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Die Verfolgung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am16.05.20131. Auflage
Ein makelloser Sommerabend, eine Villa, versteckt im Grünen, vor den Toren Roms, eine glückliche Familie beim Abendessen. Leo Pontecorvo, ein 48jähriger Kinderonkologe von internationalem Ruf, seine Frau Rachel und die beiden Söhne Filippo und Samuel, die sich in der exaltierten Phase ihrer Pubertät befinden. Da bricht durch eine beiläufige Fernsehmeldung die Katastrophe über sie herein: Leo wird beschuldigt, mit der kleinen Camilla, der Freundin seines Sohnes Samuel, anzügliche Briefe gewechselt zu haben. Eine absurde Anklage. Doch Leo Pontecorvo wehrt sich keineswegs. In Sekundenschnelle von seiner privilegierten Position in die Opferrolle gedrängt, den Anfeindungen von Freunden wie Feinden ausgesetzt, gleitet er immer tiefer in das Inferno einer fatalen Selbstisolation hinein. Dieser Roman ist ein Familienkrimi, eine unheimliche, schmerzliche und surreale Familiensaga, furios erzählt und meisterlich in der psychologischen Durchdringung seiner Figuren.

Alessandro Piperno, geboren 1972 in Rom, gehört zu den meistausgezeichneten Autoren seiner Generation. Für seinen Debütroman ?Mit bösen Absichten? erhielt er gleich zwei bedeutende Preise, den Premio Viareggio und den Premio Campiello. Sein zweiter Roman ?Die Verfolgung? wurde mit dem Prix du meilleur livre étranger ausgezeichnet. ?Hier sind die Unzertrennlichen? erhielt 2012 den Premio Strega, die höchste literarische Auszeichnung Italiens. Alessandro Piperno lebt in Rom. Zuletzt erschien auf Deutsch ?Die Verfolgung?, Frankfurt 2012.
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Produkt

KlappentextEin makelloser Sommerabend, eine Villa, versteckt im Grünen, vor den Toren Roms, eine glückliche Familie beim Abendessen. Leo Pontecorvo, ein 48jähriger Kinderonkologe von internationalem Ruf, seine Frau Rachel und die beiden Söhne Filippo und Samuel, die sich in der exaltierten Phase ihrer Pubertät befinden. Da bricht durch eine beiläufige Fernsehmeldung die Katastrophe über sie herein: Leo wird beschuldigt, mit der kleinen Camilla, der Freundin seines Sohnes Samuel, anzügliche Briefe gewechselt zu haben. Eine absurde Anklage. Doch Leo Pontecorvo wehrt sich keineswegs. In Sekundenschnelle von seiner privilegierten Position in die Opferrolle gedrängt, den Anfeindungen von Freunden wie Feinden ausgesetzt, gleitet er immer tiefer in das Inferno einer fatalen Selbstisolation hinein. Dieser Roman ist ein Familienkrimi, eine unheimliche, schmerzliche und surreale Familiensaga, furios erzählt und meisterlich in der psychologischen Durchdringung seiner Figuren.

Alessandro Piperno, geboren 1972 in Rom, gehört zu den meistausgezeichneten Autoren seiner Generation. Für seinen Debütroman ?Mit bösen Absichten? erhielt er gleich zwei bedeutende Preise, den Premio Viareggio und den Premio Campiello. Sein zweiter Roman ?Die Verfolgung? wurde mit dem Prix du meilleur livre étranger ausgezeichnet. ?Hier sind die Unzertrennlichen? erhielt 2012 den Premio Strega, die höchste literarische Auszeichnung Italiens. Alessandro Piperno lebt in Rom. Zuletzt erschien auf Deutsch ?Die Verfolgung?, Frankfurt 2012.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104016214
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum16.05.2013
Auflage1. Auflage
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2085 Kbytes
Illustrationen9 schwarz-weiße Abbildungen
Artikel-Nr.1305206
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Zweiter Teil


Sieben Monate bevor er (buchstäblich) aus der Küche, vor seinen Lieben und seinen Verantwortlichkeiten floh, war Leo, auf eine in der Vorstellung sehr viel harmlosere Art, aus der großstädtischen Routine geflohen und hatte seine Familie, wie übrigens jedes Jahr, nach Anzère, einem pittoresken Dörfchen in den Schweizer Alpen, mitgenommen.

