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A wie B und C

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Kein + Abererschienen am30.03.20161. Auflage, neue Ausgabe
Irgendetwas stimmt nicht im Leben von A. Ihre fast symbiotische Freundschaft mit ihrer Mitbewohnerin B und ihre unkomplizierte, wenngleich etwas langweilige Beziehung mit ihrem Freund C erfüllen sie nicht mehr. Was fehlt? Glück? Lebensfreude? Endlich mal wieder etwas Anständiges zu essen? A entscheidet sich, auf die einzige Art auszubrechen, die diese seltsame Welt verdient: Um ihren Körper von innen zu reinigen, verschreibt sie sich einem Kult um eine synthetische Süßspeise.

Alexandra Kleeman, geboren 1986 in Boulder, Colorado, ist Schriftstellerin und Philologin. Sie ist Autorin des Romans A wie B und C, der 2016 mit dem Bard Fiction Prize ausgezeichnet wurde. Ihre Kurzgeschichten und Essays sind in Zeitschriften wie »The New Yorker«, »The Paris Review«, »Zoetrope«, »Guernica«, »Harper´s« und »n+1« erschienen. Sie erhielt den Master of Fine Arts in Fiction an der Columbia University, New York, sowie zahlreiche renommierte Stipendien und Förderpreise. Sie lebt in Staten Island, New York.
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Produkt

KlappentextIrgendetwas stimmt nicht im Leben von A. Ihre fast symbiotische Freundschaft mit ihrer Mitbewohnerin B und ihre unkomplizierte, wenngleich etwas langweilige Beziehung mit ihrem Freund C erfüllen sie nicht mehr. Was fehlt? Glück? Lebensfreude? Endlich mal wieder etwas Anständiges zu essen? A entscheidet sich, auf die einzige Art auszubrechen, die diese seltsame Welt verdient: Um ihren Körper von innen zu reinigen, verschreibt sie sich einem Kult um eine synthetische Süßspeise.

Alexandra Kleeman, geboren 1986 in Boulder, Colorado, ist Schriftstellerin und Philologin. Sie ist Autorin des Romans A wie B und C, der 2016 mit dem Bard Fiction Prize ausgezeichnet wurde. Ihre Kurzgeschichten und Essays sind in Zeitschriften wie »The New Yorker«, »The Paris Review«, »Zoetrope«, »Guernica«, »Harper´s« und »n+1« erschienen. Sie erhielt den Master of Fine Arts in Fiction an der Columbia University, New York, sowie zahlreiche renommierte Stipendien und Förderpreise. Sie lebt in Staten Island, New York.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783036993232
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum30.03.2016
Auflage1. Auflage, neue Ausgabe
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2687 Kbytes
Artikel-Nr.1871819
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


IN EINER FERNSEH-TALKSHOW redete gerade ein Mann namens Michael. Sein Blick wanderte immer wieder zu etwas hinter der Kamera und glitt nur auf Zeichen des Gastgebers rasch in die richtige Position zurück. Seinen Kopf hatte man ziemlich stümperhaft kahl geschoren. Er saß in einem violetten Samtsessel, der zugleich hässlich und teuer aussah, und trug einen adretten grauen Anzug, an dem er ständig herumnestelte, als wollte er ihn fester um seinen Körper ziehen. Er war hier, um eine Reihe von Geschehnissen zu erklären, die zu seiner Festnahme geführt hatten, und dazu hatte er ein Video vorbereitet. Es sollte ihm helfen, darüber zu sprechen. Eine große Bildwand über seinem Kopf wurde kurz schwarz, dann tauchten dort Szenen aus einer Mastkalbzucht auf: Auf wackeligen Handkamerabildern rasterten sich endlose Reihen von in engen Boxen eingerahmten Kälbern durch lange dunkle Räume. Sie fraßen in einer Reihe, schliefen in einer Reihe und wurden an einem kurzen Stück Kette in Position gehalten. Das Stillstehen garantierte zartes Fleisch, es unterband jede Anstrengung, durch die ihr Fleisch hätte Muskeln bilden können. Durch eisenarme Ernährung stellte man sicher, dass ihre Körper keine rote Farbe bildeten und einspeicherten. Der Lichtmangel verhinderte, dass sich Pigmente im Fleisch bilden konnten. In der Dunkelheit der Lagerhallenfarm wurden die Kälber immer weißer und weißer und weicher, und der Gedanke an all dieses von Dunkelheit umgebene junge Leben hatte in Michael einen elterlichen Fürsorgereflex ausgelöst, aber auch einen unbestimmten Hunger.

