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Wo die Geschichte endet

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am02.04.20191. Auflage
Alessandro Piperno beschreibt die Verfehlungen seiner Figuren so zärtlich, ihren Fall so gnadenlos präzise, dass »Wo die Geschichte endet« zu einem großen literarischen Genuss wird. Vor sechzehn Jahren musste Matteo aus Rom fliehen, nun kehrt er zurück. Gekonnt pariert er alle Angriffe seiner Ehefrauen - Nummer vier verlangt seine sofortige Rückreise in die USA, Nummer zwei hat noch immer nicht die Scheidung eingereicht -, während seine Kinder die ganze Härte des bürgerlichen Lebens trifft: Martina findet nach einem Kuss nicht in ihre Ehe zurück, und Giorgio hat alle Hände voll zu tun, seit die feine Gesellschaft Roms in seinem Restaurant ein und aus geht. Als ein Unglück sie alle ins Bodenlose stürzt, verkehrt sich die Posse in eine handfeste Tragödie.

Alessandro Piperno, 1972 in Rom geboren, zählt zu den renommiertesten Autoren seines Landes. Für sein Debüt »Mit bösen Absichten« erhielt er den Premio Viareggio und den Premio Campiello. Sein dritter Roman »Hier sind die Unzertrennlichen« wurde 2012 mit dem Premio Strega geehrt, der höchsten literarischen Auszeichnung Italiens. Alessandro Piperno lebt in Rom.
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Produkt

KlappentextAlessandro Piperno beschreibt die Verfehlungen seiner Figuren so zärtlich, ihren Fall so gnadenlos präzise, dass »Wo die Geschichte endet« zu einem großen literarischen Genuss wird. Vor sechzehn Jahren musste Matteo aus Rom fliehen, nun kehrt er zurück. Gekonnt pariert er alle Angriffe seiner Ehefrauen - Nummer vier verlangt seine sofortige Rückreise in die USA, Nummer zwei hat noch immer nicht die Scheidung eingereicht -, während seine Kinder die ganze Härte des bürgerlichen Lebens trifft: Martina findet nach einem Kuss nicht in ihre Ehe zurück, und Giorgio hat alle Hände voll zu tun, seit die feine Gesellschaft Roms in seinem Restaurant ein und aus geht. Als ein Unglück sie alle ins Bodenlose stürzt, verkehrt sich die Posse in eine handfeste Tragödie.

Alessandro Piperno, 1972 in Rom geboren, zählt zu den renommiertesten Autoren seines Landes. Für sein Debüt »Mit bösen Absichten« erhielt er den Premio Viareggio und den Premio Campiello. Sein dritter Roman »Hier sind die Unzertrennlichen« wurde 2012 mit dem Premio Strega geehrt, der höchsten literarischen Auszeichnung Italiens. Alessandro Piperno lebt in Rom.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492993432
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum02.04.2019
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse3540 Kbytes
Artikel-Nr.4171740
Rubriken
Genre9201
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Inhalt/Kritik

Leseprobe
2

Nichts von alledem, was er sich vorgestellt hatte, ähnelte der Erleichterung, die er vor dem Pissoir im Terminal 3 des Flughafens Fiumicino verspürte. Als ob er erst jetzt, bei Entleerung seiner Blase, gewahr würde, in welchem Alarmzustand er die letzten sechzehn Jahre gelebt hatte.

Während er sich unter die dahineilende Menge mischte, wurde er von einer Regung patriotischen Stolzes erfasst. Ineffizienz und Nachlässigkeit waren ihm so eigen, dass er sich fast in den Liegestuhl gesetzt hätte, den jemand (wer?) neben dem Taxistand aufgestellt hatte. Das morgendliche Licht hatte nicht die Strahlkraft der Sonnenaufgänge in Los Angeles. Dafür zeichnete sich oberhalb der mehrstöckigen Parkhäuser alles sehr klar ab, flammengesäumte Wolken sahen aus wie verschneite Berghänge bei Sonnenuntergang. Als er während des Landeanflugs leere Strände und die Heckwellen von Motorbooten erblickt hatte, war ein liebevolles Gemeinschaftsgefühl über ihn gekommen. Man vergisst allzu leicht, dass Rom eine Stadt am Meer ist.

Kalifornien hatte er seinerzeit gewählt, weil es unter den Orten, die seinem Geburtsort ähnelten, am weitesten entfernt war von dem Idioten, der ihm an den Kragen wollte. Nichts von dem, was er seither auf die Beine gestellt hatte, glich einer Geschichte von Wiedergeburt und Erlösung. Im Wesentlichen hatte er Jobs akkumuliert, die seine Vorfahren (und vermutlich auch seine Nachkommen) verabscheuen und missbilligen würden.

Weder die einen noch die anderen waren gekommen, um ihn abzuholen. Vielleicht wussten sie gar nichts von seiner Ankunft. Ein paar Stunden früher, während des Zwischenstopps am Flughafen Boston Logan, hatte er die Aufforderung der Flugbegleiterin, die Handys abzuschalten, missachtet und versucht, ein halbes Dutzend Leute zu erreichen, zwei ehemalige Ehefrauen, die Kinder, den Freund aus Kindertagen, und nur Letzterer hatte geantwortet.

