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MordsSchweiz 2

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am09.08.2023
Die Schweiz: Ein Land mit vier Amtssprachen und schier unendlichen Möglichkeiten. Da wird gemordet, gerächt, gestohlen und gemauschelt. In 23 Geschichten berichten Autorinnen und Autoren vom kriminellsten Pflaster der Schweiz, einem Mann, der vom Himmel fiel, einer Flaschenpost im Meer und einem Raubüberfall nach Genfer Art. Ihre blutige Spur führt von Basel nach Graubünden und von St. Gallen über Zürich bis ins Wallis, in die Waadt und ins Tessin - überall lauert das Verbrechen. Und am Ende landet jeder Verbrecher vor dem Richter oder seinem Henker. Oder etwa doch nicht?

Der Schweizer Autor Paul Ott schreibt unter dem Pseudonym Paul Lascaux. Er wurde 1955 geboren, ist Germanist und Kunsthistoriker. Am Bodensee aufgewachsen, lebt er heute in Bern. In den letzten 40 Jahren hat er vor allem Kriminalromane veröffentlicht. Als Herausgeber von Krimi-Anthologien und Initiator des Schweizer Krimifestivals 'Mordstage« hat er sich einen Namen gemacht. Barbara Saladin wurde an einem Freitag, dem 13. geboren und lebt als freie Journalistin, Autorin und Texterin in einem kleinen Dorf im Oberbaselbiet. Sie schreibt Kriminalromane und Kurzgeschichten, Reiseführer und Theaterstücke, Sach- und Kinderbücher, Artikel und Reportagen, sie textet, fotografiert, recherchiert, lektoriert, moderiert und organisiert. 2017 erhielt sie den Kantonalbankpreis Kultur.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextDie Schweiz: Ein Land mit vier Amtssprachen und schier unendlichen Möglichkeiten. Da wird gemordet, gerächt, gestohlen und gemauschelt. In 23 Geschichten berichten Autorinnen und Autoren vom kriminellsten Pflaster der Schweiz, einem Mann, der vom Himmel fiel, einer Flaschenpost im Meer und einem Raubüberfall nach Genfer Art. Ihre blutige Spur führt von Basel nach Graubünden und von St. Gallen über Zürich bis ins Wallis, in die Waadt und ins Tessin - überall lauert das Verbrechen. Und am Ende landet jeder Verbrecher vor dem Richter oder seinem Henker. Oder etwa doch nicht?

Der Schweizer Autor Paul Ott schreibt unter dem Pseudonym Paul Lascaux. Er wurde 1955 geboren, ist Germanist und Kunsthistoriker. Am Bodensee aufgewachsen, lebt er heute in Bern. In den letzten 40 Jahren hat er vor allem Kriminalromane veröffentlicht. Als Herausgeber von Krimi-Anthologien und Initiator des Schweizer Krimifestivals 'Mordstage« hat er sich einen Namen gemacht. Barbara Saladin wurde an einem Freitag, dem 13. geboren und lebt als freie Journalistin, Autorin und Texterin in einem kleinen Dorf im Oberbaselbiet. Sie schreibt Kriminalromane und Kurzgeschichten, Reiseführer und Theaterstücke, Sach- und Kinderbücher, Artikel und Reportagen, sie textet, fotografiert, recherchiert, lektoriert, moderiert und organisiert. 2017 erhielt sie den Kantonalbankpreis Kultur.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839277805
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum09.08.2023
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11592474
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Wolf
Sabina Altermatt

Der Herbst verdrängt den Sommer. Die Lärchen färben einzelne Astfinger orange, der Rest ist grün wie frisches Gras. Knorrige Stämme ziehen sich mühsam in die Höhe, wehren sich gegen die Schwerkraft. Unten liegt türkisblau der Gletschersee, spiegelt milchig die Wolken. Je mehr sie sich vom Bergrestaurant entfernt, desto lauter werden die Vögel. Und die Glocken.

Sie hat einen Tee getrunken, an einem der großen Bogenfenster gesessen. Den Blick nach Süden. Richtung Poschiavo. Von da ist sie gekommen.

Plötzlich ein scharfer Pfiff, sie zuckt zusammen. Die rote Bahn fährt ein, diesmal aus der anderen Richtung, spült Reisende ins Restaurant und auf die Terrasse. Sie wirken gehetzt. Den Blick auf den Vadret da Palü, den Palügletscher, einfangen, als ob es das letzte Mal wäre, durch seinen stetigen Rückzug an die eigene Vergänglichkeit erinnernd. Der Versuch, mit dem Handy die Zeit anzuhalten, sie einzufrieren, bei steigenden Temperaturen.

Wo vorher seine Zunge war, die bis fast zum See reichte, glitzert ein dünner Bach zwischen felsigen Kanten. Eine wässrige Wunde.

Sie scannt jede Person. Aber er ist nicht dabei. Kann er nicht. Falsche Richtung.

Eine gute Viertelstunde haben die Reisenden Zeit, sich die Umgebung anzueignen. Dann werden sie unwiderruflich weg sein. Kein Zurück. Abfahrt ist Abfahrt.

