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Alles Propaganda!

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
128 Seiten
Deutsch
Atrium Verlag AGerschienen am16.03.20231. Auflage
Es geht um nichts Geringeres als unsere Demokratie Hass, Wut, Fake News und vermeintliche Verschwörungen: Unsere Debattenkultur ist im Ausnahmezustand, und Polarisierung ist zu einem zentralen Phänomen unserer Gesellschaft geworden. Birand Bingül legt in seinem beunruhigenden Weckruf dar, dass dies Teil einer Propaganda-Strategie ist, die den Kollaps des gesellschaftlichen Dialogs anstrebt - und damit den Kern der liberalen Demokratie angreift. Deutlich wird: Um uns davor zu schützen, müssen wir der Propaganda ins Auge schauen.

Birand Bingül, 1974 geboren, absolvierte ein Journalistikstudium mit Nebenfach Amerikanistik an der Universität Dortmund. Als Reporter hat er unter anderem für die Tagesschau gearbeitet und in den Tagesthemen kommentiert. Bingül war außerdem als stellvertretender Unternehmenssprecher des WDR und als Kommunikationschef der ARD tätig. Gegenwärtig ist er Geschäftsführer von fischerAppelt, advisors. Bingül ist Autor mehrerer Krimis, Romane und Sachbücher, und sein Roman Der Hodscha und die Piepenkötter wurde 2016 für die ARD verfilmt.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextEs geht um nichts Geringeres als unsere Demokratie Hass, Wut, Fake News und vermeintliche Verschwörungen: Unsere Debattenkultur ist im Ausnahmezustand, und Polarisierung ist zu einem zentralen Phänomen unserer Gesellschaft geworden. Birand Bingül legt in seinem beunruhigenden Weckruf dar, dass dies Teil einer Propaganda-Strategie ist, die den Kollaps des gesellschaftlichen Dialogs anstrebt - und damit den Kern der liberalen Demokratie angreift. Deutlich wird: Um uns davor zu schützen, müssen wir der Propaganda ins Auge schauen.

Birand Bingül, 1974 geboren, absolvierte ein Journalistikstudium mit Nebenfach Amerikanistik an der Universität Dortmund. Als Reporter hat er unter anderem für die Tagesschau gearbeitet und in den Tagesthemen kommentiert. Bingül war außerdem als stellvertretender Unternehmenssprecher des WDR und als Kommunikationschef der ARD tätig. Gegenwärtig ist er Geschäftsführer von fischerAppelt, advisors. Bingül ist Autor mehrerer Krimis, Romane und Sachbücher, und sein Roman Der Hodscha und die Piepenkötter wurde 2016 für die ARD verfilmt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783037922231
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum16.03.2023
Auflage1. Auflage
Seiten128 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.11232732
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 2 Wurzeln: Die politische Idee der Propaganda

Damals wie heute beginnt für die Propagandist:innen alles mit der Erfindung einer neuen politischen Idee. So selbstverständlich, ja geradezu banal das klingt, so ist es ganz und gar nicht. Schließlich hilft nicht irgendeine Idee weiter. Es muss eine ganz besondere Idee sein.

Parteien vertreten üblicherweise spezifische gesellschaftliche Interessen. Dort haben sie ihre Wurzeln. Aus dem Interesse ziehen sie ihre Werte und ihre Basis. Die CDU vertritt das konservative Bürgertum, die FDP vertritt Wirtschaft und Freiberufler:innen. Eine neue Partei sucht sich mit ihren Überzeugungen üblicherweise eine Lücke im Parteienspektrum und ein Partikularinteresse, das ihr unbesetzt oder vernachlässigt und erfolgversprechend erscheint. Der Zusammenschluss der ostdeutschen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und der westdeutschen Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) besetzte zum Beispiel die Lücke links von der SPD - und so nannte sich die neue Partei folgerichtig Die Linke. So agieren klassische Parteien.

Propagandaparteien gehen von Anfang an anders vor. Die Idee muss propagandistisch nutzbar sein. Das war schon Hitler sehr bewusst. Die neue politische Idee musste in seinen Augen das Potenzial haben, die Massen zu elektrisieren und die eigene Macht zu maximieren. An die Macht zu kommen war das Ziel, dem sich alles unterordnen musste. Eine politische Idee, die diesem Ziel nicht diente, war nutzlos. Ohne eine politische Idee hatte die Propaganda wiederum keine Richtung und kein Ziel. Zuerst fällt die Entscheidung, eine Propagandapartei sein zu wollen, dafür braucht es im nächsten Schritt eine Idee, die zwingend propagandistisch verwertbar ist - darauf folgt die Propaganda selbst. Idee und Propaganda sind ineinander verschränkt und bedingen sich gegenseitig.