Dabei hatte es ihm nie missfallen, Matteo Zevi zu sein. Keiner der vielen Fehler, die er in etwas mehr als einem halben Jahrhundert des Lebens angehäuft hatte, hatte ihn dazu gebracht, sich mit der Schärfe zu beurteilen, mit der andere ihn zu beurteilen pflegten. Waren nicht immer die anderen das Problem gewesen?

Angefangen bei den folgsamsten Verbündeten, Giorgio, den er mit seiner ersten Frau gehabt hatte, Martina, das Geschenk der zweiten. Diese Kinder von verschiedenen Frauen und einem unzuverlässigen Vater, die zumindest er, Matteo, als biologischen Kollateralschaden hinnahm, hatten sich nicht nur vom affektiven Standpunkt aus als gewinnbringende Investition erwiesen. Schade, dass ihre geschwisterliche Verbundenheit seit einiger Zeit neue Nahrung in einer Art gemeinsamer Abneigung ihm gegenüber gefunden hatte. Giorgio beantwortete seine Anrufe seit mindestens sechs Monaten nicht mehr; Martina ließ sich widerwillig herbei, rief jedoch nie zurück.

Er genoss die Einfahrt in die Stadt vom Rücksitz eines Taxis aus. Der Fahrer trug Bermudas in Tarnfarben und ein gelbes T-Shirt; unter dem linken Ärmel, der fast bis zum Schlüsselbein aufgerollt war, blitzte eine Tätowierung von Bruce Lee hervor, die Fäuste erhoben. Wenn der Taxifahrer die Wasserflasche zum Mund führte - das tat er oft und trank in kleinen Schlucken -, hatte der König des Kung-Fu die Beine in der Luft.

Moderne Bauten, Ruinen, Flecken mediterraner Macchia gingen ineinander über, und Träume mischten sich unter Erinnerungen, Hoffnungen, Enttäuschungen. Der Wagen holperte über die Baumwurzeln, die den Asphalt aufwarfen; Kletterpflanzen überwucherten Tore und Umfassungsmauern; Insektenschwärme belagerten die Mülltonnen, als ob die Natur die Stadt und ihre Bewohner besiegt hätte.

Plötzlich sah er zu seiner Linken das Schaufenster, vor dem ihm der erste Kuss abgerungen worden war. Die Glückliche war die Tochter des Geschäftsinhabers gewesen, eines Mannes, dessen Tochter in der Öffentlichkeit (aber auch im Privaten) zu küssen, nicht ratsam war. Zwei Jahre älter als er, ihm aber um drei in der Entwicklung voraus, mindestens zehn Jahre reifer an Erfahrung war dieses Mädchen, dessen Namen Matteo sich jetzt in Erinnerung zu rufen versuchte, eine jener wilden Gestalten, wie sie Kindheitserinnerungen bevölkern. Sie hatte die Initiative ergreifen müssen. Gleich darauf war Matteo nach Hause gelaufen, um sich die Zähne zu putzen. Das Einzige, was er von Manuela (so hieß sie!) wusste, war, dass sie bei einem Autounfall ihren Sohn verloren hatte.

Anstelle der Reinigung war hier jetzt ein Geschäft für glutenfreie Lebensmittel. Überall suchte Matteo nach sensationellen Neuerungen, die seine lange Abwesenheit unterstreichen würden, aber auch nach vertrauten Details, die das Gefühl abschwächen konnten, zu spät zur eigenen Beerdigung gekommen zu sein. Erzittern ließen ihn vor allem die vergessenen Dinge, das schmucklose Schild des Bestattungsunternehmens, die zweifarbigen Bürsten der Autowaschanlage, das Quietschen der Busse beim Bremsen.

Für jeden von uns gibt es einen Ort, nicht allzu weit von zu Hause entfernt, aber auch wieder nicht zu nah, der uns, wenn er am Horizont auftaucht, zusammenfahren lässt wie ein Kind, das sich in der Menschenmenge eines Einkaufszentrums verlaufen hat und endlich den Mantel der Mutter entdeckt. Matteo erkannte, dass dieser Ort für ihn die Latteria am Anfang der Via Alessandro Poerio war. Als er sie sah, spürte er, wie sein Blut mächtig zu den koronaren Bypässen strömte, die ihm unlängst eingesetzt worden waren und die er mit dreiundachtzig abbezahlt haben würde. Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was er empfand, als er dort an einem Tischchen sitzend Tati Almagià erblickte, grauhaarig mit Rabbinerbart, wesentlich älter wirkend als er, im Gesicht den Ausdruck von jemandem, der eben einen guten Witz gemacht hat.

Er bat den Taxifahrer anzuhalten. Er zahlte, packte den Reisesack und trabte auf den alten Freund zu.