Eine Frau mit langen Haaren, dunklem Deuxpièces und Gucci-Tasche bestellt gehetzt auf Englisch eine Flasche Weißwein. Doch hier spricht man Italienisch, allenfalls noch Deutsch. Sie stöckelt auf die Terrasse, macht ein Selfie, kommt zurück, wedelt mit der Bankkarte. Die Bedienung sagt »Piano, piano!« und deutet auf den Lokführer. Dieser sitzt am Tresen und nippt an seinem Kaffee. Ohne ihn läuft hier nichts.

Nach zwanzig Minuten hat sich das Restaurant geleert. Wie ein Kinosaal nach einem Film. Zurück bleiben das gebrauchte Geschirr, ein zerknülltes Taschentuch unter einem der Tische - und sie.

Sie bezahlt mit dem Hunderter, der auf dem Küchenregal unter der Zuckerdose gelegen hat. Den hat sie einfach eingesteckt.

Auf dem Vorplatz ist es windig. Sie hätte einen Pullover mitnehmen sollen. Doch zum Überlegen hatte sie keine Zeit. Sie ist in den erstbesten Zug gestiegen.

Dieser schraubte sich in langen Kurven in die Höhe. Sie kannte die Strecke nicht, war sie noch nie gefahren. Sie waren immer mit dem Auto unterwegs. Er am Steuer, sie daneben. Zum Schluss machte die Bahn fast eine Dreihundertsechzig-Grad-Kurve. Ihr wurde schwindlig - und schlecht.

Vielleicht waren es die vielen Kurven. Vielleicht war einfach alles zu viel. Sie musste raus. »Alp Grüm« stand weiß auf dunkelblau. »2091 m. ü. M.« Das tönte gut. Nach Einsamkeit, nach Ruhe. Sie konnte sich zurückhalten, bis der Zug wieder abgefahren war. Dann übergab sie sich direkt unter einem Leitungsmasten. Zwei beinahe schwarze Esel sahen ihr dabei zu.

Der Wind spielt mit ihrem Haar, legt ihr einen wärmenden Schal um den Hals. Schnell schiebt sie es weg. Sie erträgt die Enge nicht. Rollkragen trägt sie schon lange keine mehr. Sie blickt auf den Berg, auf den Gletscher, auf den See. Wolken schleifen an den Bergkanten entlang. Es geht ihr wieder besser. Der Tee hat gutgetan. Aus der Tiefe ertönen Glocken.

Der Wald ist ein warmer Mantel. Zwischen den Bäumen lässt sich der See nur erahnen. Sie lauscht den Glocken, folgt ihrem Klang. Jetzt sind sie fast nicht mehr zu hören, dann werden sie wieder lauter, bündeln den Klang wie ein Kirchengeläut. Sie denkt an den Tod. Bei Kirchenglocken denkt sie immer an den Tod. Ihr tapferes Geläute, als ob sie das Geschehene anklagen würden - oder versuchten sie es ungeschehen zu machen? Und dann das leise Verstummen, zuletzt ein einzelner Schlag. Ein letzter, endgültiger Schlag. Gefolgt von einer lauten Stille, die der fehlende Lärm hinterlässt.

Sie denkt an ihre Heirat. Die Glocken läuteten zum Freudenfest. Und verstummten. Etwas tat sich auf und doch blieb nichts zurück. Ein Hohlraum.

Der Weg wird schmaler. Zu zweit würde man nicht nebeneinanderlaufen können. Doch sie ist allein. Die Glocken kann sie nicht mehr hören. Sie geht trotzdem weiter. Es riecht würzig nach Moos, verdorrten Tannennadeln und Veilchen. Veilchen? Um diese Jahreszeit?

Du bist so dumm. Du weißt nicht einmal, wann die Veilchen blühen.

Veilchen sieht sie keine. Dafür verblühte Weideröschen. Sie nimmt den weißen Flaum, lässt ihn durch die Finger gleiten, pustet ihn weg.

Hat sich da etwas bewegt? Sie dreht sich um. Lauscht. Wohl ein Vogel, der in den Blättern scharrt. Sie geht weiter. Wieder ein Rascheln. Da ist etwas in ihrem Rücken. Sie geht schneller. Dreht sich nicht mehr um.

Du bildest dir alles nur ein. Siehst und hörst Dinge, die es gar nicht gibt. Im Erfinden von Geschichten warst du schon immer gut.

Jetzt hört sie wieder die Glocken. Immer lauter. Sie folgt ihrem Klang. Was das wohl für Tiere sind? Es klingt nicht fröhlich wie eine hüpfende Ziegenherde. Eher wie Kuhglocken. Dumpf. Aber Kühe? Die müsste sie von oben gesehen haben.

Der Weg windet sich weiter den Berg hinab. Die Lärchen ziehen sich zur Seite zurück und geben den Blick auf den Gletscher frei. Oder was von ihm noch übrig ist. Wie eine Schnecke in ihr Haus hat er sich zurückgezogen. Worauf wartet er? Auf bessere Zeiten?

