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Der Hodscha und die Piepenkötter

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am02.05.20111. Auflage
Treffen sich zwei Kulturen ... In ihrer Stadt ist Ursel Piepenkötter die unangefochtene Nummer eins. Als amtierende Oberbürgermeisterin liebt sie das Bad in der Menge, sie ist resolut und kämpferisch. Ihre Spezialdisziplinen: Tricksen, Tarnen, Täuschen. Ihr oberstes Ziel: die Wiederwahl. Doch die gerät in Gefahr, als Nuri Hodscha, der neue Geistliche der türkischen Gemeinde, zum Einstand ankündigt, eine prächtige Moschee bauen zu wollen. Vielen Bürgern der Stadt ist der Islam nicht geheuer - muss eine Bürgermeisterin da nicht eingreifen und Profil zeigen? Ursel Piepenkötter wittert die Chance, durch eine wohldosierte Portion Populismus die Wahl für sich zu entscheiden. Doch als sie Nuri Hodscha den Marsch blasen will, ist sie an den Falschen geraten: Der Mann Allahs ist ein Schlitzohr ohnegleichen. Ob Kuhhandel oder Erpressung - auch ihm sind alle Mittel recht. Noch 42 Tage bis zur Wahl. Zwei Gegner, die sich nichts geben. Der Kampf ist eröffnet ...

Birand Bingül, geb. 1974, ist Journalist und Autor. Der WDR-Redakteur hat sich viele Jahre intensiv mit den Themen Integration und Migration beschäftigt und war u.a. Kommentator der ARD Tagesthemen. «Nuri Hodscha und die Piepenkötter» ist sein zweiter Roman.
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KlappentextTreffen sich zwei Kulturen ... In ihrer Stadt ist Ursel Piepenkötter die unangefochtene Nummer eins. Als amtierende Oberbürgermeisterin liebt sie das Bad in der Menge, sie ist resolut und kämpferisch. Ihre Spezialdisziplinen: Tricksen, Tarnen, Täuschen. Ihr oberstes Ziel: die Wiederwahl. Doch die gerät in Gefahr, als Nuri Hodscha, der neue Geistliche der türkischen Gemeinde, zum Einstand ankündigt, eine prächtige Moschee bauen zu wollen. Vielen Bürgern der Stadt ist der Islam nicht geheuer - muss eine Bürgermeisterin da nicht eingreifen und Profil zeigen? Ursel Piepenkötter wittert die Chance, durch eine wohldosierte Portion Populismus die Wahl für sich zu entscheiden. Doch als sie Nuri Hodscha den Marsch blasen will, ist sie an den Falschen geraten: Der Mann Allahs ist ein Schlitzohr ohnegleichen. Ob Kuhhandel oder Erpressung - auch ihm sind alle Mittel recht. Noch 42 Tage bis zur Wahl. Zwei Gegner, die sich nichts geben. Der Kampf ist eröffnet ...

Birand Bingül, geb. 1974, ist Journalist und Autor. Der WDR-Redakteur hat sich viele Jahre intensiv mit den Themen Integration und Migration beschäftigt und war u.a. Kommentator der ARD Tagesthemen. «Nuri Hodscha und die Piepenkötter» ist sein zweiter Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644900615
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum02.05.2011
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1249267
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Wie der Hodscha und die Piepenkötter sich das erste Mal trafen


Bis zu dem Tag, an dem Nuri Hodscha ankam und sich alles schlagartig ändern sollte, war die Stadt lange, lange langweilig gewesen.

Auf ihrer Homepage rühmte sie sich damit, in den Siebzigern die Bundesgartenschau ausgetragen zu haben. In den Achtzigern, darauf waren die Menschen recht stolz, hatte Robert Redford hier residiert. Na ja, es war eine Übernachtung. Auf der Durchreise. Weil alles eingeschneit war. Aber ein junger Reporter, der unbedingt groß rauskommen wollte, Bob Winter, hatte die ganze Nacht bei minus vierzehn Grad vor dem Hotel ausgeharrt, um Redford interviewen zu können. Als der tatsächlich erschien, war Bob Winter so überrascht, dass er bloß eine einzige, völlig hilflose Frage herausbrachte: «Did you sleep well?» Haben Sie gut geschlafen? Und auf dem Weg vom Hoteleingang bis zur wartenden Limousine soll Redford geantwortet haben: «Selten so gut geschlafen.» Kein Mensch außer Bob Winter weiß wirklich, ob der verschlafene Redford das oder etwas anderes murmelte wie «Selten geschlafen», «Gehen Sie schlafen» oder «Halt´s Maul, du Schmierfink, es ist fünf Uhr vierzig» ...

