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Der falsche Nero

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
420 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am16.01.20131. Auflage
Eine politische Parabel. Ein genialer Streich, ein hintergründiger Racheakt, viel mehr war es nicht, als Senator Varro in den römischen Ostprovinzen den Kaiser Nero, elf Jahre nach dessen Tod, auferstehen ließ. Und sein Coup gelingt. Terenz, der Töpfer, der aussieht wie Nero, spielt seine Rolle erfolgreich. Bis er, eitel und machtbesessen, vergisst, dass er nur eine Marionette ist.



Lion Feuchtwanger, 1884-1958, war Romancier und Weltbürger. Seine Romane erreichten Millionenauflagen und sind in über 20 Sprachen erschienen. Als Lion Feuchtwanger mit 74 Jahren starb, galt er als einer der bedeutendsten Schriftsteller deutscher Sprache. Die Lebensstationen von München über Berlin, seine ausgedehnten Reisen bis nach Afrika, das Exil im französischen Sanary-sur-Mer und im kalifornischen Pacific Palisades haben den Schriftsteller, dessen unermüdliche Schaffenskraft selbst von seinem Nachbarn in Kalifornien, Thomas Mann, bestaunt wurde, zu einem ungewöhnlich breiten Wissen und kulturhistorischen Verständnis geführt. 15 Romane sowie Theaterstücke, Kurzgeschichten, Berichte, Skizzen, Kritiken und Rezensionen hatten den Freund und Mitarbeiter Bertold Brechts zum 'Meister des historischen und des Zeitromans' (Wilhelm von Sternburg) reifen lassen. Mit seiner 'Wartesaal-Trilogie' erwies sich der aufklärerische Humanist als hellsichtiger Chronist Nazi-Deutschlands.
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Produkt

KlappentextEine politische Parabel. Ein genialer Streich, ein hintergründiger Racheakt, viel mehr war es nicht, als Senator Varro in den römischen Ostprovinzen den Kaiser Nero, elf Jahre nach dessen Tod, auferstehen ließ. Und sein Coup gelingt. Terenz, der Töpfer, der aussieht wie Nero, spielt seine Rolle erfolgreich. Bis er, eitel und machtbesessen, vergisst, dass er nur eine Marionette ist.



Lion Feuchtwanger, 1884-1958, war Romancier und Weltbürger. Seine Romane erreichten Millionenauflagen und sind in über 20 Sprachen erschienen. Als Lion Feuchtwanger mit 74 Jahren starb, galt er als einer der bedeutendsten Schriftsteller deutscher Sprache. Die Lebensstationen von München über Berlin, seine ausgedehnten Reisen bis nach Afrika, das Exil im französischen Sanary-sur-Mer und im kalifornischen Pacific Palisades haben den Schriftsteller, dessen unermüdliche Schaffenskraft selbst von seinem Nachbarn in Kalifornien, Thomas Mann, bestaunt wurde, zu einem ungewöhnlich breiten Wissen und kulturhistorischen Verständnis geführt. 15 Romane sowie Theaterstücke, Kurzgeschichten, Berichte, Skizzen, Kritiken und Rezensionen hatten den Freund und Mitarbeiter Bertold Brechts zum 'Meister des historischen und des Zeitromans' (Wilhelm von Sternburg) reifen lassen. Mit seiner 'Wartesaal-Trilogie' erwies sich der aufklärerische Humanist als hellsichtiger Chronist Nazi-Deutschlands.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841206114
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum16.01.2013
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.9
Seiten420 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse794 Kbytes
Artikel-Nr.1238695
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1
Von der Macht

Seit seiner Audienz bei König Mallukh war es Varro klar, daß er sein Unternehmen nicht ernstlich werde fördern können, solange er nicht Marcia dazu vermocht hatte, das Geschöpf zu ehelichen. Tagelang, eine Woche lang, schob er das peinvolle Gespräch hinaus. Dann entschloß er sich und nahm es auf sich.