Dort hielten sich die Pontecorvos jedes Jahr in der Weihnachtszeit fast zwei Wochen auf. Sie mieteten ein abgeschiedenes Chalet, nach Norden gelegen, wie alle schönen und eiskalten Dinge, und vergaßen, dass es auf der Welt irgendetwas anderes gab als diese stille, verschneite, sanfte Pracht.

Obwohl relativ jung, war Leo schon seit einigen Jahren das, was man einen renommierten Mediziner nennt, so dass seine Person die Aura grauer Eminenz auszustrahlen begonnen hatte, die große und gebückte Redner verströmen, die, bevor sie zu sprechen anheben, in der Innentasche ihres Jacketts nach der Brille suchen.

Das kleine Foto neben seiner Gesundheitskolumne im Corriere und ein paar gelegentliche Auftritte im Fernsehen hatten ihn die Freude daran entdecken lassen, im Restaurant oder im Zug erkannt zu werden: Es missfiel ihm nicht, der Star schöner hypochondrischer Damen mittleren Alters mit starren Frisuren und affektiertem Lächeln zu sein. Und doch hatte diese Berühmtheit, für die er nichts weiter tat, keinen aufgeblasenen Kerl aus ihm gemacht. Man konnte allenfalls sagen, dass Leos Charisma noch kostbarer durch die Gewohnheit (oder wenn es euch besser gefällt: durch die nette Eigenart) geworden war, sich nicht wichtigzumachen. Ja, Professor Pontecorvo ist eine jener Größen, die eine recht raffinierte Art entwickelt haben, sich wichtigzumachen, ohne sich wichtigzumachen.

Eine breit angelegte Karriere (wobei die Onkologie den Planeten darstellte, um den herum strahlende Satelliten kreisten) hatte aus ihm einen mehr als wohlhabenden Mann gemacht. Gern gab er gegenüber jüngeren Kollegen in einer Mischung aus Zynismus und Koketterie damit an, dass sein Einkommen als Universitätsdozent (er hatte den Lehrstuhl nun schon seit einer Weile inne) ihm höchstens als Taschengeld diene.

Und vielleicht hätte er sich manche Scherze sparen können - in einer Welt, in der man Reichtum nur den über Achtzigjährigen verzeiht, die über das Feingefühl verfügen, diesen ganzen schönen Besitz nicht mehr genießen zu können.

Wie dem auch sei, trotz solchen Wohlstands, trotz einiger unpassender Scherze und dank Rachel (der Frau, die mit beiden Beinen fest auf der Erde stand) mochten die Pontecorvos mit ihrem Geld nicht angeben. Abgesehen von Samuel, der früh eine begeisterte Leidenschaft für alles, was teuer war oder wenigstens so aussah, entwickelte, hatten sich die anderen nicht über die Maßen von der hedonistischen Religion anstecken lassen, zu der sich in jenen Jahren viele Familien in ihren Kreisen bekannten.

Nur um das klarzumachen: Die Pontecorvos wären niemals in »die richtigen Orte für die richtigen Leute« (wie es damals in einem beliebten Spot des gerade aufgekommenen kommerziellen Fernsehens empfohlen wurde) in Urlaub gefahren, wo Samuel gern seine Klassenkameraden getroffen hätte. Kein Cortina, kein St. Moritz oder ähnliche Orte. Am Hof der Eheleute Pontecorvo waren gewisse Geschmacklosigkeiten nicht zugelassen. Man könnte vielleicht einwenden, es sei eine Art Snobismus im Quadrat, jedes Jahr in ein liebliches unbekanntes Dörfchen wie Anzère zu reisen. Doch das hatte für die Pontecorvos keinerlei Bedeutung. Solche Fragen lagen zugleich über und unter ihrem Niveau. Was zählte, war, dass sie nun seit Jahren einige heilige Gewohnheiten entwickelt hatten, die den Aufenthalt in Anzère unangestrengt leicht machten.

