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Kind 44

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
528 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am29.03.2013
Dieser Spiegel-Bestseller »geht wirklich unter die Haut«. WDR 5
Moskau 1953. Auf den Bahngleisen wird die Leiche eines kleinen Jungen gefunden, nackt, fürchterlich zugerichtet. Doch in der Sowjetunion der Stalinzeit gibt es offiziell keine Verbrechen. Und so wird der Mord zum Unfall erklärt. Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow jedoch kann die Augen vor dem Offenkundigen nicht verschließen. Als der nächste Mord passiert, beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln und bringt damit sich und seine Familie in tödliche Gefahr ...

Tom Rob Smith wurde 1979 als Sohn einer schwedischen Mutter und eines englischen Vaters in London geboren, wo er auch heute noch lebt. Er studierte in Cambridge und Italien und arbeitete anschließend als Drehbuchautor. Mit seinem Debüt »Kind 44« gelang Tom Rob Smith auf Anhieb ein internationaler Bestseller. Der in der Stalin-Ära angesiedelte Thriller basiert auf dem wahren Fall des Serienkillers Andrej Chikatilo und wurde u. a. mit dem »Steel Dagger« ausgezeichnet, für den »Man Booker Prize« nominiert und bisher in dreißig Sprachen übersetzt. Nach »Kind 44« und »Kolyma« schloss der Autor seine Trilogie um den Geheimdienstoffizier Leo Demidow mit dem Roman 'Agent 6' ab.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextDieser Spiegel-Bestseller »geht wirklich unter die Haut«. WDR 5
Moskau 1953. Auf den Bahngleisen wird die Leiche eines kleinen Jungen gefunden, nackt, fürchterlich zugerichtet. Doch in der Sowjetunion der Stalinzeit gibt es offiziell keine Verbrechen. Und so wird der Mord zum Unfall erklärt. Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow jedoch kann die Augen vor dem Offenkundigen nicht verschließen. Als der nächste Mord passiert, beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln und bringt damit sich und seine Familie in tödliche Gefahr ...

Tom Rob Smith wurde 1979 als Sohn einer schwedischen Mutter und eines englischen Vaters in London geboren, wo er auch heute noch lebt. Er studierte in Cambridge und Italien und arbeitete anschließend als Drehbuchautor. Mit seinem Debüt »Kind 44« gelang Tom Rob Smith auf Anhieb ein internationaler Bestseller. Der in der Stalin-Ära angesiedelte Thriller basiert auf dem wahren Fall des Serienkillers Andrej Chikatilo und wurde u. a. mit dem »Steel Dagger« ausgezeichnet, für den »Man Booker Prize« nominiert und bisher in dreißig Sprachen übersetzt. Nach »Kind 44« und »Kolyma« schloss der Autor seine Trilogie um den Geheimdienstoffizier Leo Demidow mit dem Roman 'Agent 6' ab.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641111465
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum29.03.2013
Seiten528 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2354 Kbytes
Artikel-Nr.1245343
Rubriken
Genre9200
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

Moskau

11. Februar 1953

Der Schneeball klatschte Jora gegen den Hinterkopf. Der Schnee flog ihm nur so um die Ohren. Irgendwo hinter sich konnte er seinen kleinen Bruder lachen hören. Lauthals. Stolz auf sich, stolz auf seinen Wurf, auch wenn er nur Dusel gehabt hatte, ein Zufallstreffer. Jora wischte sich den Schnee aus dem Kragen seiner Jacke, aber ein paar Brocken waren ihm schon den Rücken hinuntergekrochen. Während sie an seiner Haut hinabglitten, schmolzen sie und verwandelten sich in dünne Rinnsale eiskalten Wassers. Jora zog sich das Hemd aus der Hose, schob die Hand so weit er konnte nach oben und angelte nach dem Eis.

