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Bullenpeitsche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am26.09.20131. Auflage
Kein guter Sommer für Staatsanwältin Chas Riley: Regen, Regen, Regen - und ein brutaler Polizistenmord in den Elbvororten. Die Ermittlungen schieben Chas und ihre Kripokollegen in ein schmieriges Karussell aus Korruption, Gefälligkeiten und Männerfreundschaft. Am Ende ist ein weiterer Kollege am Ende, eine Frau verschwunden, eine Freundin verheiratet. Und der große Gangster lernt, dass gegen die große Einsamkeit keine Knarre gewachsen ist.

Simone Buchholz, geboren 1972, wohnt mit Mann und Sohn im Herzen von Hamburg. Mit Staatsanwältin Chastity Riley aus St. Pauli - erster Auftritt in 'Revolverherz' - hat sie eine der spannendsten deutschen Serienheldinnen geschaffen.
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Produkt

KlappentextKein guter Sommer für Staatsanwältin Chas Riley: Regen, Regen, Regen - und ein brutaler Polizistenmord in den Elbvororten. Die Ermittlungen schieben Chas und ihre Kripokollegen in ein schmieriges Karussell aus Korruption, Gefälligkeiten und Männerfreundschaft. Am Ende ist ein weiterer Kollege am Ende, eine Frau verschwunden, eine Freundin verheiratet. Und der große Gangster lernt, dass gegen die große Einsamkeit keine Knarre gewachsen ist.

Simone Buchholz, geboren 1972, wohnt mit Mann und Sohn im Herzen von Hamburg. Mit Staatsanwältin Chastity Riley aus St. Pauli - erster Auftritt in 'Revolverherz' - hat sie eine der spannendsten deutschen Serienheldinnen geschaffen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426420591
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum26.09.2013
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.5
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse771 Kbytes
Artikel-Nr.1288072
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


I.

Traurig am Strand


Im Gefängnis wird gebaut. Keine Ahnung, was die da machen, am Sonntagmorgen um acht, aber es hört sich nicht gut an. Es hört sich an, als würden sie den Wachturm absägen. Böses, böses Geräusch: Metall auf Beton, und dann durch bis zum Knochen. Noch einen Tick lauter, und das Gesäge wäre in der Lage, etwas in mir zu zerreißen. Einen Muskel oder eine Sehne oder das kleine blaue Glück, das sich in meinem Bauch breitmacht, wenn ich laufe. Ich ziehe das Tempo an, mache einen Sprint entlang der Knastmauer, und es wird etwas erträglicher. Ich drehe mich um und laufe ein Stück rückwärts. Ich sehe mir die roten Klinkermauern der schweren, alten Untersuchungshaftanstalt an, die vergitterten Fenster. Ich muss an die Gesichter dahinter denken. Wie sie rauskucken auf die Arbeiten in ihrem Hof. Durch die Gitter. Wie sie so lange auf die hohen Mauern mit den Stacheldrahtspiralen schauen, bis der Stacheldraht zurückschaut. Wie sie die ganze Zeit zuhören müssen und nicht weggehen können.

Manche Geräusche sind so nervig, als wären sie allein dafür auf der Welt, Menschen zum Ausflippen zu bringen.

Irgendwie ist das doch alles kein Wunder.

Ich laufe den kleinen Hügel runter, an den Jasminbäumen vorbei und an den bunten Frühsommerblumen, über die ich mich immer freue, von denen ich aber nicht weiß, wie sie heißen. Eine Schande, so was nicht zu wissen. Scheiß Stadtkind. Ich laufe durch die Unterführung und über die für so einen schönen Park viel zu hässliche Brücke, klassische 80er-Jahre-Verbockung. Unter der Brücke dümpelt ekliges, schwarzstinkendes Wasser in einem schmalen Kanal. Das Wasser ist seit Wochen umgekippt, seit es Ende April ein paar Tage so heiß war. Da könnten sie sich ruhig mal drum kümmern, die Herrschaften vom Grünflächenamt. Als ich in dem Teil mit den großen, saftigen Wiesen und den Entenfamilien ankomme, ziehe ich mir meine Kapuze über den Kopf. Der Regen nimmt wieder Fahrt auf. Balanciert auf der Grenze zwischen ignorierbarem Nieselregen von allen Seiten und Jetztaberwirklichregen von oben. Hamburger Mai. Unverschämter Hamburger Mai. Ich meine: dass der sich das traut.

Mein Telefon klingelt.

Der Calabretta ist dran.

