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Revolverherz

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
300 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am26.09.20211. Auflage
Hamburg, ein nebliger März, an der Elbe liegen tote Stripperinnen. Wer hat die jungen Frauen auf dem Gewissen? Warum wurden sie skalpiert? Was sollen die Perücken? Staatsanwältin Chastity Riley ist zuständig für Verbrechen, die sich rund ums Rotlichtviertel abspielen, wobei ihr das Rotlicht mehr liegt als das Verbrechen. Obwohl: Ihre Stärke ist es, zu denken wie eine Kriminelle. Ihre Schwäche sind Kneipen, Zigaretten, junge Männer und schummriges Licht. Sie kommt in ihren Stiefeln und dem Trenchcoat cooler daher, als sie ist, außen hart, innen zart, manchmal fast eine kritische Masse an Empathie - hätte Philip Marlowe eine Enkelin, vielleicht wäre sie es. Jetzt muss sie durch einen langen, grauen Tunnel, der immer dunkler wird.

Ein etwas halbseidenes Team aus Polizisten, Staatsanwältin Riley und kleinen Gangstern taumelt durch den Kiez und das Hamburger Wetter. Ihre Suche nach Liebe und sich selbst endet meist in der Sackgasse. Da ist es vielleicht nicht schlecht, dass eine Reihe von Morden sie auf Spur bringt - wenn auch auf eine blutige.



Simone Buchholz, geboren 1972 in Hanau, zog 1996 nach Hamburg, wegen des Wetters. Sie wurde auf der Henri-Nannen-Schule zur Journalistin ausgebildet und schreibt seit 2008 Kriminalromane. Ihre Reihe um die Staatsanwältin Chastity Riley wurde vielfach ausgezeichnet. Simone Buchholz wohnt auf St. Pauli und schreibt regelmäßig die Kolumne »Getränkemarkt« im SZ-Magazin sowie Texte für Die Zeit.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,95
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextHamburg, ein nebliger März, an der Elbe liegen tote Stripperinnen. Wer hat die jungen Frauen auf dem Gewissen? Warum wurden sie skalpiert? Was sollen die Perücken? Staatsanwältin Chastity Riley ist zuständig für Verbrechen, die sich rund ums Rotlichtviertel abspielen, wobei ihr das Rotlicht mehr liegt als das Verbrechen. Obwohl: Ihre Stärke ist es, zu denken wie eine Kriminelle. Ihre Schwäche sind Kneipen, Zigaretten, junge Männer und schummriges Licht. Sie kommt in ihren Stiefeln und dem Trenchcoat cooler daher, als sie ist, außen hart, innen zart, manchmal fast eine kritische Masse an Empathie - hätte Philip Marlowe eine Enkelin, vielleicht wäre sie es. Jetzt muss sie durch einen langen, grauen Tunnel, der immer dunkler wird.

Ein etwas halbseidenes Team aus Polizisten, Staatsanwältin Riley und kleinen Gangstern taumelt durch den Kiez und das Hamburger Wetter. Ihre Suche nach Liebe und sich selbst endet meist in der Sackgasse. Da ist es vielleicht nicht schlecht, dass eine Reihe von Morden sie auf Spur bringt - wenn auch auf eine blutige.



Simone Buchholz, geboren 1972 in Hanau, zog 1996 nach Hamburg, wegen des Wetters. Sie wurde auf der Henri-Nannen-Schule zur Journalistin ausgebildet und schreibt seit 2008 Kriminalromane. Ihre Reihe um die Staatsanwältin Chastity Riley wurde vielfach ausgezeichnet. Simone Buchholz wohnt auf St. Pauli und schreibt regelmäßig die Kolumne »Getränkemarkt« im SZ-Magazin sowie Texte für Die Zeit.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518769928
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum26.09.2021
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.1
Seiten300 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5695004
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Anarcho-Elvis


Ich stehe an Deck und rauche gegen den Wind. Links die Containerschiffe, Kräne und Restposten alter Hafensiedlungen, rechts die schwimmenden Hochhäuser, in denen Menschen, die vor Krieg und Tod geflohen sind, wohnen müssen. Dahinter klebt die Stadt und sieht riesig aus, eine Silhouette aus schwachen Lichtern, wie eine weitere Facette des wolkigen Himmels. Neben mir sitzt eine Frau, sie hat Kopfhörer auf und schaut aufs Wasser. Sie trägt ein zartrosa Kostüm und sieht nach Geschäftsfrau aus. Sie scheint ein bisschen Probleme mit ihren Schuhen zu haben, ihre Füße quellen am Spann ziemlich hervor. Und die Musik, die aus ihrem Kopfhörer kommt, muss pervers laut sein, ich tippe auf Punkrock. Ich finde sie nett, wie sie da sitzt, in ihrem Kostüm und ihren zu kleinen Schuhen und mit diesem Krach in ihren Ohren. Ich lächle sie an, aber sie reagiert nicht.