Arkadi konnte es nicht fassen, dass sein Bruder da so selbstvergessen mit seinem Hemd beschäftigt war, anstatt auf seinen Gegner aufzupassen. Bedächtig ballte er neuen Schnee zusammen, eine Handvoll nach der anderen. Wenn man sie zu groß machte, taugten sie nichts. Zu schwer zu werfen, zu langsam in der Luft, deshalb konnte man ihnen zu leicht ausweichen. Das war lange Zeit sein Fehler gewesen, dass er sie zu groß machte. Statt dass sie einen größeren Aufprall erzeugten, konnte man sie leicht aus der Luft schlagen, oft genug lösten sie sich auch von ganz alleine auf und fielen auseinander. Kamen gar nicht erst bei seinem Bruder an. Er und Jora machten oft Schneeballschlachten. Manchmal waren auch andere Kinder dabei, aber meistens waren sie nur zu zweit. Die Schlacht fing immer ganz gemächlich an und wurde dann mit jedem Wurf verbissener. Arkadi verlor immer, weil sein Bruder die Bälle einfach schneller und fester warf. Am Ende war es immer dasselbe Lied: Arkadi kapitulierte enttäuscht, wurde sauer oder fing sogar an zu heulen und stürmte davon. Er fand es zum Kotzen, dass er immer der Verlierer war, und genauso zum Kotzen fand er es, dass er sich so darüber ärgerte. Überhaupt spielte er nur deshalb immer wieder mit, weil er sich sicher war, dass es diesmal anders sein, dass er diesmal gewinnen würde. Und heute war der Tag gekommen. Das war seine Chance. Langsam schlich er sich näher heran, aber nicht zu nah. Er wollte, dass der Wurf auch zählte. Aus nächster Nähe galt es nicht.

Jora sah ihn kommen. Ein weißer Klecks, der in der Luft einen Bogen beschrieb, nicht zu groß, nicht zu klein. Mit den Händen auf dem Rücken konnte er gar nichts machen. Sein kleiner Bruder lernte schnell, das musste man ihm lassen.

Der Schneeball traf ihn voll auf der Nasenspitze, zerplatzte, Schnee geriet ihm in die Augen, die Nase, den Mund. Jora stolperte rückwärts, das ganze Gesicht weiß überzuckert. Das war ein perfekter Wurf gewesen - und das Spielende. Sein kleiner Bruder hatte ihn besiegt, ein Knirps von nicht mal fünf Jahren. Erst jetzt, wo Jora zum ersten Mal verloren hatte, merkte er, wie viel es ihm bedeutete zu gewinnen. Sein Bruder lachte wieder, veranstaltete ein Riesenspektakel, als wäre ein Schneeball in die Fresse das Lustigste auf der Welt. Wenigstens hatte er selbst sich nie so hämisch gefreut wie Arkadi jetzt. Nie hatte er so laut gelacht und sich dermaßen an seinen Siegen geweidet. Sein kleiner Bruder war ein schlechter Verlierer und ein noch schlechterer Gewinner. Der brauchte eine Lektion, musste ein bisschen zurechtgestutzt werden. Einmal hatte er gewonnen, das war alles. Ein einziger glücklicher, unbedeutender Sieg, ein Mal von hundert - ach was, von tausend Malen. Und jetzt tat Arkadi irgendwie so, als seien sie quitt, oder schlimmer noch, als sei er der Bessere. Jora kauerte sich hin, buddelte mit den Händen im Schnee, bis hinunter auf die Eiskruste, und scharrte eine Handvoll gefrorener Erde, Kiesel und Steinchen zusammen.

