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Brief in die Oase

Hundert Gedichte
von
BuchGebunden
304 Seiten
Deutsch
Carl Hanser Verlagerschienen am04.02.2006
Die umfangreichste Auswahl von Gedichten des russischen Nobelpreisträgers in deutscher Sprache. Joseph Brodsky war ein Dichter vielfältiger Masken und Metamorphosen, ein russischer Odysseus und vom Tod besessener Ironiker, ein Liebeselegiker, Exilant und Erforscher der Zeit, ein eingefleischter Skeptiker und energischer Verteidiger von Wert und Würde der Poesie. Mit diesem vorbildlich übersetzten Durchgang durch sein Werk erschließt sich erstmals der phänomenale Facettenreichtum des unvergessenen Lyrikers.mehr

Produkt

KlappentextDie umfangreichste Auswahl von Gedichten des russischen Nobelpreisträgers in deutscher Sprache. Joseph Brodsky war ein Dichter vielfältiger Masken und Metamorphosen, ein russischer Odysseus und vom Tod besessener Ironiker, ein Liebeselegiker, Exilant und Erforscher der Zeit, ein eingefleischter Skeptiker und energischer Verteidiger von Wert und Würde der Poesie. Mit diesem vorbildlich übersetzten Durchgang durch sein Werk erschließt sich erstmals der phänomenale Facettenreichtum des unvergessenen Lyrikers.
Zusatztext"Am schönsten sind Joseph Brodskys Gedichte und ihrer selbst am sichersten, wenn sie Momente der Liebe beschwören, Orte und Dinge. Bei der Lektüre der neuen, Brodskys Lebenswerk in deutschen Übersetzungen umspannenden Anthologie "Brief in die Oase" beginnt man zu ahnen, wie es der 1940 geborene russische Lyriker, der 1987 mit dem Nobelpreis geehrt wurde, wagen konnte, sich dem Druck der eigenen Forderung auszusetzen, daß im Schaffen von Gedichten die höchste Bestimmung des Menschseins zu erreichen sei. ... die Texte des von Ralph Dutli betreuten Bandes belegen, daß es nun einen Ton für diesen Dichter im Deutschen gibt, der es mit den Tönen der großen deutschen Dichter aufnehmen kann."
Hans Ulrich Gumbrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.03.06

"Die umfangreiche Gedichtauswahl - nun zum zehnten Todestag des Dichters erschienen -, ist eine tolle Sache und war schon lange fällig. ...Wer also will, kann zugreifen und den intellektuellen und sinnlichen Abenteuern eines der größten Lyriker des 20. Jahrhunderts folgen."
Olga Martynova, Die Zeit, 12.04.06

"Es handelt sich um ein famoses Buch, sogar für jene, die von Dichtung ohnehin abhängig sind. Denn es vergrößert den bisherigen Radius um Josef Brodsky. Und für alle anderen könnte es die bestmögliche Hausfibel zum Vermögen der Lyrik des 20. Jahrhunderts sein."
Hauke Hückstädt, Frankfurter Rundschau, 22.03.06

"Wer Brodskys Lyrik in Dutlis kongenialer Übertragung liest, taucht in eine poetische Sprachwelt ein, die den Sinn nicht auf den Begriff reduziert, sondern eine eigene Lautwahrheit begründet."
Ulrich M. Schmid, Neue Zürcher Zeitung, 15./16.04.06

"Brodskys Gedichte sind reinste Herzschläge, die vom Leben zeugen, indem sie den Tod nachahmen."
Anastasia Telaak, Jüdische Allgemeine, 16.03.06
Details
ISBN/GTIN978-3-446-20733-2
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
FormatPappband
Erscheinungsjahr2006
Erscheinungsdatum04.02.2006
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
MasseBreite 154 mm, Höhe 216 mm, Dicke 32 mm
Gewicht527 g
Artikel-Nr.10690502
Rubriken

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Lagune
I

Drei alte Frauchen mit Strickzeug in tiefen Sesseln
debattieren in der Halle über die Leiden Christi;
die Pension »Accademia« segelt verpaart
mit dem Weltall Richtung Weihnacht zum Gedröhne
des Fernsehers; unterm Arm das Hauptbuch dreht der
Mann vom Empfang das Steuerrad.


II

Über die Gangway steigt an Bord, auf sein Zimmer tastend
der Gast, eine Flasche Grappa in seiner Tasche,
ein völliger Niemand, ein Mensch im Regenmantel,
der Erinnerung, Vaterland und den Sohn zurückließ;
seinen Rücken vermißt (aus Espenholz) ein dicker Knüppel,
wenn überhaupt wer! den vom Leben Verbannten.