Wir legen am Museumshafen an, am Pier liegt ein zum Café umgebautes Schiff, am Ufer stehen kleine alte Häuser mit winzigen Vorgärten. Ich schaue nochmal zu Frau Punkrock rüber, jetzt lächelt sie plötzlich, aber ich glaube nicht, dass ich gemeint bin, und gehe an Land.

Die Imbissbude steht noch. Sie ist so baufällig und abgerockt, dass sie eines Tages einfach vom Wasser verschluckt werden wird. Die Bude ist ein Traumplatz, aber das wissen nur wenige. Die meisten Leute werden von den aufdringlichen Cafés in Strandnähe angesaugt. Der Imbissbude sieht man ihre Seele von außen nicht an. Sie ist ja nicht mal eine Hütte, mehr ein Verschlag. Aber gegenüber ist das Herzstück des Hafens, da sind die großen Docks, es ist ein gutes Gefühl, die so in der Nähe zu haben. Und wer in der Bude mal drin ist, spürt es sofort: Hier ist alles okay, hier gibt es an richtig kalten Tagen sogar Erbsensuppe. Hier hab ich vor ein paar Jahren Carla kennengelernt.

Es war an einem Samstag, es regnete und stürmte und der Bretterverschlag war brechend voll, der halbe Strand schien dort Schutz vor dem Wetter zu suchen. Ich fühlte mich einsam und war schon durch den ganzen Hafen gelaufen auf der Suche nach einer Flasche Bier. Carla stand zufällig neben mir in der Tür, wir versuchten beide, uns noch reinzuquetschen, als plötzlich eine Welle Elbwasser über den Anleger schwappte. Nirgendwo war ein Schiff zu sehen gewesen, die Welle kam völlig unerwartet, und nach dem ersten Schreck fingen alle in der Bude an, sich vor Lachen auszuschütten, vermutlich aus Erleichterung darüber, dass das alte Ding nicht einfach mit raus aufs Wasser gesprungen war. Carla und ich waren die Einzigen, die der Splash voll erwischt hatte, und auch die Einzigen, die sich nicht totlachten. Ich war stinksauer, meine Haare und mein Mantel trieften, ich hatte Brackwasser geschluckt, es war ekelhaft, ich wollte gerade anfangen, alle anzuschreien, als Carla nach dem Fischbrötchen ihres Nachbarn griff, den Hering da rausnahm und sich bis zur Hälfte in den Mund steckte. Sie legte den Kopf schief, schnitt ein dummes Gesicht in meine Richtung, und so nass, wie sie war, sah das brutal komisch aus.

Ich bestellte zwei Bier.

Seit diesem Tag sind wir Freundinnen. Sie ist meine einzige Freundin.

Heute stehen nur ein paar versprengte Gestalten hier rum, alte gammelige Hafenmänner mit zufriedenen, furchigen Gesichtern. Einer von ihnen hat sich eine Gitarre umgehängt und spielt Elvis. Er singt nicht, er schrammelt nur einen Song nach dem nächsten. Auf der Schiefertafel hinter der Theke steht: HEUTE CURRYWURST. SO GROSS, DASS SIE VERBOTEN GEHÖRT.

Ich rufe den Faller an und sage, dass er herkommen soll.

»Warum?«, fragt er.

»Es gibt Anarcho-Currywurst und Elvis«, sage ich.

»Was noch?«, fragt er.

»Ich könnte Gesellschaft brauchen.«

»Okay, ich komme.«

Eine Viertelstunde später ist mein Kollege da, vielleicht ist er mit Blaulicht gefahren. Manchmal hab ich den Verdacht, dass er mich heimlich adoptiert hat. Vielleicht wünsche ich mir das aber auch nur. Seine Tochter ist jetzt zwanzig. Wenn ich den Faller mit seiner Tochter sehe, wenn ich sehe, wie er sich vor sie stellt, egal was passiert, wenn ich all die Liebe für sie in seinen Augen sehe, dann legt sich eine Zange um meine Seele und presst mir alles zusammen, und manchmal passiert es, dass der Faller das merkt, und dann holt er mich irgendwie rein in den Kreis, und ich könnte heulen und muss sofort eine rauchen.

Ich schiebe dem Faller eine von den beiden monströsen Currywürsten mit Pommes rüber, die ich für uns organisiert habe.

»Bier?«, fragt er.

»Ich bin im Dienst«, sage ich.

