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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Satyr Verlagerschienen am01.09.2012
Sie nennen es Gentrifizierung. Den Prozess kennen inzwischen alle Großstädte: die rasante Aufwertung ganzer Stadteile und die Vertreibung derer, die dort vorher gelebt haben. Die Kontroversen darüber werden verbissen diskutiert und mit harten Bandagen ausgefochten. Zeit, den Prozess mal satirisch zu betrachten! Beiträge zur Gentrifizierungsdebatte von Marc-Uwe Kling, Leo Fischer, Tilman Birr, Patrick Salmen, Sebastian 23, Ella Carina Werner, Ahne, Volker Strübing u.v.a.m.

Sebastian Lehmann, 1982 in Freiburg geboren, lebt seit 2003 in Berlin. Er ist Mitglied der Kreuzberger Lesebühne 'Lesedüne', tritt bei Poetry Slams in ganz Deutschland auf und moderiert den 'Kreuzberg Slam'. 2011 erschien bei Satyr sein Episodenroman 'Sebastian. Oder: Das Leben ist nur ein Schluck aus der Flasche der Geschichte'. Volker Surmann lebt seit 2002 in Berlin und gab zuletzt mit Heiko Werning die Anthologie 'Fruchtfleich ist auch keine Lösung' zur Ernährungsdebatte heraus.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR12,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextSie nennen es Gentrifizierung. Den Prozess kennen inzwischen alle Großstädte: die rasante Aufwertung ganzer Stadteile und die Vertreibung derer, die dort vorher gelebt haben. Die Kontroversen darüber werden verbissen diskutiert und mit harten Bandagen ausgefochten. Zeit, den Prozess mal satirisch zu betrachten! Beiträge zur Gentrifizierungsdebatte von Marc-Uwe Kling, Leo Fischer, Tilman Birr, Patrick Salmen, Sebastian 23, Ella Carina Werner, Ahne, Volker Strübing u.v.a.m.

Sebastian Lehmann, 1982 in Freiburg geboren, lebt seit 2003 in Berlin. Er ist Mitglied der Kreuzberger Lesebühne 'Lesedüne', tritt bei Poetry Slams in ganz Deutschland auf und moderiert den 'Kreuzberg Slam'. 2011 erschien bei Satyr sein Episodenroman 'Sebastian. Oder: Das Leben ist nur ein Schluck aus der Flasche der Geschichte'. Volker Surmann lebt seit 2002 in Berlin und gab zuletzt mit Heiko Werning die Anthologie 'Fruchtfleich ist auch keine Lösung' zur Ernährungsdebatte heraus.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783944035017
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum01.09.2012
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1579 Kbytes
Artikel-Nr.2750744
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
hier isses nicht anders
als woanders

julius fischer

Wenn in Berlin ein Haus umfällt, dann wissen alle Bescheid, ah ja, da, im Prenzlauer Berg, direkt neben dem Laden mit den Weinbergschneckencroissants, wo Marvin und Constanze ihren Laden haben, eine Mischung aus Boutique und Café, ein Bouticafé, bei dem wir noch froh sein können, dass sie ihn nur »Süßstoff« genannt haben und nicht »CoMa«, wegen Constanze und Marvin.

In Leipzig gibt es solche Läden auch, aber es kennt sie eben keiner.

Leipzig gilt nur einer ausgewählten Gruppe von Studenten und Frührentnern mit akademischem Hintergrund als interessante Adresse.

Ab und zu kommen Nazis vorbei, aber die müssen schon am Hauptbahnhof die Schuhe ausziehen und verlieren damit ihre militärische Ordnung, denn dann offenbart sich die echte rechte Natur, und man kann wohl so viel verraten: Braun ist eine recht seltene Sockenfarbe. Was, wenn die Renee-Freundin am Tag vor der Demo Waschtag hatte und nun nur noch ein paar eingelaufene Diddl-Socken zur Verfügung stehen â¦

Wie in Berlin, nur ohne dass davon Notiz genommen wird, ziehen in Leipzig alle paar Jahre Leute von dem einen in den anderen Stadtteil, weil es in ersterem zu teuer geworden ist, in letzterem aber nicht nur die Mieten günstiger sind, sondern auch auf der einen Hauptstraße zwei total schnuckelige Cafés aufgemacht haben, die von den Wohngemeinschaften oben drüber bewirtschaftet werden.

Toll!

Ich bin auch umgezogen, allerdings innerhalb meines Stadtteils, einfach zwei Straßen höher. Das kann man sich trauen, jetzt, wo die Aasgeier der Gentrifizierung weitergezogen sind.

Stadtteile, die als nicht mehr so hip angesehen werden, finde ich sehr hip.

Keine Studenten, kaum Kleinkinder, alles ein bisschen weniger provisorisch.