»Chef!«

Es ist laut und hektisch am anderen Ende der Leitung, ich höre Männersohlen übers Laminat flitzen, und ich höre den Inceman reden, der telefoniert auch mit irgendwem. Die Kripomänner sind aus ihrer zähflüssigen Sonntagsbereitschaft geschreckt worden, rennen jetzt durch die Gänge des Präsidiums und sind auf dem Weg zur Tiefgarage. Ein paar nicht mehr ganz junge Mustangs, die Nüstern blähend. Ich lege auch schon mal einen Zahn zu und frage:

»Was ist passiert?«

»Schießerei in den Elbvororten!«

So wie mein italienischer Kollege schnauft, sollte er demnächst vielleicht mal ein paar Runden mit mir im Park drehen. »Es hat zwei Kollegen erwischt.«

Puh.

»Wo genau?«

»Am Jenischpark, schräg gegenüber vom Fähranleger«, sagt er.

Oha. Feine Ecke. Da hat man´s eigentlich nicht so mit Schießereien. Und tote Polizisten sind ja generell ganz schlecht. Mir zieht sich eine sehr dünne, aber sehr effektive Schlinge um den Hals.

»Ich bin in zwanzig Minuten da«, sage ich, lege auf und gebe Gummi. Die Enten watscheln durch den inzwischen klatschenden Regen und sehen mich an, als wäre ich ihnen vollkommen fremd.

* * *

Ich hab fast immer Glück mit Taxifahrern. Ich gerate meistens an die Profis. Die ohne digitale Assistentin den schnellsten Weg ans Ziel finden und Stimmungen lesen können. Die wissen, ob geredet werden darf oder nicht. Der Mann vor mir trägt flusige Haare zu speckiger Baseballkappe und Siebentagebart und hat noch kein Wort gesagt. Er hat nur die Augenbrauen hochgezogen und genickt, als ich gesagt habe, wo ich hinmöchte. Dann hat er seine Musik wieder aufgedreht, irgendwas mit Gitarren, und Gas gegeben.

Manchmal glaube ich, das Schicksal weiß, dass ich amateurhaftes Verhalten nur in der Liebe abkann.

Der Regen hat ein bisschen nachgelassen, aber ein Durchbruch ist es nicht. Das geht schon seit Tagen so. Der Himmel hängt den Menschen bis auf die Schultern, und die Schultern hängen ihnen bis auf die Knie, und ganz Hamburg bewegt sich wie sediert im immer gleichen Beat: di-prassel, di-prassel, di-platsch. Di-prassel, di-prassel, di-plitsch. Und nochmal von vorne. Di-prassel, di-prassel, di-platsch. Di-prassel, di-prassel, di-plitsch. So geht das ununterbrochen. Gar nicht so leicht, da bei der Sache zu bleiben. Nach zwei Minuten Aus-dem-Fenster-Kucken fühlt sich mein Gehirn an wie durch den Mixer gejagt. Nach zehn Minuten Fahrt am Elbufer entlang, vorbei an Villen, die eher Schlösser sind, fährt mein Taxifahrer rechts ran, um mich rauszulassen. Direkt vor uns: trauriges Blaulicht auf einem schräg geparkten Streifenwagen ohne Polizisten, dahinter die Dienstfahrzeuge der Kripo und die Reste vom Notarztwagen, die Bestatter sind unterwegs. Eingerahmt wird das Ensemble von mehreren Polizeitransportern, aus denen vor nicht allzu langer Zeit eine halbe Hundertschaft gesprungen ist, um den Park zu sichern. Eine schnelle, große Jagd, in der Hoffnung, das Böse einzufangen. Das laute, bildliche, medienwirksame Programm. Was halt so angepfiffen ist, wenn Polizisten ums Leben gekommen sind. Um den Leuten zu zeigen: Die Welt wackelt, aber eure Sicherheit wackelt nicht.

Ich werfe einen Blick in Richtung Park und sehe sie an unzähligen Stellen durch den Regen marschieren. Dunkelblaue Polizeisoldaten mit Helm und kugelsicherer Weste und Schlagstock, die wissen, dass so ein plötzlicher Tod genauso gut sie hätte treffen können. Das ist der Dreck an diesem Beruf, den alle immer ganz weit wegschieben und an den keiner erinnert werden will.

Ich klaube meinen Kopf zusammen, zahle meine Rechnung und steige aus.