Weiß, schmal, streng saß Marcia vor ihm. Er redete dies, jenes, drückte herum. Riß sich endlich zusammen. »Es ist hier ein Mann aufgetaucht«, begann er, »den das ganze Zwischenstromland für den Kaiser Nero hält. Du wirst von ihm gehört haben. Dieser Mann bittet um deine Hand.«

Marcia sah ihm aufmerksam auf den Mund. Zunächst begriff sie nicht. Dann begriff sie. Begriff, daß der Vater ihr gleichmütig, als handle es sich um die Einladung zu einem Abendessen, zumutete, in die letzte Erniedrigung hinunterzusteigen. Schreck und Ekel packten sie dermaßen, daß ihr das Herz aussetzte. Aber sie fiel nicht um. Sie hielt sich aufrecht; nur sehr fahl wurde sie, und die Lehnen des Sessels packte sie fester. Varro war längst zu Ende, und sie sprach noch immer nicht. Sie sah weiter auf seinen Mund, als ob noch mehr Worte daraus kommen müßten. Varro schaute zu ihr hinüber, seine peinvolle Spannung nur mit Mühe verbergend.

»Ist der Mann der Kaiser Nero?« fragte endlich Marcia, mit sonderbar trockener Stimme. »Du kennst ihn unter dem Namen eines Töpfers Terenz«, erwiderte, nicht ohne Anstrengung, Varro. Marcia verpreßte den Mund, daß er ganz dünn und scharf wurde. »Wenn ich nicht irre«, sagte sie, »ist das einer deiner Freigelassenen. War nicht sein Vater der Leibeigene, der in unserm Haus in Rom die Wasserleitungen und Latrinenrohre repariert hat?«

Sie dachte: Warum haben sie mich nicht zur Vestalin gemacht, wie die Mutter es gewollt hat? Jetzt lebte ich still und groß in dem schönen Haus an der Heiligen Straße. Bei den Spielen säße ich auf dem Ehrenplatz in der Loge des Kaisers. Beim Fest am Neunten Juni stiege ich zum Capitol hinauf, verehrt von allem Volk, an der Seite des Kaisers. Aber er hat es nicht gewollt, dieser, mein Vater. Er hat mich aufgespart, um mich zu verschachern in seinen dunkeln, schmutzigen Geschäften.

Varro dachte: Ihre Mutter hat mich nie leiden können, weil ich sie aus Vernunft geheiratet habe und weil sie mir gleichgültig blieb. Aus Ressentiment hat sie das Mädchen zur Vestalin machen wollen und es mit lauter Unsinn angefüllt. Damals, als sie ein Kind war, hätte ich mich um sie kümmern müssen. Aber ich hatte zu wenig Zeit. Einem Mädchen mit ihren Begriffen fällt es sicher furchtbar schwer, sich zu dem Geschöpf ins Bett zu legen. Ihre Augen sind ganz starr. Die Gefühle, die sie hat, sind albern, aber sie sind eine Realität, und man muß damit rechnen.

Laut sagte er: »Ich weiß, du findest es unrömisch, unwürdig, daß ich dir das zumute. Allein man kann nicht in Syrien leben, als wäre man in Rom. Du wirst erwidern: Dann soll man eben nicht in Syrien leben. Aber erstens bin ich dazu gezwungen, und zweitens täte ich es auch, wenn mir Rom offenstünde. Ich sage dir, meine Marcia, es lohnt, etwas Würde aufzugeben und dafür das einzutauschen, was einem nur der Osten geben kann. Es wäre mir einfach unmöglich, ohne den Osten zu leben. Ich langweile mich im Westen. Und, ich will ehrlich sein, ich möchte auch auf den Einfluß und die Macht nicht verzichten, die ich nun einmal nur im Osten haben kann.«

Marcia saß da, reglos, schmal. Wie er mich betrügen will! dachte sie voll Haß. Ehrlich will er sein. Mich verschachert er an den Abschaum, und seine gemeinen Gründe wickelt er in lauter großartiges Gerede. »Du sagtest, ich soll die Frau des Töpfers Terenz werden«, erwiderte sie mit höhnisch kalter Sachlichkeit.