Vielleicht bin ich aber auch nur ein Snob.

Mir wurde neulich von einem Übernachtungsgast vorgeworfen, ich sei in der gehobenen Mittelschicht angekommen, weil ich ihm zwei unterschiedliche Sorten Käse vorsetzte, die nicht einer »ja!«-Packung »Aufschnitt light« entstammten.

Ich wohne einfach gerne gut, ohne daraus gleich ein Happening zu machen.

Ich bin Freund sanierter Altbauwohnungen, wo man nicht mehr auf halber Treppe dem Nachbarn dabei zuhören muss, wie er mit einer Leidenschaft, die er bei der Lebensplanung manchmal vermissen lässt, seinen Verdauungsapparat derart bemüht, dass ein postmoderner Künstler beim Hören der Audioaufnahmen vor Entzücken in Ohnmacht fallen würde.

Diese Auffassung kann natürlich auch negative Auswüchse haben, Stichwort: repräsentative Neubauten. In Leipzig wurde scheinbar ein wildgewordener, cracksüchtiger Baubürgermeister auf die Innenstadt angesetzt. Wo man hinsieht, Glas und Beton vor den alten Fassaden.

Ich frage mich, wie viele Universitätshauptbauten die Stadt seit dem Bestehen dieser heiligen Institution gesehen hat. Zehn oder zwanzig? Und dann pisst man auf die Tradition und klotzt an die DDR-Struktur ein bißchen Beton dran, baut eine Kirche nach, die aussieht wie aus Lego, putzt die Flure und nennt das Fortschritt?

Das einzig Positive am Augustusplatz in Leipzig, der vor sogenanntem Fortschritt nur so strotzt, ist der Umstand, dass es dort kein Café gibt, von welchem man Übersicht über den ganzen Platz hätte.

Ich denke, wenn ich Kaiser bin, werde ich als Erstes die Architekten verbieten. Ich bräuchte irgendeinen fadenscheinigen Grund ⦠- Nö, bräuchte ich nicht, ich wäre ja Kaiser.

An die Stelle der Architekten würden Restaurateure treten, Spitzenkräfte mit Blick fürs Alte. Herrlich wäre das.

Ich bin ja nicht gegen Fortschritt. Fortschritt fetzt. Weiterkommen ist super, immer schön upleveln, die Gesellschaft.

Ich verstehe nur nicht, wie das Gehirn des Menschen sich stetig weiterentwickelt, aber die Augen nicht. Oder der Sinn für das Schöne, Bewahrenswerte.

Eine andere Möglichkeit ist die der Eigeninitiative, sprich, man übergibt alle restaurationswürdigen Gebäude einer Gruppe von Hippies, die ein alternatives Hausprojekt daraus machen.

Dagegen habe ich nichts, mir fehlt nur für so etwas einfach die Zeit, das handwerkliche Geschick und die Ideale. Ich habe selbst Freunde in alternativen Hausprojekten.

Hin und wieder besuche ich sie, sitze im Hinterhof, das Lagerfeuer flackert, alle trinken Wein und diskutieren über Anonymous. Dann denke ich: Wie schön wäre das, hier zu bleiben und mich in eine Ecke zu legen, zusammen mit den Hunden und dem Punker, der vorübergehend keine Bleibe hat. Aber eigentlich bin ich nicht so einer. Ich glaube nicht an den Kommunismus.

Wer seine eigenen Bedürfnisse immer hinter die der Gruppe zurückstellt, der wird mit der Zeit depressiv oder aggressiv. Oder beides.

Ich bin wahrscheinlich ein Opportunist, aber dafür habe ich immerhin keine Dogmen.

Die Freunde wohnen im Leipziger Westen, einer Gegend, in der das einsetzt, was manche Leute mit der Bezeichnung »Gentrifizierung« versehen. Die Straßen sind gepflastert, die Häuser unsaniert, genau der richtige Ort für Künstler, Studenten und andere Menschen, deren Wunsch nach Gestaltung hyperaktive Züge erreicht. Das war so im Süden, das ist jetzt so im Westen und irgendwann, in zehn Jahren, wird es irgendein anderes Gebiet sein, vielleicht Halle.

Das ist der Lauf der Dinge, und wenn mir wieder jemand mit Gentrifizierung kommt, weise ich gerne auf das Spiel Die Gilde 2 hin. Ich denke, alle Probleme in der Welt können behoben werden, indem man schaut, wie das in Computerspielen läuft. Wenn beispielsweise das Leben der Menschheit von Dämonen mit hundert Affenköpfen bedroht ist, bedarf es nur eines Auserwählten, der seine Skills durch Cheaten in die Höhe schraubt, um zum Schluss den Endgegner zu köpfen. Also mehrmals. Sind ja hundert Affenköpfe.