Sie haben die Toten mit dicken dunkelgrauen Plastikfolien abgedeckt, um sie vorm Regen zu schützen. Dass in diesen Minuten die Kälte in ihre Körper kriechen wird, kann nichts und niemand verhindern. Ich hoffe inständig, dass die beiden Kollegen nicht ganz so jung waren. Und dass keine Frau dabei war. Keine Ahnung, warum ich das jetzt hoffe, es gibt ja im Tod keine Schlimmheitshierarchie, alle, die sterben, hinterlassen bei irgendwem einen grauenvollen Schmerz. Aber das geht mir eben so durch den Kopf.

»Sie hat eine kleine Tochter«, sagt der Calabretta, es hört sich an wie ein Vorwurf. »Und er wäre in zwei Monaten pensioniert worden, nach vierzig Jahren Streifendienst.«

Der Calabretta steht ganz dicht dran an den beiden. Der alte Wachhund. Ich schäme mich für mein blödes Hoffnungsgespinst und lege ihm die Hand auf die Schulter. Seine Schulter fühlt sich an, als wäre sie aus Blei, hart und auf dem Weg nach unten. Meine Hand ist vermutlich auch nicht viel leichter. Ich nehme sie wieder weg. Ich nicke dem Schulle und dem Brückner zu. Sie stehen ein Stück weiter weg und tragen ihre Friesennerze, der Schulle einen dunkelblauen, der Brückner einen dunkelgrünen. Sie haben die Hände tief in die Manteltaschen gedrückt und machen kleine, dünne Gesichter, nass vom Regen, der ihre Sommersprossen verwischt. Sie reden mit einer älteren Dame im silbernen Regenmantel. Ein passender Schirm schützt ihre ondulierten Locken. Der Schulle macht sich Notizen. Der Inceman lehnt baumhoch an einem schwarzen Dienstfahrzeug und redet mit dem Chef unserer Spurentruppe. Er hat den Kragen seiner braunen Lederjacke hochgeschlagen, und er ist der Einzige hier, dessen Gesicht durch den Dauerregen nicht einfach nur nass wird. Es glänzt. Eine seiner schwarzen Strähnen hat sich gelöst und fällt ihm in die Stirn. Dieser Mann ist so schön, dass es mich in Stücke reißt, wenn ich ihn zu lange ankucke. Er sieht mich nicht, oder er will mich nicht sehen, das ist mir nicht so richtig klar. Ich hab in den letzten Monaten immer mal wieder halbherzig versucht, herauszufinden, wie das jetzt genau ist. Schwierig, wenn man so überhaupt nicht miteinander redet. Und wenn ich doch ab und an mal einen Blick von ihm fange, dann geht der ungefähr so: Mit dir bin ich fertig. Geh weg.

Hat er ja auch recht.

»Wie ist das passiert?«, frage ich den Calabretta, und für einen kurzen Moment meine ich nicht nur die Schießerei, sondern auch das mit mir und dem Inceman, wobei ich nicht glaube, dass mein italienischer Kollege mir da großartig helfen könnte.

»Wir haben eine Zeugin«, sagt der Calabretta und bringt mich wieder in die Spur, »die stand gerade auf der alten Mole am Wasser und hat gesehen, wie der Streifenwagen kam. Die Kollegen sind raus und haben Kontakt zu einem Mann aufgenommen, der vorm Jenischpark wie wild auf und ab lief.« Er wischt sich den Regen von den Augenbrauen. »Haben Sie mal eine Zigarette?«

»Klar.« Ich fummele zwei Luckys aus meinem Kapuzenpulli und gebe eine dem Calabretta. Er gibt mir Feuer und zündet sich umständlich seine Kippe an.

»Ich dachte, Sie rauchen nicht mehr«, sage ich.

»Tu ich auch nicht«, sagt er.

»Nur am Tatort, oder was?«

Er kuckt mich ordentlich schief an.

»Sagt die, die ihren Stoff sogar in Sportklamotten mit sich rumschleppt?«

»Ich bin süchtig«, sage ich, »ich darf das.«

Der Calabretta serviert mir ein verächtliches »Pffh!«, zieht die Augenbrauen noch dichter zusammen, als sie eh schon sind, und sagt:

»Der Typ eröffnete ganz plötzlich und sehr gezielt das Feuer, offensichtlich mit einer automatischen Waffe. Die beiden hatten keine Chance.«

Er zieht den Rauch tief in seine Lungen und muss ein bisschen husten.

»Dann ist er durch den Park abgehauen.«

»Und?«, frage ich.

»Was, und?«

»Wie geht´s Ihnen...
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