Der Faller grinst. Er weiß, dass mir das eigentlich egal ist und dass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit trinke, wenn mir danach ist. Gerade ist mir aber nicht danach, also trinke ich Apfelsaft. Kriminalhauptkommissar Faller bestellt sich ein Wasser. Seit dieser verfluchte Mist damals passiert ist, seit ihm der Alkohol in einer düsteren Nacht seine Würde genommen hat, rührt er nichts mehr an.

Ich beiße in meine Currywurst. Außen hart, innen weich, gerade genug Salz und ein Tick zu viel Pfeffer.

»Also«, sagt der Faller, »was macht das tote Mädchen in Ihrem Kopf?«

»Liegt da rum und blutet«, sage ich mit vollem Mund.

»Dann drehen wir sie doch mal ein bisschen«, sagt der Faller.

»Ich will nicht«, sage ich und spieße zwei Pommes auf.

»Darauf können wir jetzt leider keine Rücksicht nehmen«, sagt er.

Er schiebt sich ein Stück Wurst in den Mund und macht beim Kauen die Augen zu. Der Mann mit der Gitarre spielt einen meiner Lieblingssongs: Walk a Mile in My Shoes. Und ich bilde mir ein, der Himmel draußen über den Docks hätte einen rosa Schimmer angenommen.

»Ich kann mich einfach nicht richtig auf den Fall konzentrieren«, sage ich. »Mein Kopf springt nicht an, und wenn doch, tut er weh.«

»Wo genau tut´s denn weh?«, fragt er. »Eine Tote macht Ihnen doch sonst auch nicht solche Probleme.«

Es geht darum, dass er ihr die Haut abgezogen hat, denke ich. Ich denke an ihre Haut und habe Angst um meine eigene, warum auch immer.

»Mir fehlt der Zugang zu seinem Gehirn«, sage ich. »Ich kann und will mich nicht in ihn reinversetzen.«

Der Faller weiß so gut wie ich, dass genau das normalerweise meine große Stärke ist: denken wie ein Täter. Im Grunde meines Herzens bin ich kriminell. Ein richtig schlimmer Finger. Aber kein Psychopath.

»Sie sind eben kein Psychopath«, sagt der Faller.

»Sind Sie einer?«, frage ich und kippe meinen Saft auf Ex.

»Ich«, sagt er, »bin eher der Typ für einen handfesten Totschlag.«

Ich weiß, dass er das ist.

»Wir stehen also richtig schön scheiße da«, sage ich.

»Muss ja keiner merken«, sagt er. »Und jetzt lassen Sie uns mal Hand in Hand in die Hölle spazieren.«

Ich lege meine Plastikgabel weg. Draußen pfeift eine Windböe um die Ecken der Baracke und rüttelt am Holz, und dann ist es wieder still, bis auf die Möwen, bis zur nächsten Böe. Der Mann mit der Gitarre hat aufgehört zu spielen.

Der Faller stippt drei Pommes in die Currysauce und steckt sie sich in den Mund.

»Die Vorstellung von abgetrennter Kopfhaut«, sagt er und kaut, »wie schlimm ist das für Sie?«

»Kann ich nicht sagen.«

»Falsch«, sagt er, »Sie können nicht drüber reden.«

Ich zucke mit den Schultern.

»Er wollte nicht ihre Haut, Chas«, sagt er. »Er wollte ihre Haare. Und leider eben komplett. Hören Sie also auf, über Haut nachzudenken. Unser Thema ist Haare .«

»Ich glaube, sie war brünett«, sage ich.

»Das ist Spinnerei, Chas«, sagt er. »Es gibt auch jede Menge Blondinen mit dunklen Augenbrauen.«

»Wissen wir schon was über die Perücke?«, frage ich.

»Australisches Fabrikat«, sagt er, »wird auf der ganzen Welt verkauft. Massenware, in jedem Transenshop erhältlich, allein auf dem Kiez liegen die hundertfach in den Regalen.«

Ich bestelle mir jetzt doch ein Bier, was soll´s. Und der Faller vernichtet die Reste seiner Wurst und sagt mit vollem Mund eines seiner Lieblingsgedichte auf, es ist eine Zeile aus einem sehr schönen Lied, das ich ihm vor Jahren mal vorgespielt habe, als es ihm nicht so gut ging: »Der Mensch besteht fast...

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Autor

Simone Buchholz, geboren 1972 in Hanau, zog 1996 nach Hamburg, wegen des Wetters. Sie wurde auf der Henri-Nannen-Schule zur Journalistin ausgebildet und schreibt seit 2008 Kriminalromane. Ihre Reihe um die Staatsanwältin Chastity Riley wurde vielfach ausgezeichnet. Simone Buchholz wohnt auf St. Pauli und schreibt regelmäßig die Kolumne »Getränkemarkt« im SZ-Magazin sowie Texte für Die Zeit.
Revolverherz