Auch wenn sich die Leute in der Stadt durchaus im Christentum verwurzelt gaben, waren sie wahrlich nicht päpstlicher als der Papst. Der Kirchturm erhob sich schön und alt über das Stadtzentrum, er war aber bei weitem nicht der schönste oder älteste im Lande. Und so druckte die Zeitung, den historischen Moment begreifend, Winters vage Redford-Geschichte auf Seite eins. Am nächsten Tag wurde der Hotelier interviewt, am übernächsten das Zimmermädchen, am überübernächsten der Oberbürgermeister. Und irgendwann Bob Winter selbst. Kurzum, das war eine große Sache.

In den Neunzigern hatten die Strategen des Stadtmarketings versucht, Redford für eine Kampagne («Der schönste Schlaf Deutschlands erwartet Sie hier») zu gewinnen, aber sie bekamen nicht einmal eine Antwort von seinem Agenturbüro. Stattdessen luden sie dann den Bundespräsidenten ein, der auch schon drei Jahre später kam. Wie er schlief, ist nicht kolportiert. Fest steht nur, dass sich viele Stadtobere nach der Jahrtausendwende mit der Mittelmäßigkeit des Ortes abfanden und sich mehr den alltäglichen Sorgen ihrer Bürger widmeten. Das war vernünftig, aber zugleich ein wenig öde.

Alles änderte sich mit der Kandidatur von Ursel Piepenkötter für das Bürgermeisteramt. Konservativ hatten sie hier immer gewählt - doch als ihre Partei mit Ursel Piepenkötter erstmals eine Frau für die Oberbürgermeisterwahl aufstellte, sorgte das doch für einigen Gesprächsstoff. Mehr Menschen, als es zugegeben hätten, fragten sich: Kann die Piepenkötter das? Eine Frau? Darf die das? Und die Erzkonservativen schwadronierten an den Stammtischen, an denen sie sonst über Ausländer, Schwatte und Muslime scherzten, darüber, ob es in ihrer Partei keine brauchbaren Männer mehr gebe. Nee, nee, nee, sagten sie dann trüb und hatten den nächsten Anlass, einen zu kippen.

Die Piepenkötter trug stets Kostüm und randlose Brille. Diese war gerahmt von mittellangen braunen Haaren, die, gespickt mit blonden Strähnchen, auf ein Seidenhalstuch fielen. Wieselflinke nordseegraue Augen sahen einen angriffslustig an. Die schmalen Lippen verrieten Disziplin und Härte.

Noch als sie Jura studierte, war die Piepenkötter in den Ortsverband eingetreten und hatte sich dann kontinuierlich hochgearbeitet: Frauenunion, Arbeitskreise, Straßenwahlkämpfe, Stadträtin. Ursel Piepenkötter war längst keine Unbekannte mehr, schließlich hatte sie es bis ins ferne Berlin in den Bundestag geschafft. Irgendwann war sie zurückgekehrt in ihre Heimatstadt, denn ihr Mann war viel zu früh an Krebs gestorben, und sie wollte sich um ihren Sohn kümmern.

Ursel Piepenkötter gewann die Wahl zur Oberbürgermeisterin damals knapp. Sie hatte, so ließ ihr Pressesprecher immer wieder durchblicken, nach wie vor einen direkten Draht nach ganz oben, zur Kanzlerin.

Inzwischen war sie 44, ihr Sohn Patrick pubertierte, als gäbe es kein Morgen, und in sechs Wochen stand die Wiederwahl an. Die Piepenkötter lag in Umfragen mit einem ordentlichen Polster von zehn Punkten vor ihrem sozialdemokratischen Herausforderer, Hartmut Hausmann. Die Liberalen hatten zu ihren Gunsten auf einen Kandidaten verzichtet, die Grünen zu seinen Gunsten. Und Kasimir Kress von der rechtspopulistischen Contra-Partei wollte ohnehin nur Opposition machen, genauso wie die Linken.

SONNTAG, 22. AUGUST,
NOCH 42 TAGE BIS ZUR WAHL

Abgesehen davon nahmen die Dinge in der Stadt ihren gemächlichen Lauf. Bis schließlich ein Mann, ein einziger Mann, ein unscheinbarer, untersetzter, 47-jähriger Mann mit graumeliertem und präzise gestutztem Vollbart und mächtigen Augenbrauen, an denen er zu zwirbeln pflegte, in die Stadt kam. Sein Name war Nuri Hodscha.

Nuri Hodscha stammte aus der Türkei und landete pünktlich um zwölf Uhr fünfzig mit der Mittagsmaschine der Turkish Airlines aus Istanbul. Die dortige Religionsbehörde hatte ihn nach Deutschland entsandt. Das war seit langem so üblich und seit kurzem in Deutschland umstritten. Nuri Hodscha war der neue Imam des Moscheevereins Gabrielstraße. Das war der größere von zwei Moscheevereinen in der Stadt. Der andere galt als sehr rückwärtsgewandt und wurde vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Vereine gab es schon seit Gastarbeiterzeiten, also ungefähr seit fünfzehn vor Redford.

Nuri Hodscha hatte sein bescheidenes Hab und Gut mitgebracht, außerdem vier Sucuk - typisch türkische Knoblauchwürste -, dann drei alte perlmuttsteinverzierte Kästchen mit verschiedenen Gebetsketten, zwei edle Ausgaben des Korans - eine auf Türkisch, eine auf Arabisch. Und schließlich, ganz unten in den Koffern, fand sich das, was ihm - neben seinem Glauben - am wichtigsten war: eine Plattensammlung mit auffällig vielen Alben von Bruce Springsteen. Er hing daran fast mehr als an seiner Tochter Hülya, seit Nuri festgestellt hatte, dass seine Plattensammlung im Gegensatz zu seiner 16-jährigen Tochter keine Widerworte gab.

Hülyas Kopftuch umschloss eng ihr ungeschminktes Gesicht. Ihre Augenbrauen hatte sie stets hochgezogen, als höre sie sehr aufmerksam zu. Ihre Augen waren bernsteinfarben und zugleich undurchdringlich. Ihre Lippen voll, doch zusammengekniffen. Ihre sonstige Kleidung war nicht modisch eng, aber eng genug, um einige Hinweise darauf zu geben, dass sie eine ziemlich attraktive Teenagerin war.

Osman holte sie ab. Er war eine Art Mädchen für alles rund um die Moschee, ein gutmütiger Bursche mit Segelohren und militärisch kurzen Haaren. Seine Augen glänzten dunkel. Er war schlank und ein Meter dreiundachtzig groß. Er hatte beim alten Hodscha gelernt, den Mund zu halten und sich seinen Teil zu denken. Das tat er auch, denn Osman war ein wacher Kerl. Er begrüßte den Hodscha so aufrichtig und devot - mit lauter Handküssen, tiefen Verbeugungen und, im Gegensatz zu praktisch allen anderen Männern, nur einem winzigen, verstohlenen Seitenblick auf Hülya -, dass Nuri Hodscha sich vom ersten Augenblick seiner Loyalität und Ergebenheit sicher war.

Alle Koffer passten in seinen Kombi, und die drei fuhren los Richtung Stadt.

«Eve deÄil önce camiye», sagte Nuri Hodscha kurz zu Osman mit tiefer, vibrierender Stimme - erst zur Moschee und nicht zur Privatwohnung.

Osman nickte untergeben.

«Wie gehen die Deutschen mit euch um?», fragte Nuri Hodscha.

Osman zögerte. Er war es nicht gewohnt, zu Rate gezogen zu werden. «Seit dem 12. September 2001 sind wir nicht mehr Luft. Entweder schauen sie uns schräg von der Seite an - oder sie wollen mit uns reden. Dialog hier, Dialog da. Wir werden oft eingeladen, viel öfter als unsere Brüder vom anderen Verein. Runde Tische, Austausch mit Christen, Juden und Atheisten, Stadtteilfeste, Kulturveranstaltungen ...»

«Bringt das was?», fragte Nuri Hodscha.

Osman hob den Kopf und machte «Tse!». Das hieß so viel wie Nein.

«Die Angst vor den Muslimen ist groß. Und sie wird größer.»

«Ist ja auch schwer zu verstehen, wie irre Terroristen im Handstreich unsere Religion zur Geisel nehmen konnten. Und die meisten begreifen noch weniger, warum der Islam diesen Fluch nicht aus eigener Kraft abschütteln kann.»

«Seitdem dieser Verrückte diesen komischen Regisseur umgebracht hat da in Holland -»

«... Theo van Gogh ...»

«... seitdem haben wir auch viel...

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