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Dann fressen sie die Raben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Arena Verlag GmbHerschienen am01.07.2012
Nach dem vermeintlichen Selbstmord ihrer Schwester fühlt sich Ruby permanent beobachtet und verfolgt. Jemand steckt ihr das Foto eines toten schwarzen Jungen zu. Warum und was hat das mit den rätselhaften Andeutungen ihrer Schwester zu tun, die um ihr Leben kämpft? Die Polizei hält alles nur für einen schlechten fremdenfeindlichen Scherz. Doch dann steht Ruby plötzlich ihrem Verfolger gegenüber.

Beatrix Gurian (Beatrix Mannel) studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Seitdem schreibt sie Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem unterrichtet sie kreatives Schreiben für alle Altersstufen. Sie lebt mit ihrer Familie in München. Foto © Erol Gurian
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Produkt

KlappentextNach dem vermeintlichen Selbstmord ihrer Schwester fühlt sich Ruby permanent beobachtet und verfolgt. Jemand steckt ihr das Foto eines toten schwarzen Jungen zu. Warum und was hat das mit den rätselhaften Andeutungen ihrer Schwester zu tun, die um ihr Leben kämpft? Die Polizei hält alles nur für einen schlechten fremdenfeindlichen Scherz. Doch dann steht Ruby plötzlich ihrem Verfolger gegenüber.

Beatrix Gurian (Beatrix Mannel) studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Seitdem schreibt sie Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem unterrichtet sie kreatives Schreiben für alle Altersstufen. Sie lebt mit ihrer Familie in München. Foto © Erol Gurian
Details
Weitere ISBN/GTIN9783401801261
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum01.07.2012
SpracheDeutsch
Dateigrösse5161 Kbytes
Artikel-Nr.1230474
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1. Kapitel

»Sie hat was?« Ich kann mir das nicht vorstellen. Doch nicht Lina, meine ach so kluge Schwester.

Pa nickt, und erst jetzt wird mir klar, dass er Tränen in den Augen hat. »Deine Mutter ist völlig am Ende. Niemand versteht, warum sie das getan hat.«

Am liebsten hätte ich ihn geschüttelt. Pa, hätte ich gern zu ihm gesagt, das ist doch nur wieder ein Trick, um sich in Szene zu setzen. Lina liebt theatralische Auftritte. In Linas Welt kreist die Sonne, ach was, nicht nur die Sonne, nein, das ganze Universum dreht sich um sie. Als wir vor drei Jahren gefragt wurden, bei welchem Elternteil wir leben wollten, hat sie im Gerichtssaal eine Tränenshow abgezogen, über der die Richterin völlig vergessen hat, dass ich auch noch da war. Sie hatte schon mit den Schlussworten angefangen, als Pa sich getraut hat nachzufragen, wie denn nun über seine jüngere Tochter Ruby, also mich, entschieden wird.

Ich wollte nicht bei Mama leben, auf keinen Fall, denn sie war es doch, die unsere Familie zerstört hatte. Sie hatte sich in diesen lächerlichen Typen verliebt, den heiligen Dr. Oliver Brandt, der zu allem Übel auch noch mit einem Sohn gesegnet war. Außerdem tat mir Pa furchtbar leid, er war völlig am Boden und verzweifelt, weil Mama ihn verlassen hatte. Ich dachte irgendwie, ich könnte ihm helfen, darüber hinwegzukommen. Und es gab noch einen Grund, aber den konnte ich mir damals wie heute kaum eingestehen: Ich war froh, endlich Linas Schatten zu entrinnen. Denn ganz egal, was ich anfing oder wen ich kennenlernte, immer funkte meine große Schwester dazwischen und stach mich aus.

Lina ist nicht so schön wie unsere Mutter, doch sie hat etwas Strahlendes. Sie ist die Orchidee und ich ein Löwenzahn, sie ist der Duft von Rosen und ich der von Rinde, sie ist ein glühender Komet und ich ein grauer Isarkiesel. Kurzum, die meisten Menschen sind verrückt nach ihr.

Pa setzt sich zu mir auf mein Bett. Er legt seinen Arm um mich. »Ruby, es tut mir sehr leid für dich.« Er drückt mich an sich und ich spüre, wie er zittert. Erst nach einer Weile wird mir klar, dass er krampfhaft versucht, sein Schluchzen zu unterdrücken, und ich schäme mich in Grund und Boden, denn ich fühle nichts.