Im Lebensmittelgeschäft in der Nähe seiner Wohnung hatten die dicken, blassen Scheiben Fleisch kein Gesicht, wirkten aber immer noch irgendwie traurig. Die Traurigkeit steckte im Fleisch. Oder in ihm selbst, das vermochte er nicht zu sagen: Sie schwebte irgendwo zwischen ihnen, als seien sie durch eine unsichtbare Schnur verbunden. Er betrachtete die in Styroporschalen ausgebreiteten Scheiben. Er befühlte die Verpackungen, machte mit den Fingernägeln Abdrücke ins plastikumwickelte Fleisch und beobachtete, wie sie wieder verschwanden, sobald er die Finger wegnahm. Als er sie in der Hand hielt, konnte er die großen dunklen Räume voller Klage spüren. Der Lebensmittelhändler hatte immer nur fünf oder sechs Packungen Kalbfleisch vorrätig, Michael kaufte die Hälfte und nahm es mit nach Hause. Er wusste nicht, was er damit tun sollte. Ich wollte es einfach nur befreien, sagte er im Fernsehen.

Michael lagerte Kalbsschnitzel in seinem Kühlschrank und ließ sie da in der kalten Dunkelheit. An sechs Tagen in der Woche ging er zur Arbeit, steckte Post durch schmale Schlitze. Auf seinen Runden dachte er über das stapelweise in der Kälte frierende Fleisch nach. Abgetrennt und verkrüppelt, brauchte es weiterhin jemanden, der es beschützte.

Als er wieder in den Lebensmittelladen kam, war das Kalbfleisch im Kühlfach nachgewachsen - als wäre er niemals dort gewesen, hätte nie die steifen Packungen in der Hand gehalten und sie dann aus der Sonne zurück ins Dunkle, in seinen Kühlschrank gebracht. Diesmal, und noch wochenlang danach, kaufte er alles Kalbfleisch, das da war, und legte es in seinen Kühlschrank. Als er keinen Platz mehr hatte, begann er es zu essen. Das Kalbfleisch füllte nun eben die Dunkelheit seines Darms, er mummelte es ein, wie ein Vater, der sein Kind zu Bett bringt. Er bereitete es ganz einfach zu, mit Salz und Pfeffer gewürzt, in Butter gebraten. Der Sinn dieser Rettungsaktion war ihm immer mehr entglitten, obwohl sie ihm zunehmend leichter fiel und selbstverständlicher wurde.

Gleichzeitig hatte das Geschäft begonnen, die Vorräte aufzustocken, um die gestiegene Kundennachfrage zu befriedigen. Seine Nachfrage. Jetzt fand er jedes Mal zehn oder zwölf Packungen Kalbfleisch vor. Er konnte sich nicht alle leisten, kaufte sie dennoch und begrub die Packungen in einem Loch, das er bei den Rhododendren seitlich des Hauses ausgehoben hatte. Der Kühlschrank war ja voll. Aber irgendwann war sein Konto leer, und da schmuggelte er die Päckchen unter seinem Hemd aus dem Laden, die platten Kalbfleischscheiben mit der Folienseite an seinen weichen, bleichen Bauch gepresst, Schwarte an Schwarte. Bis er eines Tages verhaftet und wegen Diebstahls und schwerer Körperverletzung in mehreren Fällen angeklagt wurde.

Die glatten Ränder der Schnitzel: als wären sie so gewachsen, makellos, ohne Sehnen, ohne Adern. Als wären sie vorsichtig von einem größeren Stück Schnitzel abgelöst worden, von einer langen friedfertigen Fleischrolle. Diese gleichmäßige Färbung des Fleisches, der gelegentliche Streifen unvermischtes Weiß, der sich zum Rand hin verlor und darauf verwies, dass es eine Geschichte in einem größeren Zusammenhang hatte. Welche Schönheit liegt im Fehlen von Röhren und Kanälen, kein Darm, kein Mund, keine Nasenlöcher, Ohren oder andere Körperöffnungen, einheitlich und vollkommen, unmöglich zu füttern oder zu verletzen. Eine Weide voller Kalbsschnitzel, die in der Sonne liegen und augenlos aufschauen.

Ich konnte nichts für die Kälber tun, sagte er. Ich bin nur ein einzelner Mann. Aber ich habe mir gedacht: Ich kann etwas für diese Schnitzel tun.