Die feindselige Ruhe seiner Tochter erbitterte Varro mehr, als Tränen, Beschwörungen, Verzweiflungsausbrüche es hätten tun können. Schön, dachte er, der Kerl stammt von unten. Aber ich hab an ihrer Mutter nicht viel Spaß gehabt, obwohl sie Senatorentochter war. Sie sollte sich freuen, daß sie ihre verdammte Jungfräulichkeit los wird. Wenn sie erst mit einem Mann im Bett liegt und er sich halbwegs bewährt, kann es ihr dann nicht gleich sein, wessen Sohn er ist?

Laut sagte er: »Wir haben, Nero und ich, in dieses Mesopotamien ein gutes Teil Rom hineingesteckt, Soldaten, Geld, Zeit, Nerven, Leben. Ich will nicht das alles wieder aufgeben, bloß weil die Flachköpfe auf dem Palatin keinen Blick haben über die strategischen Grenzen hinaus und nichts sehen von den wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten, die diesseits des Euphrat liegen. Weil sie keine Phantasie haben, sagen sie, es sei unmöglich, Rom und den Osten zu verschmelzen. Dabei braucht man nur die Augen aufzumachen, und man erkennt heute schon, daß die Menschen und die Städte, die dabei herauskommen, einfach großartig sind. Ich jedenfalls, ich gebe meinen Osten nicht auf. Ich habe mein Geld und meine Zeit hineingesteckt, und ich darf auch von andern Opfer dafür verlangen.«

Marcia hatte all die Jahre hindurch gehofft, ihr Vater werde rehabilitiert werden, sie werde nach Rom zurückkehren und dort ein großes, würdiges Leben führen können. Erst vor wenigen Tagen, als Varro das Gebiet des Reichs fluchtartig hatte verlassen müssen, war ihr diese Hoffnung zusammengebrochen. Sie hatte ihre Träume aufgegeben, sie durch ein viel dürftigeres Ziel ersetzt. Oberst Fronto hatte ihr auf seine zurückhaltende Art gezeigt, daß er sie verehrte. Er war an Rang und Ansehen zu gering für eine Senatorentochter. Aber er sah gut aus mit seiner eleganten Haltung, seiner breiten, gescheiten Stirn und seinen kurzen, eisengrauen Haaren; auch war er ein Römer, römisch erzogen und kultiviert, unter diesen orientalischen Halbtieren ein Mensch. Sie hatte sich entschlossen, ihn zu einer Werbung zu ermuntern, ihn zu heiraten. Es ist ein kümmerliches Leben, das sie da an seiner Seite führen wird, doch ein anständiges Leben. Und jetzt gönnt ihr der eigene Vater nicht einmal das, sondern mutet ihr eine solche letzte Gemeinheit zu. Ihre ganze Strenge, Hoheit, Keuschheit will er diesem Abschaum hinwerfen, dem Leibeigenen, dem Sohn des Latrinenreinigers. Sie schwieg, das weiße Gesicht eine Maske des Ekels.

»Sei es, wie es sei«, fuhr Varro fort, achselzuckend, »für mich ist dieser Mann der wahre Nero. Er muß es sein. Ich kann aus vielen Gründen nicht mehr zurück. Er ist aber Nero nur dann, wenn ich an ihn glaube. Und daß ich an ihn glaube, muß ich beweisen.«

»Und du beweist es«, ergänzte steif und höhnisch Marcia, »durch mich. Ich soll für deine Politik zahlen.«

Varro dachte: Manche gehen wirklich daran kaputt. Als ich mit dieser - wie hieß sie doch? sie war vierzehn Jahre alt, eine Thrakerin - zum erstenmal schlief, wurde sie so verstört, daß sie es dann fürs ganze Leben blieb. Dabei war ich eigentlich zart zu ihr gewesen. Viertausend hatte ich für sie bezahlt, und dann war sie nur mehr zum Geschirrwaschen zu gebrauchen. Bin ich zynisch? Ich liebe doch meine Marcia. Sie ist sehr empfindlich, und ich muß mit ihr Geduld haben. Ich glaube, es ist am besten, ich gebe ihr Wahrheit. Sie wird mich verstehen. Es ist das Einfachste und Sicherste, wenn ich ihr sage, was ist.