Mein Vater weint, weil meine Schwester versucht hat, sich das Leben zu nehmen, während meine Gedanken darum kreisen, dass sie höchstwahrscheinlich bloß eine Show abzieht. Ich sehe nicht nur aus wie ein Isarkiesel, sondern habe auch ein Herz aus Stein.

»Was ist denn genau passiert?« Ich rücke ein Stückchen von ihm ab, was Pa sofort so interpretiert, dass mir seine Nähe unangenehm ist. Dabei ist mir doch nur meine eigene Gefühllosigkeit peinlich.

Er strafft die Schultern, putzt seine Brille, dann sehen mich seine grünen Augen prüfend an. »Kleines, sie hat Tabletten genommen und sie mit Alkohol runtergespült. Mehr konnte die Polizei auch nicht sagen.«

»Die Polizei?«

»Die kommt immer, wenn jemand versucht, sich umzubringen.«

»Wieso das denn?«

»Um sicherzustellen, dass es sich nicht um Mord handelt.«

Ich sehe meinen Vater verständnislos an. »Aber wer sollte denn Lina ermorden wollen?«

»Es war ja auch kein Mord. Ein Fremdverschulden wurde ausgeschlossen.«

Das muss ich erst mal verdauen. Daran, dass die Polizei aufkreuzen würde, hat Lina sicher nicht gedacht.

»Und wie geht es ihr jetzt?«

»Den Umständen entsprechend gut, sagt Oliver. Sie wurde auf seine Station im Elisabethenstift nach Schwabing gebracht.«

»Und was heißt: den Umständen entsprechend?« Ich stehe auf und sehe aus der winzigen Dachluke meines Zimmers auf die zwei Wiesen hinter unserem Haus, auf denen gerade die Butterblumen angefangen haben zu blühen. Ein schmaler mit Schilf bewachsener Bach trennt sie voneinander.

»Sie lebt.« Pa atmet laut ein, wie um sich selbst Mut zu machen. »Sie lebt und sie wird keine Schäden zurückbehalten. Aber Ruby, wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass so etwas je wieder geschehen kann. Unsere ganze Familie.« Pa nickt sich selbst zu. »Verstehst du? Auch du, mein Schatz. Wir müssen uns darum kümmern, dass es ihr wieder gut geht.«

Ich drehe mich um. »Gibt es einen Abschiedsbrief?«

Mein Vater runzelt die Stirn. »Warum fragst du das?«

»Weil das bei Selbstmördern doch üblich ist, oder nicht?«

Er zuckt bei dem Wort Selbstmörder zusammen, als hätte ich ihn geschlagen.

»Pa, ich kann einfach nicht glauben, dass Lina so etwas tun würde.« Meine Schwester hat doch gar keinen Grund, sich das Leben zu nehmen. Hatte noch nie einen. Eigentlich verhält es sich eher umgekehrt. Sie bringt die anderen an den Abgrund, sogar mit mir hat sie das einmal gemacht. Es ist knapp ein Jahr her, als auch ich nicht weiterleben wollte. Das war, als Lina mir meine erste und bis jetzt einzige große Liebe ausgespannt hatte. Merlin. Wenn meine beste Freundin Feli damals nicht gewesen wäre, ich weiß nicht, was ich getan hätte.

Später wollte Lina sich entschuldigen, aber das war mir zu billig. Wie einfach, erst großen Mist bauen und dann das Ganze mit einer lahmen Entschuldigung abzutun. Nur, weil sie daran gewöhnt war, sich alles erlauben zu können. Mit allem durchzukommen.

Mein Vater legt mir wieder die Hand auf die Schulter. »Diese ... diese Sache ist für uns alle ein harter Schlag. Anscheinend hat niemand bemerkt, dass es ihr so schlecht geht. Ich hätte ...« Er verstummt und schaut mich hoffnungsvoll an. »Hat sie dir vielleicht etwas gesagt?«

Natürlich nicht. Seit Merlin herrscht Funkstille zwischen uns.

Als ich stumm bleibe, presst er enttäuscht die Lippen zusammen und räuspert sich dann. »Alex behauptet, dass sich Lina in letzter Zeit merkwürdig benommen hat.«

Das lässt mich aufhorchen. Unser schnöseliger Stiefbruder, der gerade mal zwei Jahre älter als Lina ist, behauptet das also? Er wohnt ja nicht mal mehr zu Hause.

»Und warum hat Mam nichts davon mitbekommen?«, frage ich.

