Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

November 1918

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am23.10.20131. Auflage
Alfred Döblins monumentales Erzählwerk über die Novemberrevolution ?Bürger und Soldaten 1918? entfaltet ein packendes Panorama der Zeit unmittelbar nach Scheidemanns Ausrufung der Republik. Im Zentrum des vielstimmigen Romans steht der Oberleutnant und Gymnasiallehrer Friedrich Becker, der, vom Ersten Weltkrieg tief verstört, nach dem Sinn seines Lebens und der Möglichkeit dauerhaften Friedens fragt. Mit einem Nachwort von Helmuth Kiesel

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.
mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR17,90
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR20,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextAlfred Döblins monumentales Erzählwerk über die Novemberrevolution ?Bürger und Soldaten 1918? entfaltet ein packendes Panorama der Zeit unmittelbar nach Scheidemanns Ausrufung der Republik. Im Zentrum des vielstimmigen Romans steht der Oberleutnant und Gymnasiallehrer Friedrich Becker, der, vom Ersten Weltkrieg tief verstört, nach dem Sinn seines Lebens und der Möglichkeit dauerhaften Friedens fragt. Mit einem Nachwort von Helmuth Kiesel

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104027784
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum23.10.2013
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.4
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1874 Kbytes
Artikel-Nr.1288373
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil I

Sonntag, der 10. November 1918

Sie blickte mit einer kleinen Kopfbewegung in die Stube zurück. Der Mann saß an seinem Platz am Tisch, die Krücken neben sich, das Käppchen auf dem Kahlkopf, die Zeitung ausgebreitet vor sich. Er putzte sich die Stahlbrille und prüfte das graue Morgenlicht, das durch das Hoffenster hereinfiel. Sie sagte: »Kannst dir Licht machen.« Er: »Wird schon gehen.« Dann zog sie die Tür hinter sich zu.

Es regnete nicht mehr, aber der Hof stand voller Lachen. Im Hausflur an der Wand, wo es stockfinster war, schürzte sie ihre Kleider, tastete mit einem Fuß herum und stieg in die schweren spitzen Holzpantinen hinein. Sie klapperte ab.

Der Mann kratzte seine kurze Holzpfeife aus, schnüffelte in eine blecherne Teebüchse hinein und breitete ein paar Griff Tabak auf der Zeitung aus. Die groben Stengel zerknickte er Stück für Stück, einige große Blätter zerbrach er. Dann stopfte er alles fest in den Pfeifenkopf, die Staubreste vom Papier schüttete er oben auf. Dann rauchte er. Und als er die ersten Züge getan hatte, nahm er die Pfeife mit der linken Hand aus dem Mund und sprach laut in den grauen schmalen Raum hinein, wie jeden Morgen, wenn seine Frau weggegangen war. »So. Es ist der 10. November«, und qualmte behaglich weiter. Die Zeitung war vom Achten, der Pfarrer vom Vorderhaus gab sie neuerdings unregelmäßig weiter. Der Mann machte sich, die Arme breit aufgelegt, an die Arbeit und studierte Familiennachrichten, Verkäufe von Mobiliar, Meldung vom Obst- und Gemüsemarkt. Er bewegte die Lippen ein wenig. Manchmal unterbrach er sich, las nochmal, sagte laut: »Kleine Reinetten, zwei fünfzig. Oh, das ist viel«, tat ein paar ernste Züge, sah zum Fenster hin, runzelte die Stirn, seine Frau ging wahrscheinlich jetzt über den Wasserturmplatz, der wird ein Sumpf sein, man müßte ihn pflastern, aber wer hat im Krieg dafür Geld. Er las weiter von den Apfelsorten.

Die Frau ging wirklich gerade über den Wasserturmplatz. Den braunen Familienschirm klemmte sie unter den linken Arm, der Arm drückte zugleich das große schwarze Umschlagetuch an der Brust fest, das sie über ihren grauen Kopf und die Schultern gezogen hatte. Sie sah nur mit einem Auge durch einen Spalt hinaus. Ihr rechter Arm trug einen Holzeimer, in dem eine breite Holzschippe steckte. Sie näherte sich den Gerüsten am Ausgang des Platzes, man baute schon seit Jahren nicht weiter, die Raben hatten auf den Balken ihr Standquartier, sie flogen von hier nach dem Wald und in die Straßen, die zu den Kasernen führten. Sie streifte sich die Tuchfransen vom Gesicht, um zu sehen, ob die Raben noch auf dem Gerüst saßen. Und als sie suchte und nichts fand, beeilte sie sich, denn das war das Zeichen, sie waren unterwegs.

In der langen niedrigen Schule an der Straßenkreuzung lagen Rekruten. Das große Tor zum Schulhof war verschlossen. Man hörte schreien, laute Männerrufe. Die Frau, die gerade das Trottoir vor der Schule verließ, horchte hin. Sie runzelte mißbilligend die Stirn, aber hielt sich nicht auf. Sie war auf dem Sprung. Da saßen schon die Raben, den ganzen Damm vor der Schule bedeckten sie und hackten und krächzten, und dazwischen flatterten die grauen Sperlinge, und alle hielten sich an ihre Beute, als wenn es ein Gerstenfeld wäre. Es war der Pferdemist, den sie für ihr Gemüsegärtchen brauchte. Die Frau, noch mißgestimmt über das Schreien der jungen Soldaten, dieser ungezogenen Kinder, hatte schon ihren Schirm in die linke Hand gleiten lassen, ein Windstoß blähte ihr Schultertuch auf, der Knoten auf der Brust löste sich, die alte Frau achtete aber nicht darauf. Sie schlug mit ihrem Schirm auf die Raben ein, die mit wütendem Krächzen an ihr hochflatterten, sie kannten die Alte schon. Die Spatzen stoben in einer Wolke davon und setzten sich abwartend und schimpfend auf die Regenrinne des Schuldaches. Unten auf dem Fahrdamm knotete die Alte, der der Wind die Kleider zerzauste, das Tuch vor der Brust fest, den Schirm legte sie auf die Bordschwelle, den Eimer stellte sie neben sich. Sie schimpfte auf das Rabenpack, das den Pferdemist über den Damm zerstreute, sie schimpfte über diese unmanierliche Art, sich zu sättigen, und ging dann ihren Eimer füllen. Die Raben hielten sich in respektvoller Entfernung. Als sie mit dem Schaufeln fertig war und sich mühselig aufrichtete, saßen die kleinen Räuber, die Spatzen, schon wieder bei den dicken Raben und pickten und lärmten. Sie stieß die Schippe in den Eimer und holte den Schirm.

Wie sie mit dem vollen Eimer auf das Schilderhaus zuging, neben der breiten Schultreppe, staunte sie. Sie suchte. Sie wollte ihren Eimer wie jeden Morgen der jungen Schildwache zur Aufbewahrung geben, bis Mittag, wenn sie von der Arbeit kam. Der Bursche war nicht da. Drin schrien sie hinter dem geschlossenen Tor unentwegt weiter, es war schon ein Gebrüll. Die Alte, ihren Eimer in der Hand, war drauf und dran, an das Tor zu klopfen und Ruhe zu fordern. Sie stand schon mit einem zornigen Ausdruck da und hielt den Schirm erhoben. Dann erschreckte sie das Brüllen, sie drehte sich und zog ärgerlich ab. Um ihrem Groll Luft zu machen, marschierte sie schimpfend durch den Vogelschwarm hindurch. Sie bog in die stille lange Kasernenstraße ein.

An einer Straßenecke wurde sie jeden Morgen von dem blinden Artilleriehauptmann erwartet, der ebenso früh aufstand und einen festgelegten Spaziergang um mehrere Häuserblocks machte. Er kannte genau die Schrittzahl von einem Straßenübergang zum andern, mit einer genau innegehaltenen Schrittlänge zog er Punkt sieben ab, den dünnen Spazierstock in der Rechten wie eine Antenne vor sich, er gab der Frau seinen Wohnungsschlüssel, sie ging dann zu ihm und machte ihm Kaffee, bevor sie ins Lazarett wanderte. Die gerade Straße war leer, die Alte kämpfte sich unter ihrem Tuch gegen den Sturm vorwärts. Ab und zu schlug sie die Fransen zurück, um sich zu orientieren. Der Fahrdamm war breit mit Wasser überschwemmt.

Da stand der Hauptmann, lang und steif wie er war, im schwarzen Wintermantel, die Krempe des schwarzen Schlapphutes aus der Stirn geweht, so daß er dem Licht sein sehr weißes schmales Gesicht, das angehobene Kinn und die scharfen Halsfalten hinhielt. Er hatte den Kopf nach links gedreht, er hörte nur links, derselbe zu früh abgeprotzte Kanonenschuß auf dem Schießplatz, der ihm die Augen kostete, hatte auch das Gehör auf dem rechten Ohr zerstört. Sie erzählten in der Stadt, der Hauptmann sei ein böser Mann und verhaßt bei seiner Batterie gewesen, seine Leute hätten ihm zum Tort zu früh geschossen. Seine weißen Augäpfel funkelten unruhig. Er hörte die Frau in ihren Pantinen und rief soldatisch: »Frau Hegen.« Sie klapperte an, bot ihm guten Morgen und machte die übliche Bewegung nach seiner linken Hand, wo er den Schlüssel hielt. Aber er hielt ihn fest. »Haben Sie nachmittag Zeit?« »Heut nachmittag? Warum?« »Sie müssen mir sagen, ob Sie Zeit haben.« Er war immer eigensinnig, sie aber auch. »Ja Sie wollen wohl heute keinen Kaffee trinken. Geben Sie mir Ihren Schlüssel.« Er gab ihn nicht. »Wenn Sie nachmittag keine Zeit haben, muß ich mich woanders umsehen.« Die Alte fixierte ihn, heute hatten alle Dummheiten im Kopf, sie ging schon elf Jahre zum Hauptmann. »Ich muß packen«, erklärte der Hauptmann, als er nichts von ihr hörte. Sie dachte nach: »Wann soll ich kommen?« »Um zwei.« »Gut.« Da gab er ihr den Schlüssel, und sie gingen wie immer ohne Wort auseinander, er in Richtung auf den Wasserturm, sie in seine Wohnung, um ihren Eimer abzustellen und Kaffee zu machen.

Die Tore des Schulhofes öffneten sich, das Geschrei tönte über die Straße, auf der Gegenseite sammelten sich Menschen, und drin formierten sich junge Soldaten ohne Waffen, manche rauchten Zigaretten. An die Spitze traten mehrere mit Gewehren. Lärmend und ohne Schritt zogen sie durch die Wasserfluten die Schulstraße herauf in die kleine Stadt ein, die noch im Schlaf lag. Hinter ihnen verließen Lastwagen und Automobile den Hof, voller schreiender und singender Soldaten, die Mützen und rote Bänder schwenkten, dabei auch bärtige Landstürmer. Sie sausten in der anderen Richtung die lange Allee nach dem Flugplatz hinunter.

Im Lazarett, nahe dem Flugplatz, in einem Einzelzimmer der Chirurgischen Station lag ein Flieger. An der Kopftafel stand lateinisch Bauchschuß. Er dämmerte aus weiten Augen. Die große Krankenschwester in Weiß, die den klappernden Verbandwagen neben sein Bett ans Fenster schob, beugte sich über ihn: »Es geht heute besser, Herr Leutnant?« Er suchte zu lächeln, und sie erschrak. Er hatte tiefe Falten um den Mund, die Nase war dünn, ein graubläulicher Hauch über dem Gesicht. Er sprach langsam und verwaschen: »Danke - schön, Schwester.« Er bewegte den Kopf hin und her, seine Finger spielten. »Wollen Sie trinken, Herr Leutnant? Sie haben Durst? Ich bringe etwas.« Ach Gott.

Sie lief in den Hauptsaal, die Stationsschwester trug Temperaturen auf Kurven ein. Sie flüsterten miteinander. Die Stationsschwester kalt: »Ja sehen Sie zu, wo Sie einen Doktor herbekommen« - sie zuckte die Achsel, schrieb ruhig weiter. Dann ließ sie die Hand mit der Füllfeder auf der Kurve liegen und blickte der Jüngeren voll ins Gesicht: »Wozu wollen Sie eigentlich einen Doktor bei dem? Sie fahren lustig mit Ihrem Wagen in das Zimmer. Er hat doch schon heut nacht den Kuratus gehabt.« Die Verbandschwester machte Augen. Die Ältere: »Wo ist übrigens der Wagen?« »Noch da, in seinem Zimmer.« »Ich bin hier bald durch, noch drei Betten. Wir fangen dann drüben bei dem Empyem an, der hat´s sehr nötig, die Nachbarn beschweren sich, riecht.«

Die Große entfernte sich rasch, die...

mehr

Autor

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman >Berlin Alexanderplatz