Bei der nächsten Kurve riecht es nach Pilzen. Doch etwas anderes mischt sich in den feucht-moosigen Geruch. Torfig, stechend. Sie hält sich die Nase zu. Geht rasch weiter. Und wieder das Gefühl, jemand ist hinter ihr.

Wer geht schon allein durch den Wald. Nur weil du irgendwelche Glocken hörst? Wenn etwas passiert, ist es deine Schuld. Nur deine. Du hast es so weit kommen lassen. Es sind nicht immer die anderen.

Sie steht vor einem grauen Steingebäude. Wie ein Schloss ragt es in die Höhe. Eine Rampe führt Richtung See. Die Glocken sind ganz laut, und jetzt sieht sie deren Ursprung. Drei Pferde stehen dicht beieinander unter den Lärchen, die Köpfe gesenkt. Ihre Lippen umschlingen Gras, reißen es aus. Sie sieht die mahlenden Backenknochen. Die Augen sind von den langen Mähnen verdeckt. Als sie näher kommt, hebt eines den Kopf, schüttelt die Augen frei. Sie streckt die Hand aus, es bläht seine Nüstern. Sie sind samtig und weich. Sie tätschelt seinen Hals, spürt die Sehnen, die Kraft.

Du hast keine Kraft mehr? Mach einfach, was man dir sagt. Dann bräuchtest du auch nicht so viel Energie. Und halte ab und zu deinen Mund.

Das türkise Wasser zieht sie an. Sie steigt zum See hinunter. Dunkle Hänge ziehen sich in die Höhe, Wolken verschleiern den Übergang von den Bergen zum blauen Himmel. Einer der Hänge ist von der Sonne beleuchtet.

Sie sieht alles zweimal, die zweite Version auf dem Kopf hinter einem milchig weißen Schleier. Sie kniet nieder, taucht die Fingerspitzen in den See und schaut den Wellen zu, die immer größere Kreise ziehen. Bis sie beinahe das gegenüberliegende Ufer erreichen.

Wieder dieses Gefühl im Rücken. Waren ihr die Pferde gefolgt? Sie steht auf. Das hätte sie gemerkt - und vor allem gehört. Die gehen nicht so nahe an den See heran. Doch neben ihr sieht sie Pferdeäpfel auf dem Boden. Sie dreht sich um. Da ist nichts.

Ein Steg führt auf die Halbinsel. Das winzige Steinhaus, das auf einer Anhöhe steht, gefällt ihr. So übersichtlich, jeden Morgen der Blick aufs Wasser.

Du willst ausziehen? Weggehen? Mach nur. Du wirst sehen, was dann mit dir passiert. Du getraust dich gar nicht. Dazu hast du nicht den Mut. Du hattest noch nie Mut.

Sie geht über den Steg. Ein Eisengitter, darunter das Wasser. Macht ein paar Schritte auf das Haus zu. Der Boden vibriert, zuerst kaum merkbar, dann immer stärker.

Sie hört Getrampel, Huftritte, es riecht nach schwitzender Wolle. Sie sieht Schafe, die auf sie zurennen. Geschlossen wie die erste Reihe eines Heeres. Dahinter immer neue. Und Ziegen. Wie ein einziger Organismus kommen sie immer näher. Gäbe es einen Baum, könnte sie sich in seinen Windschatten stellen. Doch da ist keiner. Sie macht ein paar Schritte zurück. Dann bleibt sie stehen. Da ist wieder die Angst.

Was ist eigentlich dein Problem? Du hast doch alles. Einen Mann, der dich liebt, eine Wohnung, genug zu essen. In anderen Ländern herrscht Krieg. Da ist es lebensgefährlich, auf die Straße zu gehen. Und hier? Bist du hier nicht sicher?

Die Schafherde teilt sich, macht im letzten Moment eine Kurve um sie. Das Gefühl, weggeschwemmt zu werden. Sie reißt sich zusammen, geht auf die Tiere zu. Ihr wird schwindlig. Als ob sie in einem stehenden Zug sitzen würde und meint, ihr Zug fahre an, dabei setzt sich nur der Gegenzug in Bewegung.

Ihr wird wieder übel. Sie kann nicht mehr, schließt die Augen, lässt sich gehen, in die Herde. Diese nimmt sie auf. Sie fühlt sich geborgen. Warm und weich. Sie fühlt sich eins mit ihr, ist Teil eines Ganzen.

Plötzlich schrecken die Tiere zurück. Schauen zur Alp Grüm. Laufen in die Richtung, aus der sie gekommen sind. Sie versucht, mit ihnen mitzuhalten. Doch ihr geht die Puste aus. Die letzten Monate haben sie schwach gemacht, kraftlos.

Du schaffst es nicht mal die Treppe hoch. Was ist mit dir los? Stell dich nicht so an! Reiß dich zusammen!

Die Herde ist fast wieder verschwunden. Der Wald verschluckt die allerletzten Schafe. Sie fühlt sich nackt, allein, verwundbar. Sie friert.

Was hat die Herde so erschreckt? Sie schaut zum Ufer, zur Alp...

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