Rachel begann ihren Tag im Schnee früh. Sie trank »in heiligem Frieden« eine ganze Espressokanne leer (die sie wie eine Emigrantin aus Italien mitgebracht hatte) und warf hin und wieder einen Blick auf das Tal in Form eines Amphitheaters, dessen Ränge schroffe Spitzen waren, gleichförmig verschneit und um diese Stunde, wenn gutes Wetter war, rosa und perlgrau lackiert. Auch die Jungs standen gern früh auf, doch aus anderen Gründen als ihre Mutter: Sie wollten (wer weiß warum!) vor allen anderen auf den Pisten sein. Es schien sie mit unglaublicher Befriedigung zu erfüllen, dass die Limousine ihres Vaters (die auf den Zug verladen worden war), einsam auf dem vereisten Parkplatz unter den Seilbahnen und Skiliften thronte. Und außerdem war das nur der erste gewonnene Wettstreit an einem dem Wettbewerb geweihten Vormittag.

Leo war nicht verrückt aufs Skifahren, und lieber hätte er den Vormittag, bei dieser Kälte und wegen der Müdigkeit, die sich über das ganze Jahr angesammelt hatte, gern gemütlich angehen lassen. Doch er mochte Filippo und Samuel nicht enttäuschen. Es war so, als gäbe es für seine Söhne nichts Großartigeres, als mit ihm Sport zu treiben. Ihr hättet sehen sollen, wie diese Jungen sich verausgabten, wenn Leo ihnen zu Anfang jedes Sommers die ersten und gleichzeitig letzten drei Minuten der Saison von »Pässe und Torschüsse« zugestand. Dort, im Garten des Hauses, war Leo - bis die vom Rauchen verkrusteten Lungen und die stechenden Schmerzen, mit denen seine Milz protestierte, ihm nahelegten, das Handtuch zu werfen - bei dem Spektakel seiner Jungs dabei, die sich vor ihm mit einem Eifer ins Zeug legten wie ein Mittelfeldspieler der Jugendmannschaft, der bereit ist, sich auf jeden Ball zu stürzen, um den Trainer der Ersten Mannschaft zu beeindrucken. Das waren sie, seine Jungs: hyperaktiv, begeistert, strotzend vor Energie und Gesundheit. Und wenn er aufhörte, sahen sie ihn mit einer solchen Enttäuschung an!

Auf den Skipisten war die Atmosphäre die gleiche. Leidenschaft, Adrenalin, Kampfgeist. Filippo machte sich über die Angst seines Bruders vor Sprüngen lustig. Semi dagegen konnte es nicht ertragen, dass Filippo, obwohl er schon sehr viel länger Ski fuhr als er, sich nicht genug darum kümmerte, die Ski geschlossen zu halten. Und derweil, mitten in diesen Auseinandersetzungen, mühte sich der Vater ab. Das Schlimme ist, dass für Leo das Beste die Stille war, die er genoss, während der Skilift wieder hinauffuhr - während Filippo und Samuel in dem Alter waren, in dem man nicht einmal weiß, was das Wort »Anstrengung« bedeutet, so dass sie neun Stunden am Stück Ski fahren konnten. Leo ließ den Kopf nach hinten fallen, zog die Handschuhe aus, zerbröckelte mit den Stöcken die Schneehaufen auf der Strecke. Er steckte sich eine Zigarre an. Intensiv atmete er ihn ein, atmete ihn wieder aus: den aphrodisischen Cocktail aus dickem Rauch und dünner Luft. Er spürte, wie die Beine durch einen plötzlichen eisigen Windstoß erstarrten, und als die Auffahrt steiler wurde, kam er wieder zu sich und wäre um ein Haar gefallen.