III

Venedigs Kirchen bimmeln wie hellklingende
Teeservice aus dem Kästchen hervor als zufällige
Lebenszeichen. Der bronzene Krake
des Lüsters leckt im von Entengrün überzogenen
Spiegel die Werkbank, das von Tränen, Liebkosungen
und schmutzigen Träumen feuchte Laken.


IV

Nachts läßt die Adria per Ostwind den Canal Grande
bis obenhin vollaufen wie eine Badewanne
und wiegt die Gondeln; kein Ochse bläst
die Nüstern auf am Kopfende, Fische bloß ragen
in die Nacht und ein Seestern mischelt am Rolladen
mit seinen Strahlen solange du schläfst.


V

So also werden wir leben, begießen mit dem toten
Wasser und Glas der Karaffe das nasse Lodern
der Grappa-Glut, zerteilen die Brachse
statt der Weihnachtsgans, daß uns sättigend tröste
Dein aus dem Wasser stammender Vorfahr, Erlöser,
in dieser Nacht, der winterkalt-nassen.


VI

Eine Weihnacht ohne Schnee, Tanne und Engel
an diesem Meer, dem von der Karte beengten;
ihre Weichtier-Schale zur Tiefe sinken läßt,
ihr Gesicht verbergend, doch gern ihren Rücken
zeigend: die Zeit, sie steigt aus den Wellen, verrückt den
Zeiger am Turm ? den einen jetzt.


VII

Versinkende Stadt wo die feste Vernunft
sich auflöst in feuchte Augen und besten Sumpf,
wo der südliche Bruder der nördlichen Sphinx,
der geflügelte Löwe, beim Lesen und Denken
das Buch nicht zuklappt und schreit: Los, kämpfe!
sondern glücklich im Geplätscher der Spiegel versinkt.


VIII

Eine Gondel schlägt gegen die morschen Pfähle.
Der Laut verneint sich selber, die Worte fehlen
und das Gehör. Vor jener finsteren Macht
wo die Arme sich emporrecken wie Nadelwälder
vor einem kleinen, verschlagenen Dämon
daß der Speichel im Mund zu Eis erstarrt.


IX

Kreuzen wir also mit der linken, samt eingeparkten
Krallen in der Armbeuge, die rechte Pranke;
so ergibt sich eine Geste ähnlich fast
wie Hammer und Sichel. Wie bei Gogol
ein Teufel der Hexe ? zeigen wir sie tapfer der Epoche
die jedem Albtraum gleicht der zu ihr paßt.


X

Der Körper im Regenmantel bewegt sich schon oft nun
in Sphären wo Sophia, Glaube, Hoffnung
und Liebe ohne Zukunft sind und schlicht
die Gegenwart von immer ist, wie bitter die Küsse
auch schmecken von Ebré und Gojimsmiezen
und der Stadt wo keinerlei Spur der Schritt


XI

hinterläßt ? wie der Kahn auf all den Wasser-
flächen, und dahinter jeder Raum gefaßt in
Ziffern Richtung Nullpunkt blickt
und keine tiefen Spuren läßt auf Plätzen
die breit sind wie ein »Lebwohl« und in engsten
Gassen schmal wie ein »Ich liebe dich«.
XII

Turmspitzen, Säulen, Schnitzereien, modellierte
Bögen, Brücken und Paläste; schau doch lieber
hinauf und das Lächeln des Löwen fällt
ins Auge auf dem vom Wind wie einem Kleid umpackten
Turm, unerschüttert wie ein Halm fern-vom-Acker,
umgürtet von der Zeit statt von Gebrüll umgellt.


XIII

Nacht über San Marco. Ein Passant mit zerknittertem
Gesicht vergleichbar in diesem Dunkel mit dem
vom namenlosen Finger gestreiften Ring kaut
an den Nägeln und schaut umfangen von der Stille
in jenes »Nirgendwohin« wo der Gedanke vielleicht
verweilen kann, die Pupille ? kaum.


XIV

Dort im Nirgendwo, hinter seinen Grenzen ?
den schwarzen, farblosen, möglich auch weißen ?
liegt irgendein Ding, ein Gegenstand.
Vielleicht ein Körper. In dieser Epoche der Reibung
ist Lichtgeschwindigkeit Blickgeschwindigkeit weitum
auch dann wenn das Licht verschwand.

1973
(Ralph Dutli)
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Autor

Joseph Brodsky, 1940 in Leningrad geboren, wurde nach einem Prozess wegen "Parasitentums" und fünfjähriger Zwangsarbeit 1972 aus der Sowjetunion ausgebürgert. Mit Hilfe des Dichters W. H. Auden emigirierte er in die USA, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1996 lebte. 1987 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Im Hanser Verlag erschien 2006 Brief in die Oase, eine umfangreiche und repräsentative Auswahl aus Brodskys dichterischem Werk.
Brief in die Oase