Pa fährt sich nervös mit der Hand durch seine lockigen grauen Haare. »Das verstehe ich auch nicht.« Er steht auf und wendet sich zur Tür. »Wir müssen jedenfalls sofort nach München fahren. Lina wird bald aufwachen und dann sollten wir alle bei ihr sein.«

Oh ja, die ganze Familie gibt Linas dramatischer Inszenierung die Ehre! Ich sehe förmlich vor mir, wie sie ihre Augen theatralisch aufschlägt, eins nach dem anderen, und dann mit zarter Stimme »Wo bin ich?« murmelt, bevor sie sich umschaut und ein paar Tränen die Wange herabrollen lässt, perfekt schimmernd wie kleine Kristalle.

»Es gibt also keinen Abschiedsbrief, oder?«

»Nein.« Mein Vater schüttelt den Kopf. »Aber beeil dich jetzt. Und nimm was zum Übernachten mit.«

Damit verschwindet er über die steile knarzende Holztreppe nach unten ins Erdgeschoss und ich wende mich widerwillig meinem Kleiderschrank zu.

Während ich die Sachen zusammenpacke, denke ich an Lina. Ich habe sie nur selten vermisst und überhaupt nicht beneidet, als sie mit Mam in München geblieben ist. Mir gefällt es, auf dem Dorf zu leben, mit all den Bergen um mich herum. Papa und ich sind in unser früheres Wochenendhaus im Allgäu gezogen. Pa arbeitet von zu Hause aus als Architekt und sein Spezialgebiet ist der Umbau alter Bauernhäuser in Energiesparhäuser, wie das, in dem wir wohnen. Hinter den Wiesen unseres Hauses erkennt man eine Zwiebelkirche, deren Läuten mich morgens zuverlässig weckt, und auf einer Koppel hinter dem Haus grast mein Pferd Sonny, das ich vor vier Jahren zu meinem dreizehnten Geburtstag geschenkt bekommen habe und das genauso aussieht wie das von Pippi Langstrumpf, weiß mit schwarzen Flecken. Es steht dort zusammen mit Rasputin, einem Islandpony, das Lina gehört und das ihr jetzt nur noch peinlich ist.

Ich habe nie verstanden, wie Lina auf all das hatte verzichten können, nur um mit Mama und Oliver, unserem Stiefvater, und Alex im ach so coolen München zu bleiben.

Plötzlich schnürt mir ein Gedanke die Kehle zu. Vielleicht hat sie ihre Entscheidung ja doch bereut? Vielleicht hatte sie nur Angst, das zuzugeben? Oder ihr hat einfach keiner zugehört?

Mit Mam kann man nämlich nicht so gut reden wie mit Pa. Sie hört immer nur das, was ihr gefällt, alles andere blendet sie aus, als existiere es nicht. Selbst wenn sie gemerkt hätte, dass Lina todunglücklich war und lieber zu Pa wollte - sie hätte das einfach nicht wahrhaben wollen.

Und ich hätte auch nichts mitbekommen. Meine Schwester und ich haben seit der Sache mit Merlin so gut wie keinen Kontakt mehr, denn ich habe mich seit einem Jahr geweigert, meine Mutter und Lina in München zu besuchen, und alles drangesetzt, damit Lina nicht zu uns kommt.

Ich sinke auf mein Bett, wo unsere beiden großen Kuschelhasen sitzen. Lina hat ihren hiergelassen, er war ihr zu kindisch. Ich nehme sie beide in den Arm, meiner ist weiß, ihrer ist dunkelbraun, und vergrabe mein Gesicht in ihrem weichen Fell. Vor gefühlten hundert Jahren, als wir noch richtig klein waren, haben wir viel mit ihnen gespielt. Ich kann es heute kaum noch glauben, aber früher waren wir wie Zwillinge. Vielleicht, weil wir nur etwas mehr als ein Jahr auseinander sind.

Ihr brauner Kuschelhase heißt Mr Singer und meinen weißen hat Lina den bösen Schenk getauft. Klar, dass meiner der Böse sein musste. Keine Ahnung, wie sie auf Schenk gekommen ist, aber wir beide waren uns einig, dass das ein cooler Name für einen Bösewicht war. Am liebsten spielte sie, dass mein Schenk ihren Mr Singer verfolgen und töten wollte und sie...


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Autor

Beatrix Gurian (Beatrix Mannel) studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Erlangen, Perugia und München. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Redakteurin beim Fernsehen. Seitdem schreibt sie Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden. Für ihre aufwändigen Recherchen reist sie um die ganze Welt. Außerdem unterrichtet sie kreatives Schreiben für alle Altersstufen. Sie lebt mit ihrer Familie in München.Foto © Erol Gurian