In der Gilde 2 jedenfalls geht es darum, in einem Dorf ein Wirtschaftsimperium aufzubauen. Wächst das eigene Imperium, wächst auch das Dorf. Man beginnt als Bauer und bäckt Graubrot. Büke man Kuchen, wäre dieser ein Ladenhüter, da die anderen Dorfbewohner arme Schweine sind, die sich die Dukaten fürs Graubrot mühevoll in ihren eigenen Betrieben (zum Beispiel »Räubernest«) erarbeiten müssen. Steigt die Begütertheit der People, kaufen sie Kuchen wie blöde, als hätte Marie Antoinette ein Thesenpapier an die Dorfkirche gehängt. Und so geht das weiter, später gibt es dann die Optionen »Bio-Brötchen« und »vegane Sachertorte«.

So ist es bei mir auf der Straße auch. Plötzlich, nach einigen Jahren florierender Geschäfte haftet an jedem zweiten Einzelhandel in den umliegenden Blocks ein Zettel mit dem Hinweis »Wegen Renovierung geschlossen«. Aus dem schäbigen Hähnchengrill mit angeschlossenem Dönerspieß wird ein orientalisches Bistro, aus dem Hippiekeramikladen wird ein Hippiekeramikladen, aber man hat mehr Auswahl und die Duftkerzen wechseln alle drei Tage. Aus dem Büro des Bauingenieurs Dipl. Ing. Herbert Dippel wird die »Bauen by Dippel Inc«.

Ist doch klasse, kann man sich doch mal für die freuen.

Ich meine: Klar, sobald ein BASE-Laden im Erdgeschoss aufmacht, muss man aufpassen.

Da gilt die Devise: Böser Blick vom Morgengrauen bis in die Dämmerung.

Nur reicht das manchmal nicht.

Man muss es irgendwie schaffen, Stadtteile attraktiv zu machen, ohne sie attraktiv zu machen.

Hier einige Vorschläge:

1. Alle Investoren töten. Schwierig! Man bräuchte schon das geheimdienstlerische Potential der Vereinigten Staaten oder

2. eine Atombombe, um sicherzugehen, dass wirklich niemand auf die Idee kommt zu investieren. Sehr sichere, wenn auch mit ein paar kleinen Problemen in der Nachbereitung behaftete Methode.

3. Den Stadtteil abriegeln: Einem kleinen, bekannten gallischen Dorf gleich, da hatte ja auch kein Römer Lust, einen - sagen wir - Pizzaverleih aufzumachen. Man könnte das als Performance aufziehen, alle, die da einziehen, müssten mitmachen, jeder trüge Umlandhosen (vorne Cord, hinten Karo) und Hooligan-Inseln auf dem Kopf und jeder »Fremde« würde angepöbelt werden. Und zum Einkaufen geht s per Assi-Shuttle in die Innenstadt, da ist eh nix mehr zu retten. Das wäre Assi-milation.

4. Nicht via Twitter über Gentrifizierung aufregen, sondern einfach das Handy wegwerfen und in die Uckermark ziehen.

Oder 5., um die Kritik für alle sichtbar zu machen, sollte man sich am Elsterufer eine Lehmhütte bauen und sich Bisamratten und Großstadtkabeljaue direkt von der Angel weg grillen.

Aber es wird nicht lange dauern, bis junge Herren in Cord-jackets und Mädchen in viel zu...
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Kritik
"Herrlich boshaft-satirisch. Mehrere Autoren betrachten die Veränderungen in ihren Vierteln auf unterhaltsame und kritisch-ironische Weise. Ein lesenswertes Experiment."[Quelle: Halterner Zeitung]"Sie kennen sich gut aus mit den Emotionen, die der Begriff "Gentrifizierung" wie nur wenige im großstädtischen Gemüt hochkocht. Sie erzählen böse-ironische Geschichten von der Hipster-Front oder stimmen mit pamphletistischer Lyrik Protestsongs an. Das ist alles sehr amüsant zu lesen."[Quelle: Schrägstrich]mehr

Autor

Sebastian Lehmann, 1982 in Freiburg geboren, lebt seit 2003 in Berlin. Er ist Mitglied der Kreuzberger Lesebühne »Lesedüne«, tritt bei Poetry Slams in ganz Deutschland auf und moderiert den »Kreuzberg Slam«. 2011 erschien bei Satyr sein Episodenroman »Sebastian. Oder: Das Leben ist nur ein Schluck aus der Flasche der Geschichte«. Volker Surmann lebt seit 2002 in Berlin und gab zuletzt mit Heiko Werning die Anthologie »Fruchtfleich ist auch keine Lösung« zur Ernährungsdebatte heraus.