Als er sah, dass sein älterer Bruder sich noch einen Schneeball zurechtmachte, wirbelte Arkadi herum und rannte los. Jetzt kam also die Rache: ein sorgfältig präpariertes Geschoss, und sein Bruder würde so fest werfen, wie er nur konnte. Aber er, Arkadi, würde sich nicht als Zielscheibe hergeben. Wenn er weglief, war er in Sicherheit. Jeder Schneeball, egal wie gut er gemacht und wie genau er geworfen wurde, konnte nur eine bestimmte Strecke fliegen, bevor er die Form verlor und auseinanderfiel. Und selbst wenn sie trafen, waren sie ab einer bestimmten Entfernung harmlos. Lohnte sich gar nicht, sie überhaupt noch zu werfen. Wenn er wegrannte, war das Spiel zu Ende und er hatte einen Vorsprung. Er wollte nicht, dass ihm der Sieg genommen würde, weil sein Bruder noch eine Serie schnell nacheinander geworfener Treffer landete. Nein: Abhauen und sich zum Sieger erklären. Das Spiel jetzt beenden. Dann konnte er das Gefühl mindestens bis morgen auskosten, wo er vermutlich wieder verlieren würde. Aber das war morgen. Heute war der Tag des Triumphs.

Er hörte, wie sein Bruder seinen Namen rief. In vollem Lauf wandte er sich um und lächelte, eigentlich grinste er, weil er sich sicher war, außer Schussweite zu sein.

Es traf ihn ins Gesicht wie eine Faust. Sein Kopf wurde nach hinten geschleudert, er hob vom Boden ab und hing eine Sekunde lang regelrecht in der Luft. Dann berührten seine Füße wieder den Boden, die Beine knickten ihm weg, und er platschte, weil er zu benommen war, um wenigstens die Hände auszustrecken, ungebremst in den Schnee. Einen Moment lang blieb er einfach so liegen und kapierte nicht, was passiert war. Er hatte Dreck, Kiesel, Spucke und Blut im Mund. Mit einem behandschuhten Finger tastete er vorsichtig zwischen seine Lippen. Seine Zähne fühlten sich rau an, als hätte man ihn gezwungen, Sand zu fressen. Da war eine Lücke. Ein Zahn war ausgeschlagen. Arkadi fing an zu heulen, spuckte in den Schnee und durchkämmte die Schweinerei nach seinem fehlenden Zahn. Irgendwie war es das Einzige, woran er jetzt denken konnte, das Einzige, was ihm wichtig war. Er musste seinen Zahn wiederfinden. Wo war sein Zahn? Aber er konnte ihn nicht finden, nicht in diesem weißen Schnee. Der Zahn war weg. Und es war nicht mal der Schmerz (obwohl es ganz schön weh tat), es war die Wut, der Zorn über diese Gemeinheit. Durfte er nicht ein einziges Mal gewinnen? Er hatte doch fair gewonnen. Konnte sein Bruder ihm das nicht gönnen? Nicht mal einen einzigen Sieg?

 


Jora rannte zu seinem Bruder. Kaum hatte der Klumpen aus Erde, Sand und Kieseln sich aus seiner Hand gelöst, hatte er seine Entscheidung schon bereut. Er hatte den Namen seines Bruders geschrien, damit der sich duckte und dem Ball auswich. Stattdessen hatte sein Bruder sich umgedreht und einen Volltreffer abgekriegt. Statt dass Jora ihm geholfen hatte, sah sein Warnruf jetzt aus wie eine ganz besonders heimtückische Finte. Als er näher kam, sah er Blut auf dem Schnee, und ihm wurde übel. Das war er gewesen. Ihre Schneeballschlachten machten ihm mehr Spaß als die meisten anderen Sachen, und jetzt hatte er sie in etwas Schreckliches verwandelt. Warum hatte er seinen Bruder nicht gewinnen lassen können? Morgen hätte er doch wieder gewonnen, und übermorgen und Tag um Tag darauf auch. Jora schämte sich.

Er ließ sich in den Schnee fallen und legte seinem kleinen Bruder die Hand auf die Schulter. Arkadi schüttelte sie ab und starrte ihn mit roten, tränennassen Augen und blutverschmiertem Mund an. Er sah aus wie eine wilde Bestie. Sagte keinen Ton. Sein Gesicht war wutverzerrt. Etwas unsicher rappelte er sich auf. »Arkadi?«

Statt einer Antwort riss Arkadi nur den Mund auf und schrie auf wie ein Tier. Alles, was Jora sehen konnte, war eine verdreckte Zahnreihe. Dann machte Arkadi kehrt und rannte weg.