Ich sah C an, der neben mir auf der Couch saß und einen Arm um meine Schultern gelegt hatte. Er schlürfte den Rest Bier vom Dosenrand und fuhr dann mit der Zunge die Rinne entlang. C war richtig gut im Fernsehen. Er konnte es stundenlang tun, ohne diesen toten Gesichtsausdruck zu kriegen, den B und ich bekamen, wenn wir uns zu lange dem intensiven Flackerlicht aussetzten. Mit der Fernbedienung in der Hand und meinem Kopf in seiner Armbeuge konnte er mich ebenso bequem küssen wie den Sender wechseln. Ab und zu tat er das, wischte ohne den Kopf zu drehen mit trockenen Lippen über mein Gesicht, und ich spürte sie ganz zart, als gleite ein Wattebällchen über meine Haut. C passte zu seinem Leben und in seine Zeit. Weder sehnte er sich in einfachere Zeiten zurück noch wollte er diese Zivilisation zerstören, um etwas Besseres aus dieser Welt machen zu können. Er war glücklich und zufrieden. Er ging immer davon aus, dass auch ich glücklich war, selbst wenn ich es nicht war. Das war einer der Gründe, warum unsere Beziehung so gut funktionierte. Mit C konnte ich dasitzen und sämtliche Gefühle durchleben: Schmerz, Wut, Trauer, Unsicherheit oder auch Zustimmung, ohne unser harmonisches Verhältnis aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das Ergebnis war, dass er mich für unkompliziert hielt. Und wenn es manchmal in meinen Augenwinkeln prickelte und ich kurz davor war überzulaufen, brauchte ich nur einen Blick auf sein total normales Grinsen zu werfen, schon hatte ich das Gefühl, dass ich meine Lage gründlich falsch interpretiert hatte. Dann höhlte sich das Gefühl, welches auch immer es war, selbst aus, bis ich nur noch fühlte, dass ich nicht mehr wusste, was ich fühlte. »Was du beschreibst, wird Satori genannt«, erklärte C mir dann sehr überzeugt. »Das ist der buddhistische Ausdruck für Glück, insbesondere die Befreiung von Belastendem. Entspricht ungefähr dem, was wir Frieden nennen würden. Du solltest lernen, es anzunehmen, statt es zu Tode zu grübeln«, fügte er hinzu.

So fühlt sich das Glück an, dachte ich, während die Klimaanlage hinter mir dröhnte wie ein gigantisches Insekt. Mein Gesicht kribbelte oder war gerade dabei, einseitig einzuschlafen. Ich hatte gehofft, das Glück sei wärmer, gemütlicher, wohliger. Aufregender, wie etwas, das Leuten im Fernsehen passiert, anstatt nur benommen zuzusehen, wie es ihnen passiert. Cs schlaffe Hand war schwitzig. Unter ihr stellten sich meine Körperhaare in der Kälte auf. C mochte es, wenn im Sommer wie im Winter die gleiche Temperatur herrschte. So konnte er das ganze Jahr hindurch seinen fusseligen Lieblingspullover aus blauer Wolle tragen, der an den Ellbogen langsam fadenscheinig wurde. Ein paar Mal glaubte ich, meinen eigenen Atem in der eisigen Luft zu sehen, aber wahrscheinlich war es bloß Staub. Ich kreiste und wackelte unter seinem Arm mit den Schultern, um mich aufzuwärmen, und er reagierte, indem er mich noch fester umschlang, sodass ich mich kaum mehr bewegen konnte. Ich drehte den Kopf und machte kleine Geräusche in der Kehle, um anzudeuten, dass ich etwas zu sagen hatte. Ich wurde traurig, dann wieder nicht mehr. Vögel ließen sich in der alten Eiche vorm Fenster nieder, saßen da und warteten und flogen wieder davon. Wohin flogen sie, und hatten sie es dort besser? Von drinnen zu sehen, wie die Bäume da draußen in der Hitze durchhingen, war wie fernsehen, wie ein kleines Loch in der Welt, das den Blick auf etwas freigab, das hinter Glas gefangen war und keinerlei Bezug zu ihr hatte.

»Hey«, sagte ich. »Bist du da?«

»Hm-m«, sagte C.

Ich schaute wieder auf den Bildschirm. Ein großes Stück Kalb wurde in kleinere Stücke zerhackt und zerhackt und zerhackt. Es sah aus wie etwas, das auseinanderwuchs, schmolz, sich über den Bildschirm ausbreitete.

»Das ist doch total seltsam«, sagte ich. »Er wollte verhindern, dass Leute Kalbfleisch essen, und am Ende isst er selbst mehr davon als irgendjemand sonst.«

C wandte den Kopf, um mich nach einer ganzen Weile mal wieder anzusehen.

»Oder«, meinte er, »er wollte es essen, und das hat ihm Angst gemacht. Er hat diese Angst als eine Angst vor dem Akt interpretiert, dann diese leichter zu akzeptierende Angst benutzt, um sich wieder dahin zurückzuargumentieren, wohin er die ganze Zeit gewollt hat, nämlich es zu essen.« In seinem blauen Pulli im blauen Schein des Fernsehers sah er weit weg und jungenhaft aus.

»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Das ist so kompliziert. Ich fand, er sah...

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Autor

Alexandra Kleeman, geboren 1986 in Boulder, Colorado, ist Schriftstellerin und Philologin. Sie ist Autorin des Romans A wie B und C, der 2016 mit dem Bard Fiction Prize ausgezeichnet wurde. Ihre Kurzgeschichten und Essays sind in Zeitschriften wie »The New Yorker«, »The Paris Review«, »Zoetrope«, »Guernica«, »Harper's« und »n+1« erschienen. Sie erhielt den Master of Fine Arts in Fiction an der Columbia University, New York, sowie zahlreiche renommierte Stipendien und Förderpreise. Sie lebt in Staten Island, New York.