüdischen Gemeinden nicht hingenommen werden kann!

Er mischt sich in den Ritus des Gottesdienstes ein - auf eine Weise, die uns Heutigen keineswegs frevelhaft vorkommt, die aber seinen Zeitgenossen als ein ungeheurer Verstoß gegen Althergebrachtes erscheint.

Frauen auf der Bima.

Sabbatai Zwi steht am Sabbat vor der Tür der Synagoge und fängt die Frauen ab, die, wie es sich geziemt, mit verhülltem Haupt herbeiströmen. Er hält sie auf, fuchtelt mit den Armen.

»Schwestern, lasst euch nicht länger aus dem Hauptraum der Synagoge verbannen! Ihr gehört nicht auf die Empore, sondern mitten unter uns ist euer Platz! Heute soll eine von euch auf der Bima stehen und predigen! Das hat mir heute Nacht ein Traumgesicht verheißen. Kommt, strömt herein, den Herrn zu loben!«

Die Frauen stehen unschlüssig und verängstigt, tuscheln miteinander, ziehen ihre Schleier höher vors Gesicht. Keine rührt sich vom Fleck.

Der Auflauf vor der Synagogentür ruft schließlich den Chasan, den Vorbeter, auf den Plan.

»Was geht hier vor? Warum gehen die Weiber nicht auf ihren Platz da oben?« Er deutet mit einer Kopjbewegung zur Frauenempore.

»Wir sollen ... wir sollen in den Hauptraum kommen«, murmelt schließlich eine verzagte Frauenstimme.

»Wer sagt das?«

»Rabbi Zwi!«

»Ja, ich!« Der Benannte baut sich vor dem Chasan auf, sein rundes Katergesicht scheint zu brennen vor Begeisterung. »Im Traum sind mir Engel erschienen und haben mich geheißen, die Schwestern hier mit glühender Liebe aufzunehmen und sie nicht auszugrenzen!«

Der Chasan runzelt die Brauen. »Engel, ja?«, wiederholt er gedehnt. »Seid Ihr nicht der Mann, der von sich behauptet, ein Prophet zu sein? Der nicht einmal mehr die Speisegesetze achtet? Der - nun ... nun, man sagt Euch noch schlimmere Verstöße gegen die Gebote nach. Ich denke, es ist Zeit, dass sich der Rat der Ältesten der Gemeinde mit Euch beschäftigt. Nach dem Gottesdienst. Und ihr Weibervolk, schnell auf die Empore!«

Wie aufgescheuchte Hühner flüchten die Frauen die Treppe hinauf.

Zwi aber wird vom Chasan derb am Arm gepackt und ins Innere gezogen.

Es kommt, wie es kommen muss.

Dem Rat der Ältesten ist dieser sonderbare Schwärmer schon lange ein Dorn im Auge. Man braucht keine Abweichler!

Unter Androhung des Bannes, des Ausschlusses aus der Gemeinschaft der Juden generell (Cherem), werden vor Sabbatai Zwi beim nächsten Gottesdienst die Synagogentüren zugeschlagen. Ein symbolischer Akt. Er steht da, ein Ausgestoßener, niemand hört ihn mehr an.

Wütend und gedemütigt verlässt er Smyrna, aber da er sich durch derartige Maßregelungen nicht einschüchtern lässt, ereilt ihn ein ähnliches Schicksal in allen Städten, in denen er sich niederlässt, in Saloniki, in Konstantinopel.

Doch auch überall dort ist er von Schülern und Anhängern umgeben. Sein...

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Autor

Waldtraut Lewin, 1937-2017, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft in Berlin und arbeitete als Opernübersetzerin, Dramaturgin und Regisseurin zunächst am Landestheater Halle und dann am Volkstheater Rostock. Seit 1978 arbeitete sie als freischaffende Autorin von Romanen, Hörspielen und Drehbüchern, für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt.