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Die fünf Wunden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am22.02.2024
Ausgerechnet dem arbeitslosen Amadeo Padilla wird die Ehre zuteil, die Karfreitags­-Prozession im kleinen Ort Las Peñas, New Mexico, als Jesus anzufu?hren. Doch plötzlich taucht seine fünfzehnjährige Tochter Angel auf und droht seine Pläne mit ihren weltlichen Problemen zu durchkreuzen: Die taffe Angel ist im neunten Monat schwanger und nach einem Streit Hals über Kopf aus dem Haus ihrer Mutter ausgezogen. Die fünf Wunden erzählt mit liebevollem Blick davon, wie die verschiedenen Generationen der Familie Padilla das erste Lebensjahr des Babys erleben: Amadeos Mutter Yolanda, die noch mit einer neuerlichen Entdeckung zu kämpfen hat, Angels Mutter Marissa, mit der Angel nichts mehr zu tun haben will, und Yolandas Onkel Tíve, das griesgrämige Oberhaupt der Familie. Dieses wunderbare Debüt von Kirstin Valdez Quade, deren Erzählungen in der New York Times als Meisterwerke ge­feiert wurden, erscheint nun endlich auf Deutsch.

Kirstin Valdez Quade hat bisher mit Night at the Fiestas hochgelobte Erzählungen veröffentlicht, für die sie vielfach ausgezeichnet wurde. Ihre Texte, die sich häufig um das Leben von Latino-Familien im Südwesten der USA drehen, sind u. a. im New Yorker und der New York Times erschienen. Sie unterrichtet Creative Writing an der Stanford University.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR20,99

Produkt

KlappentextAusgerechnet dem arbeitslosen Amadeo Padilla wird die Ehre zuteil, die Karfreitags­-Prozession im kleinen Ort Las Peñas, New Mexico, als Jesus anzufu?hren. Doch plötzlich taucht seine fünfzehnjährige Tochter Angel auf und droht seine Pläne mit ihren weltlichen Problemen zu durchkreuzen: Die taffe Angel ist im neunten Monat schwanger und nach einem Streit Hals über Kopf aus dem Haus ihrer Mutter ausgezogen. Die fünf Wunden erzählt mit liebevollem Blick davon, wie die verschiedenen Generationen der Familie Padilla das erste Lebensjahr des Babys erleben: Amadeos Mutter Yolanda, die noch mit einer neuerlichen Entdeckung zu kämpfen hat, Angels Mutter Marissa, mit der Angel nichts mehr zu tun haben will, und Yolandas Onkel Tíve, das griesgrämige Oberhaupt der Familie. Dieses wunderbare Debüt von Kirstin Valdez Quade, deren Erzählungen in der New York Times als Meisterwerke ge­feiert wurden, erscheint nun endlich auf Deutsch.

Kirstin Valdez Quade hat bisher mit Night at the Fiestas hochgelobte Erzählungen veröffentlicht, für die sie vielfach ausgezeichnet wurde. Ihre Texte, die sich häufig um das Leben von Latino-Familien im Südwesten der USA drehen, sind u. a. im New Yorker und der New York Times erschienen. Sie unterrichtet Creative Writing an der Stanford University.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731762645
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum22.02.2024
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2003 Kbytes
Artikel-Nr.14178024
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Dieses Jahr ist Amadeo Padilla Jesus. Die Hermanos, die Mitglieder der Bruderschaft, haben im Hof hinter der Morada alles vorbereitet.

Er ist kein Jesus wie aus der Kinderbibel, mit glänzendem Haar, rosigen Wangen und sanftem Blick. Amadeo ist muskulös, hat einen kahl rasierten, von Teenager-Prügeleien vernarbten Schädel und einen Stiernacken.

Amadeo zimmert das Kreuz aus schwerer grober Eiche, nicht aus Kiefer. Er ist barfuß wie die anderen Hermanos, die ihre Ärmel hochgekrempelt haben und die alabados, die Lobpreisungen, singen. Sie haben ihre weißen Hosen gewaschen, ihre Geißeln, wie es die Tradition verlangt, aus dicken Palmwedel-Strängen geflochten; sie haben Risse in den schwarzen Kapuzen geflickt, die sie bei der Prozession tragen werden, um ihre Demut zu demonstrieren. Der Hermano-Älteste - Amadeos spindeldürrer Großonkel, grand-tío Tíve, der sie alle überraschte, indem er den nichtsnutzigen Sohn seiner Nichte auswählte - spielt auf der pito, entlockt ihr hohe klare Flötentöne.

Heute Morgen beim Aufwachen hatte Amadeo die Idee, das Kreuz mit Nägeln zu beschlagen, um es noch etwas schwerer zu machen. Er hält den Hammer mit beiden Händen hoch über den Kopf und lässt ihn krachend niedersausen. Die Bretter federn, das Geräusch prallt von den Mauern der Morada ab, trifft auf die Idle Hour Cantina auf der anderen Seite der Gasse.

Amadeo bricht der Schweiß aus, was ungewohnt für ihn ist. Normalerweise schwitzt er beim Essen oder wenn er zu viel trinkt, aber nicht bei körperlicher Arbeit. Amadeo ist dreiunddreißig Jahre alt, genau wie Jesus damals. Leider hat er nicht den geringsten Ehrgeiz. Seine Mutter kann das bestätigen, auch wenn es ihr fast das Herz bricht. Yolanda kocht noch ­immer für ihn, stellt ihm jeden Tag sein Essen hin.

Heute Nachmittag allerdings legt er sich so ins Zeug, dass sogar seine Tattoos ins Schwitzen kommen. Plötzlich hat er das Gefühl, seinen Körper zu verlassen und sich von außen zu ­sehen. Ein flammendes Herz Jesu pocht auf seiner linken Brust, Schweiß tropft von der Spitze des blutverschmierten Dolchs auf seinem Bizeps und die Rosen, die sich an seiner linken Seite hochranken, erblühen unter der körperlichen Anstrengung. Auf seinem Rücken glänzt die Jungfrau von Guadalupe, drei vertikale Narben durchschneiden ihr Kleid - die sellos, die ­geheimen Zeichen der Hermandad. Die wulstigen und noch frischen rosa Schnitte, jeder so lang wie eine Männerhand, sind der Beweis für seine Aufnahme in die Bruderschaft.

Obwohl Amadeo sein ganzes Leben in Las Penas verbracht hat, sieht er das Dorf heute mit ganz neuen Augen: Die Konturen sind schärfer, die Farben reiner. Das Unkraut entlang des Zauns, die Latten des Zauns selbst, die wogenden Wipfel der Pappeln sind überdeutlich und strahlen etwas Unwirkliches aus. Die Sonne, die hinter Amadeo untergeht, taucht die Morada in orangerotes Licht, ihre Umrisse zeichnen sich scharf gegen den Himmel ab. Er schlägt mit dem Hammer zu, trifft jeden Nagel exakt auf den Kopf, genießt die fließenden Be­wegungen, die allmähliche Ermattung seiner Muskeln. Er ist mit sich im Reinen, jeder Handgriff sitzt. Diese Rolle ist seine Bestimmung.

Dann schlägt er den letzten Nagel ein und er ist wieder zurück in seinem Körper. Die Hermanos packen zusammen und machen sich auf den Heimweg.

--

Als Amadeo in die Kieseinfahrt einbiegt, sieht er seine Tochter Angel auf der Treppe sitzen. Sie wohnt bei ihrer Mutter in ­Española und er hat sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Dass sie im achten Monat schwanger ist, weiß er von seiner Mutter, und die weiß es von Angel.

Weißes Tanktop, schwarzer BH, ein goldenes Kreuz, das auf ihre Brüste zeigt, für den Fall, dass man sie nicht bemerkt hat. Ihr Bauch ist prall und rund wie ein horno, ein Backofen. Die obersten Knöpfe ihrer Jeans stehen offen, scheinen zu signa­lisieren: Schaut her, so leicht kann´s passieren. Sie hat diese Woche Geburtstag. Am Karfreitag wird sie sechzehn.

»Mist«, flucht Amadeo, zieht die Handbremse an. Die letzte Woche war die wichtigste Woche im Leben Jesu. Da ist alles Entscheidende passiert. Deshalb sollte er sich mit dem Kreuzestod und der Auferstehung beschäftigen und nicht mit seiner minderjährigen schwangeren Tochter. Er wirft einen nachdenklichen Blick auf den am Rückspiegel baumelnden Rosenkranz.

Offenbar hat Angel seinen Gesichtsausdruck nicht gesehen, denn sie steht lächelnd auf und winkt ihm mit beiden Händen. Mit vorgestrecktem Bauch kommt sie auf seinen Pick-up zu. Dann bleibt sie stehen, dreht sich halb zur Seite, um ihm ihre Kugel vorzuführen.

Sie hat eine große goldene Umhängetasche dabei und eine Reisetasche - Marlboro lässt grüßen. Er steigt aus und Angel umarmt ihn ungestüm, drückt dabei ihren Bauch gegen seinen.

»Ganz schön dick, was? Hab mir gerade erst ´ne neue Hose gekauft und jetzt ist die schon wieder zu eng.«

»Hey.« Er klopft seiner Tochter zögerlich auf den Rücken, zwischen die BH-Träger, dann tritt er einen Schritt zurück. »Was gibt´s?«, fragt er. Das klingt nicht gerade begeistert, aber er will nicht, dass sie denkt, sie wäre willkommen, nicht mitten in der Karwoche und schon gar nicht, wenn seine Mutter verreist ist.

»Hatte Zoff mit Mom, also hab ich ihr gesagt, sie soll mich zu dir fahren.« Sie sagt es ganz unbekümmert. »Ich hatte keine Ahnung, wo ihr seid, du und Gramma. Ich sitz seit mindestens zwei Stunden hier und bin schon halb verhungert. Schwangere müssen ordentlich was essen. Ich wär beinah bei euch eingebrochen, bloß um mir ein Sandwich zu machen. Habt ihr nicht eure Handys gecheckt?«

Amadeo hakt die Daumen in seine Hosentaschen, schaut zum Haus, dann wieder auf die Straße. Die Sonne ist verschwunden, der Abendhimmel ist stahlblau.

»Zoff?« Es bereitet ihm eine leise Genugtuung, dass Angel sauer auf ihre Mutter ist. Marissa hat ihm immer das Gefühl gegeben, unzulänglich zu sein.

»Ich will nicht drüber reden«, sagt Angel entschieden. »Was mein Kind und ich jetzt brauchen, ist familiäre Unterstützung. Und das hab ich ihr auch gesagt.«

»Ich bin grad ziemlich beschäftigt«, sagt er mit gespieltem Bedauern und schüttelt den Kopf. »Es passt jetzt wirklich schlecht.«

Angel wirkt nicht gekränkt, nur neugierig. »Wieso denn? Hast du einen Job oder so was?«

Sie nimmt ihre Reisetasche und geht auf die Haustür zu, schwankt unter dem Gewicht ihres Gepäcks. »Meine Mom ist nicht da«, ruft er ihr nach. Es ist ihm peinlich, ihr den wahren Grund zu sagen, weshalb er sie nicht hier haben will, nämlich, dass er sich voll und ganz seinen Pflichten als penitente, als Büßer, widmen muss.

»Wo ist denn Gramma?«, fragt sie besorgt. Sie hält die Fliegengittertür mit der Hüfte auf und wartet darauf, dass er die Tür aufschließt.

»Hör mal, ich hab diese Woche ´ne Menge um die Ohren.« Atemlos spricht er weiter: »Ich trag nämlich dieses Jahr das Kreuz. Ich bin Jesus.«

»Ach so, okay. Aber sie ist doch bald wieder zurück, oder?«

Yolanda ist gleich zu Beginn der Parlamentsferien in Urlaub gefahren, kurz vor der Karwoche, als Amadeo sie am meisten gebraucht hätte. »Wer weiß, vielleicht bleib ich ja auch ganz dort«, hatte sie leichthin gesagt, während sie ihre Sachen packte. »Vegas ist toll. Die Shows, die vielen Lichter, der ganze Trubel.«

»Sie hat nicht gesagt, wann sie zurückkommt. Wahrscheinlich Ende nächster Woche.«

Mit einem theatralischen Seufzer lässt Angel ihre Reise­tasche und ihre Umhängetasche auf den Küchenboden fallen. Erst da wird Amadeo klar, dass er beim Tragen hätte helfen sollen. Aber ihr scheint es gar nicht aufgefallen zu sein. Sie ­redet immer noch ohne Punkt und Komma.

»Und dann hab ich zu Mom gesagt: Egal, dann geh ich halt zu Gramma. Der bin ich wenigstens wichtig. «

--

Während Angel ihnen abends etwas zu essen kocht - eine Dose Chili über einen halb garen Kürbis kippt und dazu Käsebrötchen aufbackt -, erzählt sie ihm von Lebensmittelgruppen und gesunder Ernährung und übernimmt dann das Kommando über den Fernseher. »Siehst du, mein Schatz?«, sagt sie zu ­ihrem Bauch. »Das Kälbchen geht wieder in den Stall zurück. Und da gehört´s ja auch hin.«

Amadeo hat sich in eine Ecke der Couch verzogen und fühlt sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er überlegt, wann er das letzte Mal mit seiner Tochter allein war, kann sich aber nicht mehr erinnern. Vielleicht an Weihnachten vor zwei oder drei Jahren; er weiß noch, wie er ziemlich verlegen hier gesessen und Angel nach ihren Lieblingsfächern gefragt hat, während Yolanda im Supermarkt oder bei irgendwelchen Nachbarn war.

Er reibt sich nervös die Oberschenkel, fährt sich mit der Zunge durch den Mund. Die Porzellanpuppen in ihren Rüschenkleidchen, die zwischen Schnapsgläsern und anderen Souvenirs in Yolandas Vitrine sitzen, starren ihn mit gläsernen Augen an. Mit einem mulmigen Gefühl denkt er an Tío Tíve. Was würde er davon halten, dass Angel hier ist? Ein Kind der Sünde, das selbst gesündigt hat.

»Tja«, sagt Amadeo. »Deine Mom will dich doch bestimmt bald wieder zurückhaben, oder?«

»Sie muss kapieren, dass sie nicht der einzige Mensch in meinem Leben ist. Sie muss lernen, mich zu respektieren.«

Amadeo knetet seinen Oberschenkel. Er kann sie unmöglich wegschicken. Yolanda würde ihm die Hölle heiß machen. Er wünschte, seine Mom wäre hier. Yolanda und Angel stehen sich...

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Kirstin Valdez Quade hat bisher mit Night at the Fiestas hochgelobte Erzählungen veröffentlicht, für die sie vielfach ausgezeichnet wurde. Ihre Texte, die sich häufig um das Leben von Latino-Familien im Südwesten der USA drehen, sind u. a. im New Yorker und der New York Times erschienen. Sie unterrichtet Creative Writing an der Stanford University.