Mit dem überschwänglichen Kräftemessen seiner Söhne mitzuhalten wurde von Jahr zu Jahr schwieriger. Noch vor einiger Zeit war er es gewesen, der ihnen etwas beibrachte, auf sie wartete, sie anspornte. Seit einer Weile hatten sich die Rollen verkehrt. Inzwischen, so schien es, war sein Stil überholt. Und Filippo und Samuel ließen es ihn dauernd mit genervten Bemerkungen spüren. »Jetzt komm, Papa! ... Los, sonst schaffen wir es nie!«

Wenigstens reichte seine Autorität noch aus, zur Mittagszeit einen Boxenstopp in der gewohnten Hütte durchzusetzen, einer dunkel geschindelten Bruchbude, die, nur wenige Dutzend Meter vom Sessellift entfernt, an einer der leichter zugänglichen Pisten im Schutz des eisigen Gebirgskamms, lag. Das Innere, geräumiger, als es von außen schien, war auch zu den Spitzenzeiten am Weihnachtswochenende gemütlich, an dem sich die Gäste, die durch ihre Skistiefel und silberfarbenen Overalls wie Astronauten, Teilnehmer eines Roboter-Meetings oder mittelalterliche Ritter in Rüstung wirkten, dort drinnen drängten. So genehmigte sich Leo, während die Jungs sich über Cola und Sandwichs hermachten, ein Omelett mit Bacon und Pilzen, dazu als Beilage Rösti und ein paar Gläschen. Das Ganze begleitet von dem üblichen Kommentar: »Und ja kein Wort zu Mama«, was die soeben eingenommene Mahlzeit meinte, die nicht gerade koscher war.

Die beschwingende Wirkung des Alkohols erlaubte es Leo, die letzte Abfahrt nach dem Essen zu genießen. Nachmittags fuhr er nicht Ski. Die Jungs versuchten nicht einmal, ihn zu fragen.

Dann nahm der Tag des Professors in den Bergen eine Wendung, die entschieden besser zu ihm passte. Im Haus erwartete ihn eine lange Sitzung auf dem Thron, anschließend eine wenigstens zehn Minuten dauernde heiße Dusche, nach der es kein Warmwasser im Boiler mehr gab. (»Nach der es keinen Gletscher mehr gab«, zog ihn Rachel auf, die sich immer darüber wunderte, was für einen exzessiven Gebrauch ihr Mann von den Ressourcen des Planeten machte.)

»Warum machen wir uns nicht einen schönen Kaffee?« Das war die Standardfrage, die Leo Rachel stellte, sobald er aus dem Bad kam, nach Kölnischwasser und Talkumpuder duftend und mit einer Zigarre im Mund. Sowohl Leo als auch Rachel wussten, das etwas an der Frage nicht stimmte, nämlich der Gebrauch der ersten Person Plural. Diese ökumenische grammatikalische Entscheidung war Heuchelei und Schwindel. Sie würde es sein, die den Kaffee machte, den nur er brauchte. Der Grund dafür, dass er nicht kurz angebunden danach verlangte, wie der Vater die Mutter vor Jahren dazu aufgefordert hätte, lag darin, dass sich inzwischen die Zeiten geändert hatten. Es war, als ob in dem eigentümlichen Kalender der menschlichen Bräuche seitdem ein Erdzeitalter vergangen wäre. Die Bitte Leos, auf so scheinheilige Art formuliert, offenbarte, dass der Aufstieg der modernen Frau bis zum Erlangen der...
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Autor

Alessandro Piperno, geboren 1972 in Rom, gehört zu den meistausgezeichneten Autoren seiner Generation. Für seinen Debütroman >Mit bösen AbsichtenDie VerfolgungHier sind die UnzertrennlichenDie Verfolgung