»Arkadi! Warte!«

Aber Arkadi wartete nicht, blieb nicht stehen, wollte die Entschuldigung seines Bruders nicht hören. Er rannte, so schnell er konnte, und tastete dabei mit der Zunge nach der frischen Lücke in seinen Vorderzähnen. Er fand sie, befühlte mit der Zungenspitze den Gaumen und hoffte, dass er seinen Bruder nie mehr wiedersehen müsste.


14. Februar

Angestrengt blickte Leo zum Apartmentblock Nr. 18 hoch. Ein niedriger Betonklotz. Es war später Nachmittag und schon dunkel. Er hatte einen kompletten Arbeitstag mit etwas vergeudet, das ebenso unangenehm wie unwichtig war. Laut einem Milizbericht über besondere Vorkommnisse hatte man einen vier Jahre und zehn Monate alten Jungen tot auf den Bahngleisen gefunden. Der Junge hatte abends auf den Bahngleisen gespielt und war von einem Reisezug erfasst worden, dessen Räder ihn zerstückelt hatten. Der Lokführer des Neun-Uhr-Zuges nach Chabarowsk hatte beim ersten Halt durchgegeben, dass er nach dem Verlassen des Jaroslawer Bahnhofs einen flüchtigen Blick auf jemanden oder etwas auf den Gleisen erhascht habe. Ob tatsächlich sein Zug den Jungen erfasst hatte, war noch nicht erwiesen. Vielleicht wollte der Fahrer nicht zugeben, dass er das Kind überfahren hatte. Aber das musste man nicht vertiefen - ein tragischer Unfall, da stellte sich die Frage nach dem Schuldigen nicht.

 


Normalerweise hätte man die Sache schon zu den Akten gelegt. Und normalerweise wäre Leo Stepanowitsch Demidow, ein Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes MGB, mit einem solchen Vorfall nie befasst worden. Was konnte er hier schon ausrichten? Der Verlust eines Sohnes brach einer Familie und den Verwandten das Herz. Aber auf staatlicher Ebene spielte so etwas, offen gesagt, keine Rolle. Unvorsichtige Kinder waren nun wirklich keine Angelegenheit für die Staatssicherheit - außer sie hatten eine unvorsichtige Zunge. Diese spezielle Situation allerdings hatte sich unversehens verkompliziert. Die Trauer der Eltern hatte seltsame Formen angenommen. Offensichtlich konnten sie nicht hinnehmen, dass ihr Sohn - Leo las noch einmal im Bericht nach und prägte sich den Namen Arkadi Fjodorowitsch Andrejew ein - selbst an seinem Tod schuld war. Sie hatten herumerzählt, ihr Sohn...


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Kritik
"Packende Zeitgeschichte und ein monströses Serienverbrechen - schade, dass es schon zu Ende ist. Aber Lieblingsbücher liest man doppelt."mehr

Autor

Tom Rob Smith wurde 1979 als Sohn einer schwedischen Mutter und eines englischen Vaters in London geboren, wo er auch heute noch lebt. Er studierte in Cambridge und Italien und arbeitete anschließend als Drehbuchautor. Mit seinem Debüt »Kind 44« gelang Tom Rob Smith auf Anhieb ein internationaler Bestseller. Der in der Stalin-Ära angesiedelte Thriller basiert auf dem wahren Fall des Serienkillers Andrej Chikatilo und wurde u. a. mit dem »Steel Dagger« ausgezeichnet, für den »Man Booker Prize« nominiert und bisher in dreißig Sprachen übersetzt. Nach »Kind 44« und »Kolyma« schloss der Autor seine Trilogie um den Geheimdienstoffizier Leo Demidow mit dem Roman "Agent 6" ab.
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