»Wollten wir uns nicht bei dir im Büro treffen?«

»Aber wenn ich doch ein Leben lang hier sitze und auf dich warte wie ein Idiot.«

Hier hatten sie sich verabredet, um gemeinsam in die Schule zu gehen; hierher waren sie an den Winternachmittagen nach dem Tennisunterricht auf ein Tramezzino und eine Cola gekommen; hier hatten sie sich Ende Juni voneinander verabschiedet und eine Granita di caffè getrunken, um sich dann im September beim letzten Eis des Sommers wiederzutreffen; hier hatten sie im Oktober ein Sandwich mit Hühnersalat gegessen und die Fastenregeln des Jom Kippur gebrochen.

Gestärkt durch Latte macchiato, Cappuccino und Cornetti informierte Matteo Tati über die letzten Katastrophen. Er hatte die Arbeit im Fitnessstudio verloren, der Kühler am Auto war kaputtgegangen, er war in ein anderes Viertel gezogen. Das allein in den letzten sechs Wochen. Er erzählte ihm von Sandrine, seiner neuen Frau, einer Französin mit künstlerischen Ambitionen. Sie brauchte einen Ehemann mit amerikanischem Pass und er zwanzigtausend Dollar: Sie waren sich schnell einig geworden. Leider entpuppte sie sich als so lästig, dass seine früheren Ehefrauen im Vergleich dazu â¦

Ohne die zwei oder drei Mal, die Tati nach Kalifornien gereist war, wären es sechzehn Jahre gewesen, dass sie sich nicht gesehen hatten. Tatis letzter Besuch reduzierte den Zeitraum auf fünf Jahre. Jedenfalls eine Ewigkeit, wenn man bedachte, dass ihre Freundschaft bis zu Matteos überstürzter Abreise nicht weniger eng gewesen war als die Verbindung ihrer Väter. Tatis und Matteos Väter hatten in der Synagoge nebeneinandergesessen, auf den Rängen des Fußballstadions, im Konzertsaal von Santa Cecilia; sie waren der eingeschworenste Zweier des Ruderklubs Lazio gewesen; jeden Sommer hatten sie gemeinsam Urlaub in der südlichen Maremma gemacht und sich dort fast jeden Abend einen großen Wolfsbarsch im Salzmantel geteilt. Die Söhne hatten das Erbe dieser familiären Bindung so lange wie möglich aufrechterhalten. Es gab kein Bildungserlebnis und keine schädliche Erfahrung, die sie nicht geteilt hätten: die erste Zigarette, den ersten Rausch, das erste mütterliche Schulschiff. Doch keine ihrer jugendlichen Unternehmungen konnte es mit dem Telefonat aufnehmen, in dem Tati Matteo vor ein paar Jahren von der Diagnose eines Melanoms in Kenntnis gesetzt hatte. Mit einem Schlag hatte die Vorstellung, der Freund könne für immer verschwinden, einfach nicht mehr da sein, um auf ihn zu warten und sich an seiner statt um Giorgio und Martina zu kümmern, auf sie achtzugeben und sie zu beschützen, sein Exil absurder und verzweifelter gemacht. Matteo hatte verlangt, nach jedem Termin der Chemotherapie angerufen zu werden, auch wenn es in Los Angeles dann mitten in der Nacht war.

Tatis Magerkeit war die sichtbarste Folge der überwundenen Krankheit; seine Haut sah aus wie die Schale eines im Kühlschrank verschrumpelten Pfirsichs. Etwas an dem neuen Tati erinnerte an einen Bauchredner.

Nach einiger Zeit jedoch plätscherte die Unterhaltung in den ruhigen Gewässern der Erinnerung dahin. Sie mussten sehr lachen über das eine Mal am Meer, als Matteos Mutter Tati in Unterhosen mit einem Mädchen erwischt hatte und, ohne mit der Wimper zu zucken, zu ihm gesagt hatte: »Wenn du schon mal da bist, könntest du deinem Vater bitte ausrichten, dass die Canasta-Partie heute Abend ausfällt.«

»Nun, sie war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.«

»Sie war es, die mir die erste Zigarette anbot«, bestätigte Tati zufrieden. »Wenn ich an meine altmodischen Eltern denke!«

»Zur Bar-Mizwa hat sie mir eine Packung Präservative mit Bananengeschmack geschenkt«, legte Matteo nach.

»Aber sag mal, wie hast du das gemacht?«

»Was?«

»Eine solche Mutter in Rage zu bringen.«

Seitdem ein Aneurysma ihren Ehemann...
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Autor

Alessandro Piperno, 1972 in Rom geboren, zählt zu den renommiertesten Autoren seines Landes. Für sein Debüt "Mit bösen Absichten" erhielt er den Premio Viareggio und den Premio Campiello. Sein dritter Roman "Hier sind die Unzertrennlichen" wurde 2012 mit dem Premio Strega geehrt, der höchsten literarischen Auszeichnung Italiens. Alessandro Piperno lebt in Rom.