Sucht sich eine neue Bewegung nach der klassischen Parteienlogik ein Interesse, das sie fortan vertreten will, hat das weitreichende Konsequenzen: Man vertritt eine gesellschaftliche Gruppe - stellt sich zugleich aber gegen alle anderen. In der Weimarer Republik hatten die Nationalen die Liberalen und die Kommunisten gegen sich - sowie weitere konkurrierende Nationale. Wer in dieser Gemengelage anstrebte, maximal viele Wähler:innen hinter sich zu vereinen, würde sich durch die Konzentration auf eine gesellschaftliche Gruppe enorm einschränken.

Der Journalist und Soziologe Siegfried Kracauer hat das bereits Mitte der 1930er Jahre beeindruckend präzise durchdrungen. In Totalitäre Propaganda erklärt Kracauer zu Hitlers Ideenansatz: »Er kann nicht die Absicht haben, sich zur Partei irgendwelcher einseitiger Interessen und damit den Nationalsozialismus zu einer Partei neben den übrigen zu machen.«[9] Denn der politische Kuchen war schon verteilt, es blieben nur Nischen. Interessenpolitik war demnach absolut kontraproduktiv, wenn man wie Hitler an die Macht drängte, koste es, was es wolle. Interessenpolitik würde eine Falle sein, eine Sackgasse. So war klar, schreibt Kracauer über Hitler, »daß es ihm nicht auf die Verteidigung von Interessen, sondern auf die Beeinflussung der Massen, unabhängig von ihren Interessen, ankommt«.[10]

In der Logik einer Propagandapartei durfte und wollte Hitler sich mit der neuen Idee auf keinen Fall im Parteienspektrum einreihen - als einer von vielen. Er musste sich über das bestehende Parteiensystem stellen. Oder zumindest daneben. Oder mit Hannah Arendts Worten »prinzipiell außerhalb des Parteiensystems«.[11] Die Idee musste größer konstruiert werden als alle bestehenden. Sie durfte sich nicht an ein einzelnes gesellschaftliches Interesse anlehnen und sich dadurch ideologisch einengen. Nur wenn sie das strikt unterließ, konnte sie für Anhänger:innen aller anderen Parteien anziehend wirken.

So gab die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei dann einfach vor, die entscheidenden politischen Strömungen in sich zu vereinen. Diese Idee stellte die Nazis - zunächst und für eine ganze Weile nur in der Theorie - über ihre Konkurrent:innen, deren Ringen zwischen rechts und links, oben und unten auf einmal kleinlich wirkte. Die Nazis schwebten ideenmäßig über dem Kleinklein des »normalen« Parteiensystems und brachten »eine Synthese auf den Wortmarkt, die nationale Einheit versprach«, wie es Hannah Arendt formulierte.[12]

Oberhalb aller Partikularinteressen, Klassengegensätze oder revolutionärer Feindschaften die nationale Einheit zu versprechen, gleichsam als beharrenden Kontrapunkt, so übersetzte Hitler den Grundansatz einer Propagandapartei in die Realität: dem gerade erst verlorenen Ersten Weltkrieg, dem untergegangenen Kaiserreich und dem ideologischen und physischen Zusammenprallen des alten Nationalismus mit dem aufkeimenden Sozialismus zum Trotz.

Die Idee musste zusätzlich eine Antwort auf eine - erfundene oder reale - Krise sein, ob diese nun wirtschaftlich, sozial oder kulturell geprägt war, um der Sache eine hohe Dringlichkeit zu verleihen. Außerdem musste die Idee unbedingt anschlussfähig sein an die Gesellschaft, an die Masse, an reale Verhältnisse, an möglichst große Teile des kollektiven Gedächtnisses und Gefühlszustands. Das Neue durfte nicht zu neu sein. Das wäre zu fremd, käme einer Überforderung gleich und brächte nicht die gewünschte Verbindung zur Volksmasse. Es war dieser zwingende propagandistische Grundsatz der Anschlussfähigkeit, der Hitler auf Vergangenes zurückgreifen ließ.