Er sagte: »Die Menschen wollen es nicht, daß ein Begabter an der Macht bleibt. Sie dulden es nicht. Sie dulden nur die Unbegabten. Sie haben den Nero in den Tod getrieben, weil er begabt war, und mich aus der Macht. Und jetzt, da ich mir ein zweites Mal Macht aufgebaut habe, wollen sie sie mir ein zweites Mal nehmen. Aber ich gebe sie nicht her. Ein zweites Mal ertrag ich es nicht. Ehe ich es ertrage, setze ich alles ein, mich und dich und alles.«

Varro hatte richtig gerechnet. Marcia erwachte aus ihrer feindseligen Starrheit. Sie hörte den ehrlichen Ton aus seinen Worten. Ihr Gefühl für den Vater war immer eine Mischung gewesen aus Bewunderung und Widerstand; jetzt von neuem verspürte sie seine Lockung.

Er saß, die Beine auf die verpönte, orientalische Art gekreuzt, als wollte er durch diese lässige Haltung seinen Worten ihr Pathos nehmen. »Rom heißt Kraft«, sagte er, »Rom heißt Macht. Was ist denn Macht? Der fleißige Beamte Titus, der sich Kaiser nennen läßt, bildet sich ein, er habe Macht, weil er eine riesige Militär- und Verwaltungsorganisation zur Verfügung hat. Ich beneide ihn nicht. Was hat er schon? Den Stock des Feldwebels. Die Faszes, Rutenbündel und Beile. Ist das Macht?« Er sprach nicht mehr für seine Tochter, er sprach für sich selber. Man sah, wie die Gedanken in ihm entstanden, Worte wurden. Er sprach leise, doch beschwingt; die klaren, harten, logischen, lateinischen Sätze kamen aus seinem Mund wie griechische Verse. »Macht«, träumte er, »das ist etwas viel Listigeres. Macht, das ist die Idee, wie sie aus dem Kopf herausspringt, Tat wird, die plumpe Wirklichkeit überwältigt. Die weitaus meisten Menschen finden sich mit den vollzogenen Tatsachen ab. Sie sagen sich: weil es so ist, muß es so sein. Das ist die große Trägheit, das große Laster der Menschen. Ich finde mich nicht damit ab. Warum muß es so sein, wie es ist? Nero ist tot? Dieses Faktum ist dumm, widersinnig, stört die vernünftige Ordnung. Es paßt nicht in mein Konzept der Welt. Ich anerkenne es nicht. Ich gehe gegen diese alberne Wirklichkeit vor, ich sage ihr den Krieg an. Ich mache Nero von neuem lebendig. Der Osten ist so, sagen sie, und Rom ist anders, und beide gehen nicht zusammen, und darum muß man entweder auf den Osten oder auf Rom verzichten. Ich verzichte nicht. Ich denke nicht daran. Ich füge mich nicht einer so platten Logik. Sich der...
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Autor

Lion Feuchtwanger, 1884-1958, war Romancier und Weltbürger. Seine Romane erreichten Millionenauflagen und sind in über 20 Sprachen erschienen. Als Lion Feuchtwanger mit 74 Jahren starb, galt er als einer der bedeutendsten Schriftsteller deutscher Sprache. Die Lebensstationen von München über Berlin, seine ausgedehnten Reisen bis nach Afrika, das Exil im französischen Sanary-sur-Mer und im kalifornischen Pacific Palisades haben den Schriftsteller, dessen unermüdliche Schaffenskraft selbst von seinem Nachbarn in Kalifornien, Thomas Mann, bestaunt wurde, zu einem ungewöhnlich breiten Wissen und kulturhistorischen Verständnis geführt. 15 Romane sowie Theaterstücke, Kurzgeschichten, Berichte, Skizzen, Kritiken und Rezensionen hatten den Freund und Mitarbeiter Bertold Brechts zum "Meister des historischen und des Zeitromans" (Wilhelm von Sternburg) reifen lassen. Mit seiner "Wartesaal-Trilogie" erwies sich der aufklärerische Humanist als hellsichtiger Chronist Nazi-Deutschlands.