Hitler schrieb in Mein Kampf über die außerordentliche Rolle der Propaganda hinsichtlich der politischen Idee, Propaganda werde »unermüdlich dafür zu sorgen haben, daß eine Idee Anhänger gewinnt«, sie solle sie der Bewegung »geneigt« machen. »Die Propaganda bearbeitet die Gesamtheit im Sinne einer Idee und macht sie reif für die Zeit des Sieges dieser Idee.« Sie solle Menschen »herüberziehen« oder »doch in ihrer eigenen bisherigen Überzeugung unsicher machen«. Aufgabe der Propaganda sei »die Zersetzung des bestehenden Zustandes und die Durchsetzung dieses Zustandes mit der neuen Lehre«.[13]

Auch Joseph Goebbels - nach 1930 offizieller Propagandachef der NSDAP und späterer Propagandaminister - war das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis von Idee und Propaganda bewusst. Die Aufgabe der Propaganda sah er darin, »Menschen für eine Idee zu gewinnen, so innerlich, so lebendig, daß sie am Ende ihr verfallen sind und nicht mehr davon loskommen.«[14]

 

Die Propagandaschlacht um die Idee ist nicht nur die erste und immer fortwährende, sie ist die wichtigste von allen. Gelingt es nicht, sich außerhalb des Bestehenden zu positionieren, zündet die ganze Bewegung nicht bei der Bevölkerung. Laut Kracauer ließ sich die NS-Propaganda Mitte der 1930er Jahre als


»ein Unterfangen begreifen, das auf die Dynamisierung des starren Systems abzielt, in dessen Rahmen sie steht. Nur dadurch, daß sie dieses System aus den Angeln hebt, sein stabiles Gerüst zerstückelt und die Trümmer durcheinanderwirbelt, erhält sie überhaupt erst von sich aus die Möglichkeit, sich auszuweisen und Einfluß zu gewinnen.«[15]


Hitler erklärte noch Anfang der 1930er Jahre, sein Ziel sei die »Überbrückung der Gegensätze zwischen Bürgertum und Proletariat«, er wolle die »innere Vereinigung von Millionen auseinanderstrebenden Volksgenossen erzielen«.[16] Propagandistisch zugespitzt findet sich die Präsentation dieser politischen Idee bei Goebbels: »Überall ertönt das Kampfgeschrei, die Katholiken, Protestanten, die Bayern, die Preußen, die Bürger, die Proletarier. Man muss ja zur Meinung kommen, es leben in Deutschland keine Deutschen mehr.«[17] Die anderen Parteien hätten sich »auf unseren blutenden Rücken eingerichtet«, die Nation verbrauche ihre Kraft im Inneren, das sei »Folge der verruchten Parteipolitik«.[18] Also weg mit der Parteienvielfalt, der repräsentativen Demokratie und letztlich weg mit dem Parlament. Weg mit Widersprüchen, Komplexität und Diskussionen. Eine Idee zum Wohle der Volksgemeinschaft. Im Sinne der nationalen Einheit.

 

Wie sehen nun die politischen Ideen der Gegenwart aus, mit denen Propagandapolitiker:innen antreten?

Ein eindrückliches Beispiel bietet Viktor Orbán. Er gehörte zu den Mitgründern der anfangs liberalen Partei Fidesz. Sie hatte sich mit der Wende in das Parteienspektrum Ungarns eingefügt. Im Februar 1992 sollte der Fraktionschef der Fidesz Orbán Sätze aussprechen, die in der Retrospektive äußerst beachtlich sind: »Wir haben es immer abgelehnt, so zu kämpfen, dass auf einer Seite die Reinen sind, auf der anderen die Bösen, auf der einen Seite die Patrioten stehen, auf der anderen die Landesverräter [...] Der völkisch-nationale Gedanke, die populistische Politik steht im Gegensatz zum Liberalismus.«[19] Als aber in der Fidesz Streit ausbrach und die Partei 1994 eine herbe politische Niederlage hinnehmen musste, kehrte der ehrgeizige Orbán in sich. Chef einer kleinen Fünf-Prozent-Partei zu sein, reichte ihm bei weitem nicht. Was jetzt kam, hält sein Biograf Paul Lendvai für ein kalkuliertes Manöver, um irgendwie an die Macht zu...
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Autor

Birand Bingül, 1974 geboren, absolvierte ein Journalistikstudium mit Nebenfach Amerikanistik an der Universität Dortmund. Als Reporter hat er unter anderem für die Tagesschau gearbeitet und in den Tagesthemen kommentiert. Bingül war außerdem als stellvertretender Unternehmenssprecher des WDR und als Kommunikationschef der ARD tätig. Gegenwärtig ist er Geschäftsführer von fischerAppelt, advisors. Bingül ist Autor mehrerer Krimis, Romane und Sachbücher, und sein Roman Der Hodscha und die Piepenkötter wurde 2016